31. Dezember 2010

Ein wunderbares Video zum Jahreswechsel! Viel Vergnügen und guten Rutsch!

Überraschung beim TV-Zappen

Aktueller Hinweis: Seit Mitte Januar 2011 gibt es leider keine Opern mehr bei CNBC! esg 14.2.11


Neulich – es war später Sonntag-Nachmittag – zappte ich mal durch alle Programme, die ich in einer Senderliste vor längerer Zeit zusammengestellt hatte, und plötzlich sah und hörte ich Lorenzo Regazzo als Leporello und war in einer Gesamtaufnahme des „Don Giovanni“ aus dem Teatro Real Madrid gelandet. Und das bei einem Wirtschafts- und Finanznachrichtensender : CNBC! Wer diesen TV-Sender – z. B. über Astra-Satellit – empfangen kann, sollte dessen Programmvorschau im Auge behalten. CNBC Performance hat einen festen Sendeplatz: Sonntags (und offenbar auch an Feiertagen) um 4:00pm GMT (= 17:00 Uhr MEZ).

So gibt es dort am Sa, 1. Januar 2011, „La Bohème“ aus dem Teatro Real Madrid und am So, 2. Januar 2011, „Aida“ aus dem ROH Covent Garden London.

Die Besetzungsangaben in der Programmvorschau sind zwar etwas dürftig, aber ausreichend, um die komplette Besetzung über das DVD-Verzeichnis aller auf DVD veröffentlichten Opernaufnahmen zu finden.

Klassiksendungen und Sendungen zu Opern gibt es auch bei Servus TV, einem österreichischen Privatsender mit Kulturprogramm. Dort plaudert jetzt Ioan Holender, nachzuerleben im Video in der Mediathek . Gelegentlich stehen auch aktuelle Opernaufzeichnungen auf dem Programm (so gab es bisher „Simon Boccanegra“ mit Domingo in der Titelpartie und kürzlich die Premiere von Wagners „Walküre“, beides aus der Scala di Milano), leider gibt es aber dafür – soweit ersichtlich - keinen festen Sendeplatz, so dass man am besten auf entsprechende Hinweise auf der Merker-Seite achtet.

21. Dezember 2010

Halleluja!


Allen Lesern und Leserinnen unseres Belcantoblogs frohe Weihnachten und die besten Wünsche
für ein glückliches
und auch an musikalischen Höhepunkten reiches Jahr 2011!

Hier das Überraschungs-Halleluja, viel Vergnügen!

17. Dezember 2010

Demnächst: 'Le Comte Ory' in Zürich

Der französische Rossini ist gerade 'en vogue'. Le Siège de Corinthe wurde letzten Sommer in Bad Wildbad aufgeführt und kürzlich im Rundfunk übertragen. Die Römer Oper spielte bis vor wenigen Tagen noch Moïse et Pharaon. Guillaume Tell gab es im Oktober konzertant in Rom und im November szenisch in Zürich. Und nun legt das Opernhaus noch mit Le Comte Ory nach. Zur Premiere im Januar erscheint das Werk zum ersten Mal in einer kritischen Ausgabe im Rahmen der Edition „Works of / Opere di Gioachino Rossini“ des Bärenreiter-Verlages. Philip Gossett hat die Fragen rund um diese Ausgabe für das Online-Magazin [t]akte erläutert:


Mit einem Klick auf die Innenansicht des Opernhauses gelangen Sie zu den Details der Zürcher Aufführungen:

Bild: Opernhaus Zürich

Am Tag vor der Premiere gibt Dr. Rudolf P. Baumann am Musikwissenschaftlichen Institut in Zürich eine Einführung der Oper mit Musikbeispielen:


Reto Müller

14. Dezember 2010

Die zerstörte Welt der Semiramis – Rossinis 'Semiramide' feierte Premiere in der Vlaamse Opera Antwerpen

