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13. November 2011

Rossinis „La donna del lago” an der Mailänder Scala

„La donna on tour“ - und jedes Mal mit dabei sind DiDonato, Barcellona, Flórez, Orfila sowie der Dirigent Abbado. Lluís Pasquals Inszenierung ist für drei Städte konzipiert, nämlich letztes Jahr Paris, heuer Mailand und 2012 London.
Titelseite des Mailänder Programmheftes
„La donna del lago“ gilt als Rossinis romantischstes Werk. Als Erster wählte er einen Stoff nach Walter Scott, welcher der Romanliteratur durch eine gefühlvolle Schilderung von Ereignissen der mittelalterlichen Ritterzeit nachhaltig einen romantischen Touch gab. Scott regte so etliche Komponisten nach Rossini zur Vertonung derartiger Stoffe an.

Ort der Handlung ist ein idyllischer See in Schottland. Einige Clanführer wollen sich gegen den schottischen König erheben. Dieser bereist als Uberto inkognito das feindliche Gebiet. Am Ufer des Sees trifft er auf Elena und verliebt sich heftig in sie. Elena, die Frau vom See, ist die Tochter von Douglas, einem der Führer der Aufständischen. Sie soll vom Vater mit dem Heerführer Rodrigo als Preis für militärische Unterstützung vermählt werden. Elena jedoch fühlt sich ihrer Jugendliebe Malcolm verbunden. Daher hat Uberto bei ihr keine Chancen. Er hält sich zurück und überreicht seiner Liebe einen Ring, den sie im Falle der Not dem König von England übergeben soll. Hilfe sei ihr dann gewiss. Der Krieg bringt Rodrigo den Tod, Douglas und Malcolm die Gefangenschaft. Um Hilfe bittend überreicht Elena den Ring Uberto, der sich danach als König von Schottland zu erkennen gibt. Er lässt Douglas und Malcolm frei. Der Vermählung von Elena mit Malcolm steht nichts mehr im Wege.

So weit vordergründig die Geschichte, wäre da nicht der Skeptiker Rossini, der eine abweichende Deutung der Handlung nahelegt. Aufgezeigt wird dies durch die Szenengliederungen und die Musik im Duett Elenas mit Malcolm, in den Treffen mit Uberto und im Finale 2. Danach ist Elena längst nicht so unbeeindruckt von der Liebe des schottischen Königs geblieben, wie sie vorgibt. Vielmehr verhindern es die dramatischen äußeren Ereignisse, dass sich eine aufkeimende Zuneigung entwickeln kann.

Letztendlich unvermittelt vor die Notwendigkeit gestellt, Vater und Jugendfreund retten zu müssen, trifft Elena die „falsche“ Entscheidung, indem sie Ubertos Hand ausschlägt. Ihre Vermählung mit Malcolm dürfte ihr wohl nicht das erhoffte Glück bringen. Dies wird in Musik und Text deutlich: Auf Elenas „Glückseligkeit“ intoniert der Chor mehrfach „Widrigkeit“. In dieser Lesart wird auch klar, dass im Libretto die Überquerung des Sees mehr ein Sinnbild als ein Stimmungsbild sein soll. Das Rudern über den See symbolisiert die zeitliche Entwicklung eines jungen Mädchens zur Frau.
An solch eine abweichende Ausdeutung hat offensichtlich auch Lluís Pasqual mit seiner Inszenierung angeknüpft. Da finden sich keine romantischen Genrebilder mit schottischen Seen und Bergen, keine rudernde Frau oder malerische Kostümierungen von Druiden, Soldaten und Landvolk. Ein Halbrund korinthischer Säulen, mittig zu öffnen, bildet das räumliche Grundgerüst. Ein Öffnen des Halbrundes lässt mal in eine Gebirgslandschaft, mal in eine nicht definierte Ferne oder in palastartige Räumlichkeiten blicke. Der titelgebende See wird nur in der Eingangsszene durch eine Bildprojektion von bewegtem Wasser auf den Bühnenboden angedeutet. Die Hauptakteure und Soldaten tragen barockisierte Fantasiekleider ohne Unterscheidungsmerkmale, die Priester und die Palastentourage moderne Gesellschaftsgarderobe.
Aus dem Programmheft
Das Ganze wirkt anonym und neutral. Die symbolische Aussage der Szene ist wohl das zwanghafte Eingebundensein der Akteure in ihre jeweiligen Lebensumstände. Ist das Bühnenbild wenigstens noch hübsch anzusehen, so erschöpft sich die Personenregie in einer statischen Positionierung von Solisten und Chor. Eine psychologisch vertiefende Ausdeutung des Geschehens durch Bewegungsabläufe findet nicht statt.

