25. Juni 2011

La Cenerentola im Theater Aachen

Nein, dieses “Aschenputtel“ hat wahrlich kein einfaches Leben: Umgeben von etwa 60 Waschmaschinen, deren Frontattrappen die gesamten Seitenwände des Bühnenraums zieren, und mit einem Turmbau an Wäschestücken im Hintergrund versucht sie an 3 Bügeltischen mit überdimensionierten Bügeleisen und entsprechenden Wäschekörben ihren Pflichten als “Hausmädchen für alles“ nachzukommen. 
Leila Pfister, Astrid Pyttlik, Rolf A. Scheider, Eva Bernard
Quelle: Theater Aachen © Wil van Lersel
Ihre Blicke wandern häufig zu einem Fernsehapparat, auf dessen Bildschirm permanent Bilder von Traum-Hochzeiten in Adelskreisen ablaufen. Die Bullaugen dieser Waschmaschinen dienen manchmal durchaus ihrem eigentlichen Zweck, wenn Dandini z.B. im 2. Akt seine fürstlichen Gewänder entsorgen muss, bieten aber auch den dann mit Ferngläsern bewaffneten 16 Herren des Theaterchors Guckfenster zur Bühne. 
Der erstmals in Aachen tätige spanische Regisseur Joan Anton Rechi, der u.a. Calixto Bieito als seinen Lehrmeister angibt und der 2007 in Freiburg Rossinis Barbiere auf die Bühne brachte, präsentiert dieses Melodramma giocoso vor allem als Burleske mit viel Schwung (auch in den Interaktionen), mit schlüssiger Personenführung und stimmig in Bewegung und Gesten umgesetzter Musik. Beispielsweise hämmern alle Solisten im berühmten Sextett “Questo è un nodo avviluppato“ pausenlos im Rhythmus der Musik auf ihre Mobiltelephone ein, um vielleicht mit fremder Hilfe – natürlich erfolglos – diesen Knoten in ihren Köpfen lösen zu können. Auch andere Einfälle beweisen des Regisseurs Liebe zu detaillierter musikkonformer Inszenierung. So wird der ersten Begegnung Angelina - Don Ramiro jegliche Steifheit genommen, wenn er ihr, nachdem sie mit dem vor Schreck fallengelassenen Kaffeegeschirr seine Hose beschmutzt hat, in Boxershorts fasziniert beim Reinigen und Bügeln seiner Hose zuschaut. 
Tansel Akzeybek,  Leila Pfister
Quelle: Theater Aachen © Wil van Lersel
Gelegentlich gibt Rechi aber auch seinem Affen zuviel Zucker: So werden “Clorindina“ und “Tisbetta“, wie ihr Vater sie in gewissen Situationen nennt, als kreischende und permanent zankende Schwestern stark überzeichnet, vor allem wenn sie (als Running Gag) in Überraschungsmomenten - an die zehn Mal! – synchron ohnmächtig zu Boden gehen. Allerdings spielen und singen Eva Bernard als Clorinda (mit etwas schriller Mittellage) und Astrid Pyttlik, deren Tisbe ebenso hübsch aussieht wie sie singt, diese weniger bösen als eher streit– und selbstsüchtigen Zicken in diesem Konzept überzeugend. Auch die übrigen Protagonisten sind mit sehr viel Spielfreude bei der Sache und singen gut, ja sogar großartig. Die Angelina der in Basel geborenen Leila Pfister beginnt etwas verhalten und wirkt in Ensembleszenen punktuell etwas leise, läuft aber in ihrem Finalrondo zu grandioser sängerischer Gestaltung auf. Ihr “principe“ Don Ramiro wird von dem u.a. in Bonn engagierten Tansel Akzeybek, einem stimmschönen und höhensicheren tenore leggiero, gesungen – Klasse! Auch bei den drei tiefen Männerstimmen war viel Erfreuliches zu hören: der vor Spiellust fast berstende Hrólfur Saemundsson als Dandini mit baritonalen Höhenflügen, Pawel Lawreszuk als der weise Drahtzieher Alidoro – er sang die von Rossini 1821 nachkomponierte Arie “Tutto cangiò per te“ - und Rolf A. Scheider, der mit wunderbar sonorer Bassstimme der Buffopartie des Don Magnifico vielleicht ein zu junges Profil gab.
Belcanto-Opern sind im Aachener Theater in den letzten Jahren ziemlich stiefmütterlich behandelt worden, und außer einem konzertanten Mosè in Egitto  und einer eher mäßigen Italiana in Algeri (beide 2006) stand Rossini nie auf dem Programm des nach Nürnberg wechselnden GMD Marcus R. Bosch. So war sinnvollerweise die musikalische Einstudierung dieses Meisterwerks dem gerade neu verpflichteten 1. Kapellmeister Péter Halász (bisher am Staatstheater Mainz) anvertraut worden. Er führte das Aachener Orchester zu einer runden Leistung mit Rossinischem Esprit, bei der allerdings das Blech insgesamt etwas grell und zu dominierend wirkte. Das Publikum im sehr gut besuchten Stadttheater – wann gab es zuletzt eine solch lange Schlange vor der Abendkasse?! - war begeistert von diesem gut dreistündigen Genuss (nur die Clorinda – Arie und der Eingangschor zum 2. Akt fehlten) und ließ sich am Ende zu Standing Ovations hinreißen.

Walter Wiertz (Besuchte Vorstellung am 23.06.11)
Weitere Vorstellungen am 1./10./17./20. Juli 2011

1 Kommentar:

  1. Drei begeisterte Cenerentola-Berichte, nämlich von Aachen, Hamburg und Würzburg, innerhalb weniger Wochen hier zeigen, dass der Stoff immer wieder Raum für vielfältige Interpretationen bietet. In den Aufführungen wurden vor allem die heiteren Seiten dieser Oper betont.Ich wünschte mir aber, dass von den Regisseuren auch einmal die ernsthaften und realitätsbezogenen Aspekte herausgearbeitet würden, mit denen Rossini stets auch seine lustigen Opern gestaltet hat.

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