Quelle: Vlaamse Opera
Sie werden heute Abend jede Note hören, die Rossini [für diese Oper] geschrieben hat.“ So der Wortlaut eines Repräsentanten der „Vlaamse Opera“, die ihre Spielstätten in Antwerpen und Gent hat, in einem Gespräch mit einem Pressevertreter, das ich zufällig mitbekam, als wir gestern Abend erwartungsvoll das in den Jahren 2005-2007 restaurierte Operngebäude in Antwerpen betraten. Und in der Tat: Es gab ungefähr 4 Stunden Rossini-Musik vom Feinsten zu hören. Dafür sorgte vor allem Alberto Zedda, der Doyen der Rossini–Dirigenten unserer Tage, mit seinen unnachahmlichen Körpergesten, mit nie nachlassendem Schwung, aber auch mit dämpfenden Handzeichen Richtung Blechbläser. Er hatte aber auch mit dem „Symfonisch Orkest van de Vlaamse Opera“ ein glänzendes Orchester zur Verfügung und dazu einen prächtigen Chor (vor allem die stimmstarken Herren), denen allen die anscheinend intensive Probenarbeit gut getan hatte. Der fast 83-jährige Zedda, der u.a. Ehrenpräsident der Deutschen Rossini Gesellschaft (DRG) ist, erhielt dann auch beim Schluss-Applaus, der nach belgischer Sitte herzlich und lautstark, aber relativ kurz ausfiel, mit den größten Beifall.

Diese letzte italienische Oper, die der Meister aus Pesaro 1823 vor seinem Umzug nach Paris komponierte, bedarf allerdings, wenn sie ihre Wirkung als frühes Beispiel einer (ballettlosen) Grand Opéra entfalten soll, vier phantastischer Sänger(innen), die die hohen Anforderungen an ihre Virtuosität meistern. Diese vier großartigen Solisten hörte und sah man gestern auf der Bühne der flämischen Stadt, und man muss ihre Leistung noch höher schätzen, weil es für sie alle Rollendebuts – und dazu in keinen leichten Partien - waren.
(Informationen der Vlaamse Opera zur Semiramide und zu den Mitwirkenden hier auf Deutsch)

Überzeugend bis hin zu allen Spitzentönen und auch in Aussehen und Spielfreude eine Augenweide war die Titelfigur der griechischen Sopranistin Myrtò Papatanasiu, die viele Mitglieder der DRG noch von ihrer Gestaltung der Anna Erisso in Rossinis Maometto II im Amsterdamer Concertgebouw (2007) in guter Erinnerung haben dürften. Ihr Sohn Arsace und eine wunderbar verschmelzende Partnerin in den anrührenden Duetten der beiden Akte war der schwedische Mezzo Ann Hallenberg, die vor allem auch bei ihrer Auftrittsarie „Eccomi alfine in Babilonia“ kleinere Schwächen im tieferen Register offenbarte. Die in jeder Beziehung undankbare Rolle des Idreno – denn wer denkt hier nicht an Vorbilder wie Rocky Blake, Gregory Kunde oder William Matteuzzi?! – hatte der amerikanische Tenor Robert McPherson übernommen. Er bot eine vorzügliche Leistung, attackierte mutig auch die nun einmal unumgänglichen acuti und ließ allenfalls eine gewisse Geläufigkeit in den Koloraturen vermissen. Eine echte Überraschung war für mich der häufig an diesem Opernhaus zu hörende Bass Josef Wagner: Er sang grandios und spielte einen Assur, der vor allem in seiner packenden Wahnsinnsszene beeindruckte. Wenn nur sein „Kostüm“ nicht gewesen wäre …

Und damit bin ich beim visuellen Teil der Aufführung:
Für Regie, Bühnenbild und Kostüme verantwortlich war Nigel Lowery, dem immerhin vor ein paar Jahren eine wirklich spritzige und ironisierende L’Italiana in Algeri an der Berliner Lindenoper gelang, bei dem aber auch eine zumindest sehr umstrittene, wenn nicht gar misslungene Umsetzung von Lortzings Wildschütz (Köln 2009) zu Buche schlägt. In der Pressemitteilung der Vlaamse Opera war zu lesen, dass Lowery „den Nachdruck auf die Explosivität der Handlung legt und eine kaputte Welt zeichnet, in der das Verlangen und Begehren der Protagonisten unter den unerträglichen Druck der eigenen Intrigen und Machenschaften geraten. Eine Welt, die auf ihre Strafe wartet“. Eine für manche Regisseure nahe liegende Übertragung der Semiramide in die politische Gegenwart blieb uns also erspart. Erspart blieben uns auch Maschinenpistolen, Sonnenbrillen und andere so wesentliche Bestandteile mancher Regiearbeiten.


