„La donna on tour“ - und jedes Mal mit dabei sind DiDonato, Barcellona, Flórez, Orfila sowie der Dirigent Abbado. Lluís Pasquals Inszenierung ist für drei Städte konzipiert, nämlich letztes Jahr Paris, heuer Mailand und 2012 London.
Ort der Handlung ist ein idyllischer See in Schottland. Einige Clanführer wollen sich gegen den schottischen König erheben. Dieser bereist als Uberto inkognito das feindliche Gebiet. Am Ufer des Sees trifft er auf Elena und verliebt sich heftig in sie. Elena, die Frau vom See, ist die Tochter von Douglas, einem der Führer der Aufständischen. Sie soll vom Vater mit dem Heerführer Rodrigo als Preis für militärische Unterstützung vermählt werden. Elena jedoch fühlt sich ihrer Jugendliebe Malcolm verbunden. Daher hat Uberto bei ihr keine Chancen. Er hält sich zurück und überreicht seiner Liebe einen Ring, den sie im Falle der Not dem König von England übergeben soll. Hilfe sei ihr dann gewiss. Der Krieg bringt Rodrigo den Tod, Douglas und Malcolm die Gefangenschaft. Um Hilfe bittend überreicht Elena den Ring Uberto, der sich danach als König von Schottland zu erkennen gibt. Er lässt Douglas und Malcolm frei. Der Vermählung von Elena mit Malcolm steht nichts mehr im Wege.
So weit vordergründig die Geschichte, wäre da nicht der Skeptiker Rossini, der eine abweichende Deutung der Handlung nahelegt. Aufgezeigt wird dies durch die Szenengliederungen und die Musik im Duett Elenas mit Malcolm, in den Treffen mit Uberto und im Finale 2. Danach ist Elena längst nicht so unbeeindruckt von der Liebe des schottischen Königs geblieben, wie sie vorgibt. Vielmehr verhindern es die dramatischen äußeren Ereignisse, dass sich eine aufkeimende Zuneigung entwickeln kann.
Letztendlich unvermittelt vor die Notwendigkeit gestellt, Vater und Jugendfreund retten zu müssen, trifft Elena die „falsche“ Entscheidung, indem sie Ubertos Hand ausschlägt. Ihre Vermählung mit Malcolm dürfte ihr wohl nicht das erhoffte Glück bringen. Dies wird in Musik und Text deutlich: Auf Elenas „Glückseligkeit“ intoniert der Chor mehrfach „Widrigkeit“. In dieser Lesart wird auch klar, dass im Libretto die Überquerung des Sees mehr ein Sinnbild als ein Stimmungsbild sein soll. Das Rudern über den See symbolisiert die zeitliche Entwicklung eines jungen Mädchens zur Frau.
An solch eine abweichende Ausdeutung hat offensichtlich auch Lluís Pasqual mit seiner Inszenierung angeknüpft. Da finden sich keine romantischen Genrebilder mit schottischen Seen und Bergen, keine rudernde Frau oder malerische Kostümierungen von Druiden, Soldaten und Landvolk. Ein Halbrund korinthischer Säulen, mittig zu öffnen, bildet das räumliche Grundgerüst. Ein Öffnen des Halbrundes lässt mal in eine Gebirgslandschaft, mal in eine nicht definierte Ferne oder in palastartige Räumlichkeiten blicke. Der titelgebende See wird nur in der Eingangsszene durch eine Bildprojektion von bewegtem Wasser auf den Bühnenboden angedeutet. Die Hauptakteure und Soldaten tragen barockisierte Fantasiekleider ohne Unterscheidungsmerkmale, die Priester und die Palastentourage moderne Gesellschaftsgarderobe.
Bei der großen Verschwörung im Finale des ersten Aktes senkt sich an Stelle des Kometen ein prächtiger Kristalllüster vom Bühnenhimmel herab. Macht und Reichtum werden als wahrer Grund der schottischen Kriegsabsichten demaskiert. Damit ist optisch auch das letzte Motiv für eine stimmungsvolle Ausdeutung des Stückes und der Ausgestaltung der Bühne eliminiert. Der Regisseur verdeutlicht so, dass eine romantisch gefühlte Lebenswelt nicht das zentrale Anliegen der Oper ist, sondern die Darstellung realer Probleme junger Menschen in den vorgegebenen Situationen.
