29. Juli 2010

Presseschau "Rossini in Wildbad" 2010 - aktualisiert am 31. Juli

Zehn gute Gründe, „Rossini in Wildbad“ zu besuchen
In knapp drei Wochen hebt sich der Vorhang: Das Festival Rossini in Wildbad zeigt im 22. Jahr seines Bestehens zum ersten Mal eine der populärsten Opern Rossinis, La Cenerentola. Pressereferentin Ulrike Albrecht nennt zehn triftige Gründe, warum man die Veranstaltungen in Bad Wildbad keinesfalls verpassen sollte:... mehr


Rossini in Wildbad: Anspruchsvolle Pläne trotz Finanznot
Trotz Finanznot hat Jochen Schönleber, Intendant von „Rossini in Wildbad“, anspruchsvolle Pläne für das Festival ... mehr


Klein aber fein: Rossini in Wildbad
Nicht nur in Bayreuth, sondern auch anderswo in Deutschland gibt es spannende Opern-Festivals. So wie in Wildbad, wo auch seltene Rossini-Stücke aufgeführt werden.... mehr


 

Bad Wildbader Trinkhalle wird zum Opernhaus
90 Meter lang und 16 Meter breit: Die Trinkhalle in Bad Wildbad ist ein Raum mit ungewöhnlichen Proportionen. Ein langer Schlauch, schlicht und streng im Stil der Neuen Sachlichkeit gehalten; Nüchtern, weiß und vor allem licht durch die elf raumhohen Fenster rechts und links. All das prädestiniert das denkmalgeschützte Gebäude von 1933/34 nicht unbedingt zum Theatersaal: Denn ein Theater muss dunkel sein – und irgendwie auch überschaubar. Doch Bühnenbildner Anton Lukas ist es gelungen, die historische Trinkhalle in ein Festspielhaus zu verwandeln....mehr

s. auch hier im Blog den Beitrag zu
Rossini und die Freude am Leben


Ein Bericht über alle drei Opern:

Rossini in Wildbad 2010 - 23.-25.7.2010:

Auch im 22. Jahr des Bestehens ist das nach Pesaro bedeutendste Rossini-Festival im Nordschwarzwald noch nicht auf Werk-Wiederholungen angewiesen, bietet das Oeuvre des Bonvivants doch immer noch neue Anreize, vor allem auch von kritisch revidierten Neuausgaben und Original-Rekonstruktionen....mehr


Rossini - La Cenerentola:




«Rossini in Wildbad» überzeugt mit Neuentdeckungen
Bad Wildbad (dpa) Eine Aufführung von Gioacchino Rossinis komischer Oper «La Cenerentola» (Aschenputtel) sollte am Sonntag die 22. Auflage des Belcanto-Festivals «Rossini in Wildbad» beschließen. Stürmischer Beifall der aus ganz Europa angereisten Fan-Gemeinde begleitete die 18 musikalischen Veranstaltungen. ...mehr

Aschenputtel ohne Fee in Bad Wildbad
Aufregende Musik, eine stimmige, unaufwendige Inszenierung, Festspiel-Stimmung ohne Stars: „Rossini in Wildbad“, das unter Kennern hoch gehandelte Belcanto-Festival, startete am Donnerstagabend mit einem der gelungensten Werke des Meisters der Opera Buffa....mehr

Kündet vom Glück wahrer Liebe: "La Cenerentola" bei "Rossini in Wildbad"
Der tief gestaffelte Zuschauerraum der Neuen Trinkhalle in Bad Wildbad war gut gefüllt, als diese bislang ungenutzte Spielstätte jetzt für das Belcanto-Festival „Rossini in Wildbad“ mit einer Inszenierung der komischen Oper „La Cenerentola“ eingeweiht wurde. Um das (gegenüber dem Kurhaus) deutlich erhöhte Fassungsvermögen des Raumes auslasten zu können, wählten die Veranstalter ein „sicheres“ Stück....mehr

Mit Rossini auf du und du
Wildbad: "La Cenerentola" und "Die Belagerung von Korinth".
Wieder also bei "Rossini in Wildbad", dem kleinen, aber feinen Festival im Nordschwarzwald. Wieder also auch unter den vielen beschlagenen Rossinianern, die jede seiner Noten zu kennen scheinen, die mit Gioachino Rossini sozusagen auf du und du sind.....mehr


Rossini - Le Siège de Corinthe



Unbändiger Freiheitswille: Rossinis französische Oper "Le Siège de Corinthe"
Eines selten gespielten Werkes Giacchino Rossinis widmete man sich bei „Rossini in Bad Wildbad“ in der kaum zu hörenden Pariser Originalfassung: „Le Siège de Corinthe“ – „Die Belagerung von Korinth“– in Bad Wildbad konzertant aufgeführt, ist eine Tragische Oper von beachtlichen Dimensionen, welche eine wechselvolle Aufführungsgeschichte erfuhr.....mehr

Belcanto Opera Festival in Bad Wildbad: “Le siège de Corinthe” von Gioacchino Rossini (Aufführung: 23. 7. 2010)
Das 22. Rossini-Festival in Bad Wildbad vom 9. – 25. Juli 2010 hatte auch in diesem Jahr eine Rarität des großen Belcanto-Komponisten auf dem Spielplan: „Le siège de Corinthe“ („Die Belagerung von Korinth“)....mehr

Ein "Meilenstein im Schaffen Rossinis"
Das diesjährige BelCanto Festival "Rossini in Wildbad" hat mit der konzertanten Aufführung von Gioachino Rossinis Oper "Le Siège de Corinthe" –– die Belagerung von Korinth –– ein umfangreiches und schwieriges Werk gemeistert. ....mehr
 

Generali - Adelina:
   


Pforzheimer Regisseur Kay Link inszeniert bei "Rossini in Wildbad"
 „Als ich den Text von Generalis Oper ,Adelina’ gelesen hab, war ich mir anfangs etwas unsicher, ob die Geschichte für den heutigen Zuschauer von großem Interesse ist“. Kay Link, der die Opernrarität bei „Rossini in Wildbad“ inszeniert, hat aber schnell erkannt, dass neben dem historischen Interesse an dieser Oper auch die Handlung die Besucher ansprechen kann. „Die schweizerische Idylle, die im Libretto beschworen wird, hat mich von Anfang an stutzig gemacht. ....mehr

Generalis unbekannte Oper "Adelina" in Bad Wildbad
Dem Tragischen können – Aristophanes wusste das bereits und hat das vor zweieinhalbtausend Jahren virtuos in die Tat umgesetzt – durchaus auch komische Seiten abgewonnen werden. Dass durch Veralberung, ja durch puren Klamauk vieles überdeckt wird, manche Regung des Herzens völlig unverdient der Lächerlichkeit preisgegeben, das gehört manchmal zu den Schattenseiten unserer auf Comedy-Flachheiten abonnierten Zeit. Keine geschliffene und durchaus angemessene Ironie war es, sondern reichlich überdrehte „Lustigkeit“, die der Aufführung der Oper „Adelina“ im restaurierten Königlichen Kurtheater Bad Wildbad ihr Gepräge gab....mehr


Duetti buffi - Bruno Praticò und Lorenzo Regazzo:




Übersprudelnde Sangesfreude Minutenlanger Jubel um Bruno Praticò und Lorenzo Regazzo zum Abschluss des Rossini-Festivals in Bad Wildbad ....mehr

