Donizetti scheint momentan Hochkonjunktur zu haben: Denn neben der von viel Medienhype begleiteten Wiener Anna Bolena haben justament die Opernhäuser in Halle und Magdeburg zwei Donizetti–Opern auf die Bühne gebracht, und dies verdientermaßen mit großem Erfolg. Da die Terminplanung beider Theater es möglich machte, verbrachten wir zwei wunderschöne vorsommerliche Tage in Sachsen-Anhalt und kamen an einem Wochenende in den Genuss zweier opere serie des Meisters aus Bergamo.
2. April „Lucrezia Borgia“ in Halle:
Foto: Oper Halle |
Im praktisch ausverkauften Opernhaus feierte das Publikum kurz vor 22 Uhr fast 15 Minuten lang eine mitreißende Aufführung, die vor allem musikalisch begeisterte. Das lag besonders an Romelia Lichtenstein, der Primadonna des Hauses, die darstellerisch überzeugend diese historische Titelfigur in ihrer schillernden Mischung aus “moralischer Abart, physischer Schönheit und königlicher Ausstrahlung“ (V. Hugo) verkörperte. In Kantilenen wie in dramatischen Koloraturen und Spitzentönen sang sie das Glück und die Verzweiflung ihrer neu entdeckten Rolle als Mutter, “das reinste Gefühl, das eine Frau empfinden kann“ (V.Hugo), aus sich heraus. Der in Wien lebende bisher wenig bekannte junge mexikanische Tenor Xavier Cortes bot nach verhaltenem Beginn eine großartige Leistung als ihr Sohn Gennaro und krönte auch die Finali mit glanzvollen Spitzentönen. Mit seinem leicht verhangenen Timbre ist er nicht der typische Belcanto-Tenor und ließ bei einem begeisterten Opernfreund aus Bamberg Erinnerungen an Salvatore Fisichella wachwerden. Schade, dass er seine große (für Nicola Ivanoff nachkomponierte) Arie “T’amo qual s’ama un angelo“ zu Beginn des 2. Aktes, der in Halle als 3. Akt firmierte, nicht singen durfte! Mit machtvoller Baritonstimme dominierte in “seinen“ Szenen der Don Alfonso von Ki-Hyun Park, der bereits seit 2002 dort engagiert ist. Absolut überzeugend waren auch die Sänger der Clique um Gennaro, und in der Rolle des Orsini fügte mit schöntimbriertem Mezzo Ulrike Schneider eine weitere Rolle ihrem weitgefächerten Repertoire hinzu. Aus unerfindlichen Gründen verzichtete sie jedoch auf die 2. Strophe ihrer “ballata“.
Die musikalische Leitung dieser Aufführung hat eine eigene Geschichte: Der vorgesehene und auch auf Werbekarten und Flyern genannte Dirigent musste ein paar Wochen vor der Premiere aus gesundheitlichen Gründen aussteigen. Was der daraufhin eingesprungene Andreas Henning, der diese Oper sich neu erarbeiten musste, in der zur Verfügung stehenden Zeit mit Chor und Orchester geleistet hat, war aller Ehren wert!! Chapeau!
Die Bühne, auch aus akustischen Gründen als Schräge angelegt, war minimal bestückt: Wippende kleine Gondeln zu Beginn (Venedig!), eine einschwebende Schaukel für Lucrezias Duett mit Gennaro im 1. Akt, ein deplaziert wirkender Barwagen (2. Bild im 1. Akt) sowie Lichtinstallationen, die wohl den fatalen Einfluss der Gestirne symbolisieren sollten, 3 Stühle und ein Stierkopf als Aggressionsobjekt für Alfonso im herzoglichen Palast. Verantwortlich für Ausstattung, die geschmackvollen Kostüme und die Inszenierung war Saskia Zschoch, die ihre beiden Protagonisten bei zentralen musikalischen Szenen immer wieder in einen eigens angelegten Kreis vorne an der Rampe platzierte. Vielleicht aus der Erkenntnis heraus, dass Donizettis Musik bei allen Regiekünsten im Zentrum stehen sollte?? So ergab sich auch ein durchaus anrührender Moment, als der vergiftete Gennaro in diesem Kreis in derselben leicht gekrümmten Lage starb, in der er sich in der 1. Szene zum Schlafen dort hingelegt hatte.
