Dieter berichtet aus London:
Gelungene Saison-Eröffnung
am 07.09.2009 am ROH Covent Garden
Besetzung:
Linda…………………………….......Eglise Gutierrez *
Carlo……………………………….....Stephen Costello*
Il Marchese di Boisfleury……..Alessandro Corbelli
Antonio……………………………...Ludovic Tézier
Pierotto……………………………..Marianna Pizzolato*
L´Intendente……………………. Luciano Botelho
Il Prefetto………………………….Balint Szabò*
Maddalena…………………………Elizabeth Sikora
*Covent Garden Debut
Dirigent MARK ELDER
Royal Opera Chorus
Chorus Director Renato Balsadonna
Orchester des Royal Opera House
Das Covent Garden Debüt der jungen kubanischen Koloratursopranistin Eglise Gutierrez ist eine weitere Etappe ihrer Blitzkarriere auf dem Weg zum internationalen Starruhm. Sie enttäuschte das Publikum nicht, verfügt sie doch über eine üppige, dramatische Mittellage; in der Höhe haben ihre Koloraturen eine Brillanz, die einem Laser-Strahl vergleichbar ist. Das Resultat ist aufregend, wenn auch leicht gewöhnungsbedürftig. Jedenfalls empfanden das einige Zuschauer so, und unter den frenetischen Jubel mischten sich auch einige (sehr wenige) Missfallenskundgebungen. Für mich nicht nachvollziehbar. Sie ist kein Kanarienvogel, mit ihrer furchtlosen Attacke macht sie aus der passiven Heldin eine vokal mitreißende Prima Donna. Dass sie den Belcanto-Stil beherrscht, beweist sie mit individuellen Verzierungen und Ornamenten. Das hohe Es wird mühelos nicht nur erreicht, sondern auch gehalten. Eine große Künstlerin.
Ebenfalls mit Spannung erwartet: der Auftritt des jungen amerikanischen Tenors Stephen Costello, Gewinner des 2009 “Richard Tucker Award”. Ich glaube, er ist erst 24 Jahre alt. An der MET debütierte er in der Saison 2007/08 als Arturo in “Lucia di Lammermoor" und erhielt auch eine Chance, den Edgardo in dieser Produktion zu singen. Er nahm die Zuhörer mit einer attraktiven, italienisch gefärbten lyrischen Tenorstimme für sich ein. Mir gefiel besonders das Fehlen jeglicher Larmoyanz in seinem schönstimmigen Vortrag.
Balsamisch schön sang auch Ludovic Tézier, ich habe ihn noch nie so gut erlebt. Der große Beifall war verdient.
Die Travestie-Rolle des Pierrot war groß und brillant mit Marianna Pizzolato besetzt. Ihr schokoladenfarbiger Mezzo ist für die Partie ideal geeignet.
Der ebenfalls debütierende Balint Szabò brachte eine schöne Bass-Stimme ein, er war adäquat besetzt und konnte einen verdienten Publikumserfolg verbuchen.
Elizabeth Sikora in der kleinen Rolle von Lindas Mutter fand ich persönlich “ätzend”. Eine abgesungene Charakter-(Neben-)Rollen-Sängerin.
Bleibt eine weitere Hauptrolle zu erwähnen, Alessandro Corbelli als der schurkische Marchese di Boisfleury. Wohl eine der so genannten Buffo-Partien, die heute vordringlich mit Klamauk assoziiert werden. Buffo-Klamauk - sowohl in der Gestik als auch vokal - bot er denn auch im Überfluss. Die breite Masse vergalt es ihm mit brüllendem Gelächter und lautstarken Ovationen. Ich hätte lieber eine brillante, schöne Stimme gehört – aber die hat er wohl auch in früheren Zeiten nie besessen. Nun ja…wem´s gefällt.
