Posts mit dem Label Verdi werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Verdi werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

11. Januar 2011

Hamburgische Staatsoper: Tenöre, die sangen – oder aber auch nicht...

In Ergänzung meines Berichts vom 21. Oktober 2010 (s. hier) noch kurz etwas zu weiteren Aufführungen im Rahmen der Belcanto-Wochen an der Hamburgischen Staatsoper, wobei ich nur einige über die einzelne Aufführung hinausgehende aktuelle Aspekte herausgreifen möchte, hauptsächlich die Tenöre betreffend.

Besonders hervorheben möchte ich Dmitry Korchak als umjubelten Tonio in Donizettis „La Fille du Régiment“ (besuchte Vorstellung am 26. Oktober 2010). Bei der Arie mit den vielen hohen Cs im 1. Akt – aufgelockert mit etwas Kazachok - punktete er natürlich wie seine Rollenvorgänger Brownlee und Siragusa, aber der eigentliche Höhepunkt war die anspruchsvollere Arie im 2. Akt, nuancenreich mit Gefühl und ausgefeilter Diktion gesungen und endend mit einer wunderbaren messa di voce, da kannte nicht nur meine Begeisterung, sondern die des ganzen Hauses keine Grenzen mehr, - mein Sitznachbar seufzte beglückt und meinte, so etwas Schönes hier noch nie gehört zu haben... Auf die weitere Entwicklung dieses Tenors, den Rossinianer bereits 2007 in Pesaro in „La gazza ladra“ und 2008 in "L'equivoco stravagante" kennen und schätzen lernen konnten, darf man gespannt sein.




Bei den von mir besuchten Vorstellungen von Verdis „La Traviata“ hatten leider die Tenöre, die ich so gerne als Alfredo gehört hätte, abgesagt.

Besonders gespannt war ich auf den Alfredo von Dovlet Nurgeldiyev gewesen, einem aus dem Internationalen Opernstudio ins Ensemble übernommenen jungen Tenor. Am 24. Oktober hatte er – wie der Rezension auf der Seite
mittelloge.de zu entnehmen ist - sein viel versprechendes Rollendebut gegeben. Am 28. Oktober sagte er dann leider krankheitshalber ab. Andrej Dunaev (Semperoper Dresden), der sehr kurzfristig eingesprungen war, gab ein durchaus gutes Rollenporträt, insbesondere gefiel mir seine klare textverständliche Diktion, was der Sängerin der Traviata, Liana Aleksanyan, leider abging, die zudem auch keine schönen Piani beherrschte und eher nach dem Motto „je höher, desto lauter“ sang. Franco Vassallo schmetterte einen weitgehend undifferenziert monotonen Giorgio Germont. Immerhin sangen beide Germonts ihre Cabaletten zweistrophig. Karen Kamensek, stellvertretende Generalmusikdirektorin und ab nächster Spielzeit GMD in Hannover, dirigierte routiniert und nicht immer sängerfreundlich.