Bei der großen Verschwörung im Finale des ersten Aktes senkt sich an Stelle des Kometen ein prächtiger Kristalllüster vom Bühnenhimmel herab. Macht und Reichtum werden als wahrer Grund der schottischen Kriegsabsichten demaskiert. Damit ist optisch auch das letzte Motiv für eine stimmungsvolle Ausdeutung des Stückes und der Ausgestaltung der Bühne eliminiert. Der Regisseur verdeutlicht so, dass eine romantisch gefühlte Lebenswelt nicht das zentrale Anliegen der Oper ist, sondern die Darstellung realer Probleme junger Menschen in den vorgegebenen Situationen.
Joyce DiDonato, Juan Diego Flỏrez (mit Interviews) und Daniella Barcellona
Offenbarte die Inszenierung keine Sternstunde, so kamen die Freunde des Gesanges jedoch voll und ganz auf ihre Kosten. Tenorrollen in Rossinis Opern zu besetzen, ist heikel. Seit fast 10 Jahren verkörpert
Juan Diego Flórez die Rolle des Uberto. In unnachahmlicher Inbrunst erklingt sein „O fiamma soave“. Seine Spitzentöne, die Oktavsprünge, die dynamischen Abstufungen und nicht zuletzt die Koloraturen und Läufe kommen so ziseliert perfekt, dass selbst Schwierigstes wie selbstverständlich und mühelos klingt. Bei ihm werden gesangliche Ausschmückungen zum Gestaltungsmerkmal.

Ein ebenso tolles Ereignis waren die Auftritte von Joyce DiDonato. Ihre technische Perfektion in Belcantorollen dieser Art ist unvergleichlich. Dazu hat ihr Gesang das richtige Maß an Gefühl und die erforderliche dezente erotische Ausstrahlung, um in den Duetten, besonders denen mit Uberto, die Spannungsbögen und Differenziertheiten der Situationen offenzulegen. Nachdenklich, ergreifend und tröstend verdeutlichte sie dies zu Eingang im langsamen Teil ihres Schlussrondos „Tanti affetti“. Ihre Gefühle pendeln zwischen dem Zwiespalt über die Freude der Errettung des Vaters und Malcolms sowie der Trauer, den König enttäuscht zu haben. Die wogenden Noten spickte die Amerikanerin mit Trillern, die diese Bezeichnung wirklich verdienten. Im Schlussteil des Rondos wurden die überlangen Läufe mit wunderbarer Tonschönheit und makellosem An- und Abschwellen der Tonlinie gesungen. Über die rhythmische Akzentuiertheit ihres Gesanges konnte man nur staunen.

Daniela Barcellona in der Loverrolle des Malcolms war die Dritte in der Runde der Perfektionisten. Ihre Triller, Läufe und Koloraturen liefen ab wie am Schnürchen. Dabei sind ihre präzise Akzentuierung und die bewunderungswürdige rhythmische Attacke hervorzuheben. Lediglich im verinnerlichten Beginn ihrer Arie „Ah! Si pera“ im zweiten Akt fehlte etwas die ruhige, aber auch druckvolle Stimmführung.

John Osborn war in seiner Rolle des Rodrigo wahrlich kein tenorales Leichtgewicht. In seiner großen Arie wartete er im ersten Akt mit einer gefühlvollen und lyrisch gehaltenen Eingangsphrase auf und attackierte in der Stretta mit gut gesetzten Spitzentönen. Der Unterschied zum Ausnahmetalent Flórez zeigte sich im Terzettteil des zweiten Aktes, wo Osborn als der vermeintliche Raufbold die sängerische Stringenz von Flórez nicht erreichte.