Mark Elder kennt das – heute relativ vergessene – Werk nicht nur sehr gut, sondern schätzt es auch offensichtlich. Sein Dirigat war aufregend und dramatisch, dabei durchaus einfühlsam in der Sänger-Begleitung und bei den zahlreichen Instrumental-Soli.
Der Chor des ROH, mit wichtigen Aufgaben im 1. und 3. Akt, ließ Italianità vernehmen und klang weitaus idiomatischer als der in den meisten OperaRara-Aufnahmen eingesetzte Geoffrey Mitchell Chor.
OperaRara wird einen Mitschnitt auf CD herausgeben. Halte ich für unbedingt empfehlenswert. Was ich bisher von dieser Oper auf Tonträgern auftreiben konnte, hatte mich nicht sehr überzeugt. Wie konnte der Maestro bei der Uraufführung in Wien mit dem Werk einen derart rauschenden und für lange Jahre nachhaltigen Erfolg verbuchen? Bei dieser mit Verve dirigierten und weitgehend vokal charismatisch besetzten Vorstellung habe ich meine Meinung revidieren müssen.
Auf Tonträgern kenne ich nur wenige Beispiele:
Den Vorzug gab ich bisher einer Live-Aufnahme der “Nationale Reisopera” (Holland) aus dem Jahr 1992 mit der Belcanto-Königin Mariella Devia in der Titelrolle, obwohl ich Devia in anderen Rollen vorziehe. Die weitere Besetzung mit Sonia Ganassi und Luca Canonici ist gut. Persönlich gefällt mir der etwas robustere lyrische Tenor von Stephen Costello besser, er kann auch Alfredo (La Traviata) oder den Duca (Rigoletto) singen.
Edita Gruberova singt die Titelpartie in einer CD-Aufnahme von 1993. Als Kollegen duldet sie nur vokalen Durchschnitt, und das Dirigat ihres Gatten reißt auch nicht mit. Noch uninteressanter ist ihre auf DVD/Video erhaltene Interpretation aus Zürich, allenfalls interessant für Fans des leider zu früh und tragisch verstorbenen Deon van der Walt.
Recht gut gefällt mir noch ein RAI-Mitschnitt von 1953 unter Alfredo Simonetto mit Margherita Carosio. Ihr Name ist heute weitgehend nur noch ein Begriff aufgrund der Tatsache, dass Maria Callas für sie als Puritani-Elvira einsprang und sozusagen über Nacht die Interpretation des Belcanto-Repertoires umkrempelte und den dramatischen Koloratursopran wieder einführte. Die Folgegeschichte und die Verdienste von Callas, Sutherland und Sills auf diesem Gebiet kennen wir. Carosio ist heute aus dem Gedächtnis der Opernliebhaber fast vollständig getilgt. Immerhin ist ihr lyrischer Koloratursopran angenehm, und ihre Partner sind Größen wie Gianni Raimondi und Giuseppe Taddei.
Es gibt noch eine Einspielung mit Antonietta Stella. Die kenne ich nicht. Viele ihrer in der letzten Zeit wieder aufgetauchten Aufnahmen belegen, wie sehr ein Spinto-Sopran ihrer Qualität heute fehlt und dass sie zu Unrecht relativ vergessen ist. In diesem Fach kann ich mir sie aber nicht so recht vorstellen.
Nach den in den letzten Jahren recht durchschnittlichen Einspielungen von OperaRara dürfte dies wieder ein Hit der von diesem Label seit Jahrzehnten betriebenen, lobenswerten Donizetti-Renaissance werden. Unbedingt empfehlenswert, hier kommen die Freaks auf ihre Kosten !!!
Bei dieser Aufführung – obwohl nicht szenisch – sprang der Funke auf das Publikum über. Da kann nur Bedauern aufkommen über das allmähliche Abklingen des Belcanto-Opern-Revivals zugunsten endloser Ausgrabungen von Barock-Opern.
Zum Glück ist auf YouTube bereits ein Premieren-Mitschnitt von Lindas Auftritts-Arie verfügbar, der das Gesagte besser illustriert als Worte:
Autor dieses Beitrags: Dieter (Frankfurt a. M.)