Auch die Hoffnung, endlich wieder Ramon Vargas auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper erleben zu dürfen, erfüllte sich nicht. Man mag es kaum glauben, aber Ramon Vargas hat hier nur in der Spielzeit 1995/96 gesungen ("La Traviata" und "L'elisir d'amore"). So wie vor einigen Jahren den „Ballo in maschera“ hat er auch die jetzigen drei Traviata-Vorstellungen wegen Krankheit abgesagt. In der von mir besuchten Vorstellung am 4. November 2010 sang Stefan Pop den Alfredo. Es war eine Vorstellung, die – unter der musikalischen Leitung von Simone Young - drei Sängergenerationen auf der Bühne vereinte: Edita Gruberova im Spätherbst ihrer Karriere, - bewunderswerte Interpretation, aber unüberhörbar ein schweres Stück Arbeit - , Dalibor Jenis auf der Höhe seines Könnens mit ausgefeilter Diktion und nuancenreichen Details, und ein sehr junger Tenor am Beginn seiner Karriere, - mit schöner Stimme, solange er nicht forcierte, und noch ohne persönliches Rollenporträt. Ob es eine bedeutende Karriere wird? Stefan Pop ist der Gewinner von Domingos „Operalia“ 2010, und die Preisträger dieses Wettbewerbs sind bekanntlich sehr gefragt und bekommen schnell Engagements auch an große Häuser. 1999 war ein tenorintensiver Jahrgang mit Rolando Villazon, Giuseppe Filianoti und Joseph Calleja unter den Preisträgern (Video), 1998 hatte ich bei der Operalia in Hamburg Erwin Schrott, Joyce DiDonato und Ludovic Tézier als Wettbewerbssieger erleben dürfen. Ich frage mich aber, ob man mit gerade 23 Jahren wirklich schon den Alfredo an großen Häusern singen muss. In diesem Video

"L'elisir d'amore" - Seoul 2010

kann man gut hören, zu welch schönen Differenzierungen Stefan Pop (noch) fähig ist, die er in der Traviata-Aufführung bei einem selten so zärtlich gehörten Beginn des „Parigi, o cara“ mit leiser Stimme auch einsetzte; wenn aber die Stimme für mehr Volumen „aufgedreht“ wird, ist von Feinheiten und subtiler Gestaltung leider nicht mehr viel zu vernehmen:


"La Traviata" - Wiener Staatsoper 2010
.

26. September 2010

Bei Verdi hat Lüttich die Nase vorn

Der Zufall wollte es, dass wir innerhalb von drei Tagen zweimal Verdi auf der Bühne renommierter Opernhäuser erleben konnten. Beide Opernlibretti basieren auf historischen Ereignissen und stammen in etwa aus der gleichen Schaffensperiode des Meisters aus Busseto. Was liegt also näher als beide Produktionen - wo immer dies möglich und auch fair ist - einer vergleichenden Betrachtung zu unterziehen?!

1. "Les Vêpres siciliennes" in der Nederlandse Opera, Amsterdam
Verdi schrieb seine Vêpres siciliennes als Auftragswerk für die Pariser Oper anlässlich der  dort stattfindenden Weltausstellung 1855. Grand Opéra bedeutete ein nicht nur zeitaufwändiges Werk in französischer Sprache, das aus (meistens) fünf Akten und einem integrierten Ballett bestand. Die fast 30 Minuten dauernde Musik zu diesem Ballett, eine Allegorie der vier Jahreszeiten, hat mit ihrem melodischen Einfallsreichtum auch außerhalb ihrer musikalischen Provenienz eine gewisse Popularität erlangt. Bei der Aufführung der “Nederlandse Opera“ in Amsterdam hatten sich Regisseur Christof Loy und sein “Ballett-Librettist“ Thomas Jonigk wohl Anregung bei Konwitschnys Don Carlos - Inszenierung geholt; denn wie dort in der Ballettmusik Ebolis Traum vom kleinbürgerlichen Glück gezeigt wurde, so wurden wir auf verkleinerter Bühne in einem Zimmer mit Blümchentapete aus den 1950er Jahren Zeugen von Henris Kindheitserinnerungen bzw. Tagträumereien, die mit teilweise allzu deutlichen sexuellen (freudschen?) Phantasien pantomimisch gestaltet wurden. Diese “heile Welt“ der Blümchentapete griff Loy im letzten Akt wieder auf, ließ Henri schon einmal freudestrahlend mit dem Kinderwagen über die Bühne stolzieren, um dann kurz darauf durch das Abbauen dieser heimeligen und überschaubaren Wohnstatt die Unmöglichkeit eines solchen Lebens ohne Konflikte zu verdeutlichen, bevor im Finale mit dem vermeintlich glückverheißenden Geläute der Hochzeitsglocken das Startsignal zum blutigen Aufstand der lange unterdrückten Sizilianer gegen die französischen Besatzer gegeben wurde.


