7. Oktober 2011
2. November 2010
12. September 2010
'Demetrio e Polibio' beim Rossini Opera Festival 2010
Das diesjährige ROF war eigentlich für die Rossini-Freunde besonders attraktiv, weil es gleich zwei Neuigkeiten gab, nämlich Sigismondo (der wegen der italienischen Finanzpolitik im letzten Jahr ausgesetzt werden musste) und Demetrio e Polibio, die beide im stilgerechten Teatro Rossini aufgeführt wurden. (Daneben konnte man, wenn man dafür die Fahrt in die Adriatic Arena in Kauf nehmen wollte, mit La Cenerentola auch noch die Wiederaufnahme einer „Ronconiana“ von 1998 sehen.) Weniger attraktiv und stilgerecht erwiesen sich wie befürchtet die Neuinszenierungen, derentwegen laut der irrigen Meinung des ROF-Intendanten (vgl. Interview mit Gianfranco Mariotti in «La Gazzetta» 2009) die Leute zu einem Festival reisen würden; zumindest bei den Rossini-Festivals ist es aber so, dass der Hauptteil des Publikums wegen der Werke und der Sänger herkommt, und zwar leider immer öfter trotz der Inszenierungen.
Die Inszenierung von Demetrio e Polibio zeigte schon während der Ouvertüre eine offene Bühne – die selbst eine Bühne darstellt, auf der gerade ein Dirigent (alias Michele Mariotti?) den Applaus entgegennahm: Theater im Theater also, einmal mehr – immer ein untrügliches Zeichen, dass der Regisseur mit dem Stück nicht viel anzufangen wusste. Hier ist es immerhin ein „Thema mit Variationen“, denn gezeigt wird der Schluss einer Aufführung, der Umbau der Bühne für die nächste Vorstellung und das Lichterlöschen – worauf in dem Theater die alten Opernphantome erwachen, vier Sänger in Kostümen der Rossinizeit: Das soll wohl die Mombelli-Familie sein, die das Erstlingswerk des Pesaresen Revue passieren lässt. Dabei bleiben einige Theaterkniffe ein Rätsel: Wieso die Verdoppelung der Personen? Vielleicht wegen der doppelten Identitäten? Aber die betreffen doch nur Siveno, der sich als Königssohn Demetrio jun. erweisen wird, und Demetrio sen., der in der Verkleidung seines eigenen Botschafters Eumene auftritt; Polibio, der Ziehvater von Siveno, und Lisinga, seine Tochter, sind und bleiben, wer sie sind und haben hier dennoch ihre Doppelgänger. Was bedeuten die Flämmchen, die fast alle immer wieder aus ihren Handflächen auflodern lassen? Dank der klassischen Kostüme (und nur dank derer) entstanden einige schöne Bilder, aber das Ganze blieb auf dem Niveau einer schwer verständlichen Metatheatralität, die die Geschichte in keiner Weise plausibel machte. Dabei sollte der Stoff, der für Rossini persönlich von so zentraler Bedeutung ist und ihn von Demetrio bis Tell und darüber hinaus begleitete, nämlich jener der Familienbande und der Elternliebe, eigentlich nicht so schwierig zu vermitteln sein.
Anzumerken ist noch, dass es sich um eine Zusammenarbeit des ROF mit der Bühnenbildnerklasse der Akademie der Schönen Künste aus Urbino handelte, deren Absolventen mit der Produktion ein gutes handwerkliches Geschick bewiesen, während der Regisseur Davide Livermore mehr die Inszenierung der Inszenierung inszenierte, statt das Stück selber. Die ganze Entstehung der Produktion wurde in einem separaten Programmheft dokumentiert.
María José Moreno bot eine gut zwischen zärtlicher Liebe und kämpferischem Elan agierende Lisinga, auch wenn ihre Stimme nicht immer ganz richtig intoniert war. Shi Yijie bewies eine gewisse Unerschrockenheit gegenüber seinen tenoralen Herausforderungen, aber der Stimme mangelt es an einem gewissen Schmelz und der ganzen Person an Autorität für diese Rolle, die immerhin für einen gestandenen Mann wie Domenico Mombelli konzipiert wurde. Mirco Palazzi brachte dagegen die stimmliche und darstellerisch passende Präsenz für den Polibio mit, und auch Victoria Zaytseva konnte in der Hosenrolle des Siveno mit ihrer angenehmen Mezzostimme überzeugen. Die Herren des Prager Kammerchors entledigten sich unter der Leitung ihres Altmeisters Lubomír Mátl wie immer gekonnt ihrer Aufgabe. Corrado Rovaris entlockte dem gut disponierten Orchestra Sinfonica G. Rossini eine symphonische Klanglichkeit, die den im ausgehenden 18. Jahrhundert verankerten Stil auf anmutige Weise unterstrich.
Reto Müller
(Auszug aus dem «Mitteilungsblatt» der Deutschen Rossini Gesellschaft, Nr. 51-September 2010)
'Sigismondo' beim Rossini Opera Festival 2010
Ich wusste schon 1995, als ich Sigismondo für das Festival in Wildbad zur Aufführung anregte, dass dieses „Psychodrama“ in den Händen moderner Regisseure auf gefährliche Abwege zu geraten droht. Doch Jochen Schönleber und Annette Hornbacher boten die Oper damals in einer überraschend ansprechenden Ausstattung, besonders in der Waldszene, in der hohe Spiegel aufgestellt waren, die die wahren, falschen und vermeintlichen Identitäten sehr gut symbolisierten. Das Finale haben sie dann allerdings ganz werkfremd als Buffoszene dargestellt. Damiano Michieletto nimmt das Stück in Pesaro ernst, wenn er es ohne Ironie mit einem verhaltenen und nicht ausgelassenen Versöhnung Aldimiras und Sigismondos und der Bestrafung Ladislaos enden lässt. Er nimmt das Stück auch ernst, wenn er den Zwiespalt der Personen, ihre Unsicherheiten und Sehnsüchte erkennt und umsetzt. Aber er nimmt das Libretto und teilweise auch die Musik überhaupt nicht für voll, wenn er aus diesem „Stoff“ eine eigene Geschichte, statt derjenigen, die ihm vorliegt, inszeniert. Er verlegt den ganzen ersten Akt kurzerhand in eine Irrenanstalt (was gerade en vogue ist), während im zweiten Akt nicht klar wird, wo man sich befindet. Vieles spricht dafür, dass es sich um die Kanzlei der Regierung handelt, wo nach der Rückkehr des Königs die Möbel wieder zurecht gerückt werden (neben Ronconis Cenerentola also noch ein Möbellager). Aber wieso tauchen die Irren wieder auf? Vielleicht grenzt der Palast direkt ans Irrenhaus, oder – wie sinnig, vor allem wenn man an die heutige italienische Politik denkt – der Palast ist das Irrenhaus… Am Schluss werden auf jeden Fall die Missetäter von den Irren abgeholt – sie erhalten ihre gerechte Strafe, indem sie selber in den Sog der Demenz gezogen werden. Wie man sieht, bietet die Inszenierung eine ganze Reihe von (irr)sinnigen und schlüssigen Anregungen. Leider werden dabei Libretto und Musik allzu oft übergangen. Striche in den Rezitativen sind von jeher auch in Pesaro kein Tabu (wiewohl sie es aus philologischer Sicht sein sollten), aber dass sie zu einem großen Teil schlicht aus Willfährigkeit gegenüber dem Regisseur gemacht werden, ist ein Armutszeugnis für ein Festival, das sich Werktreue auf die Fahnen geschrieben hat. Die Kürzungen, die hier vorgenommen wurden (und neuerdings im Programmheft gekennzeichnet werden), sind in weiten Teilen auf den neuen Handlungsort zurückzuführen und merzen alle nicht mit der Irrenanstalt zu vereinbarenden Hinweise auf die Waldszene aus. Den Jägerchor, eine musikalische Nummer, die nicht einfach so weggelassen werden kann, stellte Michieletto als „Betriebsausflug“ der Irren dar, aber für viele weitere Anspielungen auf die Waldszene und die Kriegsbedrohung ist ihm dann nur noch die Kürzungsschere eingefallen.