24. September 2009
14. September 2009
Das 30. Rossini Opera Festival in Pesaro
Der folgende Bericht über die diesjährigen Opernproduktionen in Pesaro
- Zelmira, La scala di seta und Le Comte Ory -
ist mit freundlicher Genehmigung des Autors aus dem
Mitteilungsblatt der Deutschen Rossini Gesellschaft (DRG) übernommen
Die Erfolgsgeschichte des ROF beruht nicht zuletzt auf der konstanten Neuentdeckung unbekannter Werke bzw. auf der Erstpräsentation der kritischen Ausgaben der Fondazione Rossini. Zu dem stolzen Jubiläum hätte man sich zumindest eine „Ausgrabung“ gewünscht. Und tatsächlich stand die Fondazione Rossini mit Sigismondo bereit, und das ROF hatte die Oper sogar bereits angekündigt. Doch dann schlug unerwartet der italienische Staat zu, der mit einer kurzfristigen und drastischen Kürzung seiner Zuschüsse eine radikale Programmänderung auslöste. Sigismondo wich der Scala di seta, einem chorlosen Einakter, der als „low cost“-Produktion alternierend mit dem bereits gesetzten Comte Ory im Teatro Rossini montiert werden konnte. Als Glanzpunkt verblieb Zelmira – mit der alternativen Pariser Fassung – in einer neuen Inszenierung in der Adriatic Arena, die dieses Mal nicht in zwei, sondern nur in ein Theater umgewandelt wurde. Vielleicht ist diese auf „höherer Gewalt“ beruhende Programmierung sinnbildlich für die nächsten 30 Jahre des Festivals: bald werden alle Opern des Meisters in Pesaro erstaufgeführt sein, es gilt also wie bei „gewöhnlichen“ Festivals den Spielplan aus dem bestehenden Repertoire zu alimentieren.
Zelmira ist kürzlich in der endgültigen kritischen Ausgabe erschienen. Grund genug, dieses wichtige Werk wieder auf die Bühne zu bringen. Zuletzt war sie beim ROF 1995 im Teatro Rossini in einer eher anonymen Inszenierung von Yanni Kokos zu sehen. Für die neue Produktion in der Adriatic Arena hat man Giorgio Barberio Corsetti berufen, der 2007 mit einer cinematographischen Pietra del paragone in Parma und Paris aufgefallen war (vgl. den Bericht von Charles Jernigan, «Mitteilungsblatt» Nr. 40, Februar 2007). Seine Zelmira lässt sich aus technischer, dramaturgischer und ästhetischer Hinsicht betrachten. Technisch gab es einige durchaus interessante und überzeugende Effekte, z.B. durch die Spiegelung einer sich unter der Bühne abspielenden Handlung auf den Theaterhintergrund oder durch die Projizierung der Personen in verschiedenen Größenverhältnissen. So wurde z.B. die übergroße Zelmira auf den Hintergrund gebeamt, wenn Antenore sie in seiner großen Arie anklagt. Beeindruckend war die Wirkung im Quintett des 2. Aktes, wenn die erbärmlich kleinen Gefangenen Zelmira und Polidoro von einem übermächtigen Tyrannen Antenore auf dem Hintergrundbild „zerquetscht“ werden. Dramaturgisch überzeugten die Auf- und Abgänge (wie überhaupt die Führung des Chores und der Solisten, denen freilich ein adäquates „Rampensingen“ nicht genommen wurde), die nicht leicht zu inszenierende „Action-Handlung“ der Dolchszene im 1. Finale oder der plötzliche Umschwung im Finale II, wenn die „Guten“ unvermittelt – durch Ausleuchtung der Bühne hinter dem Spiegel – das Gefängnis stürmen. Es gab einige schöne oder auch nur mehr oder weniger verständliche symbolische Szenen. Während des Terzetts in der Gruft rieselt plötzlich der Sand weg, der die drei umgestürzten griechischen Statuen bedeckte, worauf diese sich in der Höhe erheben und schwebend im Raum tanzen – vielleicht kann man dies als „Restauration“ der alten Herrscher deuten. Im 1. Finale wird Zelmiras Baby – der legitime Thronfolger – auf den