8. Dezember 2011

G. F. Händels Oper "Giulio Cesare" begeisterte in Braunschweig

Einen derartigen Beifallssturm nach Ende einer Oper habe ich im Braunschweiger Staatstheater noch nicht erlebt.  Das Publikum "tobte" begeistert, applaudierte stehend und wurde sogar mit einem Dacapo belohnt. Dabei handelte es sich um eine Barock-Oper, von der man diese Reaktion nicht erwartet hätte: Händels Oper "Giulio Cesare", die konzertant im Rahmen des Festivals Soli Deo Gloria aufgeführt wurde.

Lag es daran, dass die Braunschweiger Opernfreunde mit Barock-Opern in der Vergangenheit nicht gerade verwöhnt wurden, lag es an der besonders gelungenen und mit Spitzenkräften besetzten Aufführung oder daran, dass auch auswärtige Opernfans den Weg nach Braunschweig gefunden hatten? Sicherlich spielte alles eine Rolle.

Wir erinnern uns, dass in Braunschweig schon am 15. Mai 2009 die in Vergessenheit geratene Händel-Oper "Arianna in Creta" von einem hochkarätigen Solistenensemble (u.a. Kristina Hammerström, Miah Person, Sonia Prina)  ebenfalls konzertant dargeboten wurde und auch damals beim Publikum begeisterte Aufnahme fand. Für den Rezensenten war das "Händel vom Feinsten" (Mitteloge).

Beide Händel-Opern fanden als Gastspiele im Rahmen des Festivals Soli Deo Gloria statt, das jährlich unter der Verantwortung von Günter Graf von der Schulenburg im Braunschweiger Raum stattfindet (siehe auch Opernnetz).

Die Oper "Giulio Cesare" wurde am 27. November 2011 vom Ensemble Il Complesso Barocco unter Leitung von Alan Curtis aufgeführt. Im Repertoire dieser Barockspezialisten befinden sich derzeit die Händel-Opern Ariodante, Deidamia, Giulio Cesare; ihre Tournee führt sie durch ganz Europa (hier alle Termine und Orte). In Deutschland wird man diese Gruppe also nur in Braunschweig wiederhören können: "Deidamia" am 26. Jan. 2012 und "Ariodante" am 11. März 2012 u.a. mit Joyce DiDonato, die wir gerade in Mailand in der "La Donna del lago" bewundern durften.
Marie Nicole Lemieux als Cesare u. Karina Gauvin als Cleopatra Foto: Greiner-Napp (BZ) 

Im Vergleich zur "Arianna in Creta" war die konzertante Darbietung des “Giulio Cesare” wesentlich gelungener. Ein minimales, aber angenehmes Bühnenbild mit drei Säulen vor einem blauen Hintergrund, das davor agierende Orchester und die an den beiden Seiten platzierten und dort auf ihren Auftritt wartenden Solisten bestimmten den äußeren Rahmen. Das Verständnis für die Handlung wurde nicht nur durch eine gute Übertitelung, sondern vor allem durch die halbszenische Darbietung der Solisten sehr gefördert.

Besonders hervorzuheben ist Marie Nicole Lemieux (Alt) in der Rolle des Caesar. Ihren wunderbar dargebotenen Arien gibt sie starken gestischen Ausdruck. Manchmal zuckt der ganze Körper. Ein Rezensent schrieb treffend “Die Lemieux rockt den Caesar, dass es einen hinreißt”.

Aber auch die anderen Solisten waren herausragend, Karina Gauvin (Sopran) als Cleopatra mit beeindruckenden Koloraturarien, Filippo Mineccia (Countertenor) der Tolemeo, den fiesen Gegenspieler Caesars, auch gestisch sehr gut verkörperte, Romina Basso (Mezzosopran), die die Klage der Cornelia sehr überzeugend zum Ausdruck brachte und Emöke Barath (Sopran), die sich als Sesto, Sohn der Cornelia, für die Ermordung ihres Vaters rächen will. Dass gerade diese Rolle von einer Frau und dazu noch im Abendkleid gesungen wurde, war unerheblich, da der Gesang das Wesentliche überzeugend ausdrückte.

Das folgende Video von der Aufführung in Wien zeigt alle Solisten des Giulio Cesare, da die Besetzung in Wien und Braunschweig gleich war.


Das Orchester Il Complesso Barocco, das von seinem Leiter, dem berühmten Barockspezialisten Alan Curtis souverän geführt wurde, zeigte sein hohes Können. In diesem Video mit der Ouvertüre zu Ariodante werden Alan Curtis und das Orchester präsentiert.

Trotz aller Begeisterung über dieses Fest der schönen Stimmen wird man dem Rezensenten Andreas Berger wohl eher zustimmen müssen, wenn er schreibt: “Von einer Händel-Renaissance wird man aber erst sprechen können, wenn die Stadt- und Staatstheater selbst wieder Händel-Opern spielen, und zwar als inszeniertes Gesamtkunstwerk” (Kritik vom 29. November 2011 in der Braunschweiger Zeitung).
Opern- und Barockliebhaber sollten sich die noch kommenden Highlights in Braunschweig nicht entgehen lassen und sich akustisch und optisch schon auf die Opern Deidamia (26. 1. 2012) und Ariodante (11. 3. 2012) einstimmen.
Karten für die Opern sind telefonisch über Soli Deo Gloria (0531-16606) und online über CmTicket erhältlich. Ein vergünstigtes Abo für beide Opern ist nur telefonisch buchbar (01805 544888). Kontakt: karten@soli-deo-gloria.info 
Reiner Fricke

