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13. März 2012

Rossinis Otello aus Zürich auf medici.tv

Die gesamte Oper kann man sich immer noch kostenlos auf medici.tv anschauen.


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1. März 2010

"Otello" in Lausanne

Rossinis Otello in der Inszenierung von Giancarlo del Monaco kam 2007 beim Rossini Opera Festival in Pesaro heraus und war eine Koproduktion mit der Deutschen Oper Berlin und der Opéra de Lausanne. Während die Deutschen bisher keine Anstalten machten, das Werk auf ihren Spielplan zu setzen, haben die Schweizer nun ihre Pflicht erfüllt, wodurch man hierzulande Rossinis Meisterwerk nur eine Saison nach Biel/Solothurn erneut erleben durfte. Reduzierte die Bieler Produktion Rossinis Behandlung des Stoffes auf eine ironisierende metatheatralische Inszenierung, nahm Del Monaco die Handlung ernst (wenn auch mehr aus Shakespeares denn aus Rossinis Sicht) und verlieh ihr mit der metaphysischen Vermehrfachung des unheimlichen Jagos das Pathos einer Gruselnovelle[1].

René Magritte: La victoire Quelle

Die unendliche Weite des surrealen Meeres Magrittescher Inspiration, konzipiert für die breite Bühne der Pesareser Adriatic Arena, wirkte etwas eingezwängt auf der Szene der Salle Métropole, die nunmehr schon seit drei Spielzeiten als Ersatz für die in Renovation befindliche Opéra dient. Der Saal bietet simple Holzstühle mit dünnen Sitzkissen, dafür eine großzügige Reihenanordnung mit viel Beinfreiheit, und ist auch sonst ganz angenehm (von den surrende Scheinwerferkühlungen abgesehen) und beim Publikum beliebt, so dass auch diese letzte von vier Aufführungen vom 28. Februar 2010 vor vollen Rängen stattfinden konnte.



Foto Opéra de Lausanne / Marc Vanappelghem

Bot die Inszenierung keine Überraschung mehr, so durfte der Besetzung umso größeres Interesse entgegengebracht werden. Das gilt auch für die Primadonnenrolle der Desdemona, die als einzige aus der Pesareser Erstaufführung übrig geblieben ist. War es der etwas kleinere Saal, der ihr mehr Rückhalt bot, oder ist die Stimme und die Persönlichkeit von Olga Peretyatko seither gereift? Auf jeden Fall schienen die dramatischen Attacken im Terzett und in der Arie im zweiten Akt weniger fragil als noch vor zwei Jahren. Und die größere dramatische Wucht ging keineswegs auf Kosten ihrer lyrischen Innigkeit, die sie an den anderen Stellen der Rolle verlieh. Mit einem Wort: die junge Russin näherte sich dem Ideal einer Colbran-Rolle, und ich könnte sie mir jetzt gut als Elcìa oder als Elena vorstellen.

Gespannt war man auf John Osborn, der als große Rossini-Hoffnung gehandelt wird und übernächstes Jahr den Arnold in Pesaro singen soll (wie schon vor zwei Jahren konzertant in Rom). Obwohl kein eigentlicher Baritenor, eignet sich sein Timbre gut für die Nozzari-Rolle des Otello, vor allem dann, wenn sich dieses so gut von einer hellen und leichten Stimme wie derjenigen von Mironov abgrenzt. Auffallend war aber, wie vorsichtig und bedacht der Amerikaner die Rolle anging, so dass er beinahe träge wirkte, einschließlich der Koloraturen, die nicht mit natürlicher Leichtigkeit aus seiner Kehle kamen. Osborn war ein zuverlässiger und sicherer, aber kein leidenschaftlicher Otello, und sein Monolog im dritten Akt weckte keine großen Emotionen – kein Vergleich zu der charismatischen Rollengestaltung eines alten Kämpen wie Gregory Kunde. Auf einem ähnlichen Niveau bewegte sich der andere tenorale Hoffnungsträger, Maxim Mironov, der mit schöner und gut geführter (manchmal an Matteuzzi gemahnenden) Stimme einen etwas kühlen Rodrigo abgab – es fehlt der Stimme an einem berührenden Schmelz und seiner Gestaltung an jener Dreistigkeit, die die Rolle erst über ihre relative Belanglosigkeit hinaustragen kann. Erstaunlich war hingegen das Auftreten von Shi Yijie, den ich im letzten Sommer in Pesaro für die anspruchsvolle Hauptrolle des Comte Ory völlig unausgereift fand, und der aber in der bedeutend weniger fordernden Charakterrolle des Jago zeigte, dass er zu berechtigten Hoffnungen Anlass gibt, sofern ihm eine vernünftige Entwicklung gegönnt wird. Total überzeugend war auch Giovanni Furlanetto, der dem Elmiro nicht nur die nötige Basstiefe verlieh, sondern auch die Gestaltung eines Vaters, der neben seinem von Eigennutz und Stolz geprägten Machtgebaren auch Gewissensbisse erkennen lässt. Die Emilia der Isabelle Henriquez überzeugte mich dagegen nicht, dafür hätte ich mir eine lyrischere und wärmere Stimme gewünscht. Mit Sébastien Eysette aus dem Chor der Oper Lausanne war die Nebennebenrolle des Lucio angenehm besetzt, und ebenso hätte man sich den Dogen an Stelle des ausgesungenen Rémy Corazzo gewünscht. Der Gondoliere wurde von Yijie gesungen, und auch von einem der Jago-Komparsen gemimt, was diesem die „moralische Atmosphäre“ bildenden Geniestreichs Rossinis jenes Imaginär-Surreale verlieh, das Jagos Präsenz in dieser Inszenierung in Desdemonas Wahrnehmung auch sonst prägt.