Thronsessel gelegt, der kurz zuvor von Antenore usurpiert wurde, worauf die im Hintergrund sichtbaren Buchstaben ψευδος [pseudos] krachend zu Boden fallen. Auch die Befreiungsszene ist von einer fideliohaften Suggestionskraft. Barberio Corsetti beweist auch, dass er sich intensiv mit der neueren Forschung auseinandergesetzt hat und jenen altgriechischen Mythos aufleben lässt, den Tottola in seinem Libretto nur euphemistisch beibehalten hat, nämlich „das unnatürliche Bild eines Alten, der an der Brust seiner jungen Tochter hängt“ (Renato Raffaelli, Tracce di allattamento filiale, «Bollettino del Centro Rossiniano di Studi», XXXVI, 1996, S. 45-66: 64) – im Mythos rettet die Tochter ihren Vater dadurch, dass sie ihn mit der Milch nährt, die sie zum Stillen ihres Kleinkindes in der Brust trägt. Dadurch betont der Regisseur Zelmiras Rolle als „consorte, figlia e genitrice“ (I/6 – „Gattin, Tochter und Mutter“). Keine überzeugende Lösung fand der Regisseur hingegen für den bereits im Libretto wenig einleuchtenden Umstand, dass Zelmira ihren Mann nicht über die Vorfälle während seiner Abwesenheit und ihre Unschuld informieren kann: im Hintergrund bewegen sich zwei Wachen, die sie von Ilo ohne weiteres wegschicken lassen könnte, um mit ihm unter vier Augen zu sprechen. Die „Sprachlosigkeit“ der Frau ist etwa so bemüht wie jene Amenaides bei ihrem Wiedersehen mit Tancredi: Ein Wort würde genügen, um die ganze Problematik aufzulösen – verständlich, dass dies nicht passieren darf, weil die Oper ja abendfüllend sein soll, aber weder der Librettist noch die Regisseure finden dafür ein plausibles Motiv.
Bei soviel technischer Innovation, dramaturgischem Geschick und ehrenhafter Textdeutung war es ein schwer zu verdauender Makel, dass sich der Regisseur in ästhetischer Hinsicht völlig vergriff. Während die Kostüme im Allgemeinen einer nicht genau definierbaren Epoche angehören, fiel ihm für die Soldaten nichts Besseres ein als die abgeschmackten und zum Überdruss gesehenen Kampftruppen mit ihren MGs – absurd war dabei auch, dass sich in dieser Hightech-Bewaffnung die persönlichen Attentate und Verteidigungen mit einem Dolch vollziehen. Völlig anti-rossinianisch war sodann die vom Anfang bis zum Schluss herrschende Dunkelheit aller Szenen, als ob sich die ganze Oper nachts oder im Untergrund abspielen würde, wo doch gerade Rossinis Musik von Kontrasten lebt. Da genügte auch eine golden leuchtende Wand im Thronsaal nicht als Lichtblick. Den Gipfel an Geschmacklosigkeit erreichte Barberio Corsetti aber mit einer anti-klassischen Einblendung von blutverschmierten Kadavern, expliziten Andeutungen an stattgefundene Vergewaltigungen, Folterszenen à la Abu Ghraib – und dies vor allem während der schönsten musikalischen Szenen von Ilo: Der Startenor Juan Diego Flórez wurde sozusagen dazu prostituiert, seine freudig-erotische Arie vor diesem grässlichen Hintergrund abzusingen, was dem Publikum mit Rücksicht auf seine Kunst den Protest gegen die Szene verbot. Der Regisseur zeigte damit Bilder, die das klassische Theater ad absurdum führen, und hob den (musik)dramaturgischen Kontrast zwischen der Arie des hoffnungstrunken heimkehrenden Kriegers und dem folgenden, bedrückenden Duett des Wiedersehens auf. Die Quittung bekam der unbedarfte Regisseur am Ende der Premiere, als er gnadenlos ausgebuht wurde. Leider konnten die Zuschauer der folgenden Aufführungen ihrem diesbezüglichen Unmut keine Luft machen, da sich Regisseure – im Gegensatz zum restlichen Ensemble – nach der Premiere bekanntlich verdrücken.