13. November 2011

Rossinis „La donna del lago” an der Mailänder Scala

„La donna on tour“ - und jedes Mal mit dabei sind DiDonato, Barcellona, Flórez, Orfila sowie der Dirigent Abbado. Lluís Pasquals Inszenierung ist für drei Städte konzipiert, nämlich letztes Jahr Paris, heuer Mailand und 2012 London.
Titelseite des Mailänder Programmheftes
„La donna del lago“ gilt als Rossinis romantischstes Werk. Als Erster wählte er einen Stoff nach Walter Scott, welcher der Romanliteratur durch eine gefühlvolle Schilderung von Ereignissen der mittelalterlichen Ritterzeit nachhaltig einen romantischen Touch gab. Scott regte so etliche Komponisten nach Rossini zur Vertonung derartiger Stoffe an.

Ort der Handlung ist ein idyllischer See in Schottland. Einige Clanführer wollen sich gegen den schottischen König erheben. Dieser bereist als Uberto inkognito das feindliche Gebiet. Am Ufer des Sees trifft er auf Elena und verliebt sich heftig in sie. Elena, die Frau vom See, ist die Tochter von Douglas, einem der Führer der Aufständischen. Sie soll vom Vater mit dem Heerführer Rodrigo als Preis für militärische Unterstützung vermählt werden. Elena jedoch fühlt sich ihrer Jugendliebe Malcolm verbunden. Daher hat Uberto bei ihr keine Chancen. Er hält sich zurück und überreicht seiner Liebe einen Ring, den sie im Falle der Not dem König von England übergeben soll. Hilfe sei ihr dann gewiss. Der Krieg bringt Rodrigo den Tod, Douglas und Malcolm die Gefangenschaft. Um Hilfe bittend überreicht Elena den Ring Uberto, der sich danach als König von Schottland zu erkennen gibt. Er lässt Douglas und Malcolm frei. Der Vermählung von Elena mit Malcolm steht nichts mehr im Wege.

So weit vordergründig die Geschichte, wäre da nicht der Skeptiker Rossini, der eine abweichende Deutung der Handlung nahelegt. Aufgezeigt wird dies durch die Szenengliederungen und die Musik im Duett Elenas mit Malcolm, in den Treffen mit Uberto und im Finale 2. Danach ist Elena längst nicht so unbeeindruckt von der Liebe des schottischen Königs geblieben, wie sie vorgibt. Vielmehr verhindern es die dramatischen äußeren Ereignisse, dass sich eine aufkeimende Zuneigung entwickeln kann.

Letztendlich unvermittelt vor die Notwendigkeit gestellt, Vater und Jugendfreund retten zu müssen, trifft Elena die „falsche“ Entscheidung, indem sie Ubertos Hand ausschlägt. Ihre Vermählung mit Malcolm dürfte ihr wohl nicht das erhoffte Glück bringen. Dies wird in Musik und Text deutlich: Auf Elenas „Glückseligkeit“ intoniert der Chor mehrfach „Widrigkeit“. In dieser Lesart wird auch klar, dass im Libretto die Überquerung des Sees mehr ein Sinnbild als ein Stimmungsbild sein soll. Das Rudern über den See symbolisiert die zeitliche Entwicklung eines jungen Mädchens zur Frau.
An solch eine abweichende Ausdeutung hat offensichtlich auch Lluís Pasqual mit seiner Inszenierung angeknüpft. Da finden sich keine romantischen Genrebilder mit schottischen Seen und Bergen, keine rudernde Frau oder malerische Kostümierungen von Druiden, Soldaten und Landvolk. Ein Halbrund korinthischer Säulen, mittig zu öffnen, bildet das räumliche Grundgerüst. Ein Öffnen des Halbrundes lässt mal in eine Gebirgslandschaft, mal in eine nicht definierte Ferne oder in palastartige Räumlichkeiten blicke. Der titelgebende See wird nur in der Eingangsszene durch eine Bildprojektion von bewegtem Wasser auf den Bühnenboden angedeutet. Die Hauptakteure und Soldaten tragen barockisierte Fantasiekleider ohne Unterscheidungsmerkmale, die Priester und die Palastentourage moderne Gesellschaftsgarderobe.
Aus dem Programmheft
Das Ganze wirkt anonym und neutral. Die symbolische Aussage der Szene ist wohl das zwanghafte Eingebundensein der Akteure in ihre jeweiligen Lebensumstände. Ist das Bühnenbild wenigstens noch hübsch anzusehen, so erschöpft sich die Personenregie in einer statischen Positionierung von Solisten und Chor. Eine psychologisch vertiefende Ausdeutung des Geschehens durch Bewegungsabläufe findet nicht statt.