Und damit sind wir beim historischen Kern dieses Librettos, dem als “sizilianische Vesper“ bekannten Blutbad, bei dem 1282 in Palermo 2000 Franzosen, die diese Region besetzt hielten, von den Sizilianern umgebracht wurden. Regisseur Christof Loy verlegte diesen Tatbestand in die Mitte des vorigen Jahrhunderts und entwickelte auf der - bis auf die unvermeidlichen endlosen Stuhlreihen und eine bedrohlich-grelle verschiebbare Lichterwand von weißen Neonröhren - meist leeren Bühne (und die ist in Amsterdam sehr breit!) den Konflikt der Protagonisten zwischen Vaterlandsliebe und persönlichen Gefühlen inwendig, doch auch untermalt von brutalen Szenen (In demütigender Weise ließen die französischen Machthaber beispielsweise junge sizilianische Frauen auf den Knien über die Glassplitter gerade leer getrunkener Flaschen rutschen). Damit des verbannten Freiheitskämpfers Procida  berühmte Arie “O tu Palermo“, eine der bekanntesten Bass-Arien Verdis, zumindest etwas Lokalkolorit erhielt, wurden kleine Videoprojektionen dieser Stadt und seiner Erinnerungen daran eingeblendet. Auch die vor allem das bekannte Thema des Duetts Montfort – Henri aus dem 3. Akt vorwegnehmende “Sinfonia“ wurde durch Videoporträts gefangener Sizilianer “aufgelockert“ und – man höre und staune! – nach dem 1. Akt gespielt – sehr zum laut geäußerten Unwillen mancher Besucher. Der “Allmacht“ gewisser Regisseure sind anscheinend keine Grenzen gesetzt… Immerhin geschah es auch an diesem Opernhaus im November vergangenen Jahres, dass der Regisseur (in diesem Fall P. Konwitschny) das Finale von R. Strauss’ Salome in eine Art “happy ending“ umwandelte.

Wesentlich unumstrittener und positiver war die musikalische Seite: Faszinierend in ihrer vokalen Brillanz und Rollengestaltung (aus der maskulin gekleideten Patriotin Hélène wird am Ende auch äußerlich eine liebende Frau!) die niederländische Sopranistin Barbara Haveman, die recht kurzfristig diese Partie von Emily Magee übernommen hatte. Ihr tenoraler Partner Henri, der sich als Sohn des verhassten Gouverneurs Montfort entpuppte,  wurde von Burkhard Fritz im Stil eines “lirico spinto“ klangschön und höhensicher gesungen. Etwas schwächer schienen mir die beiden tieferen Männerstimmen: der Schweizer Bariton Alejandro MarcoBuhrmester als Montfort wirkte stimmlich wie in seiner Rollengestaltung etwas monochrom, und der Bass von Balint Szabo als Procida war von zu leichtem Kaliber. Das Nederlands Philharmonisch Orkest spielte homogen und ohne Fehl und Tadel, und der große Koor van de Nederlandse Opera (fast 80 Sänger/innen!!) bildete wie immer einen beeindruckenden Rückhalt. Das Dirigat von Paolo Carignani ließ gelegentlich bei aller sorgfältigen Austarierung der Orchesterstimmen ein paar Strahlen des revolutionären Feuers dieser Oper vermissen , bescherte aber dem Publikum im  fast ausverkauften Haus nach La Juive (2009) und Les Troyens (2010) in kürzester Zeit die begeisternde Begegnung mit einer dritten grand opéra.