Simon Orfila, der Douglas und Einfädler all der Verwicklungen, bereitete mit seinem sonoren und volltönenden Bass großen Hörgenuss.

Leiter und Spiritus Rector der Aufführung war Roberto Abbado, ein erfahrener Rossinidirigent. Er leuchtete die Partitur betont lyrisch aus, vielleicht etwas zu einseitig. Davon profitierten zwar die verinnerlicht geprägten Passagen der Partitur, nicht jedoch die dramatischen Aktionen, die farblos blieben. Das Spannungsfeld der Oper liegt im Kontrast des inneren Erlebens der Protagonisten zu den äußeren Aktionen. Die Musik vermeidet hier in keiner Weise Konfrontationen. Davon war dann auch der gut singende Chor betroffen, der durch die Vorgaben von Dirigent und auch Regisseur seine dramatischen Momente des Finale 1 oder der Duellszene nicht recht ausspielen konnte.

Die musikalische Ausgestaltung und die Bühnenoptik hinterließen einen etwas zwiespältigen Eindruck. Nicht berauschend waren die Inszenierung und die in ihrer Komplexität nicht völlig ausgedeutete Partitur. Aber die Sängertrias ließ den Berichterstatter noch Tage nach der Aufführung von der Vielfalt des Ausdruckes und der klanglichen Schönheit des Gesanges träumen.

Dieter Kalinka (Besuchte Vorstellung am 2. November 2011)
Weitere Vorstellungen in der Mailänder Scala am 15. und 18.11.2011

6. Juli 2010

Im Belcanto-Himmel - Rossinis "La donna del lago" in Paris

Paris. Metro-Station Opéra. Wir kommen die Treppe aus dem Untergrund hoch, drehen uns um und auf diesen Augenblick freuen wir uns schon seit Wochen: vor uns das Gebäude, das wir – mit Verlaub - für das schönste in ganz Paris halten: „Académie Nationale de Musique“ steht in goldenen Lettern daran, bekannt als „Palais Garnier“, nach seinem Erbauer 1875 benannt und für uns einfach „die alte Oper“. Pracht und Prunk einer untergegangenen Epoche, ganz wie die Musik, die zu hören wir heute hierher gereist sind. An der Fassade Büsten von Komponisten, die man hier für die größten hält. Wir suchen nach ihm und da ist er - links außen: Rossini.

Académie Nationale de Musique, Opera National de Paris

Paris und Rossini – ein Kapitel für sich. Als er hier lebte, gerade mal zwei Straßen weiter, da war er der Abgott der Pariser Gesellschaft, und selbst ein so strenger Kritiker wie Berlioz zog vor ihm den Hut. Und heute? Gewiss, es gibt eine Rue Rossini, ziemlich versteckt und wenig attraktiv, aber das Appartement, in dem er wohnte und in dem die kulturelle Elite seiner Zeit bei ihm zu Besuch war, wird zur Zeit zu Büros und Eigentumswohnungen umgewidmet, nachdem es jahrelang einen „Asia-Club“ beherbergt hat und nur eine von der Straße aus kaum lesbare Tafel an den einstigen Bewohner erinnert. Sic transit gloria mundi.

Immerhin – die Pariser Oper hat sich mal wieder auf ihn besonnen und uns mit der Inszenierung eines seiner Werke hierher gelockt: „La donna del lago“, in Paris zuletzt 1824 aufgeführt, eine der sogenannten ernsten Opern, die Rossini für Neapel und in die Kehle seiner großen Liebe Isabella Colbran komponiert hat. Das Sujet hat der Meister dem Vernehmen nach ausnahmsweise selbst ausgesucht: Ein Gedicht des schottischen Schriftstellers Walter Scott, dem einst viel gelesenen Erfinder von sentimentalen Märchen für Erwachsene, der heute eher der Trivialliteratur zugezählt wird. Mit diesem ersten Anstoß zur „Scottomanie“ hat Rossini dann eine wahre Lawine von schottischen Opern losgetreten, der wir Werke wie Bellinis „ Puritaner“ und Donizettis „Lucia di Lammermoor“ verdanken.

