19. Mai 2010

Auber: "La Muette de Portici - die Stumme von Portici"


Die Oper gilt als erste typische Grand opéra. Die fünf Akte sind relativ kurz und enden jeweils in einem großen Tableau. Eine private Liebesgeschichte entfaltet sich vor einem historischen Ereignis, dem neapolitanischen Fischeraufstand von 1647, der auch dem Werk des brasilianischen Komponisten Gomes "Salvator Rosa" zugrunde liegt. Es gibt zahlreiche spektakuläre Massenszenen, deren Umsetzung bereits in der Uraufführung außerordentlich effektvoll war, wie Illustrationen zur Uraufführung in Paris 1828 zeigen. Die mit dem Ausbruch des Vesuvs endende Oper erforderte seit jeher einen großen Bühnenaufwand. Im 19. Jahrhundert wurde sie erfolgreich und häufig aufgeführt. Es ist historisch belegt, dass eine Aufführung der Oper in Brüssel 1830 die Revolution in Belgien und die Loslösung des Landes von den Niederlanden auslöste. Musikalisch orientiert sich die Oper an Rossini, einem Zeitgenossen Aubers, mit dem dieser bekannt war.

Der Besuch der Inszenierung des Generalindtendanten André Bückers am Anhaltischen Theater Dessau, das die Oper ebenfalls kurz nach ihrer Entstehung im Jahre 1830 erstmals zeigte, war ein beglückendes Ereignis. Jedem Opernfreund ist eine Reise zu den letzten beiden Aufführungen dringend zu empfehlen. Das Orchester spielte genau und schwungvoll unter der Leitung von Antony Hermus, der zu den bedeutenden und ausgezeichneten Dirigenten gerechnet werden muss. Die Besetzung ist einzigartig: Besonders zu erwähnen ist der junge mexikanische Tenor Diego Torre, der derzeit auch an der Metropolitan Opera singt. Ihn sah und hörte man in der Rolle des aufständischen Fischers Masaniello.  Seine kraftvolle Stimme ließ das Haus erbeben, gleich zu Beginn ist ihm ein lang ausgehaltenes hohes C vergönnt. Einige Kritiker fürchten bei diesem Einsatz um seine Stimme und scheinen es ihm anzukreiden, dass es ihm gelingt, das Orchester zu übertönen. Für mich war das kein Nachteil, sondern im Gegenteil ein Gewinn. Außerdem mangelte es ihm nicht an darstellerischem Gestaltungsvermögen, und er ließ sich auch nicht aus der Ruhe bringen, wenn seine Arie einmal durch Beifall unterbrochen wurde.

Gleichfalls sehr angenehm war die Gestaltung der Elvire durch die Sopranistin Angelina Ruzzafante, die als Ensemblemitglied in Dessau engagiert ist. Ihr heller Sopran, der technische Schwierigkeiten bravourös meistert, ist ein Rohdiamant, der sicher in der Zukunft noch gewinnen wird.  Oscar de la Torre gab mit kultiviertem Tenor den Alphonse, den Sohn des Vizekönigs von Neapel. Auch die übrigen Rollen waren mit Kostadin Auguirov (Borella), Wiart Witholt (Pietro), Angus Wood (Lorenzo) und Stefan Biener (Morena) glänzend besetzt. Fast ununterbrochen war auch "die Stumme", welche dem Stück ihren Namen gibt, auf der Bühne. Sie wurde ausdrucksstark von der Tänzerin Gabriella Gilardi verkörpert.

Eine wichtige Rolle oblag dem Chor, weist das Werk doch eine ganze Reihe von Choreinlagen auf, die von leisen eindringlichen Gebeten bis zu heroischen heldischen Strophen reichen.