2. "Un ballo in maschera" in der Opéra Royal de Wallonie, Lüttich
Knapp 4 Jahre später (am 17. 02. 1859) feierte Verdis 23. Oper am römischen Teatro Apollo ihre Premiere, und wir fuhren zwei Tage nach unserem Amsterdam-Besuch in die Lütticher Opéra Royal de Wallonie, um dort seinen ballo in maschera wieder einmal zu genießen. Und in der Tat wurde dieser Abend im “Palais Opéra“, dem Ausweichquartier der ORW während der Restauration des Operngebäudes, zum Genuss: Der erstmals in Liège gastierende Massimo Zanetti sorgte am Pult des Lütticher Orchesters für mitreißenden Schwung und Italianità, wobei immer aufs Neue die gute Akustik dieses Opernzeltes zu bewundern ist. Der durch den Opernchor aus Namur verstärkte “Hauschor“ – natürlich deutlich kleiner als der in Amsterdam – sorgte trotz der räumlichen Enge auf der relativ kleinen Bühne für adäquate Unterstützung der  Protagonisten (sehr gelungen der Spottchor am Ende des 2. Aktes!). Für die Besetzung der vier Hauptrollen hatte Intendant Stefano Mazzonis di Pralafera in jeder Beziehung klangvolle Namen aufgeboten:
Aquiles Machado (Foto: Jaques Croisier)
Der venezuelanische Tenor Aquiles Machado – auch er zum ersten Male auf der Lütticher Bühne – bot eine rundum überzeugende Gestaltung des amerikanischen “Gouverneurs“ Riccardo und sang einfach prächtig (Auch der vertrackte und deshalb sogar von großen Tenören gemiedene Sprung über mehr als eine Oktav nach unten in seiner ersten Arie “Di tu se fedele“ gelang problemlos!).

Ihm ebenbürtig der mit wunderbarem Legato singende Renato des rumänischen Baritons George Petean, der vor allem auch den Hamburger Opernfreunden ein Begriff sein dürfte. Auch die drei Frauenrollen waren mehr als rollendeckend besetzt: Den größten Schlussbeifall heimste interessanterweise die zierliche junge Russin Marina Zyatkova für ihre Darstellung des “Pagen“ Oscar ein. Aber auch die Römerin Chiara Taigi, die die von ihren widerstreitenden Gefühlen zerrissene Amelia u.a. schon in Leipzig unter Chailly gesungen hat, sowie Anna Maria Chiuri als Wahrsagerin Ulrica spielten und sangen lebendige Rollenporträts.
Marina Zyatkova, Aquiles Machado, George Petean (Foto: Jaques Croisier)
Chiara Taigi, Aquiles Machado (Foto: Jaques Croisier)
Wie bei so vielen Opern des Ottocento gab es auch vor der Uraufführung des Maskenballs massive Probleme mit der Zensur. Verdi hatte seine neue Oper, die nach einem Libretto Eugène Scribes, das schon Auber 1833 in Töne gesetzt hatte, das Attentat des Grafen Anckarström auf den schwedischen König Gustav III. bei einem Maskenball 1792 in Stockholm thematisierte, für Neapel vorgesehen. Nach heftigen Auseinandersetzungen mit dem dort regierenden Bourbonenkönig Ferdinand II. wurde der Komponist aus seinem Kontrakt entbunden, verließ die Stadt und ging auf das Angebot ein, sein neues Meisterwerk in Rom aufzuführen. Aber auch hier machte die Zensur (in diesem Fall die päpstliche) Probleme. Allerdings ließ sie Musik und Text unbeanstandet, setzte aber durch, dass die Handlung in die USA (Boston gegen Ende des 17. Jhdts.) verlegt und dementsprechend  einige Personen umbenannt wurden. Regisseur Philippe Sireuil griff diese Bostoner Fassung auf, ging aber in Zeit und Szenerie einen Schritt weiter: “Wir befinden uns irgendwo in den Vereinigten Staaten in den 1960er Jahren“ war im Programmheft zu lesen. Mit Liebe zu Atmosphäre schaffenden Details schuf das für die Inszenierung verantwortliche Team  passende Bühnenbilder, die analog zum zeitlichen Ansatz durchaus Sinn machten: So blickten wir in der 1. Szene in die Suite eines Luxushotels, trafen zu Beginn des 2. Aktes Amelia und Riccardo in einem bis auf einen Straßenkreuzer leeren ehemaligen Parkhaus am Stadtrand, und erlebten im Finale Riccardos Ermordung im Festsaal des Luxushotels - stilecht mit Rednerpult und Mikrophon, in das der Präsidentschaftskandidat Riccardo seine letzten Worte hauchte. Wenn man das prinzipielle Problem der zeitlichen und örtlichen Verlagerung eines historischen Libretto-Stoffes einmal ausklammert, war diese Regiearbeit in sich schlüssig und wirkte nicht als Fremdkörper innerhalb der Musik. Das sah zumindest ein Besucher ganz anders, der unmittelbar nach dem letzten Vorhang in die Stille der aufbrechenden Besucher mit Stentorstimme rief:  “Mise en scène [=Regie]: Buh buh buh“. Was hätte er wohl zu der Inszenierung in Amsterdam gesagt?