Bestechende Mimen Sie sind nicht nur die großartigen Komödianten, sondern auch außergewöhnliche Sänger, denn beide haben einen wunderbaren Bass. Und die Kenner wissen: Bruno Praticò und Lorenzo Regazzo im Doppelpack auf der Bühne sind nicht zu überbieten....mehr

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Rossini verleiht Belcanto-Preis

Mit einem überfüllten Abschlusskonzert im Kurtheater endete beim Festival „Rossini in Wildbad“ die Arbeit der diesjährigen Akademie Belcanto unter Leitung des Startenors Raúl Giménez....mehr



Fotos: "Rossini in Wildbad"

18. Juli 2010

„La gazza ladra“ in Bad Schwalbach – Premiere der Kammeroper München

Ouvertüre zur "La gazza ladra", Notenauszug für Posaune, Link zur Quelle

Hingefahren nach Bad Schwalbach sind wir voller Vorfreude: Schließlich sollten wir dort im Kurhaus im Rahmen des Rheingau Musik Festivals Gelegenheit haben, wieder einmal eine der selten gespielten Opern unseres Rossini zu hören. Aber den Heimweg nach der Premiere einer Aufführung der Kammeroper München haben wir dann doch mit etwas gemischten Gefühlen angetreten. Doch alles der Reihe nach.

La gazza ladra – Die diebische Elster – jeder kennt die fröhliche Ouvertüre mit ihrem charakteristischen Trommelwirbel zu Beginn, aber die Oper selbst ist wenig bekannt. Wider Erwarten ist dies keineswegs ein heiteres Stück. „Melodramma“ nennt es der Librettist und melodramatisch, ja hart am Rand des Tragischen, geht es da in der Tat zu. Die Handlung basiert angeblich auf einer wahren Geschichte: Eine Dienstmagd in der französischen Provinz wird verdächtigt, silberne Löffel gestohlen zu haben, für dieses abscheuliche Verbrechen zum Tod verurteilt und hingerichtet, bevor man dahinter kommt, dass es in Wirklichkeit die böse Elster war, die sich an den Löffeln vergriffen hatte. In unserer Oper allerdings wird das junge Mädchen im letzten Augenblick gerettet und kann muntere Finalweisen anstimmen.

Rossini, der das Libretto „bellissimo“ fand, hat seine Oper für ein groß besetztes Orchester geschrieben: 4 Hörner, 3 Posaunen und 3 Schlagzeuger neben dem sonst üblichen Apparat – also mit weniger als 45 Musikern ist diese Partitur nicht adäquat zu realisieren. Das Markenzeichen der Münchner Kammeroper aber ist die Reduzierung auf zehn Musiker, und das mag ja bei den „Lustigen Nibelungen“ von Oscar Strauss angehen, ist aber in unserem Fall äußerst fragwürdig.

Nichts gegen die exzellenten Instrumentalisten, die sich an diesem Abend in Hochform zeigten: Trotz immenser Schwierigkeiten für jeden Einzelnen war kein falscher oder auch nur unschöner Ton zu hören. Aber das nicht unbedingt geschickte Arrangement ließ nicht einmal das klangliche Niveau eines guten Salonorchesters aufkommen, und die unglückliche Verwendung eines Bandoneons (im Programm als Akkordeon deklariert) mit seinen näselnden Tönchen drückte den Klang weiter in Richtung Petersburger Straßenmusikanten.

Wir hatten uns so auf den erwähnten Trommelwirbel zu Beginn gefreut. Schließlich hat er eine im Stück verankerte Bedeutung als Begleitmusik auf dem Marsch zur Hinrichtung. Aber hier? Leider war keiner der 10 Musiker in der Lage, eine Trommel zu rühren, und so fing alles mit ein paar vom Horn allein vorgetragenen belanglosen Dreiklangsübungen an – erste herbe Enttäuschung.

Gesungen wurde auf Deutsch in einer Neuübersetzung des Regisseurs Dominik Wilgenbus. Verstanden haben wir wenig vom Text, aber hier eine Kostprobe: statt „Mille furie nel petto mi sento“ hieß es in schwer nachvollziehbarer Nachahmung eines gewissen Meisters aus Bayreuth: „Ist mein Busen der Boden des Bösen?“. Man konnte diesen Text an der Abendkasse kaufen. Es war nicht unbedingt übertriebene Sparsamkeit, die uns darauf verzichten ließ.

„Die Inszenierungen setzen neben dem poetischen Einsatz einfacher Mittel vor allem auf die komödiantischen Qualitäten der jungen Sängerinnen und Sänger“ (Originaltext Kammeroper München). So weit, so gut. Die komödiantischen Qualitäten waren ziemlich ungleich verteilt, und um einfache Mittel handelte es sich in der Tat – auf der ansonsten leeren Bühne waren vier Stehleitern poetisch eingesetzt, an denen traurig eine sparsam mit bunten Glühlampen bestückte Girlande hing. 


Foto: Rheingau Musik-Festival in Premieren-Kritik der Wormser Zeitung
(diese Seite enthält auch ein Video zur Aufführung)

Im ersten Akt hielt man sich noch weitgehend gradlinig erzählend an die Vorlage Rossinis, aber nach der Pause kamen dann Schere und Rotstift ausgiebig zum Einsatz und stutzten das in reiner Spielzeit 3 ¼ stündige Werk auf das bekömmliche Maß von 2 ½ Stunden plus 30 Minuten Pause zurecht, wobei es dann am Ende zwangsläufig etwas Hals über Kopf zuging.

Für die schlimme Elster, die den ganzen Schlamassel anrichtet und auch gelegentlich etwas krächzen darf, hatte man sich wirklich etwas Sinnvolles ausgedacht: als flügelschlagende Stockpuppe drehte sie schon während der Ouvertüre eine Runde durchs Publikum und war dann auch über weite Strecken im ersten Akt auf der Bühne präsent. Das machte Sinn. Im zweiten Akt gab es dann Ausflüge in die Tiefenpsychologie. Im Gefängnis wird die arme Ninetta das Opfer von bösen Träumen und Visionen, in denen die Elster dämonisiert in Gestalt von schwarzen und weißen Vogelfedern auftaucht. Auch das war noch nachvollziehbar, bis schließlich diese phantasievollen Zutaten in der Gerichtsszene und im Finale leider zu reinem Klamauk entarteten.

Natürlich hatten wir nicht erwartet, Rossinis Musik hier von Assen des Gesanges vorgetragen zu hören. Aber da gab es dann doch wenigstens zwei sehr, sehr positive Überraschungen. Simona Eisinger hieß die junge Sängerin, die die Rolle der Ninetta jugendlich frisch und in jeder Hinsicht überzeugend zu gestalten wusste und auch den Anforderungen der in dieser Oper allerdings sparsam eingesetzten Koloraturen durchaus gewachsen war. Die Rolle ihres hilfreichen Freundes Pippo, bei Rossini ein Contralto als Hosenrolle, sang Thomas Lichtenecker, ein Altus, also ein Mann mit der hohen Stimme, wie sie heutzutage vorzugsweise in der Barockmusik zum Einsatz kommt, und die in etwa die von Rossini geforderte Tessitura hat. Und das war bei aller anfänglichen Skepsis dann wirklich ein Erlebnis. Das einwandfrei gesungene und schön anzuhörende Duett Ninetta – Pippo im zweiten Akt war der absolute Höhepunkt dieser Aufführung.