Bei der großen Verschwörung im Finale des ersten Aktes senkt sich an Stelle des Kometen ein prächtiger Kristalllüster vom Bühnenhimmel herab. Macht und Reichtum werden als wahrer Grund der schottischen Kriegsabsichten demaskiert. Damit ist optisch auch das letzte Motiv für eine stimmungsvolle Ausdeutung des Stückes und der Ausgestaltung der Bühne eliminiert. Der Regisseur verdeutlicht so, dass eine romantisch gefühlte Lebenswelt nicht das zentrale Anliegen der Oper ist, sondern die Darstellung realer Probleme junger Menschen in den vorgegebenen Situationen.
Joyce DiDonato, Juan Diego Flỏrez (mit Interviews) und Daniella Barcellona
Offenbarte die Inszenierung keine Sternstunde, so kamen die Freunde des Gesanges jedoch voll und ganz auf ihre Kosten. Tenorrollen in Rossinis Opern zu besetzen, ist heikel. Seit fast 10 Jahren verkörpert
Juan Diego Flórez die Rolle des Uberto. In unnachahmlicher Inbrunst erklingt sein „O fiamma soave“. Seine Spitzentöne, die Oktavsprünge, die dynamischen Abstufungen und nicht zuletzt die Koloraturen und Läufe kommen so ziseliert perfekt, dass selbst Schwierigstes wie selbstverständlich und mühelos klingt. Bei ihm werden gesangliche Ausschmückungen zum Gestaltungsmerkmal.

Ein ebenso tolles Ereignis waren die Auftritte von Joyce DiDonato. Ihre technische Perfektion in Belcantorollen dieser Art ist unvergleichlich. Dazu hat ihr Gesang das richtige Maß an Gefühl und die erforderliche dezente erotische Ausstrahlung, um in den Duetten, besonders denen mit Uberto, die Spannungsbögen und Differenziertheiten der Situationen offenzulegen. Nachdenklich, ergreifend und tröstend verdeutlichte sie dies zu Eingang im langsamen Teil ihres Schlussrondos „Tanti affetti“. Ihre Gefühle pendeln zwischen dem Zwiespalt über die Freude der Errettung des Vaters und Malcolms sowie der Trauer, den König enttäuscht zu haben. Die wogenden Noten spickte die Amerikanerin mit Trillern, die diese Bezeichnung wirklich verdienten. Im Schlussteil des Rondos wurden die überlangen Läufe mit wunderbarer Tonschönheit und makellosem An- und Abschwellen der Tonlinie gesungen. Über die rhythmische Akzentuiertheit ihres Gesanges konnte man nur staunen.

Daniela Barcellona in der Loverrolle des Malcolms war die Dritte in der Runde der Perfektionisten. Ihre Triller, Läufe und Koloraturen liefen ab wie am Schnürchen. Dabei sind ihre präzise Akzentuierung und die bewunderungswürdige rhythmische Attacke hervorzuheben. Lediglich im verinnerlichten Beginn ihrer Arie „Ah! Si pera“ im zweiten Akt fehlte etwas die ruhige, aber auch druckvolle Stimmführung.

John Osborn war in seiner Rolle des Rodrigo wahrlich kein tenorales Leichtgewicht. In seiner großen Arie wartete er im ersten Akt mit einer gefühlvollen und lyrisch gehaltenen Eingangsphrase auf und attackierte in der Stretta mit gut gesetzten Spitzentönen. Der Unterschied zum Ausnahmetalent Flórez zeigte sich im Terzettteil des zweiten Aktes, wo Osborn als der vermeintliche Raufbold die sängerische Stringenz von Flórez nicht erreichte.

Simon Orfila, der Douglas und Einfädler all der Verwicklungen, bereitete mit seinem sonoren und volltönenden Bass großen Hörgenuss.

Leiter und Spiritus Rector der Aufführung war Roberto Abbado, ein erfahrener Rossinidirigent. Er leuchtete die Partitur betont lyrisch aus, vielleicht etwas zu einseitig. Davon profitierten zwar die verinnerlicht geprägten Passagen der Partitur, nicht jedoch die dramatischen Aktionen, die farblos blieben. Das Spannungsfeld der Oper liegt im Kontrast des inneren Erlebens der Protagonisten zu den äußeren Aktionen. Die Musik vermeidet hier in keiner Weise Konfrontationen. Davon war dann auch der gut singende Chor betroffen, der durch die Vorgaben von Dirigent und auch Regisseur seine dramatischen Momente des Finale 1 oder der Duellszene nicht recht ausspielen konnte.

Die musikalische Ausgestaltung und die Bühnenoptik hinterließen einen etwas zwiespältigen Eindruck. Nicht berauschend waren die Inszenierung und die in ihrer Komplexität nicht völlig ausgedeutete Partitur. Aber die Sängertrias ließ den Berichterstatter noch Tage nach der Aufführung von der Vielfalt des Ausdruckes und der klanglichen Schönheit des Gesanges träumen.

Dieter Kalinka (Besuchte Vorstellung am 2. November 2011)
Weitere Vorstellungen in der Mailänder Scala am 15. und 18.11.2011

11. Oktober 2011

MEYERBEER - RENAISSANCE !?