Musikalisch wurde vom Feinsten geboten. Nach der bereits erfolgreichen Ermione im letzten Jahr zeigte Roberto Abbado mit dieser Zelmira eine noch gereifte und rundum überzeugende Stabführung, die nicht nur den dramatischen, sondern auch den lyrischen Momenten gerecht wurde, während er wiederum die reiche Orchestrierung meisterhaft herausarbeitete. Das Orchestra del Teatro Comunale di Bologna bestätigte den Erfolg seiner Verjüngung und spielte unter Abbados Leitung ausgesprochen klangschön und mit solistisch überzeugenden Partien. Die Bühnenmusik aus dem Hintergrund der Adriatic Arena sorgte für ausgezeichneten Klangeffekt. Als homogene Ergänzung fungierte dieses Mal der einheimische Chor des Teatro Comunale (der traditionelle Prager Kammerchor war mit dem Ory und der Petite Messe betraut). Mit Juan Diego Flórez stand der unbestrittene Champion für die „David“-Rolle des Ilo an der Rampe, freilich getrübt durch den Wermutstropfen der Inszenierung, die keinen umfassenden Theatergenuss aufkommen ließ. Gregory Kunde zeigte bei der Premiere in der Introduktion die schon bekannten Zerfallserscheinungen seiner Stimme, aber es gelang ihm wiederum auf wundersame Weise, sowohl innerhalb der Premiere wie auch der ganzen Aufführungsserie darüber zu triumphieren. Bei der dritten Aufführung ließ sich das Publikum auch den Applaus nach der Introduktion nicht nehmen, und am Schluss erhielt der alte Kämpe sogar mehr Zustimmung als der Publikumsliebling – was angesichts der höllisch schweren Partie des Antenore auch gerechtfertigt war. Diesem Tyrannen stand als Bösewicht Leucippo in Mirko Palazzi ein ausgezeichneter Bass zur Seite. Der junge Bass Alex Esposito meisterte als Polidoro den Hochseilakt einer gebrechlichen Rollengestaltung mit einer kraftvollen stimmlichen Präsenz in hervorragender Weise. Marianna Pizzolata war eine exzellente Emma. Die eigentliche Entdeckung war aber Kate Aldrich in der Sopranrolle der Zelmira (geschrieben für Isabella Colbran), eigentlich ein Mezzosopran mit eher heller Färbung und ausgesprochen sauberen Höhen und einer natürlichen Rollengestaltung, die sie vom Manierismus einer Ganassi abhebt.
Alle Sänger bedienten sich in den musikalischen Wiederholungen Verzierungen, die freilich manchmal etwas hölzern wirkten.