Das Dirigat unter Corrado Rovaris war weniger transparent in der orchestralen Raffinesse als bei Palumbo in Pesaro, dafür aber auch bedeutend schwungvoller in den Rezitativen. Chor und Orchester leisteten saubere Arbeit. Die ganze ungekürzte Aufführung dauerte 3¼ Stunden (mit Pause) und mithin länger als der zusammengestrichene Nürnberger Moïse – offenbar haben die Romands trotz harter Stühle das bessere Sitzfleisch als die Franken.

Ausgezeichnet war übrigens die französische Übertitelung, nicht nur wegen der gelungenen (leider anonymen) Übersetzung, sondern auch wegen der mit der Musik und dem Bühnengeschehen klug abgestimmten Textdarstellung.

Reto Müller (Besuchte Aufführung 28. Februar 2010)
(Vorabdruck aus «Mitteilungsblatt» der Deutschen Rossini Gesellschaft Nr. 50, April 2010)


[1] Aus meiner Besprechung von 2007 («Mitteilungsblatt» der Deutschen Rossini Gesellschaft Nr. 42, September 2007): Ein raffiniertes Spiel mit neun beweglichen Türrahmen schuf immer neue Situationen und Räume innerhalb der schicksalhaften Weite eines blau in blau mit dem Himmel verschmelzenden Ozeans, dessen in sich ruhende konstante Wellenbewegung ganz der ondulierenden Musik Desdemonas entsprach (freilich schien Del Monaco in dieser ganzen Konzeption den Chor vergessen zu haben: so ließ er ihn dann von Fall zu Fall, ganz in rot eingekleidet, auf einem versenkbaren Balkon auftreten). Evozierte dieses Bild keinen direkten Bezug zu Venedig, so taten es die Kostüme, welche gut die Patrizierzeit der Adriarepublik darstellten: Das Bühnenbild und die Kostüme verschmolzen zu einem Ganzen, das der Musik und dem Libretto entsprach. Neun Jago-Mimen fungierten als unheimliche Kulissenschieber und die Szene im letzten Akt, wo zwei Jago-Typen einen Türrahmen zum Sarg Desdemonas umfunktionierten, schien einer Schauergeschichte aus Les milles et un fantômes von Alexandre Dumas entnommen zu sein. Die Personenführung war akkurat, manchmal etwas manieriert und nicht immer ganz stimmig mit den Charakteren: der schicksalhaften Todesahnung, die Desdemona von Anfang an lähmt, schien mir Del Monaco mit der mädchenhaften Verspieltheit der Rollenzeichnung nicht gerecht zu werden; durch die unbedarfte Hochstilisierung Jagos als Verrätertyp und seines Briefes als Mittel zum Zweck beschränkte sich Del Monaco auf den Stoff von Shakespeare und Verdi, statt sich mit der eigentlich „Desdemona“ zu nennenden Oper von Rossini wirklich tiefgründig auseinanderzusetzen. Insgesamt aber eine in sich stimmige, gut gemeinte Inszenierung, die auf Provokationen verzichtete.

30. März 2009

Otello in Biel - oder Jago als Regisseur

Reto berichtet über eine Aufführung von Rossinis Otello mit einem vielversprechenden Baritenore.


Das Theater Biel Solothurn – es ist in dem deutsch-/französischsprachigen Städtchen Biel/Bienne am Jurasüdfuß ansässig, bespielt auch Solothurn und tourt regelmäßig durch einige Schweizer Kleinstädte – ist seit Jahren nicht nur ein Geheimtipp für Belcantofans, sondern auch eine Fluchtstätte für regiegeschädigte Opernliebhaber aus Basel, Luzern und anderen Orten, die mit sog. modernen Inszenierungen weite Kreise eines konventionsliebenden Publikums programmatisch fern halten. Die neuste Produktion, nichts Geringeres als Rossinis Otello, ist geneigt, die Belcantofans vollkommen zu befriedigen, die Inszenierung aber kritisch zu hinterfragen.

Regisseure brauchen ja angeblich immer einen „Schlüssel“ (Paul Esterhazy im Programmheft: „Ich suche bei jeder Inszenierung nach einem Schlüssel“) – es geht also nicht darum, das Stück einfach umzusetzen, wie es sich präsentiert, sondern eine Lesart zu finden, mit der diese Schöpfungsberufenen dem Stück ihren eigenen Stempel aufdrücken können. Was tun, wenn das Stück vermeintlich schwach ist? Man greift zu der abgenutzten Idee des „Theaters im Theater“, immer öfter nicht nur in der komischen sondern auch in der ernsten Oper, wo der Effekt dann umso drastischer ist. Unser Regisseur hat das Stück überhaupt nicht verstanden, weil er Shakespeare, Boito/Verdi und die englischen bzw. anglophilen Kritiker Byron und Stendhal zum Maßstab nimmt und mit den Konventionen von Rossinis Musiktheater scheinbar überhaupt nicht vertraut ist. So stellt er fälschlicherweise „das zentrale Thema Eifersucht“ und eine „seltsame Unbeholfenheit des Librettos“ fest. Esterhazy hat nicht realisiert, dass Rossini und Berio di Salsa das Grundmuster einer herkömmlichen Viererkonstellation mit einem festlichen Beginn (Ouvertüre) bis hin zum bitteren Ende als dramaturgisches Crescendo inszenieren, dessen Weg von den beiden ersten konventionellen Akten zum modernen dritten Akt Programm ist und wo die dramaturgische und musikalische Verbindung zwischen den Akten durch die eigentliche Hauptrolle, Desdemona, geschaffen wird, deren tragische Vorahnung ihres Schicksals im Zentrum steht. Statt diese spannende und eigentlich gar nicht so schwer zu erkennende Thematik als roten Faden aufzugreifen, zementiert Esterhazy alte Vorurteile einer „Unentschiedenheit zwischen Tragischem und Komödiantischem in Rossinis Musik“ und veräppelt das Stück mit metatheatralischen Gemeinplätzen.



