19. Februar 2011

London entdeckt eine Belcanto-Perle - "Belisario" von Donizetti

Flavius Belisarius (505-565), Feldherr des Kaisers Justinian I. (Quelle: Wikipedia)
Die lokale Presse war sich nach der Premiere von Gaetano Donizettis Belisario am 4. Februar 1836 im Teatro La Fenice in Venedig einig: “[Donizetti] kam, sah und eroberte das dichtgefüllte Auditorium“. Alexander Weatherson, der englische Ottocento-Musikologe und Vorsitzende der “Donizetti Society“, schreibt in seinem Beitrag für das Programmheft der Londoner Aufführung am 13. Februar 2011 sogar, dass diese tragedia lirica eine der wenigen Opern dieser Zeit war, die bei ihrer Uraufführung einen eindeutigen und unumstrittenen Erfolg errungen hat. Umso unerklärlicher ist – wieder einmal – die Rezeptionshistorie dieses Meisterwerks, das anscheinend von Anfang an im Schatten seines “Vorgängers“ stand, der ein knappes halbes Jahr vorher entstandenen Lucia di Lammermoor. Dass wir heute überhaupt die Musik dieser 53. Oper im Oeuvre des Bergamasker Maestro hören können, verdanken wir dem Opernhaus ihrer Uraufführung, La Fenice, das 1969 die Neuerweckung des Belisario in einem Live- Mitschnitt festhielt. Mit Leyla Gencer, Nicola Zaccaria und Giuseppe Taddei in der Titelpartie waren die Hauptrollen glänzend besetzt. Danach gab es nur vereinzelt weitere Wiederaufnahmen: zweimal in Buenos Aires (1981 im Teatro Colon und 2010 im Teatro Avenida), eine offensichtlich recht eigenwillige, aber gut gesungene Inszenierung in Istanbul 2005 (Ausschnitte auf YouTube) und eine szenische (!) Musikhochschul-Produktion der North Carolina School of Art. Dort kann man neben einigen Fotos Einzelheiten von der schwierigen und spannenden Suche nach Aufführungsmaterialien finden, da die vorher verfügbaren beim Brand des Fenice 1996 vernichtet wurden.

Liegt die Ursache für die mehr als dürftige Präsenz des Belisario vielleicht am Libretto? Die Geschichte, die der häufig für Donizetti arbeitende Salvatore Cammarano (Librettist u.a. von Lucia di Lammermoor, L’assedio di Calais, Pia de Tolomei, Roberto Devereux, Poliuto) erzählt, ist voller dramatischer Wendungen und glaubwürdiger als beispielsweise Verdis Il trovatore. Vier der fünf Protagonisten sind bekannte Gestalten aus der Geschichte des Mittelmeerraums im 6. Jhdt. n. Chr.: der römisch-byzantinische Kaiser Justinian I., sein erfolgreicher Heerführer Belisario, dessen Frau Antonina und deren Tochter Irene. Im 1. Akt “Il trionfo“ kehrt Belisario nach erfolgreichen Kämpfen gegen die Goten unter großem Jubel nach Byzanz zurück. In diese Festesfreude hinein platzt seine Frau mit der Nachricht, dass ihr Mann ihren gemeinsamen Sohn vor Jahren habe umbringen lassen und dass er ferner plane, die Herrschaft an sich zu reißen. Als Beweise bringt sie – zusammen mit einem hohen Offizier, der sich Hoffnungen auf sie macht - eine Zeugenaussage und einen (wie sie später zugibt, gefälschten) Brief bei. Belisario wird verbannt, und der 2. Akt “L’esilio“ schildert bewegend, wie der seines Augenlichts beraubte Mann - er sollte den Kaiser nie mehr ansehen dürfen - von seiner Tochter Irene aus dem Gefängnis abgeholt wird. Hier werden natürlich Assoziationen an Oedipus und Antigone wach. Dieser kurze Akt wird geprägt von einem wunderschönen Vater-Tochter-Duett, enthält aber auch die große Tenorarie der fünften Hauptperson: Dies ist Alamiro, ein freigelassener Kriegsgefangener, der Belisario verehrt und in einer martialischen Cabaletta “Trema Bisanzio“ zur Rache aufruft. Im 3. Akt “La morte“ entpuppt sich dieser als der eigentlich totgeglaubte Sohn Alexis. In einem Terzett genießen Vater, Sohn und Tochter ihr neu gewonnenes doch kurzes Familienglück. Inzwischen hat Antonina von Schuld gepeinigt dem Kaiser ihre Intrige gebeichtet, will aber vor der Vollstreckung ihres Todesurteils noch die Verzeihung ihres Gatten erhalten; doch in diesem Augenblick wird Belisarios tödliche Verwundung bei weiteren Kampfhandlungen gemeldet. Der Tod soll ihr jetzt erspart bleiben, doch – wie der Chor abschließend singt - “ogni istante di  tua vita cruda morte fia per te“.