Quelle: Vlaamse Opera
(Ein "Making of Semiramide" -Video u.a. mit Alberto Zedda, Nigel Lowery und Myrtò Papatanasiu hier auf Youtube)
Was uns aber nicht erspart blieb, waren: eine Vielzahl von Allzweck-Kartons (die u.a. im 2. Akt zu Grabsteinen mutierten), ein Koffer mit wesentlichen Inhalten und zwei immer wieder auf die Bühne geschobene Kisten, von denen eine auch bei Bedarf zum Sarg umfunktioniert wurde. Nicht ganz erschloss sich uns auch die Funktion einer zweiten Semiramis, die anfangs synchron das Verhalten der Titelfigur doppelte (ihr Wesen erweiterte?). Auch die häufig zu beobachtenden Handsignale bzw. Verrenkungen von Chormitgliedern und Protagonisten sind uns bis jetzt unverständlich geblieben. Ein multifunktionaler riesiger Container beherrschte in manchen Szenen überflüssigerweise die Bühne, wurde aber im zweiten Finale durchaus passend zu Ninos Mausoleum, in dessen nachtschwarzer Nähe der jetzt Ninia genannte Arsace seine Mutter irrtümlich ermordet.
Um auf die Kostüme zurückzukommen: Während die Mitglieder des Chors durch ihre fezartige Kopfbedeckung und farbige lange Schals, in denen Orange als Farbe dominierte, eindeutig einem fremden Kulturkreis angehörten, erschienen Semiramis in langem Abendkleid und Idreno in silbergrau glänzendem Anzug als Menschen von heute, und Assur sah aus wie ein biederer Bühnenarbeiter, der seinen Arbeitskittel vergessen hatte.

Der Fairness halber sei hinzugefügt, dass diese auch durch kurze Videoprojektionen bereicherte Inszenierung, die vor dem Prospekt des im Irak-Krieg zerstörten Palastes von Saddam Hussein (also doch eine Aktualisierung?!) ablief, ihre magischen Momente hatte: Als Beispiel seien neben den beiden Finalszenen die zweite Tenor-Arie “La speranza più soave“ genannt, bei der Idreno seine ersehnte Azema in einem Brautkleid mit riesig langer Schleppe einfängt und mit ihr im Rhythmus der Arie ein paar Takte tanzt, die die Chorsänger(innen) paarweise übernehmen. Überhaupt schien mir die Personenführung (vor allem des Chores) insgesamt gelungener als manche andere Details dieser Regiearbeit, die sich uns vielleicht beim zweiten Besuch dieser Semiramide erschließen werden. Und in leichter Abänderung des bekannten Mottos Prima la musica poi la regia können wir uns alle auf die Aufführung am 14. Januar 2011 in Gent freuen (übrigens nach dem Stand von heute auch mit M. Papatanasiu als Semiramide!).
Und noch ein Tipp für alle Radiohörer via Internet oder Satellitenschüssel: 
Der flämische Sender Klara bringt einen Mitschnitt dieser Semiramide am kommenden Samstag (18.12.) um 19 Uhr. Nicht verpassen!!
Wer diese insgesamt lohnende Aufführung live erleben möchte, hat dazu noch an folgenden Tagen Gelegenheit:
am 17., 19., 22. und 26. Dezember 2010 in Antwerpen sowie
am 14., 16. und 19. Januar 2011 in Gent.


Walter Wiertz (Besuchte Aufführung am 12.12.10)