Die Oper beginnt in Biel mit dem Finale: Kaum hat sich Otello umgebracht, ertönen Lautsprecheranweisungen, „Alles nochmals von vorne, wir tauschen jetzt die Tenorrollen zwischen Otello und Rodrigo aus“, und so beginnt die ganze Oper (selbstredend bei inszenierter Ouvertüre) von vorne als Probensituation des 1. und 2. Aktes, und nur der dritte Akt darf dann (als einziger „dramaturgisch schlüssig ausgearbeitet, sogar mit einer gewissen Nähe zu Shakespeare“) als richtige Inszenierung daher kommen. Während sich also der eine Tenor abschminkt und sich der andere schwarze Farbe ins Gesicht schmiert, räkelt sich die gelangweilte Sopranistin auf dem Bett und klopft sich der Sänger des Dogen bei jedem seiner fehlerhaften Auftritte auf die Stirn – wir fühlen uns dauernd an Donizettis Theaterulk Convenienze ed inconvenienze teatrali („Viva la mamma“) erinnert (der, nebenbei bemerkt, auch zwei Otello-Stücke parodiert) und nicht mehr an das exemplarische Meisterwerk, das Rossini selber in seiner tragischen Oper sah. Der vom Komponisten „musikalisch recht stiefmütterlich behandelte“ Jago bekommt endlich eine ihm würdige Aufgabe – er wird Regisseur! Ob der Intrigant, der alles um sich herum verleugnet, verrät und in den Abgrund reißt, auch als durchaus plausible Metapher des modernen Regisseurs gemeint war, bleibe hier dahingestellt.

Im Übrigen kennt Paul Esterhazy sein Handwerk (und nichts anderes verlangen wir von ihm!), wenn er gekonnte Auf- und Abtritte, eindrückliche Bilder (vor allem dort, wo er sich strikt – von ihm freilich ironisch gemeint – an konventionelle Gesten hält) und lebendige Chorbewegungen (Chapeau, auf der kleinen Bühne) schafft. Dazu kommt, dass ihm Pia Janssen „sozusagen eine ideale historische Operninszenierung“ (sie sagt es selbst!) mit klassischen Kostümen und herrlichen Bühnenbild-Versatzstücken schafft. Der ganze dritte Akt kommt in seiner, dem kleinen Theater angepassten schlichten und doch alle Illusionen weckenden Renaissance-Pracht so daher, wie man sich auch die ersten zwei gewünscht hätte! Ganz zum Schluss muss freilich der Regisseur nochmals seine Fratze zeigen, wenn – nachdem die ganze Oper ohne Darstellung roher Gewalt ausgekommen ist – nach Otellos Selbstmord ein Gondoliere hereinstürzt und mit einem Messer im blutüberströmten Rücken zusammenbricht.

Ach, und noch ein Genieblitz des Regisseurs darf nicht unerwähnt bleiben: Er bringt uns das ach so wichtige, unentbehrliche Taschentuch zurück, das dieser Ignorant von einem Berio di Salsa durch ein dümmliches Billett mit einer Haarlocke ersetzt hat, povero Shakespeare! Der Schatten von Otello (ein richtiger Schwarzer, ein älterer Herr mit charakteristischem Glatzkopf) schlurft immer wieder durch die Inszenierung und hebt das fatale Tuch mal vom Bühnenboden auf, mal legt er es wieder hin. Das stört nicht, ist aber auch nichts Weiteres als eine weitere überflüssige Duftnote des Regisseurs.

Meine Kritik zielt auf das Konzept, auf den „Schlüssel“ und auf die durchaus konventionell-bornierte Rossini-Rezeption, nicht so sehr auf die Umsetzung, die gegenüber etwa der im DRG-«Mitteilungsblatt» Nr. 46 besprochenen Baseball-Inszenierung in St. Moritz oder der Wiegandschen Türenknallerei in Weimar richtig genießbar ist. Dass die Inszenierung der Inszenierung im Heute spielte, war allenfalls an den Turnschuhen, dem Handy und der Blenderei durch Scheinwerfer zu bemerken, aber insgesamt wurde man kaum mit der ödesten aller Inszenierungsphantasien, der Gegenwart, konfrontiert. Freilich gab es auch Leute, denen das „Theater im Theater“ zu dumm war und die in der Pause gingen, oder solche, von denen man an der Garderobe hörte „schon lange nicht mehr so einen Blödsinn gesehen zu haben“, aber insgesamt kommt alles recht harmlos und durch die erwähnte großartige bühnen- und kostümbildnerische Leistung gemildert daher, so dass der musikalische Genuss nicht wirklich gestört wird.

Und der war ziemlich groß und für ein kleines Provinztheater alles andere als selbstverständlich. Violetta Radomirska (sie hatte ihr Rollendebüt als Desdemona bereits in St. Moritz) besitzt einen schön timbrierten und höhensicheren Mezzosopran, der sich in idealer Weise für die Sopranpartien eignet, die Rossini für Isabella Colbran geschrieben hat. Sie verfügt über die beseelte Mittellage, die dramatische Attacke und die Koloraturgewandtheit dieses ebenso dramatischen wie lyrischen Stimmtypus. Wenn sie als Figur insgesamt etwas blass blieb, lag das an der Inszenierung, die das Geschehen rossinifremd (siehe oben) auf die Tenöre fokussierte.