Im musikalischen Mittelpunkt der Oper (incl. der großartigen aria-finale) steht mit Antonina eine intrigant handelnde Frau und nicht das von vielen Opernstoffen her vertraute weibliche Opfer von Intrige, Verrat, Untreue o.ä. Eingängige und berührende Melodien bieten aber auch das Duett Alamiro-Belisario sowie ein Quartett, das in das Finale des 1. Aktes mündet.


Die konzertante Version des Belisario wurde von der Chelsea Opera Group
(COG) in der an der Themse gelegenen Queen Elizabeth Hall aufgeführt. Diese “charity organization“, deren Präsident der Dirigent Sir Colin Davis ist, veranstaltet seit 1950 in der Regel drei Opern pro Jahr in konzertanter Form und stellt hierfür ein eigenes Orchester und eigenen Chor (ca. 70 Sänger(innen) !) bereit, die aus begabten Amateuren bestehen und die ihre Begeisterung für Musik und Opern eint. Neben den üblichen Repertoireopern hat sich die COG auf die Fahnen geschrieben, seltener aufgeführte Werke der Öffentlichkeit vorzustellen, darunter auch eine Reihe von Belcanto-Opern wie Donizettis L’esule di Roma, Lucrezia Borgia, Poliuto, La favorite oder Rossinis Semiramide, Guillaume Tell, Ermione, Le siège de Corinthe sowie Bellinis Il pirata und Beatrice di Tenda. Nur die Gesangssolisten und Dirigenten sind  junge z.T. auch arrivierte Berufsmusiker.
Nelly Miricioiu am 13. 2. 2011
"Belisario" in der Queen Elizabeth Hall, London (Foto: Forum Opéra)
Vokaler Star dieser Belisario- Produktion war die in vielen Belcanto-Opern versierte in London lebende Nelly Miricioiu als Antonina. Der am Schluss aufbrausende z.T. frenetische Beifall galt aber vielleicht unbewusst mehr ihren Verdiensten und  Darbietungen im Belcantofach überhaupt, von denen es ja bei OperaRara genügend Kostproben gibt. Denn ihre Leistung an diesem Abend ließ hörbar ihre Mühe mit dieser Rolle erkennen (vielleicht auch eine Folge von Nervosität oder mancher Verismo-Partie?). Nicht immer gelang ihr ein belcanteskes Legato, und am Ende ihres Schuldbekenntnisses waren Konditionsmängel nicht zu überhören. Allerdings überstrahlte sie das Finale mit einem fulminanten Spitzenton, der wahrscheinlich das Wohlwollen einiger Zuhörer rechtfertigte und sie letztlich mit der vorangegangenen Darbietung aussöhnte. 
Von links: Yvonne Howard (Irene), David Soar (Belisario), Nelly Miricioiu (Antonina),
Richard Bonynge (Dirigent), Aldo Di Toro (Alamiro) am 13. 2. 2011
"Belisario" in der Queen Elizabeth Hall, London (Foto: Forum Opéra)
David Soar bot in der Titelrolle eine im Wesentlichen überzeugende Darbietung, doch scheint er mehr seine Stärken im Bassregister zu haben; denn der das lange, kraftraubende Duett mit Irene krönende hochliegende Schlusston misslang kläglich. Der Bass Graeme Broadbent als Giustiniano war rollendeckend, aber die beeindruckendste voluminöse Bass-Stimme dieses Abends präsentierte der Waliser Richard Wiegold in zwei winzigen Rollen. Ihn würde ich gerne einmal in einer größeren Partie hören! Ohne Fehl und Tadel und anrührend sang Yvonne Howard die Irene, doch die eigentliche Überraschung war für mich der australische in Italien lebende Tenor Aldo di Toro als Alamiro. Der ursprünglich vorgesehene Michael Spyres hatte aus  nicht bekannten Gründen diese Rolle zurückgegeben. Mit seiner schönklingenden Stimme, guter Technik und sicheren Spitzentönen machte dieser “Ersatzmann“ in seiner Arie wie in den Ensembleszenen jedenfalls einen starken Eindruck.
Chor und Orchester standen an diesem Abend erstmals unter der Leitung des für  Opern des 19. Jhdts. prädestinierten Dirigenten Richard Bonynge, der schon bei seinem Erscheinen mit Bravorufen begrüßt wurde. Ihm war es vor allem zu verdanken, dass Donizettis Musik trotz der genannten Schwachstellen die Belcanto-Liebhaber begeisterte. So galt dann auch verdientermaßen der größte Beifall des ausverkauften Hauses dem australischen Grandseigneur. Blumen gab es jedoch nur für die drei Damen!
Es wäre an der Zeit, dass sich ein deutsches Opernhaus einmal zutrauen würde, dieses Meisterwerk zu entdecken und auf die Bühne zu bringen. Wäre Belisario  nicht eine reizvolle Aufgabe für die Belcanto-Hochburg Nürnberg??!!