Als Zelmira am 14. März 1826 am Théâtre Italien in Paris zur Aufführung kam, brachte Rossini selbst einige Änderungen an. Er strich die Arie des Antenore (die Bordogni wahrscheinlich adäquat gar nicht hätte meistern können), während er die in Wien für Fanny Eckerlin hinzugefügte Arie der Emma von Amalia Schütz singen ließ. Komplexere Anpassungen nahm er nach dem großen Quintett für die Kerker- und Befreiungsszene am Schluss der Oper vor. Es darf vermutet werden, dass Giuditta Pasta, seine neue Zelmira, gerne eine Auftrittsarie gehabt hätte, aber Rossini konnte sie wohl für eine andere Lösung gewinnen. Er schrieb ihr eine umfangreiche Arie kurz vor dem zweiten Finale. Das einleitende Gebet „Da te spero, o ciel clemente“ (einst von Marilyn Horne unter Alberto Zedda eingespielt) schrieb er ex novo, die anschließende Brückenpassage und die Cabaletta sind eine Bearbeitung der Gran Scena der Ermione. Das ursprüngliche Rondò Finale der Zelmira mutierte er zu einem Vaudeville für das legitime Herrscher-Trio Zelmira, Polidoro und Ilo. Die Spuren dieser Überarbeitung sind sowohl im Autograph von Zelmira wie auch von Ermione sichtbar, und die kritische Ausgabe ermöglicht durch die vollständige Rekonstruktion nun auch eine Aufführung der Pariser Fassung. Während das ROF sowohl an den Arien des Antenore und der Emma festhielt, folgte man im Finale erstmals dieser Pariser Fassung, und genau diese Erprobung alternativer Lösungen macht auch weiterhin den Reiz dieses Festivals aus, wenn die Entdeckung ganzer Opern vollzogen sein wird. Hier zeigte sich, dass Rossinis Lösung die sängerischen und gestalterischen Möglichkeiten der Pasta mit einer romantisch-hybriden Gefühls- und Powerarie zur Geltung brachte und nach einem abrupten Wechsel zum Vaudeville auch der Tenor (Rubini/Flórez) in einer Finale-Strophe nochmals zur Geltung kommt. Unvergessen und unerreicht bleibt aber die klassizistische Schönheit des Rondò, indem die Titelheldin der Oper ihr Siegel aufdrückt.
Die Reaktionen auf die Inszenierung von La scala di seta waren sehr geteilt, während Zapata als Dorvil und Scimone als Dirigent einhellig abgeurteilt wurden. Ich besuchte die letzte Aufführung, bei der sich in musikalischer Hinsicht offenbar einiges eingerenkt hatte. Nicht dass die sehr schwierige und eher undankbare Tenorrolle die ideale Partie für Manuel José Zapata wäre, aber zumindest bei dieser Abschlussvorstellung meisterte der Spanier seine Arie ehrenhaft. Das Dirigat von Scimone war zügig, und größere Koordinationsprobleme zwischen Orchester und Stimmen blieben aus. Scimone war allerdings als Rossini-Dirigent schon immer umstritten, unbestritten sind aber auch seine große Hingabe für Rossini und seine – vor allem diskographischen – Pioniertaten während der Rossini-Renaissance der 1980er-Jahre (Armida, Mosè in Egitto, Ermione, Maometto II, Zelmira). Das ROF zollte zu seinem 30jährigen Jubiläum also einem Mitstreiter seiner Geschichte Tribut, auch wenn dieser seinen Zenit inzwischen überschritten hat. Als Giulia wirkte die bildhübsche Olga Peretyatko (eine Art Netrebko des Rossinis-Gesangs), deren Stimme freilich bei genauerem Hinhören an Reinheit verloren hat, ohne dass die Sängerin ausdrucksmäßig gewonnen hätte. Paolo Bordogna lieferte als „asiatischer“ Diener Germano eine hervorragende Rollengestaltung ab, die auch stimmlich stimmig war, wenngleich der Sänger nicht über ein großes Raffinement verfügt; ihm gebührt eigentlich die Buffo-Hauptrolle, die ihm aber auf dramaturgischer Ebene streitig gemacht wurde, indem für Blansac die Konzertarie „Alle voci della gloria“ (hier als „Alle voci dell’amore“) eingeschoben wurde, wodurch nicht nur die Rollenprofile verändert wurden, sondern auch die einaktige Farsa zu einem Pseudo-Zweiakter mit Pause aufgebläht wurde. Dabei hat Carlo Lepore, den ich als „Comprimario“ sehr schätze, eigentlich genau die richtige Statur für den Original-Blansac, während die große Bassarie fast eine Nummer zu groß ist für ihn. Dem Regisseur blieb auch nicht viel anderes übrig, als den Einschub als „Theater im Theater“ zu inszenieren. Kurzum: Ich finde es schade, unnötig und inkohärent, diesen Einakter so aufzumotzen. Anna Malavasi als Lucilla konnte sich in ihrer Arie ihres korsettierten Sekretärinnelooks entledigen und sich richtig frei singen.