"Robert le diable" in Erfurt - "L’Africaine" in Würzburg
Meyerbeer Lives! prangt auf dem T-Shirt für Mitglieder des “Meyerbeer Fan Club“, dessen Website trotz vieler weiterhin verfügbarer Beiträge und Informationen leider nicht mehr aktiv ist. Und in der Tat: Wann hatte man schon Gelegenheit, innerhalb eines knappen halben Jahres drei seiner Grand Opéras in hiesigen Regionen zu erleben, noch dazu in bemerkenswerten Inszenierungen und musikalisch guten bis herausragenden Interpretationen?!
Warum Meyerbeer, der mit seinen spektakulären Musikdramen von Robert le diable bis L’Africaine Europas Musiktheater im zweiten Drittel des Ottocento dominierte, zwar nie vergessen, aber einfach nicht mehr gespielt worden ist, hat mehrere Gründe. Sie sind auch im Rahmen musikhistorischer Abhandlungen ausführlich dargelegt worden und müssen an dieser Stelle nicht wiederholt werden.
Nachdem La Monnaie in Brüssel, das frisch gekürte “Opernhaus des Jahres“, mit Les Huguenots, der “Operninszenierung des Jahres“(!), in diesem Sommer für Furore sorgte, eröffneten nun zwei Theater aus der sogenannten “Provinz“ ihre Spielzeit mit zweien seiner Meisterwerke: Erfurt mit Robert le diable und Würzburg mit L’Africaine. Es war ein glücklicher Zufall, dass wir beide an einem Wochenende sehen und hören konnten, und es ist sicher naheliegend, ja unvermeidlich, dass diese Konstellation (auch unbewusst ) zu Vergleichen herausforderte.


"Robert le diable" im Theater Erfurt
Bildschirmfoto vom Film, Quelle: Theater Erfurt
Der Videofilm ist auf Vimeo in bester Qualität zu sehen 

Jean-Louis Grinda, langjähriger Chef der Opéra Royal de Wallonie in Lüttich und seit 2007 Intendant der koproduzierenden Opéra de Monte Carlo, lässt Robert le diable in einem Hospital für Geisteskranke im 19. Jahrhundert spielen, das von Bertram geleitet wird. Dieses Konzept wurde zwar bis zum Schlussbild durchgehalten, hat sich mir aber nicht in allen Details und Konsequenzen erschlossen. Eine gute Lösung fand Grinda für das in den Handlungsverlauf stringent integrierte berühmte Nonnenballett, in dem drei Tänzerinnen aus ihren Katakombengräbern stiegen und Robert umgarnten. Ebenso sind das Bühnenbild von Hank Irwin Kittel (3. Akt !) und die Personenführung (auch der Chormitglieder!) Pluspunkte dieser Inszenierung, aber was dem Abend seine Geschlossenheit und bleibende Wirkung verlieh, war die musikalische Gestaltung, an der es kaum etwas auszusetzen gab. 
An erster Stelle möchte ich den amerikanischen Tenor Erik Fenton nennen, der trotz relativ kurzer Einarbeitungszeit die Titelfigur, einen typischen Meyerbeer-Helden, auch in den Extremhöhen bravourös sang und spielte. Ihm durchaus ebenbürtige Leistungen boten die beiden Sopranistinnen Claudia Sorokina als die umworbene Isabelle und Ilia Papandreou als Alice, die Verkörperung des Guten. Der armenische Bass Vazgen Ghazaryan brillierte stimmlich auch im tiefsten Register, blieb aber als  teuflischer Gegenpol mit väterlichen Gefühlen etwas blass und wirkte zu wenig dämonisch. Auch  Richard Carlucci glänzte mit schön timbriertem Tenor in der dankbaren Rolle des Raimbaut. 
Die Sänger und Sängerinnen des Opernchores , denen man ihre Freude über die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten anmerkte, überzeugten ebenso wie das Philharmonische Orchester Erfurt, mit dem Samuel Bächli einen Klangteppich ausbreitete, der Meyerbeers Herkunft aus dem Musikdrama des 18. Jahrhunderts verriet, gelegentlich aber etwas mehr Drive vertragen hätte. Dass es dieses frühe Meisterwerk (1831) nicht strichlos geben würde, hatten  Grinda (Interview im Opernglas) und der verantwortliche Dramaturg Berthold Warnecke schon im Vorhinein angekündigt, und ich denke, dass trotz der nicht gehörten Musik (so fehlte verständlicherweise die nachkomponierte “Mario-Arie“ des Titelhelden) die präsentierte Fassung schlüssig war und dem Handlungsablauf gerecht wurde. Und immerhin hörten wir wohl zum ersten Male das Finale II nach der neuen kritischen Ricordi-Ausgabe!