Walter Wiertz (Besuchte Vorstellung am 13.02.11)

4 Kommentare:

  1. Übrigens: Die Aufführung im Teatro Colon am 31.05.1981 in Buenos Aires ist aufgezeichnet worden und bis heute noch bei dem Label MYTO RECORDS erhältlich. Die Hauptprotagonisten der damaligen Aufführung waren Renato Bruson, Mara Zampieri, Stefania Toczyska, Vittorio Terranova und der Dirigent Gianfranco Masini.

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  2. Danke an Walter für diesen interessanten und ausgewogenen Bericht. Ergänzend zur neueren Aufführungsgeschichte erinnere ich mich mit Grauen an eine Produktion in Graz 1997, die meinen spontanen Zwischenruf "perverse Regie" wahrlich verdiente und die mir den musikalischen Genuss vollkommen vermasselte.

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  3. Hinweis für reisefreudige Musikfreunde: Das über dieser Rezension stehende Belisario Mosaik kann man in der berühmten Kirche San Vitale in der Altstadt von Ravenna bewundern. Die Zuordnung des Mosaiks zur Person Belisario ist allerdings umstritten.

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  4. Zur Rezeptionsgeschichte von Belisario kann ich noch ein wenig nachtragen. Das Werk war zwischenzeitlich vielleicht doch nicht völlig vergessen. In Wien wurde Belisar (in deutsch) aus dem alten Kärntnertortheater in die damals neue Staatsoper importiert und noch 1888 gespielt. Der große Tenor und Wiener Publikumsliebling in den 20er Jahren Alfred Piccaver nahm – vielleicht veranlaßt durch seine Erfolge in Lucia di Lammermoor – auch Arien aus wenig bekannten Donizetti-Opern für die Schallplatte auf, so aus Favorita, Don Sebastiano, Duca d´Alba und auch Belisario. Hieraus sang er 1920 für die Firma Odeon die Arie des Alamiro „A si tremendo annunzio“. Wie er insbesondere an dieses Stück gekommen ist, bleibt Spekulation. Aber völlig unbekannt scheint das Werk in Deutschland bzw. Österreich nicht gewesen zu sein, denn wenig später erschien auch eine Platte mit einem Duett Alamiro – Belisario, in deutscher Sprache gesungen von dem Tenor Fritz Krauss und dem Bariton Carl Renner (beide übrigens auch an der Wiener Oper tätig).
    Bleibt zu ergänzen, daß der Belisario nach der Wiedererweckung des Werkes für die Bühne in Venedig ein Jahr später, im Oktober 1970, auch in Donizettis Geburtsstadt Bergamo aufgeführt wurde, großenteils in der Besetzung von Venedig, aber mit einem jungen Bariton in der Titelpartie: Renato Bruson.

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