Ein halbfiktives Telefongespräch zweier Rossinifreunde, die getrennt voneinander am 15. und 19. März 2011 in Lüttich die Aufführungen der Opéra Royal de Wallonie von Rossinis
„Barbiere di Siviglia“ besucht haben
„Barbiere di Siviglia“ besucht haben
Alle Szenenfotos: Opéra Royal de Wallonie, Lüttich |
Walter:
Hallo, Dieter! Warst du in Lüttich? Hast du problemlos den Weg zum Opernzelt „Palais Opéra“ gefunden?
Dieter:
Na klar. Für Samstag, den 19., habe ich mit Mühe noch eine gute Einzelkarte bekommen. Nachmittags war ich vorher noch in der City am Opernhaus. Das ist ja eine gewaltige Baustelle. Die stocken sogar das Dach mit Probenräumen noch mächtig auf.
Walter:
Ja, der Intendant Stefano Mazzonis di Pralafera ist augenblicklich ein vielbeschäftigter Mann. Er ist nicht nur seit knapp 2 Jahren mit den Restaurationsarbeiten an „seiner“ Opéra Royal de Wallonie (ORW) und den üblichen Pflichten als Chef dieses bedeutenden Theaters beschäftigt, sondern er inszeniert gern, oft und erfolgreich in seinem Haus.
Dieter:
Nun ja, Donizettis Rita habe ich im vergangenen Jahr von ihm gesehen.
Walter:
Besonders der komischen Opern aus der Zeit zwischen 1750 und 1850 nimmt er sich gerne an. Seine Regiearbeiten zu Cimarosas Matrimonio segreto, Donizettis Einaktern Rita und Il campanello di notte und nicht zuletzt Galuppis L´inimico delle donne beweisen es.
Dieter:
Den Barbiere hat es doch in Lüttich schon mal vor nicht allzu langer Zeit gegeben?
Walter:
Aber ja, das war 2008. Die damals von ihm präsentierte Inszenierung hat Mazzonis, der ehemalige Intendant des Teatro Comunale di Bologna, nunmehr in leicht aufgefrischter Form auf die Bühne des Palais Opéra gebracht.
Dieter:
Eine Freude ist`s sicher, erneut die dezent farbenprächtigen Bühnenbilder von Jean-Guy Lecat zu sehen.
Walter:
Wie lebendig, andererseits aber auch praktikabel die Schauplätze der einzelnen Szenen gestaltet waren! Dazu als Hintergrund noch die Silhouette eines maurischen Turmes, der an Sevilla als Ort der Handlung erinnerte.
Dieter:
Endlich mal eine halbwegs klassische Bühne, die nicht mit einer weit hergeholten Umdeutung die Interpretation des Inhaltes vernebelte. Und wie die ungewöhnlich beredte Sprache der Personenführung den Zuschauern klarmachte, dass es selbst beim vielgespielten Barbiere noch viel Neues zu entdecken gibt.
Walter:
Hier fällt mir besonders ein Detail ein. Ich meine die Statisterie, die hier ihre gewichtige Rolle spielt. Besonders der tumbe Hausdiener Ambrogio von Gilles Mahia bot - wie auch schon in Donizettis Rita - in Mimik und Gefühlsäußerungen ein Kabinettstückchen lautloser Schauspielkunst.
Dieter:
...nicht zuletzt im mitreißend choreografierten 1. Finale!
Walter:
Aber auch ein paar Gags sind mir aufgefallen. Warum auch nicht in einem dramma comico! Am Ende des 2. Aktes zog vom Zuschauerraum aus der von Dr. Bartolo zu Hilfe geholte Soldatentrupp auf die Bühne, mit der 1790 entstandenen patriotischen Lütticher Stadthymne „Valeureux Liégeois“ auf den Lippen. Bertas gezücktes Taschentuch entrollte sich kurz darauf zur belgischen Nationalflagge. Ein Fingerzeig wohl auf die derzeitigen politischen Befindlichkeiten?!
Dieter:
...und beim Finale 2! Figaro saß als Rossini auf dem Sockel seines Denkmals und sang voller Wohlgefallen auf seine Mitstreiter herab. Bei der fast rossinigleichen Statur Alaimos konnte sich die Regie diesen Gag kaum entgehenlassen.
Walter:
Aber nichts geht über die Musik. Bereitete der visuelle Teil schon ungetrübte Freude, so begeisterte mich geradezu die musikalische Seite. Bessere Sängerdarsteller als die „Baritöner“ Nicola Alaimo in der Figarorolle und Bruno di Simone als Dottore Bartolo kann ich mir derzeit kaum vorstellen.
Dieter:
Beim Bruno di Simone hatte ich manchmal den Eindruck, der sei schon als Dottore geboren worden.
Walter:
Auch der Bassist Carlo Lepore als Basilio, erstmals in Lüttich zu hören, bot als gewiefter und bestechlicher Opportunist eine vortreffliche Leistung. Markig und grandios seine kellertiefen Töne. Die figürliche Mischung aus einem Mann der Kirche und einem Mafioso fand ich geradezu bezeichnend.
Dieter:
Vergiss aber nicht Rosina und den Grafen. Die waren nämlich auch klasse und überraschten musikalisch mit Neuigkeiten.
Walter:
Du meinst, weil sie die Sopranfassung gespielt haben? Das war für Paolo Arrivabeni, den musikalischen Chef der ORW, auch eine Premiere. In einem Interview habe ich gehört, dass er diese von Rossini tolerierte Fassung von 1819 zum ersten Mal dirigiert hat, und das, wie ich finde, großartig.