"L’Africaine" im Mainfranken-Theater Würzburg
Knapp vier Stunden dauerte tags darauf die vom Mainfranken-Theater in Würzburg erarbeitete Fassung der letzten und nicht ganz vollendeten Meyerbeer-Oper L’Africaine (1865), und es sei vorweg festgestellt: Es wurde hervorragend gesungen und musiziert! Enrico Calesso, neuer GMD in Würzburg, gestaltete fesselnd mit seinem Philharmonischen Orchester spannungsreiche Sequenzen, evozierte gefühlvoll Stimmungen und ließ die Stimmen wunderbar zur Entfaltung kommen (Arien der Sélika und der Inès). 
Quelle: Mainfranken Theater Würzburg 
Von dem nicht nur zahlenmäßig beeindruckenden Chor (Einstudierung Markus Popp) in den entsprechenden Szenen wirkungsvoll unterstützt, lieferten insbesondere Karen Leiber als betörende Titelheldin Sélika und als ihr bis in den Tod treu ergebener Sklave Nélusko Adam Kim grandiose Rollenporträts. Kaum weniger überzeugend Paul McNamara in der Rolle des Vasco de Gama, der in seinem Streben nach Ruhm und Unsterblichkeit alle privaten Bindungen hintanstellt (erneut ein typisch Meyerbeerscher “Held“! ) sowie Nathalie de Montmollin als bis zur Selbstaufgabe liebende Inès. Paolo Ruggiero in einer Doppelrolle als Don Diégo und als Oberpriester des Brahma sowie Johan F. Kirsten als unsympathischer Ratspräsident Don Pédro ergänzten ein wunderbar zusammengestelltes und lebendig agierendes Ensemble.
Regisseur Gregor Horres (in Zusammenarbeit mit Bühnenbildner Jan Bammes) wollte wohl einerseits eng am Libretto bleibend die drei Schauplätze der Oper - der portugiesische Hof, ein Schiff  kurz vor dem Kap der Guten Hoffnung und eine Insel im Indischen Ozean - auf die Bühne bringen, andererseits aber das auch dem Komponisten vertraute Thema “Kolonisation“ in ihrer modernen Version dem Publikum nahebringen. So besang Vasco in seinem Glanzstück zu Beginn des 4. Aktes die paradiesische Schönheit der neu entdeckten Gegend, die jedoch von einer Erdöl-Bohranlage beherrscht wird. 
Quelle: Mainfranken Theater Würzburg
In Erinnerung bleiben wird wohl eher die ungemein packende “Parlamentsdebatte“ mit Bischöfen und Großinquisitor im 1. Akt oder die auch von der Personenführung anrührende Finalszene unter den Zweigen des Manzanillobaumes.
Resümee: Es kann nicht hoch genug gelobt werden, dass zwei mittlere Opernhäuser wieder einmal Meyerbeer, diesen deutschen Komponisten, der nach Lern- und Wanderjahren in Italien in Frankreich seine musikalische Heimat fand, in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gehoben haben. Aufgrund der musikalischen Glanzpunkte sind beide Produktionen nicht nur Meyerbeer-Fans unbedingt zu empfehlen, gerade auch wegen der unterschiedlichen Regieansätze. 
Es bleibt zu hoffen, dass wir nicht bis zum Meyerbeer-Gedenkjahr 2014 warten müssen, um Robert le diable, Les Huguenots, Le prophète, Dinorah oder L’Africaine wieder einmal erleben zu können.
(Ein Videofilm zu Oper ist zurzeit auf der Startseite des Mainfrankentheaters abrufbar oder direkt auf Youtube im Kanal MFT Wuerzburg)

Walter Wiertz (Besuchte Aufführungen am 01.10 und 02.10.2011)

Im Theater Erfurt gibt es nur noch drei Aufführungstermine: 14.10.11/ 08.01.12/ 22.01.12.
Würzburg hingegen bietet “seinen“ Meyerbeer noch ein Dutzend Mal in diesem Jahr: 16./19./22./28.10. u. 04./06./22./26.11. sowie 04./07./11./16./22.12. 

9. Oktober 2011

Die "Petite Messe solennelle" szenisch in Berlin ab 16. Nov. 2011


Das Produktionsteam "Nico and the Navigators" weist auf eine szenische Produktion der "Petite Messe solennelle" hin:

"Der junge britische Dirigent Nicholas Jenkins, die Regisseurin Nicola Hümpel und der Bühnenbildner Oliver Proske haben gemeinsam mit ihrer Kompanie Nico and the Navigators eine inszenierte Fassung der "Petite Messe solennelle" erarbeitet, die mit Gesang, Tanz und Schauspiel in die Welt des religiösen Agnostikers führt."

Die Uraufführung dieses Werkes hat Anfang September im Theater Erfurt im Rahmen des Kunstfestes Weimar stattgefunden. Hierzu ein Video:



Die nächsten Aufführungen finden in Berlin am 16. November und 18. bis 20. November im Radialsystem V  statt. Weitere Aufführungsorte sind Dijon, Paris, Bregenz und Luxembourg (ausführliche Informationen zu diesem Projekt auf der Homepage von "Nico and the Navigators")

6. Oktober 2011

Theater-Videos: Übersicht auf "THEATER-TV"

Videoclips zu aktuellen Theateraufführungen sind immer häufiger auf den Internetseiten der Häuser zu finden; ein positiver Trend, der mit der Eröffnung des ersten multimedialen Theaterinformationssystems [inƒos] am Staatstheater Braunschweig schon im Jahre 1995 eingeleitet wurde.

Da die Videofilme auf den Internetseiten der Theater nicht immer leicht zu finden sind, und ein Informationsdienst über neue Videos bislang fehlt, ist die Übersichtsseite von THEATER-TV recht hilfreich. Hier ein Vorschaubild einer Seite, in der die Produktionen der Hamburgischen Staatsoper präsentiert werden, u. a. auch die aktuelle Inszenierung des "Don Giovanni"

Screenshot von THEATER-TV: Hier Übersicht Hamburgische Staatsoper
Die einzelnen Videoclips der Theater in Hamburg, Hannover, Dresden, Köln, Cottbus, Essen, Erfurt, Braunschweig, Chemnitz, Bielefeld und neuerdings auch Antwerpen/Gent (Vlaamse Opera) werden im oberen rechten Fenster gezeigt, können jedoch auch in recht guter Qualität als Vollbild-Video abgespielt werden. Nach dem Start des Videos wird ein "Share"-Button eingeblendet, der den Speicherort des Videos auf der Video-Plattform "Vimeo" anzeigt. Somit kann man die direkte Internetadresse des Videos auch Interessierten weiterleiten.
Das untere "Don Giovanni"-Video hat z.B. die Speicheradresse (URL) http://vimeo.com/29308986

Für Rossini- und Belcantofreunde sind vielleicht die folgenden Filme interessant, aber entdecken Sie selbst.....