Musikalisch ebenso hörenswert waren die stimmlich gut ausbalancierten Ensembles, ohnehin die besten Teile dieser Partitur, in denen auch die anderen Sänger gediegene Gesangskultur demonstrieren konnten. Nennen wir stellvertretend für die vielen anderen Peter Maruhn, der dem bösen Bürgermeister seinen wohlklingenden Bass lieh, allerdings für die Verführungsversuche bei der jungen Ninetta noch etwas Übungsbedarf in diesem Metier erkennen ließ. Eigentlich der Einzige, der uns weniger gefallen hat, war Giannetto, den Ninetta am Ende abkriegt und der sich zwar lautstark bis zum hohen Cis aufzuschwingen wusste, dabei aber jeden tenoralen Schmelz vermissen ließ. Wieder einmal wurde in dieser Aufführung deutlich, dass diese Art von Musik nur dann ihre volle Schönheit entfalten kann, wenn sich erstklassige Sänger ihrer annehmen.

In den freundlichen Schlussapplaus hinein hörte man ein schüchternes „Viva Rossini“. Eigentlich hätte der Mann das ruhig lauter rufen können, aber vielleicht hätte sich der Meister auch nach dieser Aufführung schamhaft weggeduckt. Trotzdem: Eine der weniger gespielten Opern Rossinis zu hören ist immer ein Gewinn, und wer sich den verschaffen will, hat dazu noch ab 19. August im Hubertussaal, Schloss Nymphenburg in München, Gelegenheit.

Friederike und Claus Louis (besuchte Vorstellung 15.07.2010)

17. Juli 2010

Schlossfestspiele Schwerin: Verdi "Die Macht des Schicksals"

Foto: Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin
Nach Schwerin, nach Schwerin....

...möchte man ausrufen, nachdem man anlässlich der Schlossfestspiele 2010 Verdis "La forza del destino - Die Macht des Schicksals" auf der Freilichtbühne des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin erlebt hat. Auch wenn man Vorbehalte gegenüber Open-Air-Aufführungen hat - hier wird man belehrt, dass "große Oper" draußen nicht nur optisch ein Genuss ist, sondern auch musikalisch eindrucksvoll zelebriert werden kann. Die Akustik ist so fein ausgesteuert, dass die Stimmen natürlich klingen; die Verve, mit der sich das Orchester ins Zeug legt, überträgt sich ohne Abstriche auf den Besucher.

Der Handlungsablauf und die zahlreichen Schauplätze gelten als schwer realisierbar in einem Opernhaus. Auf dem Alten Garten, in der Bühnenlandschaft von Lutz Kreisel vor dem Museum am Rande des Schweriner Sees merkt man nichts von diesen Beschränkungen. Die Bühne ist außerordentlich in die Breite gezogen. Die lange Museumstreppe, das Museum selbst, wird integriert und durch Treppenstufen und Quader geschickt ergänzt, so dass man kaum Original und Bühnenarchitektur unterscheiden kann. Nach vorne hin bildet eine Sandbahn die Begrenzung, hier kann auch eine von Pferden gezogene Kutsche im raschen Trab einen eindrucksvollen Abgang wagen. Lässt man die Blicke schweifen, sieht man rechts den Schweriner See mit ruhig dahingleitenden Segelbooten, links streift das Auge den aus Backstein errichteten wuchtigen Dom.

Hier waren Könner am Werk: Da wäre zunächst das Orchester unter der Leitung von Martin Schelhaas zu nennen. An einem der heißesten Tage des Jahres musizierte es in einem historisch anmutenden, von wuchtigen Säulen begrenzten Nebengebäude. Die Musiker blieben im Dunkel, nur der sich bewegende Arm des Dirigenten, weiß angestrahlt, war für das Publikum sichtbar. Schelhaas war mit raschen Schritten zu seinen Leuten geeilt, hatte sich  noch im Laufen seines Sakkos entledigt und unmittelbar danach setzte die Musik ein. Die "Schicksalsmelodie", welche vor allem von Donna Leonora (Adva Tas) in einer großen Arie wieder aufgegriffen wurde, bestimmte die Ouvertüre.

Auch dem Regisseur Peter Lotschak merkte man die Erfahrung mit dem Bühnenraum an. Große Chorszenen wechselten ab mit ruhigen Sequenzen, wenn beispielsweise Leonora allein auf der Szene die Stufen hinauf- und hinabeilt, mit bewegendem Gesang Eingang in der Kirche - symbolisiert durch ein in der Dunkelheit angestrahltes Kreuz -  sucht und zunächst vergeblich an dem schmiedeeisernen Tor rüttelt. Auch das Duett zwischen Bariton (Konstantin Rittel-Kobylianski als Don Carlo) und Tenor (der inbrünstig singende junge Eduardo Aladrén als Don Alvaro) war fast kammerspielartig intim inszeniert. Die Akteure bewegten sich in weißen Lichtkegeln vor einer rot angestrahlten leinwandartigen Fläche.

Gewaltig der Chor, grandios die Spezialeffekte, nicht ohne ein Quäntchen Augenzwinkern, als wolle der Regisseur seinem Publikum Zucker geben. In großer Zahl und meist schwarzen oder sandfarbenen Gewändern marschierten oder tanzten sie auf den Schauplatz, um teilweise abrupt wieder abzurücken und nach dramatischen den lyrischen Passagen wieder Raum zu geben: Soldaten, Bauern, Mönche, Pilger, Kinder, Marketenderinnen, Bettler, Händler und Gaukler. Der Tod als schwarzer Kapuzenmann kam herbeigeritten; ein Land wurde während eines lang andauernden Krieges und zwischen Patriotismus und Ernüchterung schwankend dargestellt. "Viva la guerra" singt Preziosilla (Sarah van der Kemp). Das Schlachtengetümmel entlud sich in der Musik und fand auf der Bühne in einem Kanonenfeuerwerk mit durch die Luft fliegender Fahne seine Entsprechung.



Ebenso zwiespältig wie der Krieg wurde die Kirche dargestellt; kein Wunder, dass der Zensor zu Verdis Zeiten an den Bettelszenen Anstoß nahm, werden die Bettler doch sehr unwirsch von Fra Melitone (Martin Winkler in einer Buffo-Paraderolle) zurückgewiesen.

Verdi komponierte 1860 seine Oper in einer Zeit blutiger Auseinandersetzungen: Im Norden Italiens gab es Kämpfe gegen die österreichische Besatzung, in Süditalien und Sizilien erhob man sich gegen die Bourbonen und in Mittelitalien gegen den Vatikanstaat. Verdi wurde Deputierter in Turin, war also selbst aktiv politisch tätig, und unterstützte republikanische Freiheitsbewegungen. Dies spiegelt sich in seinen Opern wider, auch in dieser. Eigensinnig verteidigte er seinen, an Shakespeare ausgerichteten Kunststil, verband tragische mit komischen Szenen und schuf Raum für Gestalten aus dem Volk wie Fra Melitone als einfachem Mönch oder Preziosilla als Marketenderin.

Weitere Sänger in der am 16.7.2010 besuchten Aufführung waren: Shavleg Armasi als Padre Guardiano, Olaf Plassa als Marchese di Calatrava, Kay-Gunter Pusch als Trabuco, Sebastian Münch als Aclcade, Markus Vollberg als Feldarzt, Undine Labahn als Bettlerin.

Die Oper wird noch bis 1. August 2010 donnerstags bis sonntags jeweils 21 Uhr aufgeführt. Die Solopartien sind alternativ besetzt. Besonders erwähnenswert ist Capucine Chiaudani, welche ebenfalls die Donna Leonora singt und unter anderem bereits als Fedra in der Oper von Simon Mayr im Braunschweiger Staatstheater zu bewundern war. Wer sich auch auf Schwerin mit seinem Schloss und den See einstimmen möchte, dem empfehlen wir einen Blick in unser Kurzvideo.