Die auch von weither angereisten Donizetti-Freunde zeigten sich bei der anschließenden stimmungsvollen Premierenfeier im Operncafé begeistert – und Operndirektor Axel Köhler war stolz auf diese großartige Leistung seines Ensembles und fügte bescheiden hinzu, dass das Engagement des einzigen Gastsängers (Xavier Cortes) “eine Ehre für dieses Haus sei“.
3. April „Lucia di Lammermoor“ in Magdeburg:
In dem trotz der ungewöhnlichen Anfangszeit (16 Uhr) sehr gut gefüllten Opernhaus wurden wir zusammen mit einem zunehmend mitgehenden Publikum Zeugen einer überdurchschnittlichen Lucia, die von einer ganz erstaunlichen Sopranistin in der Titelrolle und der schlüssigen und packenden Inszenierung durch Karen Stone, die Generalintendantin des Hauses, geprägt wurde. In wechselnden Bühnenbildern wurde die Ausweglosigkeit der in die viktorianische Zeit verlegten Familienfehde durch strenge Tristesse in Kostümen und ein heruntergekommenes Ambiente unterstrichen. Neben sparsam aber sinnvoll eingesetzten Videoprojektionen (z. B. beim Treueschwur des Liebespaars in der 2. Szene) blieben weitere Details dieser gelungenen Regiearbeit haften: Die “tombe degli avi mei“, die Edgardo in seiner großen Finalszene beschwört, waren hier die von Chormitgliedern vor ihre Gesichter gehaltenen verblichenen Fotos aus einer Ahnengalerie. Während Lucia in ihrem Wahn irrlichternd über die Bühne hastete, bot sich Chor und Publikum durch ein riesiges Schlüsselloch in voyeuristischer Manier der Blick auf den nackten, blutbefleckten Körper des gerade getöteten Arturo. Lucia selbst war mehr ein Teenager als eine junge Frau (In Walter Scotts literarischer Vorlage ist sie 17 Jahre alt !), deren Bett mit zahlreichen weißen Häschen übersät war. Wie die junge türkische Sängerin Hale Soner in Mimik und Gestik dieses junge Mädchen in seiner Eingeschlossenheit spielte und dabei sensationell sang (mit individuellen Verzierungen in der Wahnsinnsszene und mit allen denkbaren “acuti“), war allein die Reise nach Magdeburg wert.
Quelle: Fotoshow des Theaters Magdeburg |
Ihr Landsmann Kartal Karagedik sang einen ausdrucks- und willensstarken Enrico, der auch in seinen gefühlvolleren Momenten überzeugte. Der für diese Rolle vielleicht etwas zu junge Niederländer Martin-Jan Nijhof sang mit wunderbar strömendem Bass den Raimondo, nicht zuletzt auch in seiner ansonsten oft gestrichenen Szene nach dem Duett Lucia – Enrico. (Warum wurde aber das musikalisch so brillante Duett Edgardo – Enrico im Turm zu Wolferag weggelassen, zumal es das Verständnis der Schlussszene erleichtert??). Etwas schwächer fand ich in diesem komplett hauseigenen Ensemble den brasilianischen Tenor Iago Ramos als Edgardo. Er sang durchgehend mezzoforte ohne größere Abstufungen, hatte aber für seine hochliegende lange Finalszene immerhin genügend Kraftreserven. Der Chor des Theaters Magdeburg war ausdrucksstark und spielfreudig, und die Magdeburgische Philharmonie spielte unter ihrem neuen GMD Kimbo Ishii-Eto dynamisch und makellos, in emotionalen Passagen vielleicht etwas zu forsch.
Nach Dessau (La muette de Portici), Chemnitz (Il templario, Heimkehr des Verbannten, Wildschütz) und Weimar (Guillaume Tell, Don Pasquale, Wildschütz) haben sich jetzt auch Halle und Magdeburg auf unserer Opern- Landkarte im Osten unserer Republik fest etabliert!
Weitere Vorstellungen in Magdeburg am 7.5/29.5.2011 und in Halle am 22.4.2011
Walter Wiertz