Joyce DiDonato, Juan Diego Flỏrez (mit Interviews) und Daniella Barcellona
Offenbarte die Inszenierung keine Sternstunde, so kamen die Freunde des Gesanges jedoch voll und ganz auf ihre Kosten. Tenorrollen in Rossinis Opern zu besetzen, ist heikel. Seit fast 10 Jahren verkörpert Juan Diego Flórez die Rolle des Uberto. In unnachahmlicher Inbrunst erklingt sein „O fiamma soave“. Seine Spitzentöne, die Oktavsprünge, die dynamischen Abstufungen und nicht zuletzt die Koloraturen und Läufe kommen so ziseliert perfekt, dass selbst Schwierigstes wie selbstverständlich und mühelos klingt. Bei ihm werden gesangliche Ausschmückungen zum Gestaltungsmerkmal.
Ein ebenso tolles Ereignis waren die Auftritte von Joyce DiDonato. Ihre technische Perfektion in Belcantorollen dieser Art ist unvergleichlich. Dazu hat ihr Gesang das richtige Maß an Gefühl und die erforderliche dezente erotische Ausstrahlung, um in den Duetten, besonders denen mit Uberto, die Spannungsbögen und Differenziertheiten der Situationen offenzulegen. Nachdenklich, ergreifend und tröstend verdeutlichte sie dies zu Eingang im langsamen Teil ihres Schlussrondos „Tanti affetti“. Ihre Gefühle pendeln zwischen dem Zwiespalt über die Freude der Errettung des Vaters und Malcolms sowie der Trauer, den König enttäuscht zu haben. Die wogenden Noten spickte die Amerikanerin mit Trillern, die diese Bezeichnung wirklich verdienten. Im Schlussteil des Rondos wurden die überlangen Läufe mit wunderbarer Tonschönheit und makellosem An- und Abschwellen der Tonlinie gesungen. Über die rhythmische Akzentuiertheit ihres Gesanges konnte man nur staunen.
Daniela Barcellona in der Loverrolle des Malcolms war die Dritte in der Runde der Perfektionisten. Ihre Triller, Läufe und Koloraturen liefen ab wie am Schnürchen. Dabei sind ihre präzise Akzentuierung und die bewunderungswürdige rhythmische Attacke hervorzuheben. Lediglich im verinnerlichten Beginn ihrer Arie „Ah! Si pera“ im zweiten Akt fehlte etwas die ruhige, aber auch druckvolle Stimmführung.
John Osborn war in seiner Rolle des Rodrigo wahrlich kein tenorales Leichtgewicht. In seiner großen Arie wartete er im ersten Akt mit einer gefühlvollen und lyrisch gehaltenen Eingangsphrase auf und attackierte in der Stretta mit gut gesetzten Spitzentönen. Der Unterschied zum Ausnahmetalent Flórez zeigte sich im Terzettteil des zweiten Aktes, wo Osborn als der vermeintliche Raufbold die sängerische Stringenz von Flórez nicht erreichte.
Simon Orfila, der Douglas und Einfädler all der Verwicklungen, bereitete mit seinem sonoren und volltönenden Bass großen Hörgenuss.
Leiter und Spiritus Rector der Aufführung war Roberto Abbado, ein erfahrener Rossinidirigent. Er leuchtete die Partitur betont lyrisch aus, vielleicht etwas zu einseitig. Davon profitierten zwar die verinnerlicht geprägten Passagen der Partitur, nicht jedoch die dramatischen Aktionen, die farblos blieben. Das Spannungsfeld der Oper liegt im Kontrast des inneren Erlebens der Protagonisten zu den äußeren Aktionen. Die Musik vermeidet hier in keiner Weise Konfrontationen. Davon war dann auch der gut singende Chor betroffen, der durch die Vorgaben von Dirigent und auch Regisseur seine dramatischen Momente des Finale 1 oder der Duellszene nicht recht ausspielen konnte.
Die musikalische Ausgestaltung und die Bühnenoptik hinterließen einen etwas zwiespältigen Eindruck. Nicht berauschend waren die Inszenierung und die in ihrer Komplexität nicht völlig ausgedeutete Partitur. Aber die Sängertrias ließ den Berichterstatter noch Tage nach der Aufführung von der Vielfalt des Ausdruckes und der klanglichen Schönheit des Gesanges träumen.
Dieter Kalinka (Besuchte Vorstellung am 2. November 2011)
Weitere Vorstellungen in der Mailänder Scala am 15. und 18.11.2011
Titelseite des Mailänder Programmheftes |
„La donna del lago“ gilt als Rossinis romantischstes Werk. Als Erster wählte er einen Stoff nach Walter Scott, welcher der Romanliteratur durch eine gefühlvolle Schilderung von Ereignissen der mittelalterlichen Ritterzeit nachhaltig einen romantischen Touch gab. Scott regte so etliche Komponisten nach Rossini zur Vertonung derartiger Stoffe an.