Astrid Fricke (Besuchte Vorstellung am 16. Juli 2010)

13. Juli 2010

Rossini und Bad Wildbad - Stoff für einen neuen Film?

Die Filmregisseurin Helma Sanders-Brahms (Biographie) hat in einem Artikel für die Welt liebevoll und berührend über Rossini und Bad Wildbad geschrieben:


Rossini und die Freude am Leben

Helma Sanders-Brahms trifft in Wildbad den alten und maladen italienischen Komponisten. Ein geeigneter Stoff für ihren nächsten Film...mehr

"Rossini in Wildbad" - Das Belcanto Opera Festival – Rückschau und Vorschau

Auch in diesem Juli 2010 findet das Rossini-Belcanto-Fest in Bad Wildbad (Schwarzwald) statt, diesmal zum 22. Male. Ein Muss für alle Rossini-Freunde und Belcanto-Liebhaber.

Zur Einstimmung auf dieses Ereignis hier Fotos vom schönen Bad Wildbad und zwei Filmausschnitte aus meinem Belcanto-Archiv. Abschließend Veranstaltungshinweise zum diesjährigen Festival.

Das wiedereröffnete Kurtheater
Das Thermalbad (Panoramaansichten vom Palais Thermal)
Im Kurpark

 Aus dem Belcantoarchiv (TU Braunschweig): 
Tatjana Korovina als Zenobia in G. Rossini "Aureliano in Palmira",
Bad Wildbad 1996



Aus dem Belcantoarchiv (TU Braunschweig): 
Filmtrailer von 1996
(u.a. mit Statements von Jochen Schönleber und Reto Müller) 

Das Programm für "Rossini-in-Wildbad" startet in diesem Jahr am 15. Juli mit der Rossini-Oper "La Cenerentola" (Aschenputtel). Weitere Opern: G. Rossini "La Siège de Corinthe" (Die Belagerung von Korinth), sowie P. Generali "Adelina". Das Festival wird durch weitere hochkarätige Veranstaltungen ergänzt, z.B. durch "Duetti buffi: Unsterbliche Buffoszenen" mit Lorenzo Regazzo und Bruno Praticó, "Malibran-Kadenzen" und einen Festvortrag von Reto Müller "Rossini - 200 Jahre im Rampenlicht".

Der genaue Programmablauf, sowie die Besetzungslisten sind auf der Homepage des Festivals einsehbar. Ein Flyer mit einer Kurzübersicht incl. Kartenbestellschein ist ebenfalls dort vorhanden.

Übrigens überträgt Deutschland Radio Kultur jährlich eine Aufführung live, dieses Jahr am 24. Juli.

12. Juli 2010

Herzlichen Glückwunsch! - Nicolai Gedda zum 85. Geburtstag

Vor fast fünfzig Jahren habe ich ihm schon einmal zum Geburtstag gratuliert, - damals noch per Post, und die schwärmerische Schülerin, die gerade das Wunderreich von Oper und Klassik betreten hatte, bekam ein nettes Dankeschön:



Kaum hatte mein “Opernleben” begonnen, das mich auch sehr bald in Konzerte und Liederabende führte, hatte ich das große Glück, am 1. November 1960 zum ersten Mal Nicolai Gedda in der Hamburger Musikhalle zu erleben. Ich glaube, es war auch sein erster Auftritt in Hamburg, und die Presse machte seinerzeit viel Aufhebens. In meinem Tagebuch klebt ein Zeitungsausschnitt mit einem Foto Geddas neben zwei Werftarbeitern: “Konzertprobe vor dem Schneidbrenner - Gedda singt auf der Werft, doch der Schneidbrenner ist stärker - Der Hamburger Sängerkrieg - Nach Mario del Monaco heute Nicolai Gedda“.

Welch ein absurder Vergleich! Ich war sofort fasziniert von diesem innigen Tenorgesang Geddas. Das Taschengeld wurde umgehend in eine teure LP mit Mozartarien investiert, - unzählige Male gespielt (und zum Leidwesen meiner Mutter oft auch mitgesungen, kaum war ich aus der Schule nach Hause gekommen), alle Phrasen noch heute im Ohr und für mich immer noch ein Wunder an beglückendem Mozartgesang.

Mit dem Postillon von Lonjumeau hatte Geddas Karriere begonnen, die ihn kometenhaft schnell von Stockholm an die Scala di Milano und danach an alle großen Opernhäuser der Welt führte.



Französisches, russisches, deutsches und italienisches Opernrepertoire, Lieder und geistliche Werke, auch die Operette - eine immense Diskographie und die Videos bei YouTube bezeugen Geddas stets stilsichere Vielseitigkeit.

Beispielhaft insbesondere auch seine Interpretation der Arie des Lenski aus Eugen Onegin, unvergleichlich bewegend gesungen in der Nachfolge der großen russischen Tenöre - zuletzt Sergej Lemeshev und Ivan Koslovski - unter Einsatz der Stilelemente einer dort lebendig gebliebenen Belcantotradition, wie man diese Szene heutzutage auch nicht annähernd mehr zu hören bekommt (mir fällt da als bemerkenswert stilsichere Ausnahme eigentlich nur der australische Tenor Steve Davislim bei einem Auftritt 2007 in der Hamburgischen Staatsoper ein).


In den folgenden Jahrzehnten hatte ich noch häufiger das Glück, Nicolai Gedda in Hamburg zu hören: mehrere Liederabende, Verdis Messa da Requiem, ein Gala-Konzert mit Opernarien, mit dem Don Kosaken Chor ein wunderbares Galakonzert zur Erinnerung an Serge Jaroff und (in dem akustisch schrecklichen CCH) in einer Tournee-Inszenierung von Lehars Das Land des Lächelns. In einer Opernaufführung auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper hat er meines Wissens nur als Tamino in Mozarts Zauberflöte gastiert; diese Hamburger Inszenierung von 1971 mit Gedda, Mathis, Deutekom, Sotin, Workman, Grundheber unter Horst Stein wurde vom NDR für das Fernsehen im Studio nachproduziert und ist jetzt auf DVD veröffentlicht:




Sein letzter Auftritt in Hamburg war sein Solo-Abend in der Hamburgischen Staatsoper am 19. Januar 1998, bei dem er noch einmal mit seiner großartigen Gesangskultur beglückte.

1998 erschien seine Autobiographie. In der Folgezeit hat er dann als Lehrer sein Wissen weitergegeben...



...und auch jetzt als nunmehr alter Herr ist er noch aktiv, - hier ein Foto aus dem Jahr 2008 mit seinem Schüler Stefan Heibach (der diese Spielzeit in Schwerin als sehr bemerkenswerter Lyonel in Flotows “Martha” zu hören war):


"Heute fühle ich mit meinen fast 75 Jahren ein ungeheures Glück, wenn ich morgens erwache und die Vögel draußen im Garten singen höre, wenn ich aufstehen und immer noch gesund und munter sein kann. Ich bin dankbar für jeden Morgen, an dem ich aufwache und meine Lebensgefährtin singen höre, wenn sie in den Zimmern umhergeht und sich zu schaffen macht. Ich begreife, daß man nicht in gleicher Weise wie früher etwas ersehnen kann, das in der Zukunft geschehen wird, da ich mir bewußt bin, daß die Zukunft dasselbe ist, wie ein Tag näher dem unausweichlichen Ende. Man kann nur demütig auf noch einen sonnigen Tag, vielleicht auf noch einen Frühling hoffen."
Seit diesen Schlussworten Geddas in seiner Autobiographie sind nun bereits über zehn Jahre vergangen. Am 11. Juli 2010 vollendete Nicolai Gedda sein 85. Lebensjahr. Für das neue Lebensjahr die besten Wünsche und Freude an den noch kommenden sonnigen Tagen!

