Das diesjährige ROF war eigentlich für die Rossini-Freunde besonders attraktiv, weil es gleich zwei Neuigkeiten gab, nämlich Sigismondo (der wegen der italienischen Finanzpolitik im letzten Jahr ausgesetzt werden musste) und Demetrio e Polibio, die beide im stilgerechten Teatro Rossini aufgeführt wurden. (Daneben konnte man, wenn man dafür die Fahrt in die Adriatic Arena in Kauf nehmen wollte, mit La Cenerentola auch noch die Wiederaufnahme einer „Ronconiana“ von 1998 sehen.) Weniger attraktiv und stilgerecht erwiesen sich wie befürchtet die Neuinszenierungen, derentwegen laut der irrigen Meinung des ROF-Intendanten (vgl. Interview mit Gianfranco Mariotti in «La Gazzetta» 2009) die Leute zu einem Festival reisen würden; zumindest bei den Rossini-Festivals ist es aber so, dass der Hauptteil des Publikums wegen der Werke und der Sänger herkommt, und zwar leider immer öfter trotz der Inszenierungen.
Die Inszenierung von Demetrio e Polibio zeigte schon während der Ouvertüre eine offene Bühne – die selbst eine Bühne darstellt, auf der gerade ein Dirigent (alias Michele Mariotti?) den Applaus entgegennahm: Theater im Theater also, einmal mehr – immer ein untrügliches Zeichen, dass der Regisseur mit dem Stück nicht viel anzufangen wusste. Hier ist es immerhin ein „Thema mit Variationen“, denn gezeigt wird der Schluss einer Aufführung, der Umbau der Bühne für die nächste Vorstellung und das Lichterlöschen – worauf in dem Theater die alten Opernphantome erwachen, vier Sänger in Kostümen der Rossinizeit: Das soll wohl die Mombelli-Familie sein, die das Erstlingswerk des Pesaresen Revue passieren lässt. Dabei bleiben einige Theaterkniffe ein Rätsel: Wieso die Verdoppelung der Personen? Vielleicht wegen der doppelten Identitäten? Aber die betreffen doch nur Siveno, der sich als Königssohn Demetrio jun. erweisen wird, und Demetrio sen., der in der Verkleidung seines eigenen Botschafters Eumene auftritt; Polibio, der Ziehvater von Siveno, und Lisinga, seine Tochter, sind und bleiben, wer sie sind und haben hier dennoch ihre Doppelgänger. Was bedeuten die Flämmchen, die fast alle immer wieder aus ihren Handflächen auflodern lassen? Dank der klassischen Kostüme (und nur dank derer) entstanden einige schöne Bilder, aber das Ganze blieb auf dem Niveau einer schwer verständlichen Metatheatralität, die die Geschichte in keiner Weise plausibel machte. Dabei sollte der Stoff, der für Rossini persönlich von so zentraler Bedeutung ist und ihn von Demetrio bis Tell und darüber hinaus begleitete, nämlich jener der Familienbande und der Elternliebe, eigentlich nicht so schwierig zu vermitteln sein.
Anzumerken ist noch, dass es sich um eine Zusammenarbeit des ROF mit der Bühnenbildnerklasse der Akademie der Schönen Künste aus Urbino handelte, deren Absolventen mit der Produktion ein gutes handwerkliches Geschick bewiesen, während der Regisseur Davide Livermore mehr die Inszenierung der Inszenierung inszenierte, statt das Stück selber. Die ganze Entstehung der Produktion wurde in einem separaten Programmheft dokumentiert.
María José Moreno bot eine gut zwischen zärtlicher Liebe und kämpferischem Elan agierende Lisinga, auch wenn ihre Stimme nicht immer ganz richtig intoniert war. Shi Yijie bewies eine gewisse Unerschrockenheit gegenüber seinen tenoralen Herausforderungen, aber der Stimme mangelt es an einem gewissen Schmelz und der ganzen Person an Autorität für diese Rolle, die immerhin für einen gestandenen Mann wie Domenico Mombelli konzipiert wurde. Mirco Palazzi brachte dagegen die stimmliche und darstellerisch passende Präsenz für den Polibio mit, und auch Victoria Zaytseva konnte in der Hosenrolle des Siveno mit ihrer angenehmen Mezzostimme überzeugen. Die Herren des Prager Kammerchors entledigten sich unter der Leitung ihres Altmeisters Lubomír Mátl wie immer gekonnt ihrer Aufgabe. Corrado Rovaris entlockte dem gut disponierten Orchestra Sinfonica G. Rossini eine symphonische Klanglichkeit, die den im ausgehenden 18. Jahrhundert verankerten Stil auf anmutige Weise unterstrich.
Reto Müller
(Auszug aus dem «Mitteilungsblatt» der Deutschen Rossini Gesellschaft, Nr. 51-September 2010)
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