Vielleicht macht es keinen Sinn, die Geschichte einer heute ziemlich unwahrscheinlichen heimlichen Ehe in die Jetzt-Zeit zu verlegen, aber abgesehen davon konnte ich der „Ikea“-Inszenierung von Michieletto einiges abgewinnen. Das Ganze spielte in einem Möbeldesigner-Interieur (eine Art Hommage an den offiziellen ROF-Sponsor, den Pesareser Küchenbauer Scavolini?), wobei die Idee offenbar von dem Wort „Scala“ ausging – nicht im Sinne von „Leiter“ sondern von „Maßstab“. In der Tat spielte die Handlung auf einer Wohnungsskizze im natürlichen Maßstab („Scala 1:1“), die möbliert war, während die im Plan eingetragenen Türen und Wände von den Akteuren nur mimisch beachtet wurden. Der Regisseur sprudelte über vor Ideen, die den musikalischen Fluss unterstrichen, ohne dass die Gags ins Triviale abglitten. So wurde ich vor Geschmacklosigkeiten wie einer Sitzung auf dem „Thron“ gewarnt, aber es stellte sich dann heraus, dass auf der Toilette kein Geschäft verrichtet wurde, sondern der von Giulia versteckte Dorvil im Badezimmer eben nur diese Sitzgelegenheit (bei geschlossenem Deckel) vorfindet. Einzig auf die reale Abduschung im großen Ensemble hätte Michieletto verzichten können (er scheint an einer krankhaften Vorliebe für das flüssige Element zu leiden, wie schon seine Gazza-Inszenierung zeigte). Einige Ideen waren durchaus situationsgerecht, etwa wenn Blansac im Quartett als Beweis für seine Eignung als Ehemann zu kochen beginnt.
Genauso gleichgültig wie 2003 ließ mich die Inszenierung des Comte Ory von Lluís Pasqual, der es offenbar nicht schicklich fand, die Handlung einfach in dem vom Libretto vorgesehenen Mittelalter anzusiedeln, und in Ermangelung besserer Ideen zu dem abgenutzten Trick Zuflucht nahm, der der billigste ist, den das Musiktheater inzwischen zum Überdruss kennt: Oper in der Oper zu inszenieren. Da vor sechs Jahren diese Absicht aber niemand so richtig verstanden hatte, ergänzte er nun seine Inszenierung durch eine Vorhangsbeschriftung, die darauf hinweist, dass sich „heute Abend im Hotel Rossini ein Gesellschaftsspiel abwickelt, bei dem die Gäste die mittelalterliche Komödie des Grafen Ory inszenieren“. Raimbaud wird in die Rolle des Hoteldirektors gesteckt, der das Ganze leitet. Diese „originelle“ Doppelbödigkeit nützte aber dem Stück nicht, sondern schadet ihm, da das Groteske der Handlung nunmehr nicht mehr „echt“, sondern nur noch „gespielt“ ist und die handelnden Personen mithin von den Verkleidungen ihrer Gegenspieler wissen. Dabei gelingt es auch nicht, die Beziehungen unter den „realen“ Personen, also den Hotelgästen zueinander, mit Leben zu erfüllen. Wenn Isolier sich in der meisterhaften Liebesszene zu dritt als „reale“ Frau erweist, die den Jüngling nur spielt, ist die ganze erotische Vielschichtigkeit dieser Hosenrolle zerstört.