Per sempre addio - Cesare Siepi (1923 - 2010)


Grandezza in Stimme und Erscheinung, das war Cesare Siepi, der am 5. Juli 2010 im Alter von 87 Jahren verstorben ist.

Er war einer der großen Bassisten des 20. Jahrhunderts und der unbestrittene Nachfolger der beiden berühmten Don Giovanni-Interpreten des 20. Jahrhunderts - Francisco d’Andrade (1859 - 1921, von Max Slevogt mehrfach porträtiert) und Ezio Pinza (1892 - 1957). Cesare Siepis Don Giovanni bei den Salzburger Festspielen 1953 unter Furtwängler ist durch die Fernsehaufzeichnung auch den heutigen Opernfreunden gegenwärtig.


Zahlreiche Gesamtaufnahmen und Live-Mitschnitte zeigen die große Spannweite seines Repertoires. Legendär sind seine Mozartaufnahmen: Don Giovanni unter Josef Krips und Le nozze di Figaro unter Erich Kleiber, beide aus dem Jahre 1955.

An der Metropolitan Opera New York sang er vom 6. November 1950 (Debut als König Philipp in Giuseppe Verdis Don Carlo) bis zu seiner dort letzten Vorstellung am 19. April 1973 in rund 490 Vorstellungen: u. a. Modest Mussorgskijs Boris Godunow, den Gurnemanz in Richard Wagners Parsifal, den Grafen Rodolfo in Vincenzo Bellinis La sonnambula und den Mephistopheles in Charles Gounods Oper Faust.

Von Rossinis Mosè gibt es einen Mitschnitt vom 8. Januar 1974 aus Venedig mit Cesare Siepi in der Titelpartie. Komische Partien finden sich kaum im Repertoire dieses eleganten und eher würdevollen Sängers, - aber hier ist er als Rossinis Don Basilio (1952):



Eleganz und Würde - diese Eindrücke prägen auch die Erinnerung an seinen Auftritt an der Hamburgischen Staatsoper im Frühjahr 1981, als er in einer konzertanten Aufführung von Verdis Ernani die Partie des Don Ruy Gomez de Silva, grande di Spagna, sang.

Cesare Siepi, der unvergessliche basso cantante, hier noch einmal in der Rolle seines Lebens (Lugano 1985):


6. Juli 2010

Im Belcanto-Himmel - Rossinis "La donna del lago" in Paris

Paris. Metro-Station Opéra. Wir kommen die Treppe aus dem Untergrund hoch, drehen uns um und auf diesen Augenblick freuen wir uns schon seit Wochen: vor uns das Gebäude, das wir – mit Verlaub - für das schönste in ganz Paris halten: „Académie Nationale de Musique“ steht in goldenen Lettern daran, bekannt als „Palais Garnier“, nach seinem Erbauer 1875 benannt und für uns einfach „die alte Oper“. Pracht und Prunk einer untergegangenen Epoche, ganz wie die Musik, die zu hören wir heute hierher gereist sind. An der Fassade Büsten von Komponisten, die man hier für die größten hält. Wir suchen nach ihm und da ist er - links außen: Rossini.

Académie Nationale de Musique, Opera National de Paris

Paris und Rossini – ein Kapitel für sich. Als er hier lebte, gerade mal zwei Straßen weiter, da war er der Abgott der Pariser Gesellschaft, und selbst ein so strenger Kritiker wie Berlioz zog vor ihm den Hut. Und heute? Gewiss, es gibt eine Rue Rossini, ziemlich versteckt und wenig attraktiv, aber das Appartement, in dem er wohnte und in dem die kulturelle Elite seiner Zeit bei ihm zu Besuch war, wird zur Zeit zu Büros und Eigentumswohnungen umgewidmet, nachdem es jahrelang einen „Asia-Club“ beherbergt hat und nur eine von der Straße aus kaum lesbare Tafel an den einstigen Bewohner erinnert. Sic transit gloria mundi.

Immerhin – die Pariser Oper hat sich mal wieder auf ihn besonnen und uns mit der Inszenierung eines seiner Werke hierher gelockt: „La donna del lago“, in Paris zuletzt 1824 aufgeführt, eine der sogenannten ernsten Opern, die Rossini für Neapel und in die Kehle seiner großen Liebe Isabella Colbran komponiert hat. Das Sujet hat der Meister dem Vernehmen nach ausnahmsweise selbst ausgesucht: Ein Gedicht des schottischen Schriftstellers Walter Scott, dem einst viel gelesenen Erfinder von sentimentalen Märchen für Erwachsene, der heute eher der Trivialliteratur zugezählt wird. Mit diesem ersten Anstoß zur „Scottomanie“ hat Rossini dann eine wahre Lawine von schottischen Opern losgetreten, der wir Werke wie Bellinis „ Puritaner“ und Donizettis „Lucia di Lammermoor“ verdanken.

La grande salle du Palais Garnier 
(Foto: The Opera Palais Garnier, Bildschirmfoto von "Virtual visit")

Die Story dreht sich um Jakob V., den schottischen König und Vater der berühmten Maria Stuart, die für einige Turbulenzen in der englischen Geschichte gesorgt hat. Jakob (Giacomo, verkleidet als Uberto – Tenor) ist historisch bekannt als notorischer Schürzenjäger. Eine dieser Schürzen trägt in unserer Oper Elena (Sopran), Tochter von Jakobs Erzfeind Duglas (Bass), das ist der, der es bei Fontane „getragen hat sieben Jahr“ – erinnern Sie sich? (PS: unsere Schreibung der Namen entspricht der in der Partitur der Fondazione Rossini di Pesaro). Der König ist also  hinter Elena her, die zwar einen gewissen Malcom  (Hosenrolle für die Contraaltistin) innig liebt, aber von ihrem Vater an den Clanchef Rodrigo (weiterer Tenor) versprochen ist als Belohnung für dessen gegen den König gerichtete subversive Tätigkeit. Nachdem er diesen aufmüpfigen Rodrigo im Duell eliminiert hat, verzichtet der König zum Schluss großmütig auf die Eroberung Elenas und verzeiht sowohl Duglas als auch Malcom, die gegen ihn vergeblich Krieg geführt haben.

Leute, die das beurteilen können, versichern einstimmig, dass das Libretto, zu dem das Epos des Walter Scott für Rossini verarbeitet wurde, in seiner Ansammlung von Klischees einer Travestie des Originals gleichkommt – aber wie üblich lässt uns Rossini mit seiner Musik darüber großzügig hinweghören. Optisch haben sich Librettist und Komponist das Ganze durch und durch schottisch gedacht: so singen etwa schottische Landleute und Jäger den Eingangschor in einer wilden Gebirgsszenerie am berühmten Loch Katrine, dem See, auf dem Elena rudernd ihre erste Canzone singen soll – ein Bild, das bei der Premiere in Neapel 1819 Furore machte.