La grande salle du Palais Garnier 
(Foto: The Opera Palais Garnier, Bildschirmfoto von "Virtual visit")

Die Story dreht sich um Jakob V., den schottischen König und Vater der berühmten Maria Stuart, die für einige Turbulenzen in der englischen Geschichte gesorgt hat. Jakob (Giacomo, verkleidet als Uberto – Tenor) ist historisch bekannt als notorischer Schürzenjäger. Eine dieser Schürzen trägt in unserer Oper Elena (Sopran), Tochter von Jakobs Erzfeind Duglas (Bass), das ist der, der es bei Fontane „getragen hat sieben Jahr“ – erinnern Sie sich? (PS: unsere Schreibung der Namen entspricht der in der Partitur der Fondazione Rossini di Pesaro). Der König ist also  hinter Elena her, die zwar einen gewissen Malcom  (Hosenrolle für die Contraaltistin) innig liebt, aber von ihrem Vater an den Clanchef Rodrigo (weiterer Tenor) versprochen ist als Belohnung für dessen gegen den König gerichtete subversive Tätigkeit. Nachdem er diesen aufmüpfigen Rodrigo im Duell eliminiert hat, verzichtet der König zum Schluss großmütig auf die Eroberung Elenas und verzeiht sowohl Duglas als auch Malcom, die gegen ihn vergeblich Krieg geführt haben.

Leute, die das beurteilen können, versichern einstimmig, dass das Libretto, zu dem das Epos des Walter Scott für Rossini verarbeitet wurde, in seiner Ansammlung von Klischees einer Travestie des Originals gleichkommt – aber wie üblich lässt uns Rossini mit seiner Musik darüber großzügig hinweghören. Optisch haben sich Librettist und Komponist das Ganze durch und durch schottisch gedacht: so singen etwa schottische Landleute und Jäger den Eingangschor in einer wilden Gebirgsszenerie am berühmten Loch Katrine, dem See, auf dem Elena rudernd ihre erste Canzone singen soll – ein Bild, das bei der Premiere in Neapel 1819 Furore machte.

Wenn aber in Paris der Vorhang hoch geht, reiben wir uns erstmal erstaunt die Augen. Statt ins schottische Hochland schauen wir auf eine riesige Kolonnade mit korinthischen Säulen und mehreren Etagen, die in der Mitte teilbar ist. Im Laufe des Abends rückt dieses Ungetüm immer wieder auseinander, um den Blick dahinter freizugeben, beispielsweise auf eine Hochgebirgslandschaft in der Tradition verstaubter Prospektmalerei. Für dieses Bühnenbild zeichnet Ezio Frigerio verantwortlich, der ausgiebig für Giorgio Strehler gearbeitet hat und in seinem Metier als einer der ganz Großen gilt. Nun erstaunt es uns schon nicht mehr, wenn vor der Kolonnade nicht etwa schottische Landleute und Jäger fröhlich trällern, sondern ernste Herren im Frack und Damen in Abendtoilette mit Sektgläsern in der Hand ziemlich unbeweglich herumstehen.

Le grand foyer
(Foto: The Opera Palais Garnier, Bildschirmfoto von "Virtual visit")

Bewegung kommt dann in die Szenerie, wenn einige Mitglieder des Balletts sich ohne sichtbare Motivierung mit lebhaften Sprüngen unter die steife Partygesellschaft mischen. Wir fangen an, uns zu fragen, was wohl der Regisseur, der Spanier Lluis Pasqual, der immerhin schon in Pesaro aktiv gewesen ist, damit ausdrücken will. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen äußert er sich nicht im Programmheft, aber sobald die eigentliche Handlung einsetzt, merken wir auch so, was seine Absicht ist. Elena, die Dame vom See, kommt nicht in einem Kahn, sondern taucht in einem durch leicht bewegte Lichtprojektion angedeuteten Wasser aus der Versenkung auf wie einst Nessie, nur viel schöner anzusehen in ihrem juwelenbesetzten Prachtgewand.