Dieter:
Auf dem Cembalo lag die Partitur. Sie haben offensichtlich die Revision von Alberto Zedda aus 1969 benutzt. Der hat als erster Zweifel an der Genauigkeit der üblichen Theaterpartituren gehabt und ins Autograf geschaut. Da gab es offensichtlich eine Menge zu lesen, das nichts mehr oder nur wenig mit Rossinis Original zu tun hatte. Es fanden sich zahllose Kürzungen an der Handlung und Veränderungen der musikalischen Struktur.
Walter:
Schwerwiegend ist zweifellos die auch heute noch übliche Streichung des Schlussrondos, dies besonders hinsichtlich der Personenkonstellation. Der normale Zuschauer denkt, Figaro sei der Held. In Wirklichkeit ist er der Versager. Der Conte Almaviva behält das Heft in der Hand und bestimmt den glücklichen Ausgang der Handlung.
Dieter:
Darum ist das Rondo auch so wichtig, schwierige Gesangspartie hin oder her.
Walter:
Der russische Tenor Sergei Romanovsky, ein junger Sänger, brachte für diese Rolle vom Timbre her eine gute Voraussetzung mit.
Dieter:
Ja, wie bei einem guten Baritenore waren Mittellage und Tiefe kraftvoll und unforciert vorhanden. Manuel García, der erste Almaviva, war auch ein Baritenore.
Walter:
Aber mit den Koloraturen und anderen Finessen hatte er doch seine gewisse Mühe.
Dieter:
Laut der Aussage eines Freundes, der bei der Internetübertragung in der Partitur mitgelesen hat, ersparte er sich viele Vorschläge und Triller.
Walter:
Seine Schlussarie hat er aber doch recht ordentlich gemeistert und den abschließenden Spitzenton mehr als anständig hingelegt?
Dieter:
Was sagst du zu Sumi Jo als Sopran-Rosina? Mir hat sie dieses Mal als Rosina weit besser gefallen als vor zwei Jahren im Fra Diavolo.
Il Barbiere di Siviglia with Sumi Jo - Rehearsal... von ORW
Weitere Videos - Interviews mit den Mitwirkenden - auf ORW
Walter:
Normalerweise ist mir ein Mezzo als Rosina auch lieber. Allein wie Sumi Jo gespielt hat, war das eine Augenweide und ließ mich meine Gedanken an einen Mezzo glatt vergessen. In Spiel und Gesang war die Koreanerin eine zauberhafte Rosina. Dass sie vor dem Temporale noch Rosinas Zusatzarie „L´innocenza di Lindoro“ gesungen hat, setzte für mich dem Ganzen die Krone auf.
Dieter:
Wenn ich nicht irre, hat Rossini dieses Stück in Venedig anlässlich einer Aufführung für die Sopranistin Fodor-Mainvielle komponiert?
Walter:
Ja, und es passt so gut als Moment der Reflektion und des Innehaltens zur Handlung. Das Bühnenlicht gedämpft, ganz in sich gekehrt interpretiert und glanzvoll gesungen zeigte Sumi Jo ein nachdenkliches und verletzliches junges Mädchen. Wie dieses nachher gereift und erfahrener als Gräfin sein wird, ist in Mozarts Nozze di figaro zu erleben.
Dieter. Schwächer fand ich sie in ihrer Auftrittsarie „Una voce poco fa“. Hier klang ihre Stimme etwas klein und eng. Obwohl Rosina kein verhuschtes Mäuschen ist, war mir die Darstellung doch zu überdreht selbstbewusst.
Walter:
Nun, jeder hat eine etwas andere Sichtweise. Wir müssen ja auch nicht in allem einer Meinung sein.
Dieter:
In der Beurteilung der Berta stimmen wir doch hoffentlich überein? Alexise Yerna war eine recht ansehnliche Person. Ihre kurze Arie, verschmitzt dargestellt, sang sie überzeugend perfekt, gar nicht mit Nebenrollenhautgout. Recht so, dass Dr. Bartolo am Ende mit ihr sein Zweitglück suchte.
Walter:
Das sehe ich auch so.
Dieter:
Über das Orchester haben wir noch nicht gesprochen.
Walter:
Lass mich vorher nochmals kurz an Romanovsky und die Inszenierung erinnern. Toll fand ich zum Schluss das Pfauenrad auf dem Rücken des Conte Almaviva. Besser konnte nicht symbolisiert werden, dass nicht Verkleidungsspielchen, sondern die ausgeübte Macht hier der Weg zur Problemlösung sind.
Aber nun zum Orchester. Das hat es wahrlich verdient, lobend hervorgehoben zu werden. Nur als „glänzend“ kann man seine Leistung unter dem Dirigat von Arrivabeni bezeichnen. Spritziges Tempo, vibrierendes und akkurates Zusammenspiel der Instrumentengruppen, exzellente Bläser, fein differenzierte rhythmische Abstufungen der Melodielinien charakterisierten den Vortrag.
Dieter:
Stimmt! Eine Stelle ist mir als Beispiel für den homogenen Zusammenklang von Orchester und Sängern aufgefallen und in Erinnerung geblieben. Am Ende des Finale 1, beim Einsatz der “Tutti“ verschmolzen Gesang und Instrumente in Lautstärke, Farbe und Rhythmus klanglich so perfekt, dass mir dies quasi als Symbol eines realistischen Aufruhrs erschien.
Walter:
Ich kann nur sagen: „Auch wer Rossinis Barbiere schon zigmal gesehen hat, der muss nach diesen drei Sternstunden eines hinreißenden Opernabends berauscht nach Hause gefahren sein.
Dieter:
Tja, wo du Recht hast, hast du Recht.
Das Gespräch führten Walter Wiertz, Aachen und Dieter Kalinka, Bochum