11. Dezember 2010

'Moïse et Pharaon' in Rom

Riccardo Muti hat nicht den Ruf eines ausgesprochenen Rossini-Dirigenten und er hat nie in Pesaro dirigiert. Sein tatsächlich nur kleines Rossini-Repertoire ist aber bemerkenswert. Bereits 1972 hat er als Erster in neuer Zeit eine vollständige Aufführung von Guglielmo Tell am Maggio Musicale Fiorentino geleitet. Mit dieser Oper eröffnete er 1988 auch die Saison der Mailänder Scala. Dem italienischen, romantischen Rossini widmete er sich 1992 mit La donna del lago, ebenfalls in Mailand. Danach kehrte er zum französischen Rossini zurück, dieses Mal sogar in der Originalsprache: Mit Moïse et Pharaon eröffnete er die ins Teatro degli Arcimboldi verlegte Saison 2003 der Scala (die entsprechende DVD ist kürzlich erschienen und wurde soeben von Julia Poser im «Orpheus» 11+12/2010 besprochen). Mit dieser Oper machte er den Rossini der Grand Opéra im Sommer 2009 auch dem Salzburger Publikum schmackhaft. Und nun eröffnete er damit die neue Stagione der Römer Oper.
Dem Maestro gelingt es, auf übertriebene und effektheischende Akzente verzichtend, erhaben und würdevoll durch die Partitur zu führen, ohne je Langeweile aufkommen zu lassen. Die 4 ¼ Stunden lange Aufführung verging wie im Nu (inkl. Pausen nach dem 1. und 2. Akt). Er spielte eine absolut ungekürzte Fassung und erbrachte den Beweis, dass dies auch heute noch bei einer Grand Opéra einschließlich Ballettmusik sehr wohl möglich ist. Ich konnte bei der Live-Übertragung im italienischen Rundfunk die ganze Oper in der gedruckten Partitur von Troupenas (1827) mitverfolgen und feststellen, dass Muti taktgenau dieser Ausgabe folgte. Dementsprechend endete die Oper auch mit der instrumentalen Meeresstille und nicht mit dem choralen Cantique, das nur im Klavierauszug von Troupenas erschienen ist und dessen Partitur aufgrund der an der Pariser Opéra erhaltenen Quellen rekonstruiert werden konnte (aufgeführt in Pesaro, Mailand und Nürnberg. Die einzige Abweichung, die ich feststellen konnte: Im berühmten Gebet ließ Muti die dritte Solo-Strophe von Anaï singen, und nicht von Marie, wie dies Rossini vorgesehen hat (vielleicht, weil Anaï ihre Rolle mit der großen Arie vollendet hat und in die Reihen des Volkes zurückkehrt, während Marie zusammen mit Éliézer und Moïse zu den Führungspersönlichkeiten der Juden gehört).

Bei der Besetzung der Titelrollen setzte Muti wie in Salzburg wiederum auf Abdrazakov und Alaimo. Ildar Abdrazakov war, trotz der ihm fehlenden profunden Basstiefe, ein klangschöner, jugendlicher und charismatischer Moïse. Nicola Alaimo verlieh dem Pharaon die nötige Statur, während die in dieser Rolle verbliebenen Koloraturen aus der italienischen Fassung bei ihm etwas oberflächlich ausfielen; wie sein berühmter Onkel Simone ist ihm eine eher rudimentäre Stimmführung zu eigen, ohne dessen Bühnenpräsenz zu erreichen. Beide Sänger bedauerten in Interviews, dass sie in diesen Rollen keine Arie haben. Das hat Rossini in dieser Choroper freilich mit Kalkül so angelegt. Grundsolide Basstöne bot Riccardo Zanellato, zunächst als „Voix mistérieuse“, dann im 3. Akt als Oberpriester Osiride mit einer passenden plakativen Rhetorik.
Die Gruppe der Tenöre wurde von Eric Cutler angeführt, der die schwierige und etwas undankbare Rolle des Pharaonen-Sohnes Aménophis innehatte: auch er hat keine Arie, aber er muss zwei schwierige Duette (mit Anaï und mit Pharaon) meistern. Das tat er eher durchzogen, die Stimme schwankt zwischen sehr weichen lyrischen Akzenten und unschönen und forcierten Tönen. Als Éliziér musste sich Juan Francisco Gatell zunächst in dem extrem schwierigen Récit in der Introduktion exponieren („J’ai vu la superbe Memphis“), das etwas gepresst und auch vom Kampf mit den französischen Vokalen entstellt einen gemischten Eindruck hinterließ (die französische Aussprache war freilich bei allen Sängern die Krux, der eigentlich nur Muttersprachler entgehen). Mit einer interessanten, aber noch an Sicherheit zu gewinnenden Stimme präsentierte sich Saverio Fiore mit seinem Katastrophenbericht als Aufide im dritten Akt.
Anstelle der angekündigten Barbara Di Castri gab Nino Surguladze der Marie ihre Stimme. Anna Kasyan, die bei der Premierenübertragung durch eine gewisse Schärfe, aber durch eine große Partiturtreue auffiel, sang die Rolle der Anaï abwechselnd mit Erika Grimaldi, die ich bei der Sonntagsaufführung hörte. Obwohl die junge Sopranistin korrekt sang, fehlt ihr (noch?) die Sicherheit und die Autorität für diese große, dramatische Rolle, die ihren Höhepunkt in der für Paris neu geschriebenen Arie im 4. Akt findet. Sonia Ganassi hat ihr denn auch vollkommen die Show gestohlen, indem sie als Sinaïde zum Schluss des zweiten Aktes das Publikum zu beinahe hysterischen Begeisterungsstürmen hinriss. Das Publikum, und speziell das italienische, liebt es, seine Stars zu haben, und nichts ist dazu geeigneter, als ein berühmter (italienischer) Name und eine große Bravourarie, auch wenn nüchtern betrachtet diese Rolle nicht im Zentrum des inhaltlichen und musikalischen Interesses steht und die Mezzostimme in dieser Sopranrolle etwas verhalten klingt. Ungewöhnlich war, dass beim Schlussapplaus nicht Anaï-Grimaldi, die vom Rollenprofil her die Primadonna der Oper ist, sondern Frau Ganassi den Maestro auf die Bühne holte – eine m.E. eher problematische Entscheidung, die auf Wertung (und Abwertung) und nicht auf eine klare Rollenhierarchie abstellt.