Exakt die gleiche prächtige Kleidung tragen auch die anderen Protagonisten. Aktion wird nur minimalistisch angedeutet, dafür steht man vorzugsweise vorn am Bühnenrand und singt frontal ins Publikum mit einer Gestik, von der wir glaubten, dass sie in der Oper schon vor Jahrzehnten abgelegt wurde. Aha – verstanden ! Es soll also angedeutet werden, dass diese Art Oper am besten als konzertante Aufführung in Kostümen darzubieten ist, wobei die Szenerie, schön anzusehen, aber neutral, nur als Folie für die Repräsentation der Musik dient. Komposition und Gesang als Hauptsache, Handlung nicht so wichtig. Hat das vielleicht Rossini selbst auch so gesehen? Hätte der Regisseur also recht mit dieser Idee ?

Dem Publikum gefiel es jedenfalls und der einzelne Herr, der sich bei einem erneuten Auftritt des befrackten Chores ein „Buh“ abrang, muss sich ziemlich einsam vorgekommen sein. Überhaupt – unseren Genuss hat diese Sicht auf das Werk keinesfalls geschmälert, auch wenn wir schon das Wehgeschrei der Leute zu hören meinen, die da glauben, das Wichtigste bei Rossini seien seine Libretti. Das Wichtigste ist für uns letztendlich seine Musik und die Art, wie sie ausgeführt wird. Deswegen sind wir doch hergekommen und davon zu berichten wird es jetzt höchste Zeit.

Und da finden wir kaum Worte, die der Perfektion, die uns geboten wurde, gerecht werden könnten. Joyce DiDonato als Elena und Juan Diego Flórez als Giacomo-Uberto - ein Traumpaar, von dem man am Ende der Oper nur heftig bedauern kann, dass es nicht zum Happy End zusammenfinden darf. Bereits nach dem ersten Duett dieser Superstars der Belcanto-Szene gab es nicht endenwollenden Beifall, obwohl beide bereits die Bühne verlassen hatten. Schade eigentlich, dass die Inszenierung ihnen nicht erlaubte, ihre offensichtlich reichlich vorhandenen schauspielerischen Fähigkeiten auszuspielen.

Juan Diego Flórez und Joyce DiDonato (Foto: Operapoint)

Über die stimmlichen Qualitäten braucht man Belcanto-Fans nicht viel zu erzählen. Nur soviel: beide waren in unserer nachmittäglichen Aufführung (27. Juni) in Bestform und unsere hochgespannten Erwartungen wurden mehr als erfüllt. DiDonato: eine Stimme wie Stahl in Samt verpackt, gleichermaßen perfekt in der beseelten Gestaltung der lyrischen Teile wie im Feuerwerk halsbrecherischer Cabaletta-Koloraturen. Und wenn man die tenorale Kraftmeierei mancher anderen Sänger in seiner Rolle noch im Ohr hat, kann man Flórez nicht genug bewundern dafür, wie er neben der selbstverständlichen Bewältigung strahlender Spitzentöne und stilsicherer Fiorituren auch dem Anspruch cantabler Stimmführung im höchsten Maße gerecht wird. Erfreulich, dass beide Sänger dank sparsamer Anwendung der „messa di voce“ und durch intelligenten Gebrauch von Appoggiaturen weit entfernt blieben vom Manierismus, den man von anderen „Stars“ gewöhnt ist.