Ort der Handlung ist ein idyllischer See in Schottland. Einige Clanführer wollen sich gegen den schottischen König erheben. Dieser bereist als Uberto inkognito das feindliche Gebiet. Am Ufer des Sees trifft er auf Elena und verliebt sich heftig in sie. Elena, die Frau vom See, ist die Tochter von Douglas, einem der Führer der Aufständischen. Sie soll vom Vater mit dem Heerführer Rodrigo als Preis für militärische Unterstützung vermählt werden. Elena jedoch fühlt sich ihrer Jugendliebe Malcolm verbunden. Daher hat Uberto bei ihr keine Chancen. Er hält sich zurück und überreicht seiner Liebe einen Ring, den sie im Falle der Not dem König von England übergeben soll. Hilfe sei ihr dann gewiss. Der Krieg bringt Rodrigo den Tod, Douglas und Malcolm die Gefangenschaft. Um Hilfe bittend überreicht Elena den Ring Uberto, der sich danach als König von Schottland zu erkennen gibt. Er lässt Douglas und Malcolm frei. Der Vermählung von Elena mit Malcolm steht nichts mehr im Wege.
So weit vordergründig die Geschichte, wäre da nicht der Skeptiker Rossini, der eine abweichende Deutung der Handlung nahelegt. Aufgezeigt wird dies durch die Szenengliederungen und die Musik im Duett Elenas mit Malcolm, in den Treffen mit Uberto und im Finale 2. Danach ist Elena längst nicht so unbeeindruckt von der Liebe des schottischen Königs geblieben, wie sie vorgibt. Vielmehr verhindern es die dramatischen äußeren Ereignisse, dass sich eine aufkeimende Zuneigung entwickeln kann.
Letztendlich unvermittelt vor die Notwendigkeit gestellt, Vater und Jugendfreund retten zu müssen, trifft Elena die „falsche“ Entscheidung, indem sie Ubertos Hand ausschlägt. Ihre Vermählung mit Malcolm dürfte ihr wohl nicht das erhoffte Glück bringen. Dies wird in Musik und Text deutlich: Auf Elenas „Glückseligkeit“ intoniert der Chor mehrfach „Widrigkeit“. In dieser Lesart wird auch klar, dass im Libretto die Überquerung des Sees mehr ein Sinnbild als ein Stimmungsbild sein soll. Das Rudern über den See symbolisiert die zeitliche Entwicklung eines jungen Mädchens zur Frau.
Aus dem Programmheft
Das Ganze wirkt anonym und neutral. Die symbolische Aussage der Szene ist wohl das zwanghafte Eingebundensein der Akteure in ihre jeweiligen Lebensumstände. Ist das Bühnenbild wenigstens noch hübsch anzusehen, so erschöpft sich die Personenregie in einer statischen Positionierung von Solisten und Chor. Eine psychologisch vertiefende Ausdeutung des Geschehens durch Bewegungsabläufe findet nicht statt.Bei der großen Verschwörung im Finale des ersten Aktes senkt sich an Stelle des Kometen ein prächtiger Kristalllüster vom Bühnenhimmel herab. Macht und Reichtum werden als wahrer Grund der schottischen Kriegsabsichten demaskiert. Damit ist optisch auch das letzte Motiv für eine stimmungsvolle Ausdeutung des Stückes und der Ausgestaltung der Bühne eliminiert. Der Regisseur verdeutlicht so, dass eine romantisch gefühlte Lebenswelt nicht das zentrale Anliegen der Oper ist, sondern die Darstellung realer Probleme junger Menschen in den vorgegebenen Situationen.
Joyce DiDonato, Juan Diego Flỏrez (mit Interviews) und Daniella Barcellona
Offenbarte die Inszenierung keine Sternstunde, so kamen die Freunde des Gesanges jedoch voll und ganz auf ihre Kosten. Tenorrollen in Rossinis Opern zu besetzen, ist heikel. Seit fast 10 Jahren verkörpert Juan Diego Flórez die Rolle des Uberto. In unnachahmlicher Inbrunst erklingt sein „O fiamma soave“. Seine Spitzentöne, die Oktavsprünge, die dynamischen Abstufungen und nicht zuletzt die Koloraturen und Läufe kommen so ziseliert perfekt, dass selbst Schwierigstes wie selbstverständlich und mühelos klingt. Bei ihm werden gesangliche Ausschmückungen zum Gestaltungsmerkmal.