Wenn aber in Paris der Vorhang hoch geht, reiben wir uns erstmal erstaunt die Augen. Statt ins schottische Hochland schauen wir auf eine riesige Kolonnade mit korinthischen Säulen und mehreren Etagen, die in der Mitte teilbar ist. Im Laufe des Abends rückt dieses Ungetüm immer wieder auseinander, um den Blick dahinter freizugeben, beispielsweise auf eine Hochgebirgslandschaft in der Tradition verstaubter Prospektmalerei. Für dieses Bühnenbild zeichnet Ezio Frigerio verantwortlich, der ausgiebig für Giorgio Strehler gearbeitet hat und in seinem Metier als einer der ganz Großen gilt. Nun erstaunt es uns schon nicht mehr, wenn vor der Kolonnade nicht etwa schottische Landleute und Jäger fröhlich trällern, sondern ernste Herren im Frack und Damen in Abendtoilette mit Sektgläsern in der Hand ziemlich unbeweglich herumstehen.

Le grand foyer
(Foto: The Opera Palais Garnier, Bildschirmfoto von "Virtual visit")

Bewegung kommt dann in die Szenerie, wenn einige Mitglieder des Balletts sich ohne sichtbare Motivierung mit lebhaften Sprüngen unter die steife Partygesellschaft mischen. Wir fangen an, uns zu fragen, was wohl der Regisseur, der Spanier Lluis Pasqual, der immerhin schon in Pesaro aktiv gewesen ist, damit ausdrücken will. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen äußert er sich nicht im Programmheft, aber sobald die eigentliche Handlung einsetzt, merken wir auch so, was seine Absicht ist. Elena, die Dame vom See, kommt nicht in einem Kahn, sondern taucht in einem durch leicht bewegte Lichtprojektion angedeuteten Wasser aus der Versenkung auf wie einst Nessie, nur viel schöner anzusehen in ihrem juwelenbesetzten Prachtgewand.

Exakt die gleiche prächtige Kleidung tragen auch die anderen Protagonisten. Aktion wird nur minimalistisch angedeutet, dafür steht man vorzugsweise vorn am Bühnenrand und singt frontal ins Publikum mit einer Gestik, von der wir glaubten, dass sie in der Oper schon vor Jahrzehnten abgelegt wurde. Aha – verstanden ! Es soll also angedeutet werden, dass diese Art Oper am besten als konzertante Aufführung in Kostümen darzubieten ist, wobei die Szenerie, schön anzusehen, aber neutral, nur als Folie für die Repräsentation der Musik dient. Komposition und Gesang als Hauptsache, Handlung nicht so wichtig. Hat das vielleicht Rossini selbst auch so gesehen? Hätte der Regisseur also recht mit dieser Idee ?

Dem Publikum gefiel es jedenfalls und der einzelne Herr, der sich bei einem erneuten Auftritt des befrackten Chores ein „Buh“ abrang, muss sich ziemlich einsam vorgekommen sein. Überhaupt – unseren Genuss hat diese Sicht auf das Werk keinesfalls geschmälert, auch wenn wir schon das Wehgeschrei der Leute zu hören meinen, die da glauben, das Wichtigste bei Rossini seien seine Libretti. Das Wichtigste ist für uns letztendlich seine Musik und die Art, wie sie ausgeführt wird. Deswegen sind wir doch hergekommen und davon zu berichten wird es jetzt höchste Zeit.

Und da finden wir kaum Worte, die der Perfektion, die uns geboten wurde, gerecht werden könnten. Joyce DiDonato als Elena und Juan Diego Flórez als Giacomo-Uberto - ein Traumpaar, von dem man am Ende der Oper nur heftig bedauern kann, dass es nicht zum Happy End zusammenfinden darf. Bereits nach dem ersten Duett dieser Superstars der Belcanto-Szene gab es nicht endenwollenden Beifall, obwohl beide bereits die Bühne verlassen hatten. Schade eigentlich, dass die Inszenierung ihnen nicht erlaubte, ihre offensichtlich reichlich vorhandenen schauspielerischen Fähigkeiten auszuspielen.

Juan Diego Flórez und Joyce DiDonato (Foto: Operapoint)

Über die stimmlichen Qualitäten braucht man Belcanto-Fans nicht viel zu erzählen. Nur soviel: beide waren in unserer nachmittäglichen Aufführung (27. Juni) in Bestform und unsere hochgespannten Erwartungen wurden mehr als erfüllt. DiDonato: eine Stimme wie Stahl in Samt verpackt, gleichermaßen perfekt in der beseelten Gestaltung der lyrischen Teile wie im Feuerwerk halsbrecherischer Cabaletta-Koloraturen. Und wenn man die tenorale Kraftmeierei mancher anderen Sänger in seiner Rolle noch im Ohr hat, kann man Flórez nicht genug bewundern dafür, wie er neben der selbstverständlichen Bewältigung strahlender Spitzentöne und stilsicherer Fiorituren auch dem Anspruch cantabler Stimmführung im höchsten Maße gerecht wird. Erfreulich, dass beide Sänger dank sparsamer Anwendung der „messa di voce“ und durch intelligenten Gebrauch von Appoggiaturen weit entfernt blieben vom Manierismus, den man von anderen „Stars“ gewöhnt ist.


Joyce DiDonato - Tanti Affetti - Donna del lago, Paris 2010

Doch nicht genug mit diesen sängerischen Gipfelerlebnissen – auch die übrigen Protagonisten brauchten sich nicht zu verstecken. Daniela Barcellona in der ungemein dankbaren Contralto-Rolle des Malcom sang ihre beiden stilistisch noch dem Barock verpflichteten Arien mit sattem Stimmtimbre und agiler Beweglichkeit in den virtuosen Partien. Schwer hatte es Colin Lee als Rodrigo: den tenoralen Widerpart gegen Flórez zu singen ist keine beneidenswerte Aufgabe. Er hat sie brillant gemeistert. Die hohen Cs,mit denen die beide Tenöre vor ihrem Duell aufeinander losgehen, klangen bei ihm nicht weniger kraftvoll als bei Flórez, und wenn auch die von einem Baritontenor geforderte Tiefe etwas zu wünschen übrig ließ, so hat er uns doch an anderer Stelle mit einem wagemutig pianissimo angesetzten hohen C überrascht, wie es wenige Tenöre riskieren. Kompliment!

Gut zu hören auch der Bass Simon Orfila, der sich der Arie des Duglas mit voluminöser Stentorstimme annahm. Einer Arie übrigens, deren Komposition Rossini einem unbekannten Mitarbeiter anvertraute und die ihm so gefiel, dass er sie auch später nicht gegen etwas Eigenes austauschte, sondern sogar ein Motiv daraus an anderer Stelle in dieser Oper verwertete. Auch die ziemlich umfangreichen Rezitative hat Rossini größtenteils nicht selbst geschrieben. Von solch exzellenten Sängern gestaltet, klangen sie in dieser Aufführung sogar wie Musik. Positiv zu erwähnen bleibt weiter die Leistung des Chors, der viel zu singen hat in diesem Werk, sich aber regiebedingt fast ausschließlich so gut wie bewegungslos im Hintergrund aufhielt, zur Abwechslung aber auch mal ebenso steif vorn an der Rampe singen durfte.

Der Taktstock vor dem tadellos aufspielenden Orchester war Roberto Abbado anvertraut, dem der Ruf eines Rossini-erfahrenen Dirigenten vorausgeht. Amüsiert konnten wir zu Beginn des zweiten Aktes bei der wundervollen Arie des Königs den Kampf zwischen Dirigent und Flórez um das richtige Tempo verfolgen. Flórez  gewann und durfte sein Tempo singen. So etwas sollte natürlich in der fünften Vorstellung nicht mehr passieren. Schwamm drüber!

