„Belcanto zum Niederknien“
...so titelte das Hamburger Abendblatt den Bericht über den Auftritt von Simone Kermes mit den Hamburger Symphonikern in der Laeiszhalle am 10. November 2010. Da wird sich der eine oder andere Besucher vielleicht gewundert haben über die Dame in großer Abendgarderobe; denn ursprünglich war für diesen Tag ein „Jeanskonzert“ („Eine lustig-leichte konzertante Anleitung zu einem gelungenen Konzertbesuch“) vorgesehen, aber nach dem Tod von Joan Sutherland bewiesen die Hamburger Symphoniker eine beachtliche Flexibilität und stellten kurzfristig ein von Matthias Foremny (GMD am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin) geleitetes Programm „Joan Sutherland – A Tribute“ auf die Beine. Holger Wemhoff (Klassik-Radio) führte durch ein Programm mit Arien aus Paraderollen von Joan Sutherland (Händels „Giulio Cesare“, Mozarts „Don Giovanni“, Rossinis „Semiramide“, Verdis „Trovatore“ und Bellinis „I puritani“) nebst Orchesterstücken von Mozart (Maurerische Trauermusik), Elgar, Rossini (Ouvertüre zu „Semiramide“), Pärt und Vaughan Williams. Bei Händel, Mozart, der Vivaldi-Zugabe und der nach allen Regeln der Belcanto-Kunst dargebotenen und ausgezierten Arie der Semiramide bot Simone Kermes wirklich „Belcanto zum Niederknien“, die Cavatine der Leonora „D'amor sull' ali rosee“ - zumal ohne Triller und ohne Cabaletta - war dagegen nicht gelungen. Das Konzert schloss mit einer ergreifenden Darbietung des Lamento der Dido „When I am laid in earth“aus Purcells „Dido and Aeneas“.
Am 2. Februar 2002 wird Simone Kermes wieder in der Laeiszhalle Hamburg zu hören sein, in einem Konzert mit Le Musiche Nove unter Claudio Osele.
Die Nacht der Countertenöre
Entgegen den durch den Titel geweckten Erwartungen wurde es ein Konzert von noch normaler Länge, das am 11. Dezember 2010 im Rahmen der NDR-Konzertreihe „Das Alte Werk“ in der Hamburger Laeiszhalle stattfand. Vier Countertenöre – eine vierfache Vielfalt an Stimmfarben und gestalterischen Varianten. Jeder der Solisten sang en bloc jeweils drei Arien, begleitet von I Barocchisti, vor den Blöcken gab es Ouvertüren und Zwischenspiele, abschließend folgte noch ein Duett, und zum Finale und zu den Zugaben vereinten sich die Herren dann zu einem Chor. Auf dem Programm standen Arien aus Opern von Händel, Vivaldi, Gluck, Porpora, Veracini und Sarti.
Den Anfang machte der Ukrainer Juri Minenko, der eine schöne Stimme vorführte, dessen Vortrag aber mangels differenzierender Gestaltung etwas eintönig wirkte. Weniger schönstimmig und in den Koloraturen etwas weniger geläufig war die dunkler gefärbte und gelegentlich leicht heiser klingende Stimme von Matthias Rexroth, dafür aber umso ausdrucksstärker seine Gestaltung der in den Arien beschriebenen Ereignisse und Stimmungen. Anrührend insbesondere die Arie „Cara sposa“ aus Händels „Rinaldo“, die Rexroth dem Dirigenten Diego Fasolis widmete, der sich wegen schwerer Erkrankung seiner Ehefrau an diesem Abend von der Konzertmeisterin Fiorenza de Donatis vertreten lassen musste.
Nach der Pause dann der Katalane Xavier Sabata, Hüne in Gestalt und Stimmkraft, der an gestalterischer Feinheit und ausgefeilter Diktion seinem Kollegen Rexroth in nichts nachstand. Auf diese virile Darbietung folgte umso kontrastreicher Max Emanuel Cencic mit einer sopranhaft silbrigen Stimme, mit der er endlose Bögen spann.
Es war auffallend, dass nicht die Arien mit Koloraturfeuerwerk, sondern eher die getragenen und besinnlichen Stücke aufgrund der bewegenden Sprach- und Ausdrucksgestaltung oft den größeren Eindruck machten und das Publikum zu sich ständig steigernden Jubelstürmen hinrissen.