Walter Wiertz
Besuchte Vorstellungen: 14. 09. 10 (Amsterdam) und 16. 09. 10 (Liège)

17. Juli 2010

Schlossfestspiele Schwerin: Verdi "Die Macht des Schicksals"

Foto: Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin
Nach Schwerin, nach Schwerin....

...möchte man ausrufen, nachdem man anlässlich der Schlossfestspiele 2010 Verdis "La forza del destino - Die Macht des Schicksals" auf der Freilichtbühne des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin erlebt hat. Auch wenn man Vorbehalte gegenüber Open-Air-Aufführungen hat - hier wird man belehrt, dass "große Oper" draußen nicht nur optisch ein Genuss ist, sondern auch musikalisch eindrucksvoll zelebriert werden kann. Die Akustik ist so fein ausgesteuert, dass die Stimmen natürlich klingen; die Verve, mit der sich das Orchester ins Zeug legt, überträgt sich ohne Abstriche auf den Besucher.

Der Handlungsablauf und die zahlreichen Schauplätze gelten als schwer realisierbar in einem Opernhaus. Auf dem Alten Garten, in der Bühnenlandschaft von Lutz Kreisel vor dem Museum am Rande des Schweriner Sees merkt man nichts von diesen Beschränkungen. Die Bühne ist außerordentlich in die Breite gezogen. Die lange Museumstreppe, das Museum selbst, wird integriert und durch Treppenstufen und Quader geschickt ergänzt, so dass man kaum Original und Bühnenarchitektur unterscheiden kann. Nach vorne hin bildet eine Sandbahn die Begrenzung, hier kann auch eine von Pferden gezogene Kutsche im raschen Trab einen eindrucksvollen Abgang wagen. Lässt man die Blicke schweifen, sieht man rechts den Schweriner See mit ruhig dahingleitenden Segelbooten, links streift das Auge den aus Backstein errichteten wuchtigen Dom.

Hier waren Könner am Werk: Da wäre zunächst das Orchester unter der Leitung von Martin Schelhaas zu nennen. An einem der heißesten Tage des Jahres musizierte es in einem historisch anmutenden, von wuchtigen Säulen begrenzten Nebengebäude. Die Musiker blieben im Dunkel, nur der sich bewegende Arm des Dirigenten, weiß angestrahlt, war für das Publikum sichtbar. Schelhaas war mit raschen Schritten zu seinen Leuten geeilt, hatte sich  noch im Laufen seines Sakkos entledigt und unmittelbar danach setzte die Musik ein. Die "Schicksalsmelodie", welche vor allem von Donna Leonora (Adva Tas) in einer großen Arie wieder aufgegriffen wurde, bestimmte die Ouvertüre.