Auf die Inszenierung von Pier’ Alli war ich auch deshalb gespannt, weil diesem Regisseur nächsten Sommer die Adelaide di Borgogna in Pesaro anvertraut wird. Denkt man an seine dortige Matilde di Shabran zurück, erkennt man den ihm eigenen Stil, mit dem er sich gerne gewisser Elemente bedient, wie z.B. hoher Wände, Grautönen, stilisierter Gegenstände. Neu hinzu kamen die – wie die Bühnenbilder und Kostüme von ihm stammenden – Videoprojektionen, eine in letzter Zeit im Theater aufkommende technische Innovation, deren künstlerische Nutzbarmachung als legitime Modernität die Oper auch in der heutigen Zeit als Gesamtkunstwerk positioniert (viele Gegner meiner Kritik am modernen Regietheater glauben, mein Welt- und Theaterbild auf Prospekte und Kerzenlicht reduzieren zu können). Hingegen entging Pier’ Alli der Plattitüde einer Handlungsaktualisierung und evozierte vielmehr mit Symbolen aus der Pharaonenzeit (Tiergestalten, Pyramiden) und einer fernen Zukunft (futuristische Skyline, Laserwaffen à la Star Trek) eine kosmische Allgemeingültigkeit des Stoffes – der Clash der Völker und Zivilisationen. Nicht alle Projektionen waren von gleicher Qualität und Wirkung. In der Finsternisszene zu Beginn des 2. Aktes erschienen Pharaonen- und Tierköpfe, die wie 3D-Objekte bedrohende Traumbilder schafften, während der göttliche Machtbeweis im 3. Akt (im Libretto der Einsturz der Isis-Statue) mit dem Herumfliegen von Steinbrocken nicht gelungen war. Um den Effekt des Tonartenwechsels in dem berühmten Gebet zu verstärken, ließ sich der Regisseur dazu hinreißen, gleißende Scheinwerferlichter in das Publikum zu blenden, was ich als krassen Angriff auf die Integrität der Zuschauer empfinde (ohne sie zu erhöhen, tat es wenigstens der musikalischen Wirkung keinen Abbruch: Muti folgte noch so gerne den Bis-Rufen und ließ das Stück, das in der italienischen Tradition fast so lebendig ist wie „Va pensiero“, wiederholen). Exzellent war der kardinale Moment der Oper gelöst, der Durchzug durch das Rote Meer, wenn sich die Wände wie zwei Tore nach hinten öffnen und die Wassermassen über die ganze Bühnenbreite projiziert werden und nur den Durchgang freilassen, den die Juden für ihre Flucht nutzen. Nach dem ebenso effektvollen Zurückschwappen der Wasser wirkte das Schlussbild bei der instrumentalen Meeresstille, eine reine Sandwüste, etwas enttäuschend als Bild einer hoffnungsvollen Zukunft, das die Musik ausdrückt.