In Dessau spielt das Werk nicht im Neapel des 17. Jahrhunderts wie in der Vorlage, sondern ist im Neapel der Jetztzeit angesiedelt, ein Neapel, das von der Mafia anstatt von den spanischen Besatzern beherrscht wird. Das Thema - eine Stumme wird verführt, verlassen und gibt Anlass zum Aufstand - ist ungewöhnlich, das Schicksal des Anführers Masaniello, der für wenige Tage Neapel beherrscht, dann aber vergiftet und schließlich verrückt wird, anführend. Die alles beherrschenden Mafiosi stehen der ausgebeuteten Bevölkerung, hier sind es Werftarbeiter statt Fischer, gegenüber. Rechtecke im Bühnenhintergrund zeigen anhand von Videos mal das aufgewühlte Meer, mal die glühende Lava, welche den Vulkanausbruch vorwegnimmt. Davor ragen Container auf; sie werden auf der Drehbühne bei Bedarf in atemberaubender Geschwindigkeit hin und hergeschoben. Ein riesiges hölzernes Schiff mit den Aufständischen nähert sich bedrohlich am Ende. Schließlich schießt effektvoll weißer Dampf aus dem Schornstein, bevor sich das Glück der Rebellen doch wieder wendet und der Aufstand, jedenfalls auf der Bühne, wieder niedergeschlagen wird. Diese Deutung des Stücks war nachvollziehbar, spannend und bühnentechnisch wunderbar umgesetzt. Das Bühnenbild arbeitet lässig mit Chiffren, der Himmel über Neapel gleicht einem aufgespannten blauen Segel mit weißen Wölkchen, auf ihm werden die Übersetzungen aus dem gesungenen Französisch praktischerweise gleich eingeblendet.

Der Erfolg dieser Dessauer Inszenierung beruhte jedoch in erster Linie auf der unverstellten Spielfreude, mit der dieses abwechslungsreiche und spannende Werk auf die Bühne gebracht wurde.

Astrid Fricke

Besuchte Aufführung am 16. Mai 2010.
Weitere Aufführungen am 4. Juni 2010 um 19.30 Uhr,
2011: 2. u. 16. Jan. / 26. Febr. jeweils 17 Uhr / 17. März 16 Uhr / 22. April 17 Uhr

15. Mai 2010

Rossinis "Armida" aus der Met im Kino

Renée Fleming (Armida), Lawrence Brownlee (Rinaldo)

Um Rossinis "Armida" in der Metropolitan Opera zu erleben, musste man nicht unbedingt nach New York reisen: Wir sahen die Aufführung vom 1. Mai 2010 im Hildesheimer Kino. Es war ein ungewohntes Opernerlebnis, das man mit einer "richtigen" Opern-Aufführung nicht vergleichen kann. Aber wann hat man schon einmal die Gelegenheit, ohne Flugreise nach New York eine preiswerte Live-Aufführung der Metropolitan Opera zu erleben, bequem in Kinosesseln ruhend und nach Wunsch mit Popcorn ausgestattet. In den beiden halbstündigen Opernpausen konnte man ein froh gestimmtes und festlich gekleidetes Publikum im Kinofoyer wandeln sehen. Übrigens stehen jetzt schon das Programm und die Termine der Met-Kino-Aufführungen für 2010/2011 fest. Hier die Kinoliste Deutschland.

Das Libretto der Oper von Giovanni Schmidt basiert auf einem Drama des Dichters Torquato Tasso "La Gerusalemme liberata".  Die Zauberin Armida liebt den Ritter Rinaldo und versucht mit allen Mitteln, diesen in ihrem Palast zu halten. Das gelingt nicht: Die anderen Paladine appellieren an sein Ehrgefühl und erzwingen Rinaldos Abschied von der Zauberin und seinen Aufbruch in die Schlacht um Jerusalem. Das trifft Armida schon deshalb besonders hart, weil Rinaldo sie schon früher einmal verlassen hatte. Durch diesen erneuten "Verrat" des Geliebten seelisch gebrochen, muss Armida den Rinaldo  am Ende doch ziehen lassen.

Die Titelrolle ist eine schwierige Paraderolle für jede Sängerin, seinerzeit von dem erst 25-jährigen Rossini der Primadonna Isabella Colbran, seiner späteren Ehefrau, auf den Leib (die Kehle) geschrieben. Zu Recht werden die ausdrucksstarken Soloarien, aber auch die sinnlichen Liebesduette, bei diesem Charakter gerühmt.

