Als nach dem Ende der Antike sich die Volkssprachen herausbildeten, verlor das Latein seinen Status als Muttersprache. Im Mittelalter wurde es vorrangig als Gelehrtensprache benützt, insbesondere um eine übergreifende Kommunikation im mittlerweile polyglotten Europa zu ermöglichen (als sog. Vater- oder Dachsprache). Dabei hatten natürlich vor allem der Klerus und die Gelehrten den meisten Anteil. Im mündlichen Gebrauch veränderte und vereinfachte sich das mittelalterliche Latein und näherte sich teilweise dem Vokabular und der Grammatik der jeweiligen Volkssprachen an. Als Gegenströmung entwickelte sich in der frühen Neuzeit, von Italien ausgehend, der Humanismus, der wiederum ein klassisches, an den römischen Vorbildern orientiertes Latein im Stile Ciceros oder Caesars propagierte. In der Literatur wie auch in Gelehrtenkreisen strebte man nunmehr nach Klassizität. Daneben freilich lebte auch das Mittellatein in der Kirche und im Rechtswesen weiter; es wurde allerdings als grobes Latein von den Humanisten verspottet und bekam zahlreiche derogative Bezeichnungen (latino maccheronico, Makkaronilatein, Küchenlatein, dog Latin, mock Latin usw.). Charakteristisch dafür ist die häufige Sprachmischung von muttersprachlichen und grammatisch oft unkorrekten lateinischen Einsprengseln. Dieses vulgarisierte Latein-Potpourri war oft Ziel und Gegenstand der Satire und findet sich in zahlreichen literarischen Denkmälern (am berühmtesten sind die Dunkelmännerbriefe und Teofilo Folengos Opus macaronicum).
Insbesondere im Theater hat das bewusst falsche, mit modernen Elementen gemischte Latein eine lange Tradition, so etwa in der Commedia dell’arte bei den Vecchi-Figuren bis hin zur Volksposse des 19. Jahrhunderts (z.B. Nestroys Lumpazivagabundus). In diesem Kontext legt auch Gaetano Rossi im Libretto seines Melodramma sentimentale Adelina (1810) dem pseudogelehrten, aber lebenspraktischen Schulmeister Simone als Buffofigur immer wieder lateinische bzw. pseudolateinische Floskeln in den Mund, um damit einen komischen Effekt zu erzielen. Das Publikum seiner Zeit konnte mit Sicherheit die oft arg entstellten, ungrammatischen Zitate, Sprichwörter und Redewendungen dechiffrieren und sich über die Unwissenheit und mangelnden Lateinkenntnisse der vermeintlichen Autoritätsperson amüsieren.
Das fängt schon damit an, dass er zu Beginn nicht gleich in materibus eintreten will, sondern seine Liebe zum leiblichen Wohl gleichsam konjugiert (amo, amas di mangiar) und ins Lateinische transponiert (il manducamus). Bei der Begrüßung von Varner sagt er si tu vales, vale, valeo und meint damit die römische Begrüßungsformel si vales, bene est, ego quidem valeo (wenn es dir gut geht, ist es gut, mir jedenfalls geht es gut). Mit der Grammatik und den korrekten Endungen tut sich Simone meistens schwer; gerne wählt er gravitätische lateinische Formen (sequere, finitote), die aber oftmals überhaupt nicht passen (tibi gratulor del manducamini; il manducamini; in irascimini, del conjungimini, parcetote). Hin und wieder gelingen auch manche Bildungsreminiszenzen (ab ortu solis, in vino veritas, tibi gratias, ergo, per exemplum), doch meistens geht es daneben (talis pater, talis filius o filias statt qualis pater, paribus cum paris für Gleiches mit Gleichem, cose naturalibus, lo scroccamini usw.). Nicht umsonst entgegnet ihm Varner, der ihn durchschaut, auf seine Essenseinladung mit einem Lächeln: bel latino in verità („schönes Latein, fürwahr“) und auf das Proverbium Post prandiu stabis, post cena ambulabis: è un latin che vi piace („Dieses Latein gefällt euch!“). Insbesondere in seiner Arie (Nr. 6) Falsus est, che amor sit grassiert die Pseudolatinität: Natus Amor est cum mundus ergo vecchius tamquam cuccus (vgl. die italienische Redewendung vecchio come il cucco). Auch Cupido, der (ganz konkret und sexuell gemeint) entra dentro pian pianino (schleicht sich sachte ein), wird lateinisch konjugiert (cupio, cupis) und damit auch etymologisiert; sogleich geht der Schulmeister aber wieder zur Lieblingsbeschäftigung über: in un dolce manducamus. Den Vogel schießt Simone mit einem völlig entstellten Vergil-Zitat ab: infan regina jubas; gemeint ist natürlich Aeneis II/3: Infandum, regina, iubes renovare dolorem, „einen unsäglichen Schmerz, o Königin, befiehlst du zu erneuern“. In diesem Sinne: Bel latino in verità!
Thomas Lindner