Raimund Wiederkehr spielte nicht nur die ihm auferlegte Rolle des nervenden Regisseurs überzeugend, er sang auch die Tenorpartie des Jago prächtig. William Lombardi, nicht immer perfekt intoniert und bei den Spitzentönen manchmal gefährlich am Abgrund, war insgesamt ein überzeugender Rodrigo, der seine Partie mit dem passenden Anstrich von leidendem Schmelz sang. Anders als es die Inszenierung suggerierte, sind die von Rossini für Giovanni David (Rodrigo) und Andrea Nozzari (Otello) komponierten Tenorrollen keineswegs einfach so austauschbar; Lombardi verfügt über jene helle, hoch liegende Tenorino-Stimme, die den so wichtigen Gegensatz zu dem dunkel gefärbten Baritenore schafft. Letzterer, unter dem Namen Oscar Roa, war die eigentliche Entdeckung des Abends. Aussehen, Attitüde, Stimmtimbre und Stimmführung des Mexikaners erinnern an seinen Landsmann Francisco Araiza, dessen Meisterklassen er besucht hat. Exponierte sich Araiza noch nicht in den schweren Nozzari-Partien (damals die Domäne von Chris Merritt), könnte sein Schüler Roa heute ein Hoffnungsträger für dieses weitgehend brach liegende Fach werden. Die Stimme ist etwas heller und vor allem nicht so nasal wie in gewissen Lagen bei Araiza. Roas Koloraturen scheinen nicht eine naturgegebene Gabe seiner Stimmbänder zu sein, aber sie zeugen von einer soliden Gesangsschule, die freilich gepflegt sein will, um nicht in der Sackgasse des romantischen Fachs zu landen. Auch die Stimmführung bezeugt einen höchst intelligenten, gepflegten Belcantostil. Während Lombardi im Tenorduell/duett mit seinem abenteuerlich angesungenen Spitzenton fast Schiffbruch erlitt, demonstrierte Roa einen zwar ebenfalls kühn angegangenen, aber perfekt und ausgesprochen lang ausgehaltenen Spitzenton, dem er die pièce de résistance einer jeden Nozzari-Partie folgen ließ, nämlich den atemberaubenden Doppeloktavsprung nach unten. Diese tiefe Baritonlage sollte er noch festigen, aber das Material und die technischen Voraussetzungen sind da für einen neuen Nozzari!

Weniger überzeugen konnte mich Ingrid Alexandre, die lauthals eine Emilia ohne große Differenzierung vortrug, was in ungefähr auch für Yongfan Chen-Hauser galt, der dem Elmiro freilich eine mächtige Bassstimme verlieh. Adäquat für ihre kurzen Auftritte waren die weiteren Tenöre Konstantin Nazlamov (Doge und Gondoliere, hier mit etwas viel Vibrato) und Valentin Vassilev (Lucio). Letzterer hat auch den vorzüglichen Chor einstudiert, der eine schöne, kompakte Klangfülle produzierte. Erstaunlich gut kam auch der auf den Bieler Orchestergraben reduzierte Klangkörper zur Geltung, u.a. mit noch perfektionierbaren „Hornkoloraturen“ in der Einleitung des Duettinos Desdemona-Emilia und mit berückend schönen Harfenklängen in der Weidenarie. Während der Ouvertüre schien mir das Dirigat von Franco Trinca ziemlich zäh und schwer, vielleicht hatte er die Absicht, der federnden, festlichen Musik einen dramatischen Anstrich zu verleihen. Im übrigen ließ er keine Langeweile aufkommen, die dramatischen Ensemblenummern waren von großer Wirkung, und zu den musikalischen Glanzpunkten gehörten das Duett Jago-Rodrigo, die beiden Largo-Stücke im Finale I und das große Duett-Terzett im zweiten Akt. Es gab Kürzungen, die einigermaßen subtil vorgenommen wurden und die Gesamtdauer der Oper (inkl. Pause) auf ca. 2 Stunden 50 Minuten brachten. Die Übertitel auf Deutsch und Französisch waren weitgehend exakt und sauber gemacht. Eine halbe Stunde vor Beginn gibt es jeweils eine Einführung der Dramaturgin Merle Fahrholz, die offenbar einem Bedürfnis des Publikums entspricht und dieses auch mit den wichtigsten, wenn auch nicht immer korrekten (und mehr oder weniger auf der Linie der Regie liegenden) Informationen bediente.

Weitere Aufführungen in Biel/Bienne: 31. März, 3, 7, 17. April, 3, 6. Mai, 5, 14, 18, 20, 21. Juni; in Solothurn: 15, 24. April, 20, 28, 30. Mai, 7, 12. Juni; in Winterthur: 29. April; in Burgdorf: 14. Mai; in Baden: 16. Mai; in Visp: 23. Mai; in Vevey: 9. Juni 2009.

Reto Müller (Besuchte Aufführung: Premiere vom 27. März 2009)

Vorabdruck aus «Mitteilungsblatt» der Deutschen Rossini Gesellschaft, Nr. 47 (April 2009)
Fotos: Theater Biel Solothurn

Bei Youtube gibt es bereits eine ganze Reihe Videos mit Oscar Roa, - hier ein Beispiel:




24. Juli 2008

GIOACHINO ROSSINIS "OTELLO" in Wildbad

Zum 20-jährigen Bestehen des Belcanto Opera Festivals „Rossini in Wildbad“ gab es 2008 erstmals die Oper "Otello"

Vor einem düsteren Hintergrund spielt sich inmitten von Pfählen, die einige an Weidenruten, andere an Pfosten erinnerten, an denen in den Kanälen der Lagunenstadt Venedig die Gondeln festmachen, das bekannte Eifersuchtsdrama ab. Eigentlich müsste das Stück „Desdemona“ heißen, denn anders als bei Shakespeare steht die Zerrissenheit der Frau (Desdemona) zwischen Vater (Elmiro) und heimlichem Gemahl (Otello) im Vordergrund und verdrängt fast die Intrigengeschichte um den Mohren.