Manchmal zog es der Regisseur vor, in kompletter Statik zu verharren. Das dritte Finale, die modernste und großartigste Musik, die Rossini für diese Oper schrieb, fand mit seinen fortschreitenden Abwärtsbewegungen in den Streichern vor einem vollkommen regungslosen Bild statt. Vielleicht war es aber gerade dieser Kontrast, der die Stücke wirken ließ, während eine Umsetzung der Musik in Bewegung rasch Gefahr läuft, konfus oder aufgesetzt zu wirken. Einer konventionellen Realisierung entzog sich auch das Ballett in der Choreographie von Shen Wei, das von der Handlung ziemlich losgelöst war und einen asymmetrischen, aber sauber koordinierten Tanz des Ensembles im 1. und 3. Stück und einen abstrakten Solotanz einer weitgehend nackten, gleichzeitig zerbrechlich und stark wirkenden Fang-Yi Sheu in der 2. Ballettmusik bot.
         Ebenso wie Chor und Orchester gehörte auch das Ballettensemble zum Teatro dell’Opera, womit die Römer Oper mit Bravour alle ihre Ressourcen für diese auch heute noch wirkungsvoll umsetzbare Grand Opéra nutzbar machte.

Reto Müller
Besuchte Aufführung: 5. Dezember (Vorpremiere: 30. November; Premiere: 2. Dezember: weitere Aufführungen am 9, 11 und 12. Dezember).


8. Dezember 2010

Vorschau auf "Rossini in Wildbad 2011"

Aus Newsletter von "Rossini in Wildbad" 
Jochen Schönleber, Intendant des Belcanto Opera Festivals "Rossini in Wildbad" gibt im Newsletter vom 3. Dezember eine interessante Vorschau auf das 23. Festival im Juli 2011:

Im Zentrum des Belcanto-Festes stehen diesmal gleich drei komische Opern auf dem Programm:

Il turco in Italia (Der Türke in Italien) von Gioachino Rossini
Ser Marcantonio (Don Pasquale) von Stefano Pavesi
Il noce di Benevento (Der Hexenbaum von Benevent) von Giuseppe Balducci

Doch lesen Sie selbst den Newsletter und das gesamte Programm in der ausführlichen Programmvorschau incl. Bestellzettel.

2. Dezember 2010

Rossinis "Moses in Ägypten" in der Stadtkirche Meiningen

Das Meininger Theater - Südthüringisches Staatstheater 
Das Meininger Theater wird zur Zeit renoviert. Deshalb diente die schöne Meininger Stadtkirche als stimmungsvoller, beziehungsreicher Ort für die Aufführung der "Heiligen Handlung", der Oper "Moses in Ägypten" von Rossini. Diese in Deutschland sehr selten gespielte Oper lockte auch rund 20 Mitglieder der Deutschen Rossinigesellschaft in die ehemalige Thüringische Residenz Meiningen.
Stadtkirche in Meiningen (Foto: privat)
Die hoch gespannten Erwartungen wurden sicherlich durch die ungewöhnliche Spielstätte noch gefördert. Sich dort an einem trüben Novemberabend zu treffen und den festlich erleuchteten Kirchenraum zu betreten, war ein Erlebnis der besonderen Art. Aufatmend konstatierten vor allem die Damen, dass es in der voll besetzten Kirche mollig warm war - eine nicht unwichtige Voraussetzung für ungetrübten Musikgenuss.

Solisten, Orchester und Chor beglückten dann mit ihren außergewöhnlichen Leistungen die Zuhörer. Durch die sparsame Bühnendekoration und den Einbezug des Kirchenraumes mit Emporen und Kanzel sowie die malerischen Kostüme hob sich das Stimmungsbild der Aufführung gegenüber manchen modernistischen Inszenierungsversuchen anderenorts wohltuend ab (Regie und Dramaturgie: Klaus Rak).