Es gibt auch einige Elemente, die zu dieser Geschichte passen, und die man als „Stilmittel“ auch in einer adäquaten Inszenierung gut hätte einsetzen können: Ich meine die drei Aldimira-Doubles, die wie Gespenster Sigismondo und Ladislao bedrängen und sehr plastisch deren Verfolgungswahn darstellen. Erfreulich war auch, dass die Ouvertüre ungestört bei geschlossenem Vorhang gespielt werden durfte, dass die Handlung nicht in der Jetztzeit sondern in der Vergangenheit (wenn auch in der falschen) spielte und dass das störende Gekreische und das Umwerfen von Tischen wenigstens „nur“ während musikalischer „Pausen“ vorkamen. Michieletto gelingt es hervorragend, seine eigene Geschichte zu erzählen und das Libretto mehr oder weniger außer Acht zu lassen. Ist es das, was wir unter „Interpretation“ zu verstehen haben? Nein, es ist nichts anderes als ein „Meme“ (engl., „Mihm“ gesprochen), wie das im neusten Internetjargon heißt, wo unter diesem Genre Filmausschnitten völlig fremde Texte (gesprochen oder als Untertitel) unterlegt werden (für ein Meme der lustigen Art schaue man sich auf YouTube Obamas Rede in Berlin auf Schwäbisch an!). Aber auch innerhalb dieses Konzeptes ist vieles nicht durchdacht. Ist es etwa plausibel, dass ein Herrscher, so dement er auch sein mag, auf der allgemeinen Station in einem 8-Betten-Saal interniert wird? Auch der Rollstuhl, in dem Sigismondo herumgefahren wird, ist mehr ein Moderequisit als ein notwendiges Hilfsmittel für einen Irren. Aldimira, von der wir übrigens nicht erfahren, in welcher Beziehung sie zu dem Arzt der Anstalt (Zenovito) steht – die entsprechende Rezitativpassage wurde gestrichen –, hat ihren Auftritt nicht wie im Libretto vorgesehen in der Waldhütte, wo sie Zuflucht gefunden hat, sondern sie kommt ins Irrenhaus und besingt den „tranquillo soggiorno“ („Oh beschaulicher Ort“). Auch wenn die Irren gerade mehr oder weniger ruhig schlafen, ist das in der Situation eine groteske Aussage, die „leider“ durch die neuerdings auch in Pesaro vorhandenen Übertitel augenfällig wurde. Im Duett, in dem sich Ladislao der vermeintlichen Tochter Zenovitos, in der er Aldimira zu erkennen glaubt, gegenüber sieht und wo die Stretta die Verstörung der beiden charakterisiert, inszeniert der Regisseur eine Vergewaltigungsszene, die in dieser Situation jeder Logik entbehrt und mithin reine Perversion und Effekthascherei ist. Gegen Ende der Oper, kurz bevor Ladislao seine Taten eingesteht, wird uns freundlicherweise ein Gemetzel erspart, wenn die beiden Truppen aufeinander losgehen. Stattdessen reißen die Uniformierten alle Schubladen auf und werfen Papierstöße wild durcheinander – kein Mensch versteht, was diese Aktion bedeuten soll: Sie ist denn auch reiner Aktionismus eines Regisseurs, dessen verirrte Geschichte nicht zur tumultartigen Musik passt. Wie sagte ich doch in meinem Vortrag in Wildbad: „Wenn man einzelne Teile weglässt oder verändert […], kollabiert das System und kann oft nur noch durch absurde Manöver zu Ende gebracht werden“. Vielleicht glaubt so ein Regisseur, wenn seine Konzepte nicht ganz aufgehen, im Geiste der italienischen Librettistik zu handeln, die vor Unwahrscheinlichkeiten ja nur so strotzt (das ist freilich ein Gemeinplatz: die vermeintlichen Widersprüche entstehen oft erst durch die unbedarfte Streichung von Rezitativpassagen) – dabei wäre es die nobelste Aufgabe dieser Berufsgilde, allfällige Fragwürdigkeiten inszenatorisch auszumerzen und nicht neue zu kreieren.
Das größte Problem sind aber die Irren selbst: wie sie da herumzucken, am Boden kriechen, ausflippen, hysterisch schreien etc. ist nicht nur eine entwürdigende Bloßstellung und mithin eine Herabwürdigung von kranken Menschen, sondern für manch einen Zuschauer auch eine schwer verdauliche Realität, mit der umzugehen jedermann seinen eigenen Weg finden muss, und wenn es deren Verdrängung ist; das Publikum ungefragt auf so krude Weise damit zu konfrontieren, ist ein Missbrauch der verantwortungsvollen Regisseurenrolle. Im Übrigen gilt für die klassische Ästhetik, zu der Sigismondo trotz romantischer Vorwegnahmen letztendlich gehört, das Gebot des „bello ideale“, wo das Hässliche zwar thematisiert, aber nicht dargestellt wird: so wie im letzten Jahr die grässlichen Blutszenen in der Zelmira gegen dieses Prinzip verstießen, so verstoßen in diesem Jahr die Irren in Sigismondo dagegen.
Im Rahmen des Konzepts agierten die Darsteller ausgezeichnet. Daniela Barcellona war schlicht ergreifend, wie sie den schwachen, verunsicherten Sigismondo mit einer großartigen schauspielerischen Leistung darstellte – dies alleine hätte genügt, um das innere Drama dieses von Gewissensbissen verfolgten Herrschers und damit die von Rossini beabsichtigte Thematisierung darzustellen. Barcellona präsentierte sich auch in bester stimmlicher Verfassung und löste die größten Ovationen aus, die einmal mehr zeigten, was dem Publikum wirklich wichtig ist. Olga Peretyatko hat in Aldimira eine kongeniale Rolle gefunden. Anders als die anspruchsvollen Colbran-Partien, für die sie weder die richtige Vokalität noch die Reife besitzt, liegen ihr die Rollen, die Rossini für die typische Sopranstimme der Elisabetta Manfredini-Guarmani geschrieben hat, ganz besonders; neben Aldimira sind das weitere „A“-Rollen, nämlich Amira in Ciro in Babilonia, Amenaide in Tancredi und die Titelrolle von Adelaide di Borgogna. Eine Idealbesetzung war auch Antonino Siragusa für den Ladislao, dessen Timbre gut zu dem Verrätertyp passt. Er meisterte auch alle Koloraturen perfekt, aber ein differenzierter Gesang ist nicht gerade seine Sache: seine Versuche, auch mal ein schönes Piano zu singen, blieben Ausnahmeerscheinungen. Exzellent war der gehaltvolle Bass von Andrea Concetti in den Rollen des Zenovito (1. Akt) und des Ulderico (2. Akt). Gut in dieses erstklassige Ensemble fügten sich Manuela Bisceglie (Anagilda) und Enea Scala (Radoski) ein. Der Chor und das Orchester aus Bologna musizierten hervorragend unter ihrem neuen Leiter Michele Mariotti. Der ist dem Vorwurf der Vetternwirtschaft ausgesetzt, weil er in seinem jugendlichen Alter bereits den so wichtigen Posten des GMD am Teatro Comunale di Bologna besetzt, an der Mailänder Scala einen Barbiere (nach dem Rauswurf des designierten Dirigenten Spinosi) und jetzt in Pesaro die Eröffnungsoper dirigiert – alles Dinge, die damit in Verbindung gebracht werden, dass er der Sohn des ROF-Intendanten ist. Man darf sich bei der Beurteilung seiner Leitung aber weder davon noch von der sinnwidrigen Regie ablenken bzw. irreleiten lassen. Das wiederholte Anhören der Radioübertragung vom 9.8. macht ohrenfällig, dass der junge Mann durchaus Talent hat und dass Pesaro richtig tat, ihn trotz der „Vitamin-B“-Vorwürfe zu engagieren. Mariotti dirigiert einen präzisen, spannungsvollen Rossini, energisch, aber durchsichtig. Allerdings zeigt er in diesem Sigismondo eine Tendenz zu krassen Differenzierungen, plötzlichen dynamischen Wechseln wie unvermittelte Accelerandi oder extreme Übergänge zwischen piano und forte. Wenn das eine bewusste Lesart dieses „extremen“ Stoffes ist, kann man das akzeptieren, falls es aber (wie bei seinem Vorgänger Daniele Gatti) nur dem Willen nach Effekthascherei und vermeintlicher Originalität entspringt, wird es sich bald als Leerlauf erweisen – ein nächster Prüfungstermin bietet sich im Mai 2011, wenn er La gazza ladra in Dresden dirigiert.