Theater Erfurt: "Robert, Le Diable"
Hamburgische Staatsoper: "La Cenerentola" , "Lucia di Lammermoor"
Staatsoper Hannover: "Die Reise nach Reims"
Sächsische Staatsoper Dresden: "Der Barbier von Sevilla"

Während auf THEATER-TV Videos zu aktuellen Aufführungen zu sehen sind, neuerdings auch von der Vlaamse Opera in Antwerpen/Gent, zeigt der Videoserver "Vimeo" auch interessante, archivierte Filme.

Die Benutzerfreundlichkeit beider Seiten könnte zwar noch erhöht werden, aber insgesamt erleichtern sie die Suche nach aktuellen und archivierten Theatervideos.

29. September 2011

Alsterwanderweg-Konzerte mit Rossinis "Petite Messe solennelle" eröffnet

Innige Empfindung, melodischer Charme mit stilistischer Vielfalt und dramatische Akzente

Mit romantischen Klängen in barocker Vielfalt und ungewöhnlicher Instrumentierung, mit der „Petite Messe solennelle“ von Gioachino Rossini, wurden im 49. Jahr seit ihrer Gründung die Alsterwanderweg-Konzerte in der Marktkirche eröffnet. „Eine schöne und lange Tradition in Poppenbüttel“, so die Freude von Kirchenmusikdirektor Michael Kriener. Jeden Sonntag bis zum 25. September, waren Chöre und Organisten aus Preetz, St. Peter-Ording, Stade, Hannover, Berlin und Aachen zu Gast, die eine interessante Mischung aus Bekanntem und „Ungehörtem“ im Programm hatten.

Als „letzte Todsünde meines Alters“ hat der 72-jährige Rossini sein spätes Chorwerk bezeichnet. Rossini schreibt dazu in einer ironischen Widmung an den „lieben Gott“:
„Hier ist sie, die arme kleine Messe. Ist es wirklich heilige Musik (musique sacrée) oder doch vermaledeite Musik (sacrée musique)? Ich bin für die Opera buffa geboren. Du weißt es wohl! Ein bisschen Können, ein bisschen Herz, das ist alles. Sei also gepriesen und gewähre mir das Paradies.“

Der fast spitzbübische Titel „Kleine Messe“, bezieht sich wohl weniger auf die Länge des Werkes, sondern eher auf die kleine und etwas eigentümliche Besetzung, denn er hatte sie für 12 Sänger, 8 für den Chor, vier für die Soli, zwei Klaviere und Harmonium geschrieben. In seiner Widmung verweist Rossini auch auf den Symbolgehalt der für die Aufführung benötigten Sängerzahl:
„Lieber Gott verzeih mir die folgende Gedankenverbindung: 12 an der Zahl sind auch die Apostel in der berühmten Freßszene gemalt im Fresco von Leonardo, welches man das letzte Abendmahl nennt; wer würde es glauben! Es gibt unter Deinen Jüngern solche, die falsche Töne anschlagen!! Lieber Gott beruhige Dich, ich behaupte, dass kein Judas bei meinem Mahle sein wird, und dass die Meinen richtig und mit Liebe Dein Lob singen werden...“

Streicher, Bläser und Schlaginstrumente gibt es in seiner ersten Fassung nicht, aber die drei erwähntenTasteninstrumente als Chorbegleitung. Erst die zweite Fassung schrieb Rossini noch kurz vor seinem Tode für Chor und Orchester. Sie wird aber selten gespielt.
Am Flügel Eva Barta, die fast durchgehend die Kantorei Poppenbüttel begleitete
und eine solide Grundlage bot. Alle Fotos: M. Pantelmann 
Hier war die erste Fassung (mit nur einem Klavier und großem Chor) mit der spielfreudigen Pianistin Eva Barta zu hören, die allerdings in den ersten Passagen etwas zaghaft in die Tasten griff und gegen den mächtigen Chor Mühe hatte, sich durchzusetzen. Fast durchgehend, sogar mit einem konzertanten Solo komponiert, begleitete das unvermutet rhythmisch prägnante Klavier, das dazu noch an vielen Stellen von einem Harmonium, von Chihiro Hirayama, gespielt, als weihevolle Akzente unterstützt wurde. Übergegangen ist man auch dazu, die Aufführungen mit großer Chorbesetzung zu singen.
Großer Applaus kam auch von der Kantorei Poppenbüttel, die sich bei den Solisten, Instrumentalisten und ihrem Kirchenmusiker bedankte.
Neben strengen Formmodellen, zum Teil unverkennbar opernhaft und von bestechend melodischem Charme, jedoch von Ernst und inniger Empfindung durchdrungen, enthält dieses sakrale Werk nach dem Beispiel barocker Kantatenmessen einen strukturierten Zyklus von Arien und Chor. Mit allen Bestandteilen einer „Missa solemnis" für das priesterliche Hochamt wie das Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, O salutaris und am Ende das Agnus Dei (Lamm Gottes) in mitreißendem Dialog von Altstimme (Almut Orthaus) und Chor dramatisch herausgearbeitet. Auch wenn Rossinis Kompositionsverständnis vom leichten und gefälligen Genuss geprägt ist, war aber auch hier sein Hauptanliegen die sinnliche Botschaft.
Die Pianistin Eva Barta mit dem Kirchenmusikdirektor Michael Kriener.
Unter ihrem Leiter fanden Solisten und Chor, der auch in den unbegleitet gesungenen Sätzen mit dichtem Stimmengeflecht durch dieses energiegeladene Werk marschierte, bei zügigen Tempi und klanglicher Leuchtkraft zu einer fein abgestimmten Ensemble-Leistung zusammen. Besonderen Wert legte der Dirigent auf die Hervorhebung der rhythmischen Feinheiten. Durchweg gut besetzt waren die Solisten mit dem Tenor Martin Kötterle, dem Bass Kevin Gagnon, der Altistin Almut Orthaus sowie der Sopranistin Svenja Liebrecht, die mit beeindruckender Solistenleistung das „O salutaris hostia“ mit ihrer klaren, kraftvollen und absolut höhensicheren Stimme eindringlich und anrührend gestaltete.