Dae-Hee Shin (Pharao) und Ensemble
Alle Szenenfotos mit freundlicher Genehmigung des Meininger Theaters
(zur Vergößerung bitte ins Bild klicken)
Eine nachvollziehbare Darstellung des Geschehens ist also keine Sünde wider den Theatergeist, sondern unterstützt im Gegenteil das Verständnis für den Handlungsablauf. Das Aufleuchten des den Kirchenraum prägenden Kreuzes und des mittleren Kirchenfensters der Apsis am Ende der Aufführung war zwar inhaltlich nicht deckungsgleich mit der biblischen Handlung im streng christlichen Sinne, verdeutlichte aber einprägsam den religiösen Background der Handlung.

Alla Perchikova (Elcia) und Ernst Garstenbauer (Moses))


Ute Ziemer (Amaltea), Dae-Hee Shin (Pharao), Ernst Garstenbauer (Moses) und Rodrigo Porras Garulo (Aronne)

Musikalisch war die Aufführung geprägt von der in Kirchen gemeinhin anzutreffenden Akustik mit großen Nachhallzeiten. Das Ergebnis konnte man je nach Einstellung und Ort des Sitzplatzes als von überwältigender Wucht oder als eher undifferenziertes Klangerlebnis empfinden. Ein in den Streichern viel zu sparsam besetztes Orchester gewann in dieser Akustik unerwartete Klangfülle, aus der immer wieder die exzellenten Soli des 1. Klarinettisten Sebastian Theile erwähnenswert hervorstachen. Die Sänger genossen offensichtlich den schmeichelhaften Zugewinn für ihre Stimmen durch den Nachhall. Trotzdem wäre es sicher kein Fehler gewesen, gelegentlich 'mal das ein oder andere Piano zu riskieren - das hätte der durch den Kirchenraum gewonnenen Aufwertung dieser "Azione tragico-sacra" bestimmt keinen Abbruch getan.

Dae-Hee Shin (Pharao), Ernst Garstenbauer (Moses) und Ensemble
Von Sängern und Chor war es immerhin eine respektable Leistung, hinter dem Rücken des Dirigenten und nur über den Bildschirm von ihm geleitet, alles schön zusammenzuhalten. Und Alexander Steinitz am Pult wurde dieser heiklen Aufgabe auch mit viel Engagement und präziser Zeichengebung voll gerecht. Sängerisch sehr beeindruckend waren der "Pharao" (Dae-Hee Shin), ebenso seine Fast-Schwiegertochter "Elcia" (Alla Perchikova), "Osiride" (Youn-Seong Shim) und, gemessen an der sonst üblichen Besetzung, "Aronne" (Rodrigo Porras Garulo).

Fazit: Für jeden - besonders auch für jemanden, der Musik mehr mit dem Weichzeichner liebt - eine voll zufriedenstellende Aufführung.

Weitere Rezensionen in: 
Thüringer Allgemeine, Der neue MerkerTLZ 8. Nov. und TLZ 10. Nov.) 

Ira Attenari (Besuchte Vorstellung: 19.11.2010)

Der italienische Meyerbeer

Am kommenden Sonnabend, 4. Dezember 2010, 19.30 Uhr, sendet Radio OE1 den Mitschnitt einer Aufführung von Giacomo Meyerbeers Oper Emma di Resburgo, aufgenommen am 7. November 2010 im Wiener Konzerthaus (Inhalt und Besetzung s.u.), eine Rarität, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

Giacomo Meyerbeer ist in erster Linie als Meister der französischen Grand Opéra bekannt: Robert le Diable, Les Huguenots, L'Africaine u. a. - alles Werke, die heutzutage nur noch äußerst selten auf den Spielplänen erscheinen. Noch vergessener waren aber seine italienischen Opern, die für Rossinianer von besonderem Interesse sind, stehen sie doch unter dem nicht zu überhörenden Einfluss des damals alles beherrschenden Opernstils von Rossini.