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In der Oper wird Otello von einem Tenor gesungen, ebenso sein Widersacher Jago, hinzu kommen in der gleichen Stimmlage Rodrigo und nicht zuletzt im dritten Akt der kurze, aber effektvolle Gesang des unsichtbar bleibenden Gondoliere aus der Ferne. Weitere Tenöre sind Otellos Vertrauter Lucio und der venezianische Doge. So haben wir insgesamt sechs Tenöre in dieser einzigartigen Oper. Es bedarf schon der Meisterschaft eines Rossini, um so viele hohe Männerstimmen in einer Weise zusammenzuführen, dass nicht ein langweiliger weichlicher Wohlklang entsteht, sondern höchste Spannung. Die Tenorlagen sind in der Tessitura nicht einheitlich, sondern trotz gleichen Lagebereichs durch Abstufungen – Baritenore, hoher Tenor – gekennzeichnet. Neben den Kompositionsmerkmalen bewirkt diese Lagendifferenzierung zusätzlich, dass der Gesang in den Ensembleszenen deutlich vielstimmig bleibt und die Personen unterschiedlich charakterisiert werden.

Rossinis Oper inspirierte den jungen Dichter Wilhelm Hauff zu der gleichnamigen Erzählung „Othello“. Diese erschien 1826, zehn Jahre nach der Uraufführung der Oper in Neapel. Zu der Zeit war die Oper schon in ganz Europa berühmt und sollte das noch für lange Zeit bleiben.

Kein Wunder, dass der Romantiker Hauff besonders das – von einem Wellenmotiv in den Streichern eingeleitete - wehmütige Lied von der Weide behandelt, das Desdemona im dritten Akt in ihrem Schlafzimmer singt, kurz bevor der wütende Otello eindringt.

Ausdrucksvolle Harfenklänge begleiten sie, bevor sie ins Stocken gerät und ihr Lied nicht mehr zu Ende führen kann. In frühen Sängerinnenportraits wird Desdemona gerne an der Harfe sitzend abgebildet, und dieses Bild gibt auch Hauff wieder: …“sanft, arglos wie ein süßes Kind sitzt sie an der Harfe“…

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Michael Spyres sang mit dunklem Timbre kraftvoll die Otello-Koloraturen. Er war bereits 2007 als Alberto in „La gazzetta“ bei „Rossini in Wildbad“ aufgetreten. Ein Tenor, der ganz sicher eine große Karriere vor sich hat. Jessica Pratt als Desdemona überzeugte ebenfalls. Sie hat alles, um in dieser Rolle zu glänzen: makellose Rossini-Technik in Forte- wie in Piano-Passagen, eine weiche Stimme, die auch in der Tiefe schön klingt, und große Ausdruckskraft, die in dieser Rolle notwendig ist. Filippo Adami meisterte kraftvoll die halsbrecherische Partie des Rodrigo. Ausgestattet mit einer hellen, etwas harten Stimme könnte man ihn als „weißen Tenor“ einstufen. Als Gondoliere sang Leonardo Cortellazzi die Vertonung von Dantes Versen über den Schmerz, den die Erinnerung an schöne Momente des Lebens bei dem Leidenden hervorruft, mit einer Ausdruckskraft, wie ich sie bisher noch nicht gehört habe. Auch sämtliche anderen Sängerinnen und Sänger verdienen großes Lob: Geraldine Chauvet als Emilia, Sean Spyres als Doge, Hugo Colin als Lucio, Ugo Guagliardo als Elmiro und schließlich Giorgio Trucco in der Rolle des Jago, wobei Letzterer als Kokain schnupfender Fiesling neben dem allmächtigen Dogen eine Atmosphäre von ständiger Gefahr zu verbreiten wusste. Als „Vocal Coach“ zeichnet sich Raul Giménez aus.

Besonderes Lob verdient auch der süchtig machende Chor, der Philharmonische Chor Transilvania Cluj, Leitung Cornel Groza. Nicht zuletzt gefiel die Berliner Kostümbildnerin Claudia Möbius mit einem zauberhaften grau-weiß plissierten Brautkleid für Desdemona. Sie hat auch die Gewänder für den diesjährigen „Don Giovanni“ von Pacini in Bad Wildbad geschaffen.

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Annette Hornbacher als Regisseurin merkt man die Erfahrung mit der kleinen Bühne des Kurhauses an. Sie nutzt sämtliche Möglichkeiten der Spielstätte, so dass man letztlich vergessen kann, dass hier große Oper auf begrenztem Raum geboten wird. Ihre düster-prächtige Inszenierung mit tollen Lichteffekten (Beleuchtung: Michael Feichtmeier, Sebastian Götze, Frieder Keller) hebt sich deutlich von der letztjährigen Otello-Inszenierung in Pesaro ab. Dort mediterranes Flair mit lichten blauen Wellen, hier eine „dämonische“ Renaissancewelt in Grau, Schwarz und Blutrot. Nur die „Zweige“ oder „Stecken“, in denen sich die Darsteller wie in ihren übermächtigen Gefühlen „verirren“, zeigen einen Hauch von bleicher Natur.

Viele Opernbesucher, die wohl den Verdi-Otello kannten, nicht aber die gleichnamige und viel frühere Oper von Rossini, waren sich einig, dass dieser Otello ihr bisheriges Rossini-Bild verändert hat. Sie erlebten ein fast wuchtig zu nennendes Operndrama, kein Schäkern zwischen den Geschlechtern wie beim „Barbier von Sevilla“ und kein glücklich endender Liebeszauber à la „Cenerentola“, sondern Kampf- und Gewitterszenen, die die wenigen lyrischen Momente schroff und gewaltsam unterbrechen, schließlich auch kein „happy end“, das damals fast obligatorisch für den Erfolg einer Oper schien.