Reto Müller
(Auszug aus «Mitteilungsblatt» der Deutschen Rossini Gesellschaft, Nr. 51-September 2010)
1. September 2010
Rossini Opera Festival 2010 in Pesaro - Die Presseschau
Bilder - Bilder - Bilder!!! Fotogalerie zu allen drei Opernproduktionen
Video "La Cenerentola"
Die Videos von den beiden anderen Opern dokumentieren leider mehr die schlechte Sicht aus einer seitlichen Loge als die Aufführung selbst: Demetrio e Polibio und Sigismondo
Die - teilweise durchaus konträre - Berichterstattung im Neuen Merker:
Demetrio e Polibio / Il viaggio a Reims / La Cenerentola / Sigismondo
Jugendsünden und Drittbesetzungen ("Demetrio e Polibio" und "La Cenerentola")
Sigismondo
Auch Manuel Brug war in Pesaro und berichtet in der "Welt":
Oper als geschlossene Anstalt - Wie das Rossini-Festival in Pesaro der katastrophalen Kulturpolitik von Berlusconi trotzt
Italien ist ein Irrenhaus. Seit einigen Jahren gibt es hier keine Nervenkliniken mehr. Man wird stationär behandelt oder der Obhut der Familie überlassen. Jeder muss sehen, wie er damit klarkommt. Längst ist auch die italienische Kulturpolitik ein Irrenhaus, denn die Regierung Berlusconi entlässt fast alle Institutionen aus ihrer Verantwortung und kappt damit auch die Subventionen. Jeder muss sehen, wie er damit klar kommt. Jetzt steht auch noch im reizend klassizistischen Teatro Rossini in Pesaro ein Irrenhaus auf der Bühne. Wo man doch im Geburtsland der Oper gewohnt ist, dass auf einer Theaterszene dekoriert, aber nicht inszeniert,geschweige denn interpretiert wird. ... mehr
... und bei Klassik-info Rosamunde Pilcher an der Adria
Forum Opéra (französisch):
Concerto Pergolesi - Concerto Majella Cullagh - Kantaten
Zu den vier Berichten über die Opernproduktionen geht es hier.
Hinweis zum Übersetzen mit Google: Ein Klick genügt! Wenn im Browser die Google Toolbar aktiviert ist, erscheint automatisch bei einer fremdsprachigen Seite das Angebot zur Übersetzung.
15. August 2010 (esg):
Hier eine Fotostrecke von der Eröffnung des diesjährigen ROF mit zahlreichen Szenenfotos von "Sigismondo" (ab Bild 11).
Eine positive Bewertung der Inszenierung des Sigismondo enthält der die Festivals von Torre del Lago und Pesaro vergleichende Bericht "Schöner leben und neppen: Puccini-Fastfood in Viareggio, Rossini-Perle in Pesaro", der auch kurz auf die beiden anderen Produktionen eingeht:
Auszug Rossinis „Sigismondo“: ein großer Wurf in Pesaro
1. August 2010
Pesaro live zum Mithören und Aufnehmen
In wenigen Tagen ist es soweit! Auch dieses Jahr überträgt RAI Radio3 vom Rossini Opera Festival in Pesaro live alle drei Premieren. Neben La Cenerentola gibt es dieses Jahr zwei absolute Raritäten: Sigismondo und Demetrio e Polibio. Ob davon etwas jemals auf einem deutschen Radiosender zu hören sein wird, steht leider in den Sternen und noch nicht in einer Programmzeitschrift.
Wie man die Übertragungen mithören kann, habe ich in einem Kommentar erläutert. Gerade bei den genannten Raritäten dürfte vielfach aber auch der Wunsch bestehen, die Übertragungen auch aufzeichnen zu können. Hierzu einige praktische Hinweise.
In meinem Beitrag Oper im Internet habe ich den – von mir auch jahrelang genutzten – kostenlosen phonostar-Player empfohlen. Als ich nun mein neues Notebook einrichtete und von der Seite von Computerbild die aktuelle (und angeblich verbesserte) Version 3 des phonostar-Players runterlud, erlebte ich allerdings eine herbe Enttäuschung (wie vielleicht auch schon einige Leser, die versucht haben mögen, meiner Empfehlung aus dem Jahre 2008 zu folgen); denn den Sender RAI Radio 3 konnte ich weder in der Sender-Datenbank finden, noch konnte ich ihn als eigenen Sender hinzufügen. Auf meine Nachfrage erhielt ich von phonostar-Player folgende Antwort: "Leider kann der neue phonostar-Player keine Real Audio Streams mehr abspielen und RAI Radio 3 wird leider nur in einem solchen Stream zur Verfügung gestellt". So viel zum Thema Verbesserung!
Das Problem lässt sich aber einfach lösen: Mit Google lassen sich im Internet diverse Seiten finden, auf denen noch ein Download der Version 2 des phonostar- Players bereit steht (z. B. bei Netzwelt.de - zur Auswahl der Version 2 die Seite bitte nach unten durchscrollen).
Der Sender RAI Radio 3 steht jetzt allerdings auch bei der Version 2 nicht mehr in der Datenbank, kann aber leicht selbst hinzugefügt werden:
Über den Button „On Air“ zu „Eigenen Sender hinzufügen“ gehen und anklicken.
In dem sich öffnenden Formular bei „Stream-Format“ wählen: RealAudio
und als „Stream-URL“ folgenden URL kopieren und einfügen (oder ins Feld eintippen):
rtsp://live.media.rai.it/broadcast/radiotre.rm
oder
http://operacast.com/RadioTre96.asx
Nicht zwingend erforderlich, aber zweckmäßig: den Sendernamen eintragen.
Ich wünsche uns allen spannende Entdeckungsreisen in Rossinis unbekannte Opernwelten!