Als Kriener zu Beginn der Messe mit Ekkehard Carbow den Solisten nach dem Credo ankündigte, ahnten die Besucher noch nicht, dass sie etwas ganz Einmaliges hören durften; denn wer die Rossini-Messe kennt, mag etwas irritiert gewesen sein: das Harmonium-Solo kam mit dem kraftvollen Klang von der großen Kirchenorgel. „Das gibt es sonst nicht weiter auf der Welt“, sagte Kriener, „nur die Orgel der Marktkirche Poppenbüttel hat Harmonium-Zungen, die wir hier einsetzen konnten“. Mit minutenlangem Beifall und Bravorufen dankten die Besucher in der nahezu ausverkauften Kirche für die gelungene Aufführung.
Die Pianistin Eva Barta mit der Sopranistin Svenja Liebrecht, der Altistin Almut Orthaus, dem Tenor Martin Kötterle, dem Bass Kevin Gagnon und Chihiro Hirayama, die das Harmonium spielte (von links).
Autorin: M. Pantelmann (Besuchte Aufführung am 21. August 2011)

23. Juli 2011

Opernfreuden mit Joyce DiDonato in Braunschweig

Im Rahmen des Festivals Alter Musik unter dem Motto "Solo Dei Gloria" werden im Winter 2011/2012 drei Händel-Opern konzertant im Staatstheater Braunschweig aufgeführt:

Am 27. November 2011 "Giulio Cesare" u.a. mit Marie-Nicole Lemieux
Am 26. Januar 2011 "Deidamia" u.a. mit Karina Gauvin
Am 11. März 2011 "Ariodante" u.a. mit Joyce DiDonato

Die Einführung zu allen drei Opern gibt die Krimi-Autorin Donna Leon.

Hier die Vorankündigung in der Braunschweiger Zeitung vom 25. Mai 2011:
(Zur Vergrößerung bitte ins Bild klicken)

Weitere Informationen unter Soli Deo Gloria

22. Juli 2011

Konzertante Belcanto-Opern in der Philharmonie im Gasteig 2011/2012

Gaetano Donizetti "Maria Stuarda"
am 2. und 5. Dezember 2011
mit Vesselina Kasarova, Krassimira Stoyanova und Stephen Costello
weitere Infos siehe Gasteig

VIVA BELCANTO
am 2. Mai 2012
Galakonzert mit Glanzstücken aus dem italienischen und französischen Belcanto-Repertoire
mit Vesselina Kasarova und Krassimira Stoyanova 

Vincenzo Bellini "La Straniera"
am 5./9./12./16. Juli 2012
mit Edita Gruberova

Näheres in der Presseinformation von VITA E VOCE

3. Juli 2011

YouTube-Kanal für "Rossini in Wildbad"

Wer schon bei den Probenarbeiten für die Premieren in Bad Wildbad zuhören möchte, hat jetzt die Gelegenheit, entsprechende Videos im neuen YouTube-Kanal "ROSSINIWILDBAD" aufzurufen.

Hier ein Bildschirmfoto vom neuen YouTube-Kanal. 
Den Videokanal "ROSSINIWILDBAD" hier starten.
oder Sie klicken in das Bildschirmfoto



2. Juli 2011

Erste Informationen aus Bad Wildbad zum Belcanto Festival

"Es wuselt im Königlichen Kurtheater"
So übertitelt der Schwarzwälder-Bote am 1. Juli 2011 einen Stimmungsbericht zu den Festival-Vorbereitungen. 


"Schatzgräber in Sachen Belcanto"
Die Badische Neueste Nachrichten berichtet am 2. Juli über den Leiter von "Rossini in Wildbad", Herrn Jochen Schönleber.