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Bei fast allen Festivalproduktionen spielte mit viel Schwung das tschechische Orchester Virtuosi Brunensis, das von Karel Mitas geleitet wird. Sämtliche Pulte sind mit hervorragenden Könnern besetzt. Fast alle Mitglieder des Orchesters sind noch sehr jung.

Das Dirigat lag in den Händen von Antonino Fogliani, der in der Ouvertüre auf unangenehmes Glissando und Effektheischerei bei den ersten Violinen verzichtete. Er dirigiert einerseits deutlich, temperamentvoll und mit vollem Körpereinsatz, andererseits aber auch mit Seele; er lässt den Solisten den notwendigen Spielraum, um zu interpretieren und auszusingen.

Autorin: Astrid Fricke, Mitwirkung Dieter K.und esg; besuchte Vorstellungen am 17. und 19. Juli 2008

15. Juli 2008

Bad Wildbad aktuell


Quelle: http://www.der-neue-merker.eu/mod,content/id_content,1/id_menuitem,1


ROSSINI IN BAD WILDBAD: Otello ist weiss

Die dritte Jubiläums-Premiere des Festivals, Rossinis „Otello“, unter der musikalischen Leitung von Antonino Fogliani und in der Regie von Annette Hornbacher verspricht viele Überraschungen.Neben den Rollendebuts der beiden Hauptdarsteller Michael Spyres als Otello und Jessica Pratt als Desdemona ist es vor allem das Regiekonzept von Annette Hornbacher, das Spannung verspricht. In ihrer nunmehr sechsten Inszenierung einer Rossini-Oper beschäftigt sie sich mit dem Thema der Ausgrenzung. Sie versteht diese in vielfältiger Hinsicht und keineswegs an Rassismus und einen farbigen Otello gebunden.In ihrer Inszenierung lässt Hornbacher bewusst offen, in welcher Welt sich Otello bewegt. Sind die Venezianer eine reiche und kultivierte Patriziergesellschaft? Oder handelt es sich eher um eine mafiöse Halbwelt? Letzteres liegt nahe, da alle Figuren in der Oper in Machtintrigen verstrickt sind. Ist Otello also Befehlshaber eines idealen Staatengebildes – oder eher ein Söldner zwielichtiger Bosse?Eine Besonderheit der Rossini Oper besteht darin, dass Otello musikdramaturgisch schwächer gewichtet ist als Desdemona, deren differenzierte Gefühle und Leiden im Mittelpunkt von Rossinis Interesse stehen. Um Desdemonas Liebe ebenso wie den plötzlichen Hass Otellos plausibel zu machen, betont die Inszenierung daher, dass Otello wie Desdemona unter der systematischen Ausgrenzung aus der venezianischen Machtwelt leidet. Wie Desdemona, die von ihrem Vater für eine politisch einträgliche Heirat mit dem Sohn des Dogen vorgesehen ist, wird Otello zum Spielball der Mächtigen. Beide, Otello und Desdemona, sind Opfer einer von Intrigen und Machtspielen beherrschten Welt, in der Otello nur einen Trumpf hat: seine Überlegenheit als Kämpfer.Die Ausstattung liegt wie bei der „Italienerin in Dubai“ in den Händen der langjährigen Festival-Mitarbeiterin Claudia Möbius. Die Berliner Kostüm- und Modedesignerin hat seit 2002 mehr als 20 Produktionen in Wildbad verantwortlich betreut und gestaltet in ihrer vierten gemeinsamen Arbeit mit Annette Hornbacher die prägnanten Kostüme. Der junge Berliner Bühnenbildner Anton Lukas zeichnet für den in seiner Kargheit überzeugenden Unterweltsraum verantwortlich, der Hannoveraner Lichtdesigner Markus Knoblich sorgt für die bewusst spärliche, stimmungsvolle Beleuchtung.Zitate zu „Otello“ aus Rossinis BriefenAzione interessantissima // Spannende Handlung (21. Mai 1816)Sto travagliando nell’Otello, cosa difficile ma sicuro d’effetto (08. Okt 1816)Ich schlage mich mit ‘Otello’ herum, ein schwieriger aber effektvoller Stoffca capo d’opera – una cosa tanto classica (09. Dez 1816, über die Uraufführung)Ein Meisterwerk – eine klassische Sache.


Festival „Rossini in Wildbad“ mit Pacini-Rarität: “DON GIOVANNI" von Giovanni Pacini (Vorstellung am 12. 7. 2008)

Das 20. Belcanto Opera Festival „Rossini in Wildbad“ brachte auch heuer wieder eine bemerkenswerte Rarität: „Don Giovanni ossia Il convitato di pietra“ von Giovanni Pacini (1796 – 1867), dessen Uraufführung im Jahr 1832 in privatem Rahmen in der Casa Belluomini in Viareggio erfolgte. Wohl auch deshalb, weil Pacinis Schwester Claudia seit 1823 mit Antonio Belluomini verheiratet war, der später der Arzt der legendären Sängerin Maria Malibran wurde. Da nicht bekannt ist, ob es seither jemals eine Aufführung dieser Oper gab, könnte die Premieren-Vorstellung im Kurtheater von Bad Wildbad am 4. Juli die erste öffentliche Aufführung gewesen sein. Allein unter diesem Aspekt muss die Idee der Festspielleitung – die künstlerische Leitung liegt in den Händen von Jochen Schönleber –, dieses außerhalb Italiens völlig unbekannte Werk szenisch aufzuführen, gewürdigt werden. Wenn dann noch die musikalische Qualität stimmt, wie in Bad Wildbad, darf von einer kleinen Opernsensation gesprochen werden.