3. Dezember 2009
"Rossini Opera Festival" Programmvorschau 2010
Hier das Hauptprogramm:
(Zur Vergrößerung bitte ins Bild klicken)
14. September 2009
Das 30. Rossini Opera Festival in Pesaro

- Zelmira, La scala di seta und Le Comte Ory -
ist mit freundlicher Genehmigung des Autors aus dem
Mitteilungsblatt der Deutschen Rossini Gesellschaft (DRG) übernommen
Die Erfolgsgeschichte des ROF beruht nicht zuletzt auf der konstanten Neuentdeckung unbekannter Werke bzw. auf der Erstpräsentation der kritischen Ausgaben der Fondazione Rossini. Zu dem stolzen Jubiläum hätte man sich zumindest eine „Ausgrabung“ gewünscht. Und tatsächlich stand die Fondazione Rossini mit Sigismondo bereit, und das ROF hatte die Oper sogar bereits angekündigt. Doch dann schlug unerwartet der italienische Staat zu, der mit einer kurzfristigen und drastischen Kürzung seiner Zuschüsse eine radikale Programmänderung auslöste. Sigismondo wich der Scala di seta, einem chorlosen Einakter, der als „low cost“-Produktion alternierend mit dem bereits gesetzten Comte Ory im Teatro Rossini montiert werden konnte. Als Glanzpunkt verblieb Zelmira – mit der alternativen Pariser Fassung – in einer neuen Inszenierung in der Adriatic Arena, die dieses Mal nicht in zwei, sondern nur in ein Theater umgewandelt wurde. Vielleicht ist diese auf „höherer Gewalt“ beruhende Programmierung sinnbildlich für die nächsten 30 Jahre des Festivals: bald werden alle Opern des Meisters in Pesaro erstaufgeführt sein, es gilt also wie bei „gewöhnlichen“ Festivals den Spielplan aus dem bestehenden Repertoire zu alimentieren.

Zelmira ist kürzlich in der endgültigen kritischen Ausgabe erschienen. Grund genug, dieses wichtige Werk wieder auf die Bühne zu bringen. Zuletzt war sie beim ROF 1995 im Teatro Rossini in einer eher anonymen Inszenierung von Yanni Kokos zu sehen. Für die neue Produktion in der Adriatic Arena hat man Giorgio Barberio Corsetti berufen, der 2007 mit einer cinematographischen Pietra del paragone in Parma und Paris aufgefallen war (vgl. den Bericht von Charles Jernigan, «Mitteilungsblatt» Nr. 40, Februar 2007). Seine Zelmira lässt sich aus technischer, dramaturgischer und ästhetischer Hinsicht betrachten. Technisch gab es einige durchaus interessante und überzeugende Effekte, z.B. durch die Spiegelung einer sich unter der Bühne abspielenden Handlung auf den Theaterhintergrund oder durch die Projizierung der Personen in verschiedenen Größenverhältnissen. So wurde z.B. die übergroße Zelmira auf den Hintergrund gebeamt, wenn Antenore sie in seiner großen Arie anklagt. Beeindruckend war die Wirkung im Quintett des 2. Aktes, wenn die erbärmlich kleinen Gefangenen Zelmira und Polidoro von einem übermächtigen Tyrannen Antenore auf dem Hintergrundbild „zerquetscht“ werden. Dramaturgisch überzeugten die Auf- und Abgänge (wie überhaupt die Führung des Chores und der Solisten, denen freilich ein adäquates „Rampensingen“ nicht genommen wurde), die nicht leicht zu inszenierende „Action-Handlung“ der Dolchszene im 1. Finale oder der plötzliche Umschwung im Finale II, wenn die „Guten“ unvermittelt – durch Ausleuchtung der Bühne hinter dem Spiegel – das Gefängnis stürmen. Es gab einige schöne oder auch nur mehr oder weniger verständliche symbolische Szenen. Während des Terzetts in der Gruft rieselt plötzlich der Sand weg, der die drei umgestürzten griechischen Statuen bedeckte, worauf diese sich in der Höhe erheben und schwebend im Raum tanzen – vielleicht kann man dies als „Restauration“ der alten Herrscher deuten. Im 1. Finale wird Zelmiras Baby – der legitime Thronfolger – auf den Thronsessel gelegt, der kurz zuvor von Antenore usurpiert wurde, worauf die im Hintergrund sichtbaren Buchstaben ψευδος [pseudos] krachend zu Boden fallen. Auch die Befreiungsszene ist von einer fideliohaften Suggestionskraft. Barberio Corsetti beweist auch, dass er sich intensiv mit der neueren Forschung auseinandergesetzt hat und jenen altgriechischen Mythos aufleben lässt, den Tottola in seinem Libretto nur euphemistisch beibehalten hat, nämlich „das unnatürliche Bild eines Alten, der an der Brust seiner jungen Tochter hängt“ (Renato Raffaelli, Tracce di allattamento filiale, «Bollettino del Centro Rossiniano di Studi», XXXVI, 1996, S. 45-66: 64) – im Mythos rettet die Tochter ihren Vater dadurch, dass sie ihn mit der Milch nährt, die sie zum Stillen ihres Kleinkindes in der Brust trägt. Dadurch betont der Regisseur Zelmiras Rolle als „consorte, figlia e genitrice“ (I/6 – „Gattin, Tochter und Mutter“). Keine überzeugende Lösung fand der Regisseur hingegen für den bereits im Libretto wenig einleuchtenden Umstand, dass Zelmira ihren Mann nicht über die Vorfälle während seiner Abwesenheit und ihre Unschuld informieren kann: im Hintergrund bewegen sich zwei Wachen, die sie von Ilo ohne weiteres wegschicken lassen könnte, um mit ihm unter vier Augen zu sprechen. Die „Sprachlosigkeit“ der Frau ist etwa so bemüht wie jene Amenaides bei ihrem Wiedersehen mit Tancredi: Ein Wort würde genügen, um die ganze Problematik aufzulösen – verständlich, dass dies nicht passieren darf, weil die Oper ja abendfüllend sein soll, aber weder der Librettist noch die Regisseure finden dafür ein plausibles Motiv.
Bei soviel technischer Innovation, dramaturgischem Geschick und ehrenhafter Textdeutung war es ein schwer zu verdauender Makel, dass sich der Regisseur in ästhetischer Hinsicht völlig vergriff. Während die Kostüme im Allgemeinen einer nicht genau definierbaren Epoche angehören, fiel ihm für die Soldaten nichts Besseres ein als die abgeschmackten und zum Überdruss gesehenen Kampftruppen mit ihren MGs – absurd war dabei auch, dass sich in dieser Hightech-Bewaffnung die persönlichen Attentate und Verteidigungen mit einem Dolch vollziehen. Völlig anti-rossinianisch war sodann die vom Anfang bis zum Schluss herrschende Dunkelheit aller Szenen, als ob sich die ganze Oper nachts oder im Untergrund abspielen würde, wo doch gerade Rossinis Musik von Kontrasten lebt. Da genügte auch eine golden leuchtende Wand im Thronsaal nicht als Lichtblick. Den Gipfel an Geschmacklosigkeit erreichte Barberio Corsetti aber mit einer anti-klassischen Einblendung von blutverschmierten Kadavern, expliziten Andeutungen an stattgefundene Vergewaltigungen, Folterszenen à la Abu Ghraib – und dies vor allem während der schönsten musikalischen Szenen von Ilo: Der Startenor Juan Diego Flórez wurde sozusagen dazu prostituiert, seine freudig-erotische Arie vor diesem grässlichen Hintergrund abzusingen, was dem Publikum mit Rücksicht auf seine Kunst den Protest gegen die Szene verbot. Der Regisseur zeigte damit Bilder, die das klassische Theater ad absurdum führen, und hob den (musik)dramaturgischen Kontrast zwischen der Arie des hoffnungstrunken heimkehrenden Kriegers und dem folgenden, bedrückenden Duett des Wiedersehens auf. Die Quittung bekam der unbedarfte Regisseur am Ende der Premiere, als er gnadenlos ausgebuht wurde. Leider konnten die Zuschauer der folgenden Aufführungen ihrem diesbezüglichen Unmut keine Luft machen, da sich Regisseure – im Gegensatz zum restlichen Ensemble – nach der Premiere bekanntlich verdrücken.