Nun also die in ausgewählten Kinos weltweit übertragene Live-Aufführung mit Renée Fleming als Armida und Lawrence Brownlee als Rinaldo. In den beiden Opernpausen gab es Interviews mit den Künstlern, in denen Fleming bescheiden bekannte, keine ausgewiesene Rossini-Sängerin zu sein, Strauss` Rosenkavalier liege ihrer Stimme besser. Ihre Koloraturen klingen auch nicht so pointiert wie bei den Spezialistinnen des Fachs. Das wird mehr als wettgemacht durch die schöne Stimme und die ergreifende darstellerische Durchdringung der Rolle. Ist sie zu Beginn das durchtriebene, verlogene Weib, dem es gelingt dem Heerführer der Kreuzritter seine besten Krieger, darunter Rinaldo, unter einem Vorwand abspenstig zu machen, so schlüpft sie danach genau so glaubhaft in die Gestalt einer wahrhaft Liebenden. Lawrence Brownlee lieferte wieder einmal einen Beweis seiner außerordentlichen Gesangskunst: Er meisterte scheinbar mühelos gewagte Sprünge aus der tiefen in die hohe Lage. Begeisternd auch John Osborn als Heerführer der Christen Goffredo.

Die lange Ballettszene, in der die Situation des "lächerlichen", verliebten Helden vorgeführt wird, verdient Aufmerksamkeit. Rinaldo ist hier ein dekadenter, nur noch dem Genuss hingegebener Mann, der durch Armidas Zauber seiner eigentlichen Aufgabe, dem Kämpfen, entfremdet wird. Zunächst wird Rinaldo von elfengleichen Mädchengestalten umringt, danach sehen wir ihn in einer wüsten Steigerung der Szene entfesselt inmitten von langschwänzigen Fabelwesen, die ihn umtanzen. Hier besonders eindrucksvoll mit vollem Bass und artistischen Sprüngen der junge Peter Volpe als mit Armida befreundeter Zauberer Idraote.

In weiteren Rollen: José Manuel Zapata (Gernando), Barry Banks (Carlo), Kobie van Rensburg (Ubaldo), Yegishe Manucharyan (Eustazio) sowie Keith Miller (Astarotte).

Die Ouvertüre wurde unter voller Konzentration auf das Orchester geboten, das heißt es gab keine inszenatorische Ablenkung.  Die Leitung oblag Riccardo Frizza. Wie bei Opern-Verfilmungen üblich, erfolgte selten ein Ausblick auf die gesamte Bühne, sondern häufiger waren Ausschnitte zu sehen, in denen nur die Sänger und Sängerinnen in Aktion gezeigt wurden, oft  "Kopfbilder". Das hatte aber den Vorteil, dass man dem Klang-Entstehungs-Prozess unmittelbar folgen konnte.

Fazit: Es lohnt sich auf jeden Fall, nach einem Aufführungsort Ausschau zu halten, welcher die Gelegenheit bietet, einmal eine Oper vom Kinosessel aus zu erleben.

13. Mai 2010

Weltpremiere: Opernabend erstmals live im Internet



Die Oper in Lüttich hat als erstes Opernhaus der Welt ab Februar 2010 schon drei Opern als Livestream über Internet gesendet: Verdis "Rigoletto", Bellinis "I Capuleti e i Montecchi" und am 11. Mai 2010 die beiden Donizetti-Opern "Rita ou le mari battu" und "Il Campanello di notte".

Wer die Live-Sendungen versäumt hat, kann sich bei OperaLive registrieren und ein "free ticket" für die beiden Donizetti-Opern und die Bellini-Oper erhalten. Verdis "Rigoletto" ist nicht mehr abrufbar.

Wer sich zunächst eine Übersicht über OperaLive verschaffen und einige Videoclips anschauen möchte, sollte auch auf Youtube den Kanal von LiveOpera besuchen. Sehens- und hörenswert sind viele Videoclips zum "Rigoletto", insbesondere diese zeichnerische Entdeckungsreise (Making of "Discover Rigoletto").




Dank an R. M. für diesen Hinweis.

Noch einmal: Moïse in Nürnberg

Diskussionen über Inszenierungskonzepte gleichen meist deswegen Dialogen zwischen Tauben, weil die Anhänger vermeintlich ‚werktreuer’ Regie Argumenten weitgehend unzugänglich sind und Forschungsergebnisse in den Bereichen Theatertheorie und –geschichte konsequent ignorieren. Anläßlich von Reto Müllers „Rückblick auf den Nürnberger Moïse“ sei dennoch ein weiteres Mal der Versuch unternommen, einiges klarzustellen.