Fazit : Wir durften glückliche Zeugen einer Sternstunde sein und haben uns gefühlt wie im Belcanto-Himmel. Vier Tage vorher hatte es wegen eines Streiks der Bühnenarbeiter nur eine konzertante Aufführung gegeben. Auch wenn die szenische Realisation unserer Aufführung immer schön anzusehen war und keine Zumutungen bereit hielt, fragen wir uns doch, ob wir da wohl viel verpasst hätten.

Zuletzt noch ein Hinweis für alle, die traurig sind, dass sie für die wenigen Vorstellungen mit den beiden Stars in Paris keine Karten bekommen konnten: Da dies eine Koproduktion mit der Scala di Milano und Covent Garden in London ist, kann man vielleicht noch Karten ergattern, wenn die Inszenierung dort gezeigt wird. Wir wünschen viel Glück!

Claus und Friederike Louis (besuchte Vorstellung: 27.Juni 2010)

4. Juli 2010

Cecilia Bartoli - Bellinis "Norma" konzertant im Konzerthaus Dortmund

Wie das Leben manchmal so spielt: Ursprünglich wollten wir nur Freunde aus Norddeutschland vor der Norma-Vorstellung im Konzerthaus treffen und "hallo" sagen. Den Besuch der Oper hatten wir für uns selbst nicht geplant, weil wir, offen gesagt, Zweifel hegten, ob Cecilia Bartoli eine geeignete Interpretin der "Norma" sei. Doch angesteckt von der lebhaften Vorfreude unserer Freunde und der vielen Besucher, die sich schon lange vor der Vorstellung im Konzerthaus einfanden, bekamen wir Lust,  auch dabei zu sein. Dann noch eine Karte zu ergattern, war nicht leicht, denn diese zweite und letzte Vorstellung war seit Monaten ausverkauft. Doch es gelang und wir konnten zwei rückläufige Karten von anderen Opernbesuchern erwerben.

Cecilia Bartoli, Thomas Hengelbrock

John Osborn, Rebeca Olvera, Cecilia Bartoli (Fotos: privat)

Unseren spontanen Entschluss haben wir nicht bereut. Spätestens beim jubelnden Pausenapplaus war uns klar, in einer ungewöhnlichen und fesselnden Aufführung zu sein. Natürlich war es für die Bartoli ein großes Wagnis, die Rolle der Norma angesichts berühmter sängerischer Vorbilder wie Maria Callas, Anita Cerquetti oder in der Gegenwart Hasmik Papian neu zu deuten und zu gestalten. "Kann das ein Mezzo überhaupt??" Das wird sich außer uns noch so mancher gefragt haben.

Ja, sie konnte.In den letzten Jahren beschäftigte sich die Sängerin mit dem Repertoire der italienischen Romantik, insbesondere mit dem der Maria Malibran. Ganz konnte die Bartoli  ihre künstlerische Herkunft als Sängerin von Barock- und Rossini-Opern nicht verleugnen. Die Gestaltung des facettenreichen Charakters der Norma gelang ihr aber so bewusst und überzeugend, dass dies nicht nur uns in Erstaunen versetzte. Gerade der Charme des Andersseins durchströmte mitreißend ihre Darbietung.

Zwar färbte Cecilia Bartoli zu Beginn von "In mia man alfin tu sei..." ihre Stimme etwas unnatürlich und guttural ein, wohl um Zorn und Verachtung Normas zum Ausdruck zu bringen, doch das war letztlich ein Zeichen dafür, dass sie diese Facetten der Gefühlsregungen Normas wirklich erkannt und verinnerlicht hatte. Die Gestaltung der lyrischen Teile entspricht wohl eher ihrem Naturell als das Aufbrausende, die Wut oder der Hass. Letztere Gefühlsmomente hat sie sich sicher ernsthaft erarbeiten müssen. Gesang und Gestaltung blieben über den gesamten Abend wohltuend frei von jeglichem artifiziellen Gehabe.

Besonders hervorzuheben ist die Verwendung der Originalpartitur. Diese und die damit verbundene tiefer liegende Instrumentenstimmung mögen es ihr erleichtert haben, die Klippen von Spitzentönen sicher zu umschiffen, obgleich insbesondere bei Abwärtsskalen hier und da die Tonfolge etwas verhuscht klang.

Dank der Verwendung des musikalischen Originals dieser Bellini-Oper bekamen die gebannten Zuhörer Soloinstrumente, rhythmische Verfeinerungen und dynamische Differenzierungen zu hören, die seit sehr, sehr langer Zeit im Theateralltag unter den Tisch gefallen oder eliminiert worden waren. Hier ist in erster Linie dem Dirigenten Thomas Hengelbrock  zu danken, der eine Dirigentenpersönlichkeit unserer Zeit mit musikwissenschaftlichem Forscherdrang und interpretatorischer Experimentierfreude ist. Seine subtile und spannungsvolle Ausdeutung der Partitur brachte dem Publikum  insbesondere in den langen Vorspielen mit Soloeinlagen verschiedener Instrumente die Schönheit der Bellinischen Melodie eindringlich nahe. Das Orchester wurde so zu einem idealen Begleiter der Sängerinnen und Sänger.

Die übrigen Protagonisten waren adäquat und trefflich ausgewählt, voran Rebeca Olvera, die in dem Duett "Mira, o Norma..." ihre gesangliche Höchstleistung an diesem Abend bot und eine ideale Partnerin der Bartoli war. John Osborn war als Pollione insbesondere in den lyrischen Szenen überzeugend und einfühlsam. Allerdings fehlte seiner Stimme die erforderliche Härte und Strahlkraft, um auch die herrische Facette seiner Figur des römischen Statthalters hörbar werden zu lassen. Der basso cantante Michele Pertusi, Rossinifreunden als Interpret vieler Rollen des Pesaresen wohlbekannt, sang seine Soli als Oroveso klangschön, markig und prägnant. Die Norma-Vertraute Clotilde, Irène Friedli, und Polliones Freund Flavio, Tansel Akzeybek, ergänzten das Ensemble.

Höchstes Lob ersang sich auch der Chor. Mit seinem transparenten Klang meisterte er vorzüglich sowohl die intimen wie martialischen Stellen seines Partes. Überschäumender, nicht enden wollender Applaus am Ende der Vorstellung, wobei die stehenden Ovationen nicht allein Cecilia Bartoli als Star des Abends galten, sondern auch ihren übrigen ausgezeichneten Mitstreitern. (Hinweis: Auf Youtube ist eine aus dem Jahr 2008 stammende Interpretation der "Casta Diva" durch Cecilia Bartoli zu hören)
  
Dieter Kalinka (Besuchte Vorstellung am  01. Juli 2010)

Giovanni Simone Mayrs "Medea in Corinto" in München

Giovanni Simone Mayr komponierte 1813 für Neapel auf ein Libretto Giuseppe Felice Romanis seine "Medea in Corinto", eine Oper mit "kräftigen Tönen für unruhige Zeiten" (Anselm Gerhard im Programmheft). Für Mayr handelte es sich  um den ersten Auftrag für das damals führende Opernhaus in Italien. Unruhig waren die Zeiten in der Tat - noch beherrschte Napoleon Italien und seit 1808 war sein Schwager Joachim Murat König von Neapel, aber Napoleons erste Niederlagen zeichneten sich ab. Am 19. Oktober 1813 fand die Völkerschlacht bei Leipzig statt und Napoleon wurde geschlagen. Das war knapp sieben Wochen vor der Premiere der Oper. Bereits 1 1/2 Jahre später, im Mai 1815, endete die Herrschaft Murats in Neapel und die Bourbonen kehrten ein zweites Mal auf den Thron zurück. Bereits seit Herbst 1813 lag eine Restauration mit all ihren Schrecken im Bereich des Denkbaren. "Niemand in Neapel hatte vergessen, mit welcher Brutalität die zurückkehrenden Bourbonen-Könige 1799 nach Niederschlagung der Republik vorgegangen waren" (Anselm Gerhard).