(zum Vergrößern bitte in das Bild klicken) 

"Rossini in Wildbad 2011" startet am 7. Juli


Im Zentrum des Belcanto-Festes stehen diesmal neben acht weiteren Veranstaltungen gleich drei komische Opern auf dem Programm:

Il turco in Italia (Der Türke in Italien) von Gioachino Rossini
Ser Marcantonio (Don Pasquale) von Stefano Pavesi
Il noce di Benevento (Der Hexenbaum von Benevent) von Giuseppe Balducci

Das Gesamtprogramm mit Bestellformular zum Download hier

25. Juni 2011

La Cenerentola im Theater Aachen

Nein, dieses “Aschenputtel“ hat wahrlich kein einfaches Leben: Umgeben von etwa 60 Waschmaschinen, deren Frontattrappen die gesamten Seitenwände des Bühnenraums zieren, und mit einem Turmbau an Wäschestücken im Hintergrund versucht sie an 3 Bügeltischen mit überdimensionierten Bügeleisen und entsprechenden Wäschekörben ihren Pflichten als “Hausmädchen für alles“ nachzukommen. 
Leila Pfister, Astrid Pyttlik, Rolf A. Scheider, Eva Bernard
Quelle: Theater Aachen © Wil van Lersel
Ihre Blicke wandern häufig zu einem Fernsehapparat, auf dessen Bildschirm permanent Bilder von Traum-Hochzeiten in Adelskreisen ablaufen. Die Bullaugen dieser Waschmaschinen dienen manchmal durchaus ihrem eigentlichen Zweck, wenn Dandini z.B. im 2. Akt seine fürstlichen Gewänder entsorgen muss, bieten aber auch den dann mit Ferngläsern bewaffneten 16 Herren des Theaterchors Guckfenster zur Bühne. 
Der erstmals in Aachen tätige spanische Regisseur Joan Anton Rechi, der u.a. Calixto Bieito als seinen Lehrmeister angibt und der 2007 in Freiburg Rossinis Barbiere auf die Bühne brachte, präsentiert dieses Melodramma giocoso vor allem als Burleske mit viel Schwung (auch in den Interaktionen), mit schlüssiger Personenführung und stimmig in Bewegung und Gesten umgesetzter Musik. Beispielsweise hämmern alle Solisten im berühmten Sextett “Questo è un nodo avviluppato“ pausenlos im Rhythmus der Musik auf ihre Mobiltelephone ein, um vielleicht mit fremder Hilfe – natürlich erfolglos – diesen Knoten in ihren Köpfen lösen zu können. Auch andere Einfälle beweisen des Regisseurs Liebe zu detaillierter musikkonformer Inszenierung. So wird der ersten Begegnung Angelina - Don Ramiro jegliche Steifheit genommen, wenn er ihr, nachdem sie mit dem vor Schreck fallengelassenen Kaffeegeschirr seine Hose beschmutzt hat, in Boxershorts fasziniert beim Reinigen und Bügeln seiner Hose zuschaut. 
Tansel Akzeybek,  Leila Pfister
Quelle: Theater Aachen © Wil van Lersel
Gelegentlich gibt Rechi aber auch seinem Affen zuviel Zucker: So werden “Clorindina“ und “Tisbetta“, wie ihr Vater sie in gewissen Situationen nennt, als kreischende und permanent zankende Schwestern stark überzeichnet, vor allem wenn sie (als Running Gag) in Überraschungsmomenten - an die zehn Mal! – synchron ohnmächtig zu Boden gehen. Allerdings spielen und singen Eva Bernard als Clorinda (mit etwas schriller Mittellage) und Astrid Pyttlik, deren Tisbe ebenso hübsch aussieht wie sie singt, diese weniger bösen als eher streit– und selbstsüchtigen Zicken in diesem Konzept überzeugend. Auch die übrigen Protagonisten sind mit sehr viel Spielfreude bei der Sache und singen gut, ja sogar großartig. Die Angelina der in Basel geborenen Leila Pfister beginnt etwas verhalten und wirkt in Ensembleszenen punktuell etwas leise, läuft aber in ihrem Finalrondo zu grandioser sängerischer Gestaltung auf. Ihr “principe“ Don Ramiro wird von dem u.a. in Bonn engagierten Tansel Akzeybek, einem stimmschönen und höhensicheren tenore leggiero, gesungen – Klasse! Auch bei den drei tiefen Männerstimmen war viel Erfreuliches zu hören: der vor Spiellust fast berstende Hrólfur Saemundsson als Dandini mit baritonalen Höhenflügen, Pawel Lawreszuk als der weise Drahtzieher Alidoro – er sang die von Rossini 1821 nachkomponierte Arie “Tutto cangiò per te“ - und Rolf A. Scheider, der mit wunderbar sonorer Bassstimme der Buffopartie des Don Magnifico vielleicht ein zu junges Profil gab.
Belcanto-Opern sind im Aachener Theater in den letzten Jahren ziemlich stiefmütterlich behandelt worden, und außer einem konzertanten Mosè in Egitto  und einer eher mäßigen Italiana in Algeri (beide 2006) stand Rossini nie auf dem Programm des nach Nürnberg wechselnden GMD Marcus R. Bosch. So war sinnvollerweise die musikalische Einstudierung dieses Meisterwerks dem gerade neu verpflichteten 1. Kapellmeister Péter Halász (bisher am Staatstheater Mainz) anvertraut worden. Er führte das Aachener Orchester zu einer runden Leistung mit Rossinischem Esprit, bei der allerdings das Blech insgesamt etwas grell und zu dominierend wirkte. Das Publikum im sehr gut besuchten Stadttheater – wann gab es zuletzt eine solch lange Schlange vor der Abendkasse?! - war begeistert von diesem gut dreistündigen Genuss (nur die Clorinda – Arie und der Eingangschor zum 2. Akt fehlten) und ließ sich am Ende zu Standing Ovations hinreißen.

Walter Wiertz (Besuchte Vorstellung am 23.06.11)
Weitere Vorstellungen am 1./10./17./20. Juli 2011