Die Bedeutung eines Kunstwerks läßt sich nicht auf die Autorintention reduzieren (die im übrigen allenfalls in seltenen Ausnahmefällen eindeutig und vollständig zu erfassen sein wird). Vielmehr ist die ästhetische Qualität eines Werkes um so größer, je komplexer der Sinngehalt ist, d.h.: je zahlreicher und je unterschiedlicher die Wege sind, die zu einer in sich stimmigen Deutung führen können.

Natürlich hat der Moses des Alten Testaments weder Rossini noch seine Librettisten sonderlich interessiert. Unter den zahllosen Episoden des Alten Testaments wählten sie gerade diesen Stoff, weil er einem vor allem an seinen eigenen Problemen interessierten Publikum Identifikationsmöglichkeiten bot: Emilio Sala❶ hat kürzlich darauf hingewiesen, daß die biblische Moses-Figur im Sinne der Romantik umgewertet worden war. Da Europa 1818 noch unter dem Eindruck (oder dem Schock) von Napoléons Sturz stand➋, mag der eine oder andere Zuschauer bei Moses, der das Volk Israel ins Gelobte Land führte, an den Korsen gedacht haben, der während des Italienfeldzugs (1796/97) seinen Soldaten den Weg zu den Fleischtöpfen der norditalienischen Städte wies. Des weiteren war seit der Französischen Revolution die Frage der rechtlichen Stellung der jüdischen Mitbürger (gleichsam der Auszug der Juden aus dem Ghetto) in allen europäischen Ländern aktuell. Spätestens seit den 30er Jahren werden dann die Hebräer mit den unter der österreichischen Fremdherrschaft stöhnenden Italienern gleichgesetzt, wie Honoré de Balzacs Kommentar in seiner Novelle Massimilla Doni eindrucksvoll zeigt.

Als Giacomo Meyerbeer Le Prophète (UA 1849) komponierte, hat er Musik des 16. Jahrhunderts studiert (und Puccini verwendete später in Madama Butterfly fernöstliche Melodien). In die Partitur von Mosè und Moïse hat dagegen die jüdische musikalische Tradition keinen Eingang gefunden, denn in der italienischen Oper jener Zeit bedeutet die zeitliche und räumliche Situierung der Handlung nicht mehr und nicht weniger als die Entscheidung für ein (letztlich austauschbares) Kolorit. Weit stärker als durch die jeweilige Stoffvorlage werden Handlungsführung und Dramaturgie durch Besetzungskonventionen bestimmt (deshalb wird die heilsgeschichtliche Mission des Moses hier durch eine anekdotisch-banale Liebesgeschichte zwischen den Völkern gefährdet); deshalb ließen sich von der Zensur geforderte Änderungen von Schauplatz und Epoche relativ problemlos bewerkstelligen, deshalb auch können Dekor und Kostüm heute nicht (sakrosankter) Selbstzweck, sondern nur zeichenhaftes Mittel der Werkinterpretation sein.

Eine Opernaufführung ist keine Geschichtsstunde. Daß Rossinis Oper für die Zeitgenossen auf die Judenemanzipation verwies, bedeutet nicht, daß eine Inszenierung diesen Aspekt unterstreichen sollte; die doppelte Vermittlung des (für uns) historisch Fernen durch ein Beispiel aus dem Alten Testament erschwert einem (kaum noch  bibelfesten) heutigen Publikum das Verständnis, es gibt genügend historische wie literarische Beispiele aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die die Problematik sinnfälliger machen können.

David Mouchtar-Samorais Nürnberger Lesart setzt, so scheint es, bei der Einsamkeit des Moses an, der nicht nur die Ägypter, sondern auch sein eigenes, zweifelndes Volk von seinem göttlichen Auftrag überzeugen muß – hier liegt die Parallele zu Theodor Herzl, dessen Idee eines Judenstaats bei seinen Glaubensgenossen überwiegend auf Skepsis stieß. Trotz des göttlichen Auftrags und Beistands ist Rossinis Moses (der, anders als jener Arnold Schönbergs, die Stimme Gottes nicht hört) oft allein, wohl auch verzweifelt; indem die Inszenierung das deutlich macht, fügt sie der Figur wesentliche Facetten hinzu.