Pacini, der von seinen Zeitgenossen sehr geschätzt wurde – seine reiche Erfindungsgabe und melodische Kraft brachten ihm den Beinamen „maestro della cabaletta“ ein –, schrieb anfangs im Stil der Opera buffa Rossinis, später im Stil Bellinis. Und beide Komponisten sind aus der Partitur des „Don Giovanni“, die virtuosen Belcanto-Gesang höchster Güte erfordert, herauszuhören. Der Librettist dieses Werks ist unbekannt, der Inhalt der Oper mit jener von Mozart fast identisch. Nur dass Don Giovannis Diener nicht Leporello, sondern Ficcanaso heißt, keine Donna Elvira vorkommt und die Stimmlagen mancher Personen anders sind. So ist beispielsweise Don Giovanni ein Tenor und Donna Anna ein Mezzosopran.

Die Inszenierung von Anke Rauthmann lässt die Oper in der Sommerresidenz einer italienischen Familie spielen, wobei fast alle Darsteller Mitglieder dieser Familie sind: der Vater als Oberhaupt spielt den Diener Ficcanaso, der Sohn den Don Giovanni, seine Ehefrau Donna Anna. Ein Freund der Familie wird als Duca Ottavio ins Spiel geholt, dessen Schwester ist die junge Braut Zerlina, ihr Freund Masetto. Im Verlauf der Vorstellung vermischen sich Spiel und Realität, die Grenze zwischen Theaterrollen und dem Familienleben verschwimmen, alle Beteiligten erfahren etwas über sich selbst …

Für die Bühne des ehemals Königlichen Kurtheaters Bad Wildbad (ein bauliches Kleinod) zeichnete Britta Blanke verantwortlich. Es gelang ihr mit einfachen Mitteln, die Atmosphäre einer Sommerresidenz einer italienischen Familie einzufangen, die modernen Kostüme entwarf Claudia Möbius.

Leonardo Cortellazzi in der Titelrolle überzeugte durch südländische Verführungskünste, wobei ihm sein einschmeichelnder, angenehm klingender Tenor sehr zustatten kam. Als sein Diener forcierte Giulio Mastrototaro seinen kräftigen Bassbariton zu stark, was sich in dem kleinen Haus eher ungünstig auswirkte. Bravourös die junge schmächtige Zinovia-Maria Zafeiriadou als Zerlina, die nicht nur bezaubernd aussah, sondern ihre Rolle schauspielerisch und gesanglich hervorragend meisterte. Ihr heller Sopran perlte höhensicher, ohne je schrill zu werden und übertraf in den Ensembleszenen alle anderen Protagonisten. Mit Recht erhielt sie einige „Brava-Rufe“. Hier reift eine Sängerin heran, der man eine Karriere auch an größeren Häusern voraussagen kann. Geraldine Chauvet als Donna Anna hatte es da nicht leicht, bewältigte aber ihre Rolle und ihre Arien gut. Überzeugend Ugo Guagliardo, der den eifersüchtigen Masetto blendend spielte und mit tiefem, wohlklingendem Bass sang. Dazu gab er noch die in dieser Inszenierung veränderte Rolle des Commendatore, der von Don Giovanni nicht getötet, sondern „bloß“ verletzt wird, ihn aber dennoch zur Hölle wünscht. Giorgio Trucco als Duca Ottavio blieb trotz guter Stimme ein wenig farblos. Köstlich hingegen Kornelia Gocalek als Hausmädchen und Krankenschwester, die bei einem Wettbewerb für Theaterschulen in Moskau den Preis für die „beste körperliche Performance“ erhielt. Eine mit Sicherheit verdiente Auszeichnung. In einer Opernvorstellung zwei stumme Rollen so überzeugend und witzig zu spielen, hat Seltenheitswert! Der Philharmonische Chor Transilvania Cluj (Leiter: Cornel Groza) rundete die guten Leistungen des gesamten Ensembles ab.

Die Leitung des Südwestdeutschen Kammerorchesters Pforzheim hatte Daniele Ferrari inne, der dieses musikalische Kammerwerk wie große Oper spielen ließ. Oftmaliger Szenenapplaus und viele Bravi-Rufe für die Sängerinnen und Sänger sowie den Dirigenten zeigten, wie sehr das Publikum von der Vorstellung begeistert war. Vom Rezensenten ein „Bravo!“ für die Festspielleitung, diese musikalische Kostbarkeit ausgegraben zu haben.