Musikalisch wurde vom Feinsten geboten. Nach der bereits erfolgreichen Ermione im letzten Jahr zeigte Roberto Abbado mit dieser Zelmira eine noch gereifte und rundum überzeugende Stabführung, die nicht nur den dramatischen, sondern auch den lyrischen Momenten gerecht wurde, während er wiederum die reiche Orchestrierung meisterhaft herausarbeitete. Das Orchestra del Teatro Comunale di Bologna bestätigte den Erfolg seiner Verjüngung und spielte unter Abbados Leitung ausgesprochen klangschön und mit solistisch überzeugenden Partien. Die Bühnenmusik aus dem Hintergrund der Adriatic Arena sorgte für ausgezeichneten Klangeffekt. Als homogene Ergänzung fungierte dieses Mal der einheimische Chor des Teatro Comunale (der traditionelle Prager Kammerchor war mit dem Ory und der Petite Messe betraut). Mit Juan Diego Flórez stand der unbestrittene Champion für die „David“-Rolle des Ilo an der Rampe, freilich getrübt durch den Wermutstropfen der Inszenierung, die keinen umfassenden Theatergenuss aufkommen ließ. Gregory Kunde zeigte bei der Premiere in der Introduktion die schon bekannten Zerfallserscheinungen seiner Stimme, aber es gelang ihm wiederum auf wundersame Weise, sowohl innerhalb der Premiere wie auch der ganzen Aufführungsserie darüber zu triumphieren. Bei der dritten Aufführung ließ sich das Publikum auch den Applaus nach der Introduktion nicht nehmen, und am Schluss erhielt der alte Kämpe sogar mehr Zustimmung als der Publikumsliebling – was angesichts der höllisch schweren Partie des Antenore auch gerechtfertigt war. Diesem Tyrannen stand als Bösewicht Leucippo in Mirko Palazzi ein ausgezeichneter Bass zur Seite. Der junge Bass Alex Esposito meisterte als Polidoro den Hochseilakt einer gebrechlichen Rollengestaltung mit einer kraftvollen stimmlichen Präsenz in hervorragender Weise. Marianna Pizzolata war eine exzellente Emma. Die eigentliche Entdeckung war aber Kate Aldrich in der Sopranrolle der Zelmira (geschrieben für Isabella Colbran), eigentlich ein Mezzosopran mit eher heller Färbung und ausgesprochen sauberen Höhen und einer natürlichen Rollengestaltung, die sie vom Manierismus einer Ganassi abhebt.
Alle Sänger bedienten sich in den musikalischen Wiederholungen Verzierungen, die freilich manchmal etwas hölzern wirkten.
Als Zelmira am 14. März 1826 am Théâtre Italien in Paris zur Aufführung kam, brachte Rossini selbst einige Änderungen an. Er strich die Arie des Antenore (die Bordogni wahrscheinlich adäquat gar nicht hätte meistern können), während er die in Wien für Fanny Eckerlin hinzugefügte Arie der Emma von Amalia Schütz singen ließ. Komplexere Anpassungen nahm er nach dem großen Quintett für die Kerker- und Befreiungsszene am Schluss der Oper vor. Es darf vermutet werden, dass Giuditta Pasta, seine neue Zelmira, gerne eine Auftrittsarie gehabt hätte, aber Rossini konnte sie wohl für eine andere Lösung gewinnen. Er schrieb ihr eine umfangreiche Arie kurz vor dem zweiten Finale. Das einleitende Gebet „Da te spero, o ciel clemente“ (einst von Marilyn Horne unter Alberto Zedda eingespielt) schrieb er ex novo, die anschließende Brückenpassage und die Cabaletta sind eine Bearbeitung der Gran Scena der Ermione. Das ursprüngliche Rondò Finale der Zelmira mutierte er zu einem Vaudeville für das legitime Herrscher-Trio Zelmira, Polidoro und Ilo. Die Spuren dieser Überarbeitung sind sowohl im Autograph von Zelmira wie auch von Ermione sichtbar, und die kritische Ausgabe ermöglicht durch die vollständige Rekonstruktion nun auch eine Aufführung der Pariser Fassung. Während das ROF sowohl an den Arien des Antenore und der Emma festhielt, folgte man im Finale erstmals dieser Pariser Fassung, und genau diese Erprobung alternativer Lösungen macht auch weiterhin den Reiz dieses Festivals aus, wenn die Entdeckung ganzer Opern vollzogen sein wird. Hier zeigte sich, dass Rossinis Lösung die sängerischen und gestalterischen Möglichkeiten der Pasta mit einer romantisch-hybriden Gefühls- und Powerarie zur Geltung brachte und nach einem abrupten Wechsel zum Vaudeville auch der Tenor (Rubini/Flórez) in einer Finale-Strophe nochmals zur Geltung kommt. Unvergessen und unerreicht bleibt aber die klassizistische Schönheit des Rondò, indem die Titelheldin der Oper ihr Siegel aufdrückt.

Die Reaktionen auf die Inszenierung von La scala di seta waren sehr geteilt, während Zapata als Dorvil und Scimone als Dirigent einhellig abgeurteilt wurden. Ich besuchte die letzte Aufführung, bei der sich in musikalischer Hinsicht offenbar einiges eingerenkt hatte. Nicht dass die sehr schwierige und eher undankbare Tenorrolle die ideale Partie für Manuel José Zapata wäre, aber zumindest bei dieser Abschlussvorstellung meisterte der Spanier seine Arie ehrenhaft. Das Dirigat von Scimone war zügig, und größere Koordinationsprobleme zwischen Orchester und Stimmen blieben aus. Scimone war allerdings als Rossini-Dirigent schon immer umstritten, unbestritten sind aber auch seine große Hingabe für Rossini und seine – vor allem diskographischen – Pioniertaten während der Rossini-Renaissance der 1980er-Jahre (Armida, Mosè in Egitto, Ermione, Maometto II, Zelmira). Das ROF zollte zu seinem 30jährigen Jubiläum also einem Mitstreiter seiner Geschichte Tribut, auch wenn dieser seinen Zenit inzwischen überschritten hat. Als Giulia wirkte die bildhübsche Olga Peretyatko (eine Art Netrebko des Rossinis-Gesangs), deren Stimme freilich bei genauerem Hinhören an Reinheit verloren hat, ohne dass die Sängerin ausdrucksmäßig gewonnen hätte. Paolo Bordogna lieferte als „asiatischer“ Diener Germano eine hervorragende Rollengestaltung ab, die auch stimmlich stimmig war, wenngleich der Sänger nicht über ein großes Raffinement verfügt; ihm gebührt eigentlich die Buffo-Hauptrolle, die ihm aber auf dramaturgischer Ebene streitig gemacht wurde, indem für Blansac die Konzertarie „Alle voci della gloria“ (hier als „Alle voci dell’amore“) eingeschoben wurde, wodurch nicht nur die Rollenprofile verändert wurden, sondern auch die einaktige Farsa zu einem Pseudo-Zweiakter mit Pause aufgebläht wurde. Dabei hat Carlo Lepore, den ich als „Comprimario“ sehr schätze, eigentlich genau die richtige Statur für den Original-Blansac, während die große Bassarie fast eine Nummer zu groß ist für ihn. Dem Regisseur blieb auch nicht viel anderes übrig, als den Einschub als „Theater im Theater“ zu inszenieren. Kurzum: Ich finde es schade, unnötig und inkohärent, diesen Einakter so aufzumotzen. Anna Malavasi als Lucilla konnte sich in ihrer Arie ihres korsettierten Sekretärinnelooks entledigen und sich richtig frei singen.