Diese Deutlichkeit hat freilich ihren Preis. Theodor Herzl ist ein Visionär, aber auch ein (neuzeitlicher, d.h innerweltlich denkender und argumentierender) Politiker. Aus politischer Sicht nun ist die Verbindung von Anaï und Aménophis das beste, was den Hebräern passieren kann; mit einer der ihren auf dem Pharaonenthron hätten sie nicht nur zum Zeitpunkt des Auszugs, sondern auch für die schwierige Phase der Konsolidierung ihres neuen Staates eine mächtige Verbündete. Die erratische Intransigenz von Rossinis Moses wird bei Moses-Herzl völlig unverständlich; und ich bekenne, daß er mir noch nie so auf die Nerven gegangen ist wie in der Nürnberger Inszenierung. Damit verstärkt der Regisseur freilich nur eine Tendenz, die im Libretto – als Konsequenz aus der Notwendigkeit,  Rollen für Sopran und Tenor zu schaffen – angelegt ist: Zwischen dem kosmisch-heilsgeschichtlichen Drama und der Liebeshandlung besteht eine groteske Disproportion, die vollständig zu kaschieren weder möglich noch sinnvoll ist. Sie statt dessen pointiert zuzuspitzen, ist sicher keine schlechte Idee.

Theater erzählt in Bildern. Die unmittelbar visuelle Evidenz des geglückten Bildes zeichnet das Schauspiel vor dem Roman, und die Oper vor dem Konzert aus; hier liegt – auch und gerade angesichts der Bilder-Inflation der Massenmedien – das Specificum, und die Chance des Theaters. Mouchtar-Samorai gelingt in der Schlußszene ein derart packendes Bild: Die Zerstörung des Bühnenraums, der von Beginn an allen Erschütterungen standgehalten hat, der Einsturz der Seitenwand macht unmittelbar einsichtig, daß Jahwe sein Volk nicht ins Paradies, sondern auf eine Baustelle geführt hat (der weitere Verlauf der biblischen Geschichte wird es bestätigen). Auch dieses Bild freilich hat seinen Preis: Wenn Pharaos Truppen vernichtet sind, Moses allein auf der Bühne zurückbleibt, der Schleier heruntergelassen wird, auf dem dann das Bild eines brennenden Gebäudes erscheint, wechselt die Perspektive von der symbolischen Konfrontation zwischen dem jüdischen Volk und seinen Feinden (Moses ‚ist’ eben nicht Theodor Herzl, sondern in Moses wie in Herzl verkörpert sich die sich gegen Unterdrückung und Bedrohung behauptende jüdische Identität) zu einem Abriß der Ereignisgeschichte von der Zeit Herzls bis zu Holocaust und Weltkrieg. Mit dieser Sequenz (die als optischer Kontrast zum Schlußbild, und wohl auch wegen des hinter dem Schleier vorzunehmenden Umbaus notwendig ist) hatte ich Schwierigkeiten, der Wechsel der Ebenen schien mir (unabhängig von der beklemmenden Unmittelbarkeit der projizierten Bilder selbst) der Wirkung des Ganzen eher abträglich zu sein. Dennoch bleibt der Eindruck einer von der vermittelten  Aussage wie der angewandten optisch-szenischen Mittel her eindrucksvollen Inszenierung.

Fazit: Selbstverständlich steht es jedem frei, den historisierenden Pseudo-Realismus der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts zu mögen; nur sollte man bitte nicht den Eindruck zu erwecken suchen, diese Ästhetik hätte irgend etwas mit der Intention eines Werks wie Moïse et Pharaon, oder auch mit den Intentionen Rossinis, Tottolas, Balocchis oder Jouys, zu tun. Die Stoßrichtung der Inszenierungskritik scheint im übrigen darauf hinzudeuten, daß weniger eine bestimmte Form von Theater als die genuinen Ausdrucksformen der Kunstform Theater selbst den Stein des Anstoßes bilden; insofern wäre vielleicht zu überlegen, ob nicht eine Erweiterung des Kontingents an Hörplätzen, wie es sie zumindest in älteren Theatern zu geben pflegt, die Lösung des Problems darstellt.