Joyce DiDonato - Tanti Affetti - Donna del lago, Paris 2010

Doch nicht genug mit diesen sängerischen Gipfelerlebnissen – auch die übrigen Protagonisten brauchten sich nicht zu verstecken. Daniela Barcellona in der ungemein dankbaren Contralto-Rolle des Malcom sang ihre beiden stilistisch noch dem Barock verpflichteten Arien mit sattem Stimmtimbre und agiler Beweglichkeit in den virtuosen Partien. Schwer hatte es Colin Lee als Rodrigo: den tenoralen Widerpart gegen Flórez zu singen ist keine beneidenswerte Aufgabe. Er hat sie brillant gemeistert. Die hohen Cs,mit denen die beide Tenöre vor ihrem Duell aufeinander losgehen, klangen bei ihm nicht weniger kraftvoll als bei Flórez, und wenn auch die von einem Baritontenor geforderte Tiefe etwas zu wünschen übrig ließ, so hat er uns doch an anderer Stelle mit einem wagemutig pianissimo angesetzten hohen C überrascht, wie es wenige Tenöre riskieren. Kompliment!

Gut zu hören auch der Bass Simon Orfila, der sich der Arie des Duglas mit voluminöser Stentorstimme annahm. Einer Arie übrigens, deren Komposition Rossini einem unbekannten Mitarbeiter anvertraute und die ihm so gefiel, dass er sie auch später nicht gegen etwas Eigenes austauschte, sondern sogar ein Motiv daraus an anderer Stelle in dieser Oper verwertete. Auch die ziemlich umfangreichen Rezitative hat Rossini größtenteils nicht selbst geschrieben. Von solch exzellenten Sängern gestaltet, klangen sie in dieser Aufführung sogar wie Musik. Positiv zu erwähnen bleibt weiter die Leistung des Chors, der viel zu singen hat in diesem Werk, sich aber regiebedingt fast ausschließlich so gut wie bewegungslos im Hintergrund aufhielt, zur Abwechslung aber auch mal ebenso steif vorn an der Rampe singen durfte.

Der Taktstock vor dem tadellos aufspielenden Orchester war Roberto Abbado anvertraut, dem der Ruf eines Rossini-erfahrenen Dirigenten vorausgeht. Amüsiert konnten wir zu Beginn des zweiten Aktes bei der wundervollen Arie des Königs den Kampf zwischen Dirigent und Flórez um das richtige Tempo verfolgen. Flórez  gewann und durfte sein Tempo singen. So etwas sollte natürlich in der fünften Vorstellung nicht mehr passieren. Schwamm drüber!

Fazit : Wir durften glückliche Zeugen einer Sternstunde sein und haben uns gefühlt wie im Belcanto-Himmel. Vier Tage vorher hatte es wegen eines Streiks der Bühnenarbeiter nur eine konzertante Aufführung gegeben. Auch wenn die szenische Realisation unserer Aufführung immer schön anzusehen war und keine Zumutungen bereit hielt, fragen wir uns doch, ob wir da wohl viel verpasst hätten.

Zuletzt noch ein Hinweis für alle, die traurig sind, dass sie für die wenigen Vorstellungen mit den beiden Stars in Paris keine Karten bekommen konnten: Da dies eine Koproduktion mit der Scala di Milano und Covent Garden in London ist, kann man vielleicht noch Karten ergattern, wenn die Inszenierung dort gezeigt wird. Wir wünschen viel Glück!

Claus und Friederike Louis (besuchte Vorstellung: 27.Juni 2010)

6. November 2008

Neu auf CD und DVD (Teil 1)


CD Joyce DiDonato
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Händel-Arien aus Xerxes, Teseo, Giulio Cesare, Admeto, Hercules, Imeneo, Ariodante und Amadigi
Ausführliches Video zur CD „Furore“ bei
http://www.youtube.com/watch?v=T_KAnTzIRNE
CD Robert Crowe
Growe-CD

Der Amerikaner Robert Crowe gehört zu den ganz wenigen "Male Sopranos", die an die Aufführungspraxis des Barock anknüpfen, als es Frauen gänzlich untersagt war, in Kirchenräumen singend ihre Stimme zu erheben…..

http://www.br-online.de/bayern4klassik/cd-tipps/klassik-cd-carissimi-motetten-robert-crowe-ID1208268327709.xml
s. auch http://www.robertcrowe.com/