Udo Pacolt, Wien – München


Rossini in Wildbad : „L’ITALIANA IN ALGERI“ in konzertanter Vollendung 5.7.2008

Im 20. Jahr seines Bestehens startete das Festival im Nordschwarzwald mit einem wahren Paukenschlag. Maestro Alberto Zedda (in der Februar-Ausgabe anlässlich seines 80. Geburtstags ausführlich gewürdigt) trat neben einigen halbszenischen Produktionen nach „La Cenerentola“ und „La donna del lago“ zum dritten Mal ans Pult für eine konzertante Aufführung, die nur durch den Aufhänger für einen CD-Mitschnitt mit einer hochkarätigen und den Etat des Festivals sprengen würdenden Besetzung möglich ist und landete damit wieder einen Triumph des moussierenden Rossini-Witzes. Bei einem solchen Vollblut-Musiker wird kein Bühnenbild und kein Kostümaufwand benötigt, um eine Handlung und ihre Situationen zu verorten. Zumal wenn es sich um eine Buffa dreht, bei der entsprechende Sänger auch hinter ihren Notenpulten dem Drang zum Spielen oder zumindest zum mimischen Kontakt kaum widerstehen können. Was sich an diesem Abend auf der kleinen Bühne an vis comica, an gegenseitigem Bälle-Zuwerfen abspielte, steigerte die ohnehin schon jubelnswerte musikalische Komponente zum vollendeten Musiktheater. Übertitel wären somit selbst für kein Wort Italienisch verstehende Besucher überflüssig gewesen, die Deutlichkeit der körpersprachlichen Details überbrückte jede Verständnis-Barriere.
An der Spitze der Solisten stand Marianna Pizzolato in der Titelrolle mit einer Stimme, die vom Kontraalt über den sinnlich dunklen Mezzo bis zur fast hell sopranigen Höhe gleich mehrere Stimmfächer in sich vereinigt und damit der Partie der Isabella in jeglicher Lage voll gewachsen ist. Weit gespanntes Legato, flexibles Parlando, locker attackierende Koloratur – alles scheint dieser dazuhin mit aparter fraulicher Ausstrahlung, Charme und Witz gesegneten Künstlerin spielerisch ohne störende Gangschaltungen zu entströmen. Daß sie alle diese Vorzüge nicht nur für ihr eigenes Wirken nutzt, sondern sich bei der ersten Begegnung mit Mustafa ihrerseits geschmeichelt fühlt, zeigt ihre gestalterische Fähigkeit, dürfte aber auch an der humorvoll sympathischen Präsenz von Lorenzo Regazzo als Bey von Algier liegen. Der schon mehrfach in Bad Wildbad zu Gast gewesene Koloratur-Baßbariton mit einer ausgeglichen runden und fülligen Tongebung vom Keller bis zum Dach lebt die Rolle in jeder Phase seines pointenreichen Mienenspiels und seiner spontanen Reaktionen auf die Partner. Kaum zu glauben, dass sich dieser so großsprecherisch aufplusternde Renegat letztlich als Pappataci außer Gefecht setzen läßt. Eine ebenso prall lebendige Charakterstudie gibt der hauptsächlich auf die Opera buffa spezialisierte Neapolitaner Bruno De Simone als Taddeo. Kein Jammerlappen, kein Trottel, sondern ein feinsinniger, gewitzter Mann, wenn auch verzweifelnd doch Herr der Lage, steht da auf der Bühne und erschließt dieser gerne lächerlich gezeichneten Figur eine ganz neue Dimension. Die Durchsetzungskraft seines kernigen und akkurat aussingenden Organs unterstützt dies noch in vokaler Hinsicht.
Der ziemlich schnell bekannt gewordene amerikanische Tenor Lawrence Brownlee rechtfertigte den ihm vorausgeeilten Ruf durch seine außergewöhnlich dunkel grundierte, präzise geführte Stimme, für die schnelle Fiorituren und die berüchtigt exaltierten Höhen kein Problem darstellen und die fähig ist, alles Extreme natürlich in die Melodielinie miteinzubinden. Sein Lindoro klebte zwar gelegentlich etwas mehr an den Noten, ließ sich aber durch die Ausgelassenheit seiner Mitstreiter schließlich auf ein freieres und den Spaß mittragendes Agieren ein.
Giulio Mastrototaro umreißt den algerischen Korsarenkapitän Haly in der Kürze seiner Rezitative und seiner über die Frauen Italiens Ressumée ziehenden Kavatine auf ebenso prägnante wie trocken komische Weise.
Ruth Gonzalez kleiner, aber durchsetzungsfähiger und das Stretta-Finale des 1.Aktes gar so volltönend übersingender Sopran, dass sich der neben ihr stehende Regazzo (Mustafa) bei der als Zugabe erfolgten Wiederholung erschrocken die Ohren zuhält, ist als Elvira ein kleines Temperamentsbündel, das es dem Bey bestimmt nicht leicht gemacht haben dürfte, andererseits diesen letztlich doch glücklich stimmen sollte, zu einer solch lebenslustigen Frau wieder zurückzukehren. Elsa Giannoulidou stand ihr mit angenehm klingendem Mezzo als Zulma hilfreich zur Seite.
Mit dem Philharmonischen Chor Transilvania Cluj hatten die Veranstalter diesmal eine besonders klangvolle Sängervereinigung engagiert, deren dynamische Flexibilität an lauter erfahrene Solisten denken ließ.
Noch einmal zurück zu Alberto Zedda: diesmal profitierten die sich ganz schnell frei spielenden Virtuosi Brunensis von seinem pfiffigen Zugriff, dem Auskosten kleiner solistischer Akzente, dem mit einem überraschend plötzlichen Kick angetriebenen Rädchen des An- und Abschwellens, des bei aller Ausgelassenheit kontrollierten Ineinandergreifens von Rhythmus und Melodie.
Allen trübsinnigen, depressiven oder schwarzsehenden Zeitgenossen kann diese Medizin nur empfohlen werden. Denjenigen, die nach der Aufführung noch Gaumenfreuden von Sternekoch Harald Wohlfahrt bei einem Rossini-Diner genossen haben, dürften die Köstlichkeiten wie Champagner durch den Magen gegangen sein.
Alles in allem: ein Freudenfest dies- und jenseits des Podiums.

Udo Klebes

25. Februar 2008

Vorfreude auf Bad Wildbad 2008...


... und auf Michael Spyres als Otello!




Der junge Tenor startet nach seinem Erfolg in "La gazzetta" 2007 in Bad Wildbad - hier noch einmal das Video - eine vielversprechende Karriere:

"For the 2008/2009 season Michael Spyres will be member of the Deutsche Oper Berlin, where he will be making his debut as Tamino in Die Zauberflöte and also appear as Steuermann in Der fliegende Holländer, Arturo in Lucia di Lammermoor...." mehr im Beitrag "Bad Wildbad und Pesaro junge-karrieren.html"
Von Händel bis Offenbach: Videos_bei_youtube.com/

30. September 2007