Vielleicht macht es keinen Sinn, die Geschichte einer heute ziemlich unwahrscheinlichen heimlichen Ehe in die Jetzt-Zeit zu verlegen, aber abgesehen davon konnte ich der „Ikea“-Inszenierung von Michieletto einiges abgewinnen. Das Ganze spielte in einem Möbeldesigner-Interieur (eine Art Hommage an den offiziellen ROF-Sponsor, den Pesareser Küchenbauer Scavolini?), wobei die Idee offenbar von dem Wort „Scala“ ausging – nicht im Sinne von „Leiter“ sondern von „Maßstab“. In der Tat spielte die Handlung auf einer Wohnungsskizze im natürlichen Maßstab („Scala 1:1“), die möbliert war, während die im Plan eingetragenen Türen und Wände von den Akteuren nur mimisch beachtet wurden. Der Regisseur sprudelte über vor Ideen, die den musikalischen Fluss unterstrichen, ohne dass die Gags ins Triviale abglitten. So wurde ich vor Geschmacklosigkeiten wie einer Sitzung auf dem „Thron“ gewarnt, aber es stellte sich dann heraus, dass auf der Toilette kein Geschäft verrichtet wurde, sondern der von Giulia versteckte Dorvil im Badezimmer eben nur diese Sitzgelegenheit (bei geschlossenem Deckel) vorfindet. Einzig auf die reale Abduschung im großen Ensemble hätte Michieletto verzichten können (er scheint an einer krankhaften Vorliebe für das flüssige Element zu leiden, wie schon seine Gazza-Inszenierung zeigte). Einige Ideen waren durchaus situationsgerecht, etwa wenn Blansac im Quartett als Beweis für seine Eignung als Ehemann zu kochen beginnt.

Genauso gleichgültig wie 2003 ließ mich die Inszenierung des Comte Ory von Lluís Pasqual, der es offenbar nicht schicklich fand, die Handlung einfach in dem vom Libretto vorgesehenen Mittelalter anzusiedeln, und in Ermangelung besserer Ideen zu dem abgenutzten Trick Zuflucht nahm, der der billigste ist, den das Musiktheater inzwischen zum Überdruss kennt: Oper in der Oper zu inszenieren. Da vor sechs Jahren diese Absicht aber niemand so richtig verstanden hatte, ergänzte er nun seine Inszenierung durch eine Vorhangsbeschriftung, die darauf hinweist, dass sich „heute Abend im Hotel Rossini ein Gesellschaftsspiel abwickelt, bei dem die Gäste die mittelalterliche Komödie des Grafen Ory inszenieren“. Raimbaud wird in die Rolle des Hoteldirektors gesteckt, der das Ganze leitet. Diese „originelle“ Doppelbödigkeit nützte aber dem Stück nicht, sondern schadet ihm, da das Groteske der Handlung nunmehr nicht mehr „echt“, sondern nur noch „gespielt“ ist und die handelnden Personen mithin von den Verkleidungen ihrer Gegenspieler wissen. Dabei gelingt es auch nicht, die Beziehungen unter den „realen“ Personen, also den Hotelgästen zueinander, mit Leben zu erfüllen. Wenn Isolier sich in der meisterhaften Liebesszene zu dritt als „reale“ Frau erweist, die den Jüngling nur spielt, ist die ganze erotische Vielschichtigkeit dieser Hosenrolle zerstört.
Als große Entdeckung wurde von einem Teil des Publikums der Tenor Yijie Shi als Ory gefeiert, nachdem er schon letztes Jahr in der Accademia-Viaggio den Belfiore erfolgreich gesungen hat. Ich fand die Stimme quäkig und unausgereift und ohne jegliche Autorität für diese anspruchsvolle Rolle. Wenn man dem Sänger eine große Zukunft voraussagt, so hätte man lieber noch ein paar Jahre gewartet, bis man ihm eine solche tragende Rolle anvertraut. Für mich wirkte die ganze Aufführung nicht zuletzt wegen dieser Titelrollenbesetzung wie eine unreife Schülervorstellung. Leider musste bei der letzten Aufführung Lorenzo Regazzo als Gouverneur forfait geben, und sein Ersatz Raffaello Costantini war eine stimmliche und aussprachlich unangenehme Notlösung. Keinen besonderen Eindruck hinterließ Laura Polverelli als Isolier, während Roberto De Candia einen ganz ordentlichen Raimbaud bot. Wirklich überzeugt hat mich an diesem Abend nur María José Moreno als Comtesse, mit ihrem sauberen, farbigen Sopran, der auch in der unteren Lage Konsistenz aufweist. Ansprechend das Dirigat von Paolo Carignani, der diese Musik mit dem richtigen Esprit anging und sie sauber einstudierte, ganz im Gegensatz zur hingepfuschten Petite Messe solennelle, die er als Abschlussvorstellung wie einen Walkürenritt durchpeitschte.
Reto Müller
Besuchte Aufführungen: 12., 15., 18. Aug. (Zelmira), 18. Aug. (La scala di seta), 19. Aug. (Le Comte Ory)
Fotos: ROF
4. April 2009
Rossinis "Maometto Secondo" im Internet
Nach Mozarts Zauberflöte überträgt ClassicLive mit Rossinis selten gespielter Oper Maometto Secondo zum zweiten Mal eine Aufführung aus dem Theater Bremen. Die Premiere am 15. März stand unter der Regie von Michael Hampe (Übernahme aus Pesaro). Unter der musikalischen Leitung von Daniel Montané sangen István Kovács die Titelrolle, Anna Pegova als Anna Erisso, Nadja Steganoff als Calbo und Luis Olivares als Paolo Erisso. Diese Aufführung wird für ca. vier Wochen im Internet zu sehen sein (http://www.classiclive.com/ ).
20. Februar 2009
Neu auf CD und DVD (Teil 2)
CD/DVD zu finden.
Aktualisiert am 20. Februar 2009
Nuria Rial (soprano), Philippe Jaroussky (countertenor), Cyril Auvity (tenor), Jan van Elsacker (tenor) & Joaõ Fernandes (bass) L’Arpeggiata, Christina Pluhar
Details und Trackliste
SpiegelOnline: Domina der Alten Musik
Berliner Zeitung: Christina Pluhar swingt mit Monteverdi
Donizetti "Don Gregorio"
Eine Aufnahme aus dem Teatro Donizetti Bergamo mit Giorgio Valerio, Giorgio Trucco, Elizaveta Martirosyan, Livio Scarpellini, Gaetano Donizetti Orchestra, Stefano Montanari.
Mark Tucker, Ruth Rosique, Roberta Invernizzi, Romina Basso, Filippo Adami, Furio Zanasi, Franziska Gottwald, Venice Baroque Orchestra, Andrea Marcon
Videos mit Ausschnitten
Donizetti "Lucrezia Borgia"
Eine Aufnahme aus dem Teatro Donizetti November 2007
Donizetti "Maria Stuarda"
Anna Caterina Antonacci, Mariella Devia, Paola Gardina, Francesco Meli, La Scala Orchestra, Antonino Fogliani - Eine Live-Aufzeichnung aus dem Teatro Alla Scala Di Milano; Regie: Pier Luigi Pizzi
Georg Friedrich Händel:
Opern-Duette "Amor e gelosia"
(Neuauflage der Erstveröffentlichung von ca. 2004)
Bei dem von Stefan Zucker geleiteten Label
sind inzwischen diverse historische Opernfilme (Opernverfilmungen, Spielfilme, Komponistenporträts, Sängerporträts) in ordentlicher Qualität – insbes. in der richtigen Tonhöhe - auch auf DVD erschienen, die großenteils zur Zeit wieder problemlos über jpc zu beziehen sind (als Suchkriterium einfach unter „Label“ in der „Erweiterten Suche“ eingeben: Belcanto).