Dies ist der historische Hintergrund einer Oper im "Style Empire" mit heroischen Affekten, nach französischer Art instrumentierten Rezitativen, frenetischer Romantik und gleichzeitig klassischer, an Mozart erinnernder Schönheit. Mit "Medea" schuf der heute fast vollständig vergessene, seinerzeit aber berühmte und erfolgreiche Komponist, 1763 in Mendorf geboren und 1845 in Bergamo verstorben, sein Hauptwerk. Eine weitere seinerzeit berühmte großartige Oper Mayrs ist seine "Fedra", die 2008 in Braunschweig aufgeführt und bereits in diesem Blog besprochen wurde.

Es ist ein großes Verdienst des Nationaltheaters München im Rahmen der Münchner Opernfestspiele 2010, nach einer Münchner konzertanten Erstaufführung der Oper im Jahre 1963, das Werk nunmehr szenisch auf die Bühne zu bringen. Damit wandelt die Bayerische Staatsoper auf den Spuren des Theaters St. Gallen, welches 2009 die "Medea" ebenfalls in Szene setzte (Inszenierung David Alden).  Für Rossinianer interessant und aufschlussreich ist, dass die Rolle der Titelheldin 1813 in Neapel mit Isabella Colbran, der späteren Ehefrau Rossinis, besetzt wurde. Sicherlich eine Paraderolle für diese Sängerin, denn: "Sit Medea ferox" - "Medea muss wild sein"  - so lautete das Motto, das der Librettist seiner Medea voranstellte. Dennoch wird Medea nicht nur als Zauberin und Rasende charakterisiert, welche Furien beschwört und ihren Kindern den Tod bringt, sondern sie zeigt in ihrer ersten Arie, begleitet von einer Geigerin auf der Bühne, weiche, sinnliche und zarte Töne. Vorherrschend ist jedoch das Wilde, die Raserei. Nadja Michael steht hier ganz im Mittelpunkt und lebt in der Rolle, ihre Stimme klingt in allen Registern ausgewogen.

Neben Nadja Michael ist ganz besonders das Orchester unter der Leitung von Ivor Bolton zu loben. Es holt die feinsten Nuancen aus der Partitur hervor und macht die jähen Tonart- und Stimmungswechsel transparent. Mit Recht erhielt das Orchester den größten Beifall.

Auch die anderen Sänger überzeugten, mir gefiel besonders die junge aus St. Petersburg stammende Elena Tsallagova als Creusa mit herber, klarer Stimme. Im zweiten Akt geht Mayr soweit, ihre Arie weitgehend nur von einer Harfe begleiten zu lassen - die Interpretin sitzt hier auch auf der Bühne. Alek Shrader als Creusas jugendlicher einstiger Verlobter Egeo steigerte sich im Verlauf der Oper zu kraftvollem tenoralen Glanz. Weitere Sänger: Alistair Miles als Creonte, der zuverlässige, kultiviert singende großartige Ramon Vargas, diesmal mit "gebremstem Schaum", als untreuer Giasone, Kenneth Roberson als Evandro und Laura Nicoresco im hinreißenden Biedermeier-Reifrock als Ismene.

Die Inszenierung hinterließ beim Publikum einen zwiespältigen Eindruck. Es gab viel Applaus für die Sänger und für das Orchester, aber auch kräftige Buhs, die wohl der Inszenierung Hans Neuenfels galten. Dieser hat sich wiederholt mit dem Medea-Stoff beschäftigt. 1976 inszenierte er die Medea von Euripides und 1994 am Wiener Burgtheater Grillparzers: "Das goldene Vlies". In der Opern-Inszenierung wird der "zeitlose" gesellschaftliche Hintergrund: Krieg, Heimatlosigkeit, Fremdheit, Feudal- und Schreckensherrschaft, Gräuel, überdeutlich hervorgehoben. Der Wildheit, Raserei und Rachsucht Medeas wird dadurch die Schärfe genommen. Bewusst setzt der Regisseur Medeas Grausamkeit in Beziehung zu einer noch grausameren Umwelt. Der parallel zu den verhandelten individuellen Konflikten laufenden Bilderflut von Massen-Erschießungen, Vergewaltigungen und Folterszenen kann sich der Münchner Opernbesucher im Festtagsgewand kaum erwehren.

Im Libretto von 1813 soll die Erregung des Publikums noch durch heute vergleichsweise harmlos erscheinende Regie-Anweisungen wie "Flammen hüllen die Bühne ein" ..."Sie (Medea) überquert die Bühne in ihrem Wagen, der von zwei Drachen gezogen wird" hervorgerufen werden. Auf äußerliche Effekte, "Zauberkunststücke" wird abgestellt. Aber eine Gruppe Bewaffneter mit Maschinengewehren im Obergeschoss, die wahllos auf die unten Stehenden schießt -  das ist letztlich auch nur Bühnentheater.

Dennoch gibt es für mich große Pluspunkte: Für das grandiose Bühnenbild: ein Tempel, auf dessen Dach ein niedliches Einfamilienhaus steht, das in der Schluss-Szene sich löst und himmelwärts fährt - "die Welt bricht aus den Fugen." Dann die Aufteilung in "öffentliches Untergeschoss" mit Säulen und möblierte private Räume darüber. Auch die Chorführung und der Einsatz des Balletts mit Hymen und Amor gefielen ebenso wie opulente Kostüme oder die unkonventionelle, oft fein ausgearbeitete Personenführung. Nadja Michael bewies nicht nur stimmlich Format, sondern zeigte bis hin zur gelenkigen Verbeugung am Schluss sportliche Qualität. (Weitere Informationen mit Szenenausschnitten und Interviews in einem Videofilm (Opern.TV) auf der Internetseite der Bayerischen Staatsoper).

Astrid Fricke (Besuchte Vorstellung am 29. Juni 2010)

Belcantoklänge bei der Fußball-WM

Die gesangliche Darbietung der Herren in kurzen Hosen war nun nicht gerade belkantesk, aber die Melodie.... irgendwie sehr vertraute Klänge vor dem Spiel Uruguay gegen Ghana! Die Nationalhymne Uruguays mit Musik aus einer italienischen Oper aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts? Das musste gegoogelt werden!

Und der Eindruck hat nicht getäuscht. Die Komposition entstand 1845, der Komponist war ein Zeitgenosse von Rossini: Francisco José Debali (1791 – 1859). 1848 wurde sie unter der formellen Urheberschaft des Komponisten Fernando Quijano  (1805 – 1871) zur Nationalhymne bestimmt (weitere Details), so nebenbei auch ein interessantes Beispiel zum Thema Urheberrecht an Musik im 19. Jahrhundert.

Alle Donizetti-Kenner sind somit aufgerufen, diese Melodie aus einer Oper von Donizetti zu identifizieren...


(Zum Abspielen bitte anklicken)

....man kann aber auch hier (im Abschnitt  La polémica sobre la autoría) nach der Lösung suchen.

Übrigens: Eine Live-Darbietung auf dem Fußballfeld in Südafrika gibt es wieder am Dienstag-Abend.