Giacomo Meyerbeer lebte von 1791 bis 1864 und war somit ein Zeitgenosse von Gioachino Rossini (1792 – 1868). Ende 1815 ging Meyerbeer nach Italien und schrieb für die dortigen Bühnen sechs dramatische Opern:


Romilda e Costanza (Teatro Nuovo, Padua 1817)
Semiramide riconosciuta (Teatro Regio, Turin 1819)
Emma di Resburgo (Teatro San Benedetto, Venedig 1819)
Margherita d’Anjou (Teatro alla Scala, Mailand 1820)
L’esule di Granata, (Teatro alla Scala, Mailand 1822)
Il crociato in Egitto (Teatro la Fenice, Venedig 1824)

Er stand damit in Konkurrenz zu den großen dramatischen Werken Rossinis von Otello (1816) über Mosè in Egitto (1818) und Maometto secondo (1820) bis zur letzten großen opera seria Rossinis, der Semiramide von 1823. Emma di Resburgo wurde am 26. Juni 1819 in Venedig am Teatro San Benedetto uraufgeführt, also am selben Theater, an dem zuvor am 24. April 1819 Rossinis Eduardo e Cristina in Szene gegangen war.

1824 ging Meyerbeer nach Paris, ebenso wie Rossini, der dort im selben Jahr die Leitung des Théâtre italien übernahm, an dem 1825 Meyerbeers Il crociato in Egitto in einer für Paris umgearbeiteten Fassung aufgeführt wurde. Als mit Robert le Diable 1831 die erste eigentliche französische Oper Meyerbeers zur Uraufführung kam, hatte Rossini seine Tätigkeit als Opernkomponist mit dem 1829 uraufgeführten Guillaume Tell allerdings bereits beendet.

Die italienischen Opern Meyerbeers haben in den letzten Jahren wieder etwas mehr Beachtung gefunden, was nicht zuletzt den unermüdlichen „Schatzgräbern“ des Labels OperaRara zu verdanken ist, die bereits 1987 eine Gesamtaufnahme von Emma di Resburgo herausgebracht hatten(s. Anm.*). Margherita d'Anjou wurde 2003 bei OperaRara auf CD veröffentlicht und in Leipzig 2005 konzertant aufgeführt, was meine erste wunderbare Begegnung mit dem italienischen Meyerbeer war. Das Festival "Rossini in Wildbad" brachte – ebenfalls 2005 – unter der Leitung von Richard Bonynge eine szenische Aufführung der Semiramide (Mitschnitt auf CD bei Naxos erschienen). Auch beim Festival in Martina Franca gab es 2005 eine Produktion dieser Oper (Mitschnitt auf CD bei Dynamic). Der monumentale Crociato in Egitto kam 2007 am Teatro La Fenice in Venedig zur Aufführung (Mitschnitte auf CD bei Naxos und auf DVD bei Dynamic, von 1991 stammt eine bei OperaRara erschienene Gesamtaufnahme). 2004 sind Ausschnitte aus L'esule di Granata bei OperaRara erschienen. Die CD „Meyerbeer in Italy“ (OperaRara) bringt Auszüge aus allen sechs italienischen Opern Meyerbeers.

*Nachprüfungen haben ergeben, dass es sich bei der auf der Seite von operone genannten Aufnahme nicht um eine Gesamtaufnahme von Emma di Resburgo handelt, sondern nur um einen Ausschnitt daraus, enthalten in dem die Jahre 1810 - 1820 behandelnden Teil der Anthologie "A HUNDRED YEARS OF ITALIAN OPERA"(Opera Rara ORCH 103) (Insgesamt erschienen sind über die italienische Oper der Jahre 1800 - 1830 drei Kassetten mit jeweils 3 CDs).

Hier die Besetzung der Wiener Aufführung von Emma di Resburgo:

Simone Kermes (Emma),
Vivica Genaux (Edemondo),
Thomas Walker (Norcesto),
Manfred Hemm (Olfredo),
Martin Vanberg (Donaldo) und
Lena Belkina (Etelia);
Wiener Singakademie; moderntimes_1800,
Dirigent: Andreas Stoehr


Ein Libretto war im Internet nicht zu finden, hier aber
zur besseren Orientierung eine kurze Inhaltsangabe:
(Quelle: Reiner Zimmermann - Giacomo Meyerbeer, Berlin 1991) 
(Zum Vergrößern bitte ins Bild klicken)


Und zur „Einstimmung“ zwei Aufführungsberichte
sowie ein Musikbeispiel:


Eine Kuriosität am Rande: Zur Wiener Aufführung gab es ein Programm mit Beipackzettel.