Hinweis:
Von den nachfolgenden Titeln kenne ich persönlich nur die ersten drei. Der Rossini-Film ist – und da kann ich mich nur der Rezension im Opernglas 2/2009 anschließen – nur „hartgesottenen Fans“ zu empfehlen, hinreißend ist dagegen der – auf Spielfilmlänge gekürzte - „Elisir d’amore“ (italienischer Opernfilm von 1947), und „Der Zauber der Bohème“ (deutscher Spielfilm von 1936, mit englischen Untertiteln) ist ein Rührstück - aber mit vielen Opernszenen - , der ahnen lässt, warum Jan Kiepura und Martha Eggerth damals insbesondere in Deutschland so ungemein populär waren.
esg
Elīna Garanča singt Bellini, Donizetti & Rossini
Im Gespräch mit Nick Kimberley erläutert die lettische Mezzosopranistin, wie sie Figuren und Musik aus Belcanto-Opern Leben und Farbe verleiht… mehr
"Wie auf meiner neuen CD) widme ich mich in Zukunft stärker dem Belcanto. Ein Rossini, Bellini oder Donizetti kommt meiner Stimme entgegen. Außerdem liebe ich diese Musik, auch wenn diese Opern für jeden Regisseur schwer umzusetzen sind."… mehr
Bellini "La sonnambula"
Die authentische Fassung
Die beiden führenden Belcanto-Stars unserer Zeit, Cecilia Bartoli und Juan Diego Flórez, haben nichts weniger als die authentische Fassung von Vincenzo Bellinis La Sonnambula gemeinsam im Studio eingesungen!
Neueste, von Cecilia Bartoli angestoßene Forschungen haben belegt, dass die Hauptrolle der Amina nicht, wie heute praktiziert, für Sopran, sondern für Mezzosopran geschrieben wurde. Die vorliegende Rekonstruktion von Bellinis originaler Schöpfung erklingt auf historischen Instrumenten – was ebenfalls ein Novum für dieses Werk darstellt. So vollständig, so richtig haben wir Bellinis Meisterwerk noch nie gehört. (Quelle: jpc)
Ausführliches Video auf der Seite von jpc
Sämtliche CD/DVD-Tipps sind unter der Rubrik CD/DVD zu finden
Ein umfassendes Angebot an Opern auf CD und DVD - auch mit Hörproben - gibt es bei http://www.jpc.de/
12. November 2008
ROF Pesaro aktuell

Unsere Freunde von der Japanischen Rossinigesellschaft, von denen Sommer für Sommer immer einige die weite Reise nach Pesaro unternehmen, haben einen besonderen Grund zur Freude: Maestro Alberto Zedda ist für die Zeit vom 15. bis 23. November 2008 u. a. mit zwei Produktionen des Rossini Opera Festivals - „Otello“ und „Maometto II“ – und mit erstklassigen Besetzungen in Japan und dirigiert dort auch („Maometto II“). Die Einzelheiten sind hier auf der Internetseite des ROF nachzulesen.Aus Japan hier ein Bericht. Auf der Seite http://www.japantimes.co.jp/ werden wohl auch Berichte über die Aufführungen zu finden sein, - mit dem Stichwort „Rossini“ sind über die Suchfunktion bereits jetzt diverse aktuelle Artikel zu finden.
ROF im August 2009:
Das ROF hat im Internet die für die stagione-2009 vorgesehenen Besetzungen veröffentlicht.
3. September 2008
Junge Karrieren - Karrierestart in Bad Wildbad und Pesaro
Aktualisiert am 10. September 2008
Bei Rossini in Wildbad haben wir schon einige vielversprechende junge Sänger und Sängerinnen kennen gelernt, - was ist aus ihnen geworden? Hier einige aktuelle Biographien aus dem Internet, zeitlich geordnet nach dem Jahr des ersten Auftritts:
"Il viaggio a Reims" 2001 - 2007
27. August 2008
Pesaro - Opernfreude in bella Italia
Die nach italienischen Maßstäben "ruhige" Hafenstadt Pesaro, in der nördlichen Region „Le Marche“ an der Adria unweit Riminis gelegen, ist für Freunde des Belcanto-Gesangs ein unwiderstehliches Highlight im Festival- und Opernkalender.
Alle Jahre wieder gibt es Rossini-Opern, Kirchenmusiken und Konzerte zu erleben, die auch strengen Anforderungen an Qualität hinsichtlich der Stimmen, der Aufführungspraxis und nicht zuletzt der Authentizität des verwendeten Notenmaterials genügen dürften. Und so liest man in jeder Ankündigung nebst ausführlichem Verzeichnis der jeweiligen Sponsoren gleich zu Beginn als feierliche Einleitung den Satz: "Edizione critica della Fondazione Rossini, in collaborazione con Casa Ricordi , a cura di….".
Obwohl Opernfreunde aus der ganzen Welt einfallen, darunter auch viele japanische Gäste – die Japaner haben eine eigene Rossini-Gesellschaft und reisen um den halben Erdball, um an ihrem geliebten Festival teilzuhaben – , so sind doch das Straßenbild und die Strandpromenade mit ihren ordentlich aufgestellten Liegen und Sonnenschirmen weniger durch das auch international etwas in die Jahre gekommene Opernpublikum geprägt, sondern vielmehr durch ganze Heerscharen entspannt-frohgestimmter vorwiegend junger italienischer Urlauber, Singles und Paare mit Kindern, die mit Oper offensichtlich wenig im Sinn haben.
Für alle agilen und neugierigen Pesaro-Besucher gilt trotz des Termindrucks durch zahlreiche Veranstaltungen: Ein Bummel durch die Altstadt, Plausch mit den Nachbarn, ein Ausflug in die umliegende, an die Toscana erinnernde bergige Landschaft und nicht zuletzt dolce fa niente am Strand bilden eine hinreißende Verbindung zwischen Kultur, Sonne und Meer. Was kann es Schöneres geben? In Pesaro klappt alles wie am Schnürchen, auch der kostenlose Transfer zu der zur Oper umfunktionierten Sportarena "Adriatic Arena".
Die Nebenkosten (kleiner Imbiss, Cappuccino) sind nicht überzogen, die italienischen Gastgeber glänzen mit Liebenswürdigkeit und Lockerheit, und es fehlt völlig an der kreischenden Verkaufsatmosphäre und Hektik mancher Touristenorte.
In diesem August war es wieder soweit: Das Rossini Opera Festival in der Geburtsstadt des Meisters lud ein, diesmal wies das "Programma" mit "L`equivoco stravagante" ("Die verrückte Verwechslung"), "Maometto II" und "Ermione" drei Opernproduktionen aus, über die ich berichten möchte.
Autorin: Astrid Fricke
Rossinis "Ermione" in Pesaro 2008
Die Oper des damals 27-jährigen Rossini wurde am 27. März 1819 in Neapel mit geringem Erfolg uraufgeführt. Nach wenigen Aufführungen wurde der zweite Akt vollständig gestrichen. Erst im 20. Jahrhundert wurde die Oper wieder entdeckt und erlebte zumeist konzertante Wiederaufführungen, vornehmlich im angelsächsischen Raum.
In Deutschland sangen 1995 unter dem Dirigat Gustav Kuhns im Berliner Konzerthaus Daniela Longhi, Rosanna Mancarella, Patrizio Saudelli, Gianluca Floris und Enrico Facini. Die drei letztgenannten Tenöre hatten zuvor eine Saison lang am Staatstheater Braunschweig im „Otello“ von Rossini geglänzt. Damals wurde eine, derzeit noch nicht abgeschlossene, neue Entwicklung in der Ausbildung junger Sängerinnen und Sänger im Belcanto-Gesang vorangetrieben. Auch in Italien, dem Mutterland des Belcanto, fehlte weitgehend die entsprechende Ausbildung. Heute kann man davon ausgehen, dass in den Hochburgen des Belcanto die alte Technik des Schöngesangs wieder beherrscht wird.