Auch dem Regisseur Peter Lotschak merkte man die Erfahrung mit dem Bühnenraum an. Große Chorszenen wechselten ab mit ruhigen Sequenzen, wenn beispielsweise Leonora allein auf der Szene die Stufen hinauf- und hinabeilt, mit bewegendem Gesang Eingang in der Kirche - symbolisiert durch ein in der Dunkelheit angestrahltes Kreuz -  sucht und zunächst vergeblich an dem schmiedeeisernen Tor rüttelt. Auch das Duett zwischen Bariton (Konstantin Rittel-Kobylianski als Don Carlo) und Tenor (der inbrünstig singende junge Eduardo Aladrén als Don Alvaro) war fast kammerspielartig intim inszeniert. Die Akteure bewegten sich in weißen Lichtkegeln vor einer rot angestrahlten leinwandartigen Fläche.

Gewaltig der Chor, grandios die Spezialeffekte, nicht ohne ein Quäntchen Augenzwinkern, als wolle der Regisseur seinem Publikum Zucker geben. In großer Zahl und meist schwarzen oder sandfarbenen Gewändern marschierten oder tanzten sie auf den Schauplatz, um teilweise abrupt wieder abzurücken und nach dramatischen den lyrischen Passagen wieder Raum zu geben: Soldaten, Bauern, Mönche, Pilger, Kinder, Marketenderinnen, Bettler, Händler und Gaukler. Der Tod als schwarzer Kapuzenmann kam herbeigeritten; ein Land wurde während eines lang andauernden Krieges und zwischen Patriotismus und Ernüchterung schwankend dargestellt. "Viva la guerra" singt Preziosilla (Sarah van der Kemp). Das Schlachtengetümmel entlud sich in der Musik und fand auf der Bühne in einem Kanonenfeuerwerk mit durch die Luft fliegender Fahne seine Entsprechung.



Ebenso zwiespältig wie der Krieg wurde die Kirche dargestellt; kein Wunder, dass der Zensor zu Verdis Zeiten an den Bettelszenen Anstoß nahm, werden die Bettler doch sehr unwirsch von Fra Melitone (Martin Winkler in einer Buffo-Paraderolle) zurückgewiesen.

Verdi komponierte 1860 seine Oper in einer Zeit blutiger Auseinandersetzungen: Im Norden Italiens gab es Kämpfe gegen die österreichische Besatzung, in Süditalien und Sizilien erhob man sich gegen die Bourbonen und in Mittelitalien gegen den Vatikanstaat. Verdi wurde Deputierter in Turin, war also selbst aktiv politisch tätig, und unterstützte republikanische Freiheitsbewegungen. Dies spiegelt sich in seinen Opern wider, auch in dieser. Eigensinnig verteidigte er seinen, an Shakespeare ausgerichteten Kunststil, verband tragische mit komischen Szenen und schuf Raum für Gestalten aus dem Volk wie Fra Melitone als einfachem Mönch oder Preziosilla als Marketenderin.

Weitere Sänger in der am 16.7.2010 besuchten Aufführung waren: Shavleg Armasi als Padre Guardiano, Olaf Plassa als Marchese di Calatrava, Kay-Gunter Pusch als Trabuco, Sebastian Münch als Aclcade, Markus Vollberg als Feldarzt, Undine Labahn als Bettlerin.

Die Oper wird noch bis 1. August 2010 donnerstags bis sonntags jeweils 21 Uhr aufgeführt. Die Solopartien sind alternativ besetzt. Besonders erwähnenswert ist Capucine Chiaudani, welche ebenfalls die Donna Leonora singt und unter anderem bereits als Fedra in der Oper von Simon Mayr im Braunschweiger Staatstheater zu bewundern war. Wer sich auch auf Schwerin mit seinem Schloss und den See einstimmen möchte, dem empfehlen wir einen Blick in unser Kurzvideo.

Astrid Fricke (Besuchte Vorstellung am 16. Juli 2010)