Albert Gier


➊ Mosè in Egitto – Moïse et Pharaon, a cura di E.S., Pesaro 2008 (I Libretti di Rossini, 15), S. XXI-XXV.
➋ Klaus Ley (Latentes Agitieren: Nabucco, 1816-1842. Zu Giuseppe Verdis früher Erfolgsoper, ihren Prätexten, ihrem Modellcharakter, Heidelberg 2010) weist nach, daß der Nabucco in G.B. Niccolinis Tragödie (1819) für Napoléon steht; für Peter von Winters Maometto habe ich selbst eine ähnliche Deutung vorgeschlagen.

11. Mai 2010

G. Verdi "Simon Boccanegra" Sondersendung aus der Mailänder Scala auf ServusTV

Placido Domingo ist an der Mailänder Scala wieder in einer großen Rolle zu erleben: in der Titelpartie von Verdis "Simon Boccanegra"
Dirigent: Daniel Barenboim; Regie: Frederico Tiezzi

Auf ServusTV 
TV Do. 13. Mai 2010, 9:55 Uhr, Wiederholung 23. Mai, 10:45 Uhr

Bildschirmfoto von ServusTV

Weitere interessante Sendungen für Opernfreunde:
- Große Oper - Hinter den Kulissen der Wiener Staatsoper (4 Teile am 12./ 19./ 26. Mai und 2. Juni jeweils 21:15 Uhr
- Meisterwerke jeden Sonntag jeweils 17:40 Uhr

Empfangsmöglichkeiten von ServusTV:
- oder über Livestream am Computer ("TVProgramm" anklicken, dann "ServusTV live sehen")

Dank für den Hinweis auf ServusTV an U. D. aus Hamburg

3. Mai 2010

Giovanni Simone Mayr: Podcast zu "Medea in Corinto" in München

Die Bayerische Staatsoper informiert heute in einem Newsletter und einem Podcast ausführlich über den Komponisten Giovanni Simone Mayr und seine Oper "Medea in Corinto", die am 7. Juni 2010 Premiere haben wird.

"Kennen Sie Giovanni Simone Mayr? Wenn am 7. Juni Medea in Corinto im Nationaltheater Premiere feiert, gilt es das Werk eines großen Komponisten zu erkunden: Giovanni Simone Mayr ist der maßgebliche Wegbereiter des Belcanto und wird erst seit wenigen Jahren langsam wiederentdeckt. Nun haben die Proben für Mayrs wichtigste Oper an der Bayerischen Staatsoper begonnen. In unserer neuen Folge von Bayerische Staatsoper im Podcast erzählen u.a. der Dirigent dieser Neuproduktion, Ivor Bolton, und Alek Shrader, der Darsteller des Egeo, die faszinierende Geschichte des „deutschen Vaters der italienischen Oper“.


Geboren wurde Johann Simon Mayr 1763 in der Nähe von Ingolstadt – ein waschechter Bayer also, der jedoch im Alter von 26 Jahren nach Italien ging und dort unter seinem italianisierten Namen Giovanni Simone großen Ruhm erlangen sollte. Sein Einfluss auf die nachfolgende Komponistengeneration und v.a. seinen bekanntesten Schüler Gaetano Donizetti war dennoch immens.


Entdecken Sie jetzt in unserem neuen Podcast einen großen Komponisten! Unser Autor Florian Heurich stellt Giovanni Simone Mayr, sein Leben und seine Musik in einem atmosphärisch dichten Audioporträt vor."


Zum Podcast gelangen Sie über diesen Link:

Bildschirmfoto von der Podcast-Internetseite


Live-Übertragung der Premiere
Mo., 07. Juni 2010, 19.00 Uhr - BR Klassik
Live aus der Bayerischen Staatsoper
Giovanni Simone Mayr "Medea in Corinto"
Leitung: Ivor Bolton
Mit Nadja Michael, Ramón Vargas, Alastair Miles, Alek Shrader u.a.
und Do., 12. Juni, 20:00 Uhr - NDR Kultur

Eine weitere Sendung zu G. S. Mayr:
TV Mo. 17. Mai 2010, 22:30 Uhr - Bayerisches Fernsehen
"Bayern und Italien - zwischen Sehnsucht und Hoffnung"
Im zweiten Teil würdigt der Film als einzigen Komponisten 
Johann Simon Mayr und dessen Wirken in Bergamo