Ausschnitte aus dem Konzert wird NDR Kultur am Fr, 28. Januar 2011, von 20.00 bis 22.00 Uhr, senden (Programm-Details)
Grauns Heldenoper „Montezuma“
Countertenöre hatte es zu Beginn der Saison auch auf Kampnagel in Hamburg-Barmbek zu hören gegeben, als dort die „Theater der Welt 2010“-Produktion von Grauns „Montezuma“ gastierte (Premiere am 29. September 2010). Zuvor war diese Inszenierung u. a. beim Edinburgh Festival und in Madrid aufgeführt worden. Die Vorstellung in Madrid vom 18. September 2010 ist vom spanischen Rundfunk mitgeschnitten und bereits von mehreren Radiostationen gesendet worden. Am heutigen Dienstagabend, 11. Januar 2011, 19.05 Uhr, steht sie bei BR-Klassik auf dem Programm.
Carl Heinrich Graun: "Montezuma"
Opera seria in drei Akten
In italienischer Sprache
Montezuma - Flavio Oliver
Eupaforice - Lourdes Ambriz
Tezeuco - Rogelio Marín
Pilpatoé - Lucía Salas
Erissena - Lina López
Hernán Cortés - Adrián-George Popescu
Pánfilo de Narváez - Christophe Carré
Coro de Ciertos Habitantes
Concerto Elyma
Leitung: Gabriel Garrido
Aufnahme vom 18. September 2010
im Teatros del Canal, Madrid
Carl Heinrich Graun war Hofkomponist des Preußenkönigs Friedrich II., der das Libretto zu dieser 1755 uraufgeführten „Heldenoper“ verfasst hat (sein französischer Text wurde umgehend ins Italienische übersetzt). Friedrich II. fasst die Ankunft von Cortés in Mexiko und den Sturz Montezumas in einer einheitlichen Handlung zusammen. Rein akustisch wird der Sache leider schwer zu folgen sein, da sechs der sieben Partien Sopranpartien sind: drei männliche Soprane, drei weibliche Soprane (davon einer in einer Hosenrolle) und ein hoher Tenor. DLR-Kultur hatte zwar – aus unerfindlichen Gründen und abweichend von den Angaben aller anderen Sender, die die Aufzeichnung bereits gesendet hatten - bei seiner Ausstrahlung dieser mit der Hamburger Besetzung identischen Aufzeichnung behauptet, dass die Partie des Cortés von einem Bass gesungen würde, - BR-Klassik wird diese unzutreffende und den Zuhörer völlig irritierende Angabe hoffentlich nicht wiederholen.
CD/DVD-Tipps:
In der 1992 vom Label Capriccio in Coproduktion mit dem WDR veröffentlichten CD-Gesamtaufnahme werden übrigens alle sieben Partien von Frauen gesungen. Inzwischen stehen für solche Aufgaben glücklicherweise genug fähige Countertenöre zur Verfügung, so dass es auch anders herum geht. Deshalb zum Abschluss Hinweise auf zwei Produktionen, in denen alle Rollen von Männern gesungen werden. Zum einen ist da die auf DVD veröffentlichte szenische Produktion
aus Caen „Il Sant'Alessio“ (1632) von Stefano Landi, unter William Christie und mit Philippe Jaroussky, dem derzeit wohl faszinierensten Countertenor, in der Titelrolle. Die Ehefrau des Sant'Alessio wird von Max Emanuel Cencic und die Mutter wird von Xavier Sabata gespielt und gesungen, womit wir wieder bei zwei der oben erwähnten Herren wären (Virgin Classics – 2 DVD). Zum anderen ist die 1998 in Lyon uraufgeführte und seitdem an zahlreichen Häusern – darunter in zwei Spielzeiten 2001 und 2002 auch an der Hamburgischen Staatsoper in der Fassung der Uraufführung und mit teils identischer Besetzung – aufgeführte Oper „Tri sestri“ von Peter Eötvös (nach dem Theaterstück „Drei Schwestern“ von Tschechow) mit 13 Rollen für Männerstimmen zu nennen; die Partien der drei Schwestern sind in der Uraufführungsfassung für Countertenöre (Sopran – Mezzosopran – Alt) komponiert, ebenso die Rolle der Schwägerin, während die Amme von einem Bass gesungen wird. Damit das Werk auch an mittleren Bühnen aufgeführt werden kann, hat – bevor andere sich darüber hermachen würden – Peter Eötvös selbst eine Fassung für Frauenstimmen für die vier Partien der Countertenöre geschrieben. Der Mitschnitt der Uraufführung ist bei DGG erschienen (2 CDs).
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