Zum 20-jährigen Bestehen des Belcanto Opera Festivals „Rossini in Wildbad“ gab es 2008 erstmals die Oper "Otello"
Vor einem düsteren Hintergrund spielt sich inmitten von Pfählen, die einige an Weidenruten, andere an Pfosten erinnerten, an denen in den Kanälen der Lagunenstadt Venedig die Gondeln festmachen, das bekannte Eifersuchtsdrama ab. Eigentlich müsste das Stück „Desdemona“ heißen, denn anders als bei Shakespeare steht die Zerrissenheit der Frau (Desdemona) zwischen Vater (Elmiro) und heimlichem Gemahl (Otello) im Vordergrund und verdrängt fast die Intrigengeschichte um den Mohren.
In der Oper wird Otello von einem Tenor gesungen, ebenso sein Widersacher Jago, hinzu kommen in der gleichen Stimmlage Rodrigo und nicht zuletzt im dritten Akt der kurze, aber effektvolle Gesang des unsichtbar bleibenden Gondoliere aus der Ferne. Weitere Tenöre sind Otellos Vertrauter Lucio und der venezianische Doge. So haben wir insgesamt sechs Tenöre in dieser einzigartigen Oper. Es bedarf schon der Meisterschaft eines Rossini, um so viele hohe Männerstimmen in einer Weise zusammenzuführen, dass nicht ein langweiliger weichlicher Wohlklang entsteht, sondern höchste Spannung. Die Tenorlagen sind in der Tessitura nicht einheitlich, sondern trotz gleichen Lagebereichs durch Abstufungen – Baritenore, hoher Tenor – gekennzeichnet. Neben den Kompositionsmerkmalen bewirkt diese Lagendifferenzierung zusätzlich, dass der Gesang in den Ensembleszenen deutlich vielstimmig bleibt und die Personen unterschiedlich charakterisiert werden.
Rossinis Oper inspirierte den jungen Dichter Wilhelm Hauff zu der gleichnamigen Erzählung „Othello“. Diese erschien 1826, zehn Jahre nach der Uraufführung der Oper in Neapel. Zu der Zeit war die Oper schon in ganz Europa berühmt und sollte das noch für lange Zeit bleiben.
Kein Wunder, dass der Romantiker Hauff besonders das – von einem Wellenmotiv in den Streichern eingeleitete - wehmütige Lied von der Weide behandelt, das Desdemona im dritten Akt in ihrem Schlafzimmer singt, kurz bevor der wütende Otello eindringt.
Ausdrucksvolle Harfenklänge begleiten sie, bevor sie ins Stocken gerät und ihr Lied nicht mehr zu Ende führen kann. In frühen Sängerinnenportraits wird Desdemona gerne an der Harfe sitzend abgebildet, und dieses Bild gibt auch Hauff wieder: …“sanft, arglos wie ein süßes Kind sitzt sie an der Harfe“…
Michael Spyres sang mit dunklem Timbre kraftvoll die Otello-Koloraturen. Er war bereits 2007 als Alberto in „La gazzetta“ bei „Rossini in Wildbad“ aufgetreten. Ein Tenor, der ganz sicher eine große Karriere vor sich hat. Jessica Pratt als Desdemona überzeugte ebenfalls. Sie hat alles, um in dieser Rolle zu glänzen: makellose Rossini-Technik in Forte- wie in Piano-Passagen, eine weiche Stimme, die auch in der Tiefe schön klingt, und große Ausdruckskraft, die in dieser Rolle notwendig ist. Filippo Adami meisterte kraftvoll die halsbrecherische Partie des Rodrigo. Ausgestattet mit einer hellen, etwas harten Stimme könnte man ihn als „weißen Tenor“ einstufen. Als Gondoliere sang Leonardo Cortellazzi die Vertonung von Dantes Versen über den Schmerz, den die Erinnerung an schöne Momente des Lebens bei dem Leidenden hervorruft, mit einer Ausdruckskraft, wie ich sie bisher noch nicht gehört habe. Auch sämtliche anderen Sängerinnen und Sänger verdienen großes Lob: Geraldine Chauvet als Emilia, Sean Spyres als Doge, Hugo Colin als Lucio, Ugo Guagliardo als Elmiro und schließlich Giorgio Trucco in der Rolle des Jago, wobei Letzterer als Kokain schnupfender Fiesling neben dem allmächtigen Dogen eine Atmosphäre von ständiger Gefahr zu verbreiten wusste. Als „Vocal Coach“ zeichnet sich Raul Giménez aus.
Besonderes Lob verdient auch der süchtig machende Chor, der Philharmonische Chor Transilvania Cluj, Leitung Cornel Groza. Nicht zuletzt gefiel die Berliner Kostümbildnerin Claudia Möbius mit einem zauberhaften grau-weiß plissierten Brautkleid für Desdemona. Sie hat auch die Gewänder für den diesjährigen „Don Giovanni“ von Pacini in Bad Wildbad geschaffen.
Annette Hornbacher als Regisseurin merkt man die Erfahrung mit der kleinen Bühne des Kurhauses an. Sie nutzt sämtliche Möglichkeiten der Spielstätte, so dass man letztlich vergessen kann, dass hier große Oper auf begrenztem Raum geboten wird. Ihre düster-prächtige Inszenierung mit tollen Lichteffekten (Beleuchtung: Michael Feichtmeier, Sebastian Götze, Frieder Keller) hebt sich deutlich von der letztjährigen Otello-Inszenierung in Pesaro ab. Dort mediterranes Flair mit lichten blauen Wellen, hier eine „dämonische“ Renaissancewelt in Grau, Schwarz und Blutrot. Nur die „Zweige“ oder „Stecken“, in denen sich die Darsteller wie in ihren übermächtigen Gefühlen „verirren“, zeigen einen Hauch von bleicher Natur.
Viele Opernbesucher, die wohl den Verdi-Otello kannten, nicht aber die gleichnamige und viel frühere Oper von Rossini, waren sich einig, dass dieser Otello ihr bisheriges Rossini-Bild verändert hat. Sie erlebten ein fast wuchtig zu nennendes Operndrama, kein Schäkern zwischen den Geschlechtern wie beim „Barbier von Sevilla“ und kein glücklich endender Liebeszauber à la „Cenerentola“, sondern Kampf- und Gewitterszenen, die die wenigen lyrischen Momente schroff und gewaltsam unterbrechen, schließlich auch kein „happy end“, das damals fast obligatorisch für den Erfolg einer Oper schien.
Bei fast allen Festivalproduktionen spielte mit viel Schwung das tschechische Orchester Virtuosi Brunensis, das von Karel Mitas geleitet wird. Sämtliche Pulte sind mit hervorragenden Könnern besetzt. Fast alle Mitglieder des Orchesters sind noch sehr jung.
Das Dirigat lag in den Händen von Antonino Fogliani, der in der Ouvertüre auf unangenehmes Glissando und Effektheischerei bei den ersten Violinen verzichtete. Er dirigiert einerseits deutlich, temperamentvoll und mit vollem Körpereinsatz, andererseits aber auch mit Seele; er lässt den Solisten den notwendigen Spielraum, um zu interpretieren und auszusingen.
Autorin: Astrid Fricke, Mitwirkung Dieter K.und esg; besuchte Vorstellungen am 17. und 19. Juli 2008