Ein ebenso tolles Ereignis waren die Auftritte von Joyce DiDonato. Ihre technische Perfektion in Belcantorollen dieser Art ist unvergleichlich. Dazu hat ihr Gesang das richtige Maß an Gefühl und die erforderliche dezente erotische Ausstrahlung, um in den Duetten, besonders denen mit Uberto, die Spannungsbögen und Differenziertheiten der Situationen offenzulegen. Nachdenklich, ergreifend und tröstend verdeutlichte sie dies zu Eingang im langsamen Teil ihres Schlussrondos „Tanti affetti“. Ihre Gefühle pendeln zwischen dem Zwiespalt über die Freude der Errettung des Vaters und Malcolms sowie der Trauer, den König enttäuscht zu haben. Die wogenden Noten spickte die Amerikanerin mit Trillern, die diese Bezeichnung wirklich verdienten. Im Schlussteil des Rondos wurden die überlangen Läufe mit wunderbarer Tonschönheit und makellosem An- und Abschwellen der Tonlinie gesungen. Über die rhythmische Akzentuiertheit ihres Gesanges konnte man nur staunen.
Daniela Barcellona in der Loverrolle des Malcolms war die Dritte in der Runde der Perfektionisten. Ihre Triller, Läufe und Koloraturen liefen ab wie am Schnürchen. Dabei sind ihre präzise Akzentuierung und die bewunderungswürdige rhythmische Attacke hervorzuheben. Lediglich im verinnerlichten Beginn ihrer Arie „Ah! Si pera“ im zweiten Akt fehlte etwas die ruhige, aber auch druckvolle Stimmführung.
John Osborn war in seiner Rolle des Rodrigo wahrlich kein tenorales Leichtgewicht. In seiner großen Arie wartete er im ersten Akt mit einer gefühlvollen und lyrisch gehaltenen Eingangsphrase auf und attackierte in der Stretta mit gut gesetzten Spitzentönen. Der Unterschied zum Ausnahmetalent Flórez zeigte sich im Terzettteil des zweiten Aktes, wo Osborn als der vermeintliche Raufbold die sängerische Stringenz von Flórez nicht erreichte.
Simon Orfila, der Douglas und Einfädler all der Verwicklungen, bereitete mit seinem sonoren und volltönenden Bass großen Hörgenuss.
Leiter und Spiritus Rector der Aufführung war Roberto Abbado, ein erfahrener Rossinidirigent. Er leuchtete die Partitur betont lyrisch aus, vielleicht etwas zu einseitig. Davon profitierten zwar die verinnerlicht geprägten Passagen der Partitur, nicht jedoch die dramatischen Aktionen, die farblos blieben. Das Spannungsfeld der Oper liegt im Kontrast des inneren Erlebens der Protagonisten zu den äußeren Aktionen. Die Musik vermeidet hier in keiner Weise Konfrontationen. Davon war dann auch der gut singende Chor betroffen, der durch die Vorgaben von Dirigent und auch Regisseur seine dramatischen Momente des Finale 1 oder der Duellszene nicht recht ausspielen konnte.
Die musikalische Ausgestaltung und die Bühnenoptik hinterließen einen etwas zwiespältigen Eindruck. Nicht berauschend waren die Inszenierung und die in ihrer Komplexität nicht völlig ausgedeutete Partitur. Aber die Sängertrias ließ den Berichterstatter noch Tage nach der Aufführung von der Vielfalt des Ausdruckes und der klanglichen Schönheit des Gesanges träumen.
Dieter Kalinka (Besuchte Vorstellung am 2. November 2011)
Weitere Vorstellungen in der Mailänder Scala am 15. und 18.11.2011
Man merkt diesem umfassenden und kenntnisreichen Bericht an, dass hier ein Rossini-Fachmann mit Liebe zur Sache am Werke ist - interessant auch seine "abweichende Ausdeutung" von Libretto-Details hinsichtlich der Handlungsmotive der Protagonistin ! Es wäre sicherlich nicht nur diesbezüglich spannend , wie Augenzeugen die ganz anders angelegte Inszenierung der Donna del lago von Christof Loy in Genf erlebt haben. Wenn ich zwischen den Zeilen von Joyce DiDonatos Blog-Einträgen richtig "lese" , hat ihr (sie war kurz vorher auch dort die Elena ) die Genfer Sichtweise insgesamt wohl mehr zugesagt.
AntwortenLöschenWir haben die gleiche Inszenierung dieser selten gespielten Oper in Paris erlebt und fanden die Personenregie ebenfalls statisch und minimalistisch. Auch wenn die szenische Realisation unserer Aufführung immer schön anzusehen und ohne irgendwelche Zumutungen war, haben wir uns doch gefragt, ob wir bei einer rein konzertanten Präsentation viel verpasst hätten. Nichtsdestotrotz: Musikalisch und sängerisch war es ein wunderbares Erlebnis und eine Sternstunde des Belcanto. Wir teilen deshalb voll die Begeisterung des Rezensenten über diese in solcher musikalischen Vollkommenheit aufgeführte Oper.
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