Gluck - Orphée et Euridice - Radio Canada 1961
Gluck - Orphée et Euridice - Radio Canada 1961
Mayr - David in spelunca Engaddi
Mayr - David in spelunca Engaddi
Pacini - Alessandro nell'Indie
Pacini - Alessandro nell'Indie
Florez CD
Arien & Duette von Bellini, Donizetti, Rossini
Juan Diego Florez, Anna Netrebko, Mariusz Kwiecien, Patricia Ciofi
Comunitat Valenciana Orchestra, Daniel Oren


kermes

Der Mozart-Zeitgenosse Joseph Martin Kraus wird längst nicht mehr als »Kleinmeister« gehandelt. Dass seine faszinierenden Solodramen en miniature aber bislang kaum beachtet wurden, dürfte seinen Grund in den halsbrecherischen Schwierigkeiten haben, mit denen Kraus diese Werke nur so gespickt hat. Er komponierte sie nämlich in seiner Eigenschaft als schwedischer Hofkomponist für die dortige Primadonna Fru Augusti, deren Stärke atemberaubende Koloraturen in Schwindel erregender Höhe waren. Simone Kermes steht ihrer berühmten Vorgängerin dabei in nichts nach. Ihre Virtuosität und Musikalität machen aus diesen vergessenen Kantaten musikalische Juwelen. (Textübernahme von jpc)

Turco Pesaro

CD: Rossini "Il turco in Italia"
(Pesaro 2007)

tell




italiana

DVD: Rossini
"L'italiana in Algeri"
(Aix-en-Provence 2006)

opera fanatic


DVD: OPERA FANATIC - A film by Jan Schmidt-Garre Featuring: Anita Cerquetti, Iris Adami Corradetti, Leyla Gencer, Fedora Barbieri, Marcella Pobbe, Giulietta Simionato, Magda Olivero, Carla Gavazzi, Gina Cigna, Gigliola Frazzoni, - Stefan Zucker

"We are living in an era of Barbie doll opera singers who look good and move well but lack expressiveness. What we need are singers with hair under their arms." (Stefan Zucker)


Bianca e Fernando

CD: Bellini "Bianca e Fernando"
Live-Mitschnitt vom Bellini-Festival
Catania 1991 - mit Gregory Kunde



inganno

CD: Rossini "L'inganno felice"
(Bad Wildbad 1. Juli 2005)




donna

CD: Rossini "La donna del lago"
(Bad Wildbad, November 2006)


gazza

DVD: Rossini "La gazza ladra"
(Pesaro 2007)




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"La Cenerentola" von den
Salzburger Festspielen 1988

Nicht neu, aber eine schöne Erinnerung an die
"Cenerentola" in Bremen in der Inszenierung von Michael Hampe





camb Cambiale CD

DVD / CD: Rossini
"La cambiale di matrimonio"
(
Pesaro 2006)

cencic_rossini

CD: Max Emanuel Cencic singt Rossini-Arien
Mehr zur CD im Forum Opéra

Angriff der Unkastrierten
Von Kai Luehrs-Kaiser
Die Stimme des Countertenors Max Emanuel Cencic wird selbst von Stimmkennern für die einer Frau gehalten. Auf seinem neuen Solo-Album mit Rossini-Arien versucht er, Männerrollen zurückzuerobern, die sonst wirklich mit Damen besetzt werden…
... mehr unter www.spiegel.de/kultur

Hier ein Videolink zu Youtube:
Max Emanuel Cencic singt die Arie des Arsace aus “Semiramide”



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DVD: Rossini, La pietra del paragone (Paris 2007)
mehr in MusicWeb INTERNATIONAL





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Madrid 2007:
Dirigiert von Alberto Zedda -
Inszenierung von Pizzi aus Pesaro

Sämtliche CD/DVD-Tipps sind unter der Rubrik CD/DVD zu finden

Ein umfassendes Angebot an Opern auf CD und DVD - auch mit Hörproben - gibt es bei http://www.jpc.de/

20. Mai 2008

Rossini-Opern machen glücklich...