Nun wird im Programmheft des Rossini Opera Festivals von 2008 stolz gefeiert, dass zumindest „Oreste“, einer der männlichen Hauptsänger in der Ermione, von Antonino Siragusa, einem Italiener, gesungen wird. Pirro wird von Gregory Kunde, einem Amerikaner, verkörpert, in der wichtigen Nebenrolle des Pilade hat es der deutsche Tenor Ferdinand von Bothmer auf die Bühnenbretter von Pesaro geschafft.
Die Handlung der Oper gemahnt an Mozarts Oper „Titus“ – die römische Fassung einer Tragödie, in der eine jeweils vor Eifersucht und Enttäuschung rasende Frau – Vitellia bei Mozart, Ermione bei Rossini - einen Mord befiehlt, den Sextus (in „Titus“) bzw. Oreste bei Rossini ausführen sollen.
Wenn eben von „Belcanto“-Schöngesang, die Rede war, so sprengt die „Ermione“ Rossinis, deren Libretto auf eine Tragödie Racines zurückgreift, das einer typischen italienischen Oper des frühen 19. Jahrhunderts und auch einer „klassischen“ Rossini-Oper vorgegebene Muster in jeder Weise:
In der Ouvertüre singt ein unsichtbarer Männerchor, die Musik ist fast expressionistisch und nimmt phasenweise in ihrer Schärfe des Stils bereits Verdi und bei den zarten romantischen Bögen Bellini voraus. Die Hauptsängerin, zur Rossinizeit die Spanierin Isabella Colbran, welche Rossini selbst nicht nur als seine beste Sängerin, sondern auch als vorzügliche Schauspielerin schätzte, hat zum Schluss des ersten und auch des zweiten Aktes nicht die üblichen effektvollen letzten Töne zu singen, und außerdem wurde ihr, jedenfalls in Bezug auf die Oper „Mosé in Egitto“ von der zeitgenössischen Kritik vorgeworfen, sie singe „troppo laceranti le grida“ – „das Ohr zerreißende Schreie“ heißt es da wörtlich. Das mag auch für die „Gran Scena“ der Primadonna im zweiten Akt der „Ermione“ gelten, dort hat sie als enttäuschte und eifersüchtige Verlobte des Königs Pirro eine in sieben Teile gegliederte lange Arie, welche 69 Seiten des Autographs umfasst, zu bewältigen. Sie bringt so widersprüchliche Gefühle wie Liebe, Todessehnsucht, Eifersucht und Wut über ihre Demütigung in exaltierter Weise zu Gehör.
Rossinis eigene Befürchtung bereits vor der Premiere, die Oper könne „zu tragisch“ sein, mutet heute sonderbar an, war aber nicht unbegründet, da damals auch bei dem häufiger vertonten Stoff dieser Oper ein völlig unpassendes heiteres Ende zurechtgebogen wurde. Rossini wollte mit „Ermione“ etwas Außergewöhnliches schaffen, und das ist ihm gelungen. Allerdings bewirkt die Abweichung von der Tradition – wenige Ensembleszenen, wenige zündende Arien und stattdessen ein ständiges Auftrumpfen der überaus geforderten Hauptsänger – damals wie heute, dass selbst eingefleischte Rossini-Fans mit dieser Oper wenig anfangen können. Für mich stellte sie die schönste und aufregendste Inszenierung dieses Festivals dar. Ich wünsche der Oper eine wirkliche Renaissance.
Für die Oper werden in erster Linie grandiose Sängerschauspieler benötigt, in Pesaro gab es sie. Gregory Kunde überzeugt besonders im zweiten Akt und zeigt sängerisch mit der Stimme eines wahren Baritenore und darstellerisch die Zerrissenheit des Königs Pirro, der sich sehr wohl der Brisanz seiner unerwiderten Liebe zur schönen trojanischen Witwe und Mutter Andromaca, bewusst ist und zwangsläufig seine stolze Verlobte Ermione zurückstoßen muss. Als Otello machte Gregory Kunde im letzten Jahr in Pesaro noch mehr Eindruck auf mich. Da, wo er feurig die königlichen Koloraturen abfeuert, füllt seine schöne Stimme das Haus; seine lyrischen leisen Töne als die Sklavin Andromaca umwerbender Pirro gefielen mir dagegen nicht so recht. Das Publikum spendete ihm dennoch begeisterten Beifall.
Antonino Siragusa hielt mit starkem, in jeder Lage strahlendem „dramatischem" Tenor die schwierige Partie des Oreste bis zum Ende durch. Man nahm ihm die glühende bedingungslose Liebe zu Ermione ab und litt mit ihm, als er einwilligte, den ihm aufgezwungenen „Mord aus Liebe“ an König Pirro auszuführen, obwohl die sprungbereit im Hintergrund noch angeleint lauernden Erinnyen – kauernde Wesen mit schwarzen Hundeköpfen – bereits Unheil ankündigten.
Sonia Ganassi als Ermione sang makellos mit vollem Sopran und agierte mit viel Gefühl. Unglaublich, welche Kraft für diese Rolle vonnöten ist!
Eine weitere Hauptrolle fällt der Andromaca, makellos von Marianna Pizzolato verkörpert, zu.
Auch die Nebenrollen: Nicola Ulivieri (Fenicio), Irina Samoylova (Cleone), Cristina Faus (Cefisa), Riccardo Botta (Attalo) und nicht zuletzt der bereits erwähnte Ferdinand von Bothmer als Pilade fügten sich hervorragend in das Ensemble ein, ebenso wie der Coro da camera di Praga unter Jaroslav Brych. Ferdinand von Bothmer hatte sich endgültig im zweiten Akt freigesungen und glänzte im Duett mit Nicola Uliveri als Fenicio. Den Taktstock schwang Roberto Abbado und hielt die Spannung von Anfang bis Ende. Besonders beeindruckten mich seine dynamisch fein abgestuften Begleitungen der zahlreichen, wunderbar auskomponierten Rezitative, in denen Rossini Passagen „von außerordentlicher Modernität“ (Bruno Cagli) gelingen.
Auch die Regie von Daniele Abbado war dem antiken Stoff angemessen: Einerseits klassisch-antike Kühle und Strenge in Bühnenbild und Kostümen in apartem Schwarz und Weiß sowie Rot, andererseits viel Bewegung und ausdrucksstarke Personenregie im zweiten Akt, wo oft nur zwei oder drei Sänger einander umkreisen. Im ersten Akt singt noch der Chor der Gefangenen in einem unterirdischen Verlies, das durch Mauern in verschiedene Bereiche getrennt wird und aus dem auch der kleine Sohn der Andromaca fast nackt herausgezogen wird.
Zu Beginn des zweiten Akts bewegt sich dort nur noch die unglückliche Andromaca. Der Schluss der Oper hätte meines Erachtens einen auch visuell dramatischeren, dynamischen Effekt gebraucht. Warum nicht die hundeköpfigen Erinnyen als Jäger des Oreste einsetzen, während Ermione auf der Bühne ohnmächtig zusammenbricht? „Gejagt von den Furien, (Orest) weggetragen von seinen Gefährten“– so endet die Oper (G. C. Ballola im Programmheft S. 27). Der Anblick des an die Palastpforte genagelten toten Pirro als Schlussbild befremdete dagegen nur, entsetzte jedoch nicht.
Bei der Abfassung dieser Rezension war mir das schöne diesjährige Begleitheft zur Oper „Ermione“ des Rossini-Festivals eine große Hilfe, insbesondere nützten die von Michael Aspinall in ein hervorragendes Englisch übersetzten Beiträge von Giovanni Carli Ballola sowie von Arrigo Quattrocchi, der auf S. 45 den Geschäftsführer der Rossini-Gesellschaft Reto Müller zitiert.
Autorin: Astrid Fricke, besuchte Vorstellung in der Adriatic Arena am 16. August.