...und warum? Das wird in einer Besprechung der CD-Aufnahme der "Donna del lago" aus Bad Wildbad wunderbar erklärt:


"Rossini-Opern, hat man ihre Funktionsweise erst einmal durchschaut, machen glücklich. Die großen dramatischen Konfrontationen laufen wie Schneeballschlachten ab: Die Kontrahenten schleudern sich in wachsender Erregung Koloraturen-Salven ins Gesicht. Lyrische Gefühle klettern hingegen auf langen Koloraturen-Treppen gen Himmel und wieder hinab. Dramatik setzt sich wie ein gepixeltes Bild aus kleinsten Noten zusammen. Über das schiere Vergnügen am virtuosen Pointillismus hinaus überrascht einen der Schwan von Pesaro aber in jeder Oper wieder mit ungeahnten Erfindungen.
In der von Alberto Zedda 2006 in Wildbad einstudierten «La donna del lago» (1819) ist das der Naturton der stark geforderten Hörner, die zwei Jahre vor Webers «Freischütz» den viel beschworenen deutschen Wald evozieren. Dabei spielt die «Dame vom See» nach Sir Walter Scotts gleichnamiger Verserzählung im nebligen Schottland. Hintergrund ist der Kampf der Highlander-Clans gegen die Vereinnahmung ihres Landes durch die englische Zentralregierung Mitte des 18. Jahrhunderts. Die wildromantischen Schauplätze – Seen, Höhlen, Schluchten, Schlösser und Wälder – inspirierten Rossini zu atmosphärischer Klangzauberei. Gleich zu Beginn gleitet die Titelheldin im sanften Wiegenrhythmus einer Berceuse auf einem Nachen über den See. Die Melodie zieht sich als Erkennungsmotiv durch die ganze Oper und führt dazu, dass Elena zum Schluss im unbekannten Jäger, den sie bewirtete, den inkognito ihr nachstellenden König Jakob V. von England erkennt. Elenas Freundinnen singen ihr einen Brautjungfern- Chor – leider für Rodrigo, den sie nicht liebt, aber, gewissermaßen als Treibstoff des schottischen Freiheitskampfes, heiraten soll. Elena und Giacomo (= Jakob) singen sich im Dreivierteltakt in den Himmel, während Hörner mit düsteren Schicksalsakkorden dräuen. Barden feuern die Hochländer mit «keltischen » Harfen zum Kampf an.
Alberto Zeddas Live-Einspielung von den Rossini-Festspielen bereitet große Freude, auch wenn sie kleine Macken hat. Wer will schon beckmessern, wenn Rossinis horrende Gesangsaufgaben so gemeistert werden, dass es das Publikum – wie auf der CD zu hören – nach jeder Nummer von den Stühlen reißt. So sei nur um der Statistik willen erwähnt, dass das Mikrofon nicht nur Sonia Ganassis warmen, vornehmen Mezzo mit den leuchtenden Höhen festhält, sondern auch die Mängel ihrer Atemtechnik und unschöne Brusttöne im Schluss-Rondo. Schlechterdings nichts auszusetzen ist an Marianna Pizzolato. Sie «spricht» nicht nur die Koloraturen- Sprache mit makelloser Präzision und Konturenschärfe. Ihr Mezzo verschmilzt im Liebesduett geradezu aphrodisierend mit Ganassis Timbre. Seraphisch schön singt auch der jungenhafte Tenor des clemenza-Königs, der nach alter Seria-Sitte am Ende seinen Feinden vergibt und die Liebenden zusammenführt. Maxim Mironov verzeiht man, wenn die Stimme mal vor Aufregung zittert und die Rouladen nicht so gestochen klar perlen wie bei Pizzolato. Ferdinand von Bothmer kann man nur dafür bewundern, dass er die mörderische Heldenpartie des sterbenden Clan-Führers Rodrigo mit ihren jähzornigen Intervallsprüngen live bewältigt. Das heroische Timbre mit der baritonalen Einfärbung hat er, die aberwitzigen Spitzentöne muss er pressen und stemmen. Selbst eine charmante Minipartie wie Albina ist mit Olga Peretyatko hochkarätig besetzt, während Wojtek Gierlach als fanatischer Vater leider Bassgewalt und Autorität vermissen lässt."

Quelle: Boris Kehrmann in Opernwelt Heft 5/2008