Als große Entdeckung wurde von einem Teil des Publikums der Tenor Yijie Shi als Ory gefeiert, nachdem er schon letztes Jahr in der Accademia-Viaggio den Belfiore erfolgreich gesungen hat. Ich fand die Stimme quäkig und unausgereift und ohne jegliche Autorität für diese anspruchsvolle Rolle. Wenn man dem Sänger eine große Zukunft voraussagt, so hätte man lieber noch ein paar Jahre gewartet, bis man ihm eine solche tragende Rolle anvertraut. Für mich wirkte die ganze Aufführung nicht zuletzt wegen dieser Titelrollenbesetzung wie eine unreife Schülervorstellung. Leider musste bei der letzten Aufführung Lorenzo Regazzo als Gouverneur forfait geben, und sein Ersatz Raffaello Costantini war eine stimmliche und aussprachlich unangenehme Notlösung. Keinen besonderen Eindruck hinterließ Laura Polverelli als Isolier, während Roberto De Candia einen ganz ordentlichen Raimbaud bot. Wirklich überzeugt hat mich an diesem Abend nur María José Moreno als Comtesse, mit ihrem sauberen, farbigen Sopran, der auch in der unteren Lage Konsistenz aufweist. Ansprechend das Dirigat von Paolo Carignani, der diese Musik mit dem richtigen Esprit anging und sie sauber einstudierte, ganz im Gegensatz zur hingepfuschten Petite Messe solennelle, die er als Abschlussvorstellung wie einen Walkürenritt durchpeitschte.
Reto Müller
Besuchte Aufführungen: 12., 15., 18. Aug. (Zelmira), 18. Aug. (La scala di seta), 19. Aug. (Le Comte Ory)
Fotos: ROF
- Zelmira, La scala di seta und Le Comte Ory -
ist mit freundlicher Genehmigung des Autors aus dem
Mitteilungsblatt der Deutschen Rossini Gesellschaft (DRG) übernommen
Die Erfolgsgeschichte des ROF beruht nicht zuletzt auf der konstanten Neuentdeckung unbekannter Werke bzw. auf der Erstpräsentation der kritischen Ausgaben der Fondazione Rossini. Zu dem stolzen Jubiläum hätte man sich zumindest eine „Ausgrabung“ gewünscht. Und tatsächlich stand die Fondazione Rossini mit Sigismondo bereit, und das ROF hatte die Oper sogar bereits angekündigt. Doch dann schlug unerwartet der italienische Staat zu, der mit einer kurzfristigen und drastischen Kürzung seiner Zuschüsse eine radikale Programmänderung auslöste. Sigismondo wich der Scala di seta, einem chorlosen Einakter, der als „low cost“-Produktion alternierend mit dem bereits gesetzten Comte Ory im Teatro Rossini montiert werden konnte. Als Glanzpunkt verblieb Zelmira – mit der alternativen Pariser Fassung – in einer neuen Inszenierung in der Adriatic Arena, die dieses Mal nicht in zwei, sondern nur in ein Theater umgewandelt wurde. Vielleicht ist diese auf „höherer Gewalt“ beruhende Programmierung sinnbildlich für die nächsten 30 Jahre des Festivals: bald werden alle Opern des Meisters in Pesaro erstaufgeführt sein, es gilt also wie bei „gewöhnlichen“ Festivals den Spielplan aus dem bestehenden Repertoire zu alimentieren.
Zelmira ist kürzlich in der endgültigen kritischen Ausgabe erschienen. Grund genug, dieses wichtige Werk wieder auf die Bühne zu bringen. Zuletzt war sie beim ROF 1995 im Teatro Rossini in einer eher anonymen Inszenierung von Yanni Kokos zu sehen. Für die neue Produktion in der Adriatic Arena hat man Giorgio Barberio Corsetti berufen, der 2007 mit einer cinematographischen Pietra del paragone in Parma und Paris aufgefallen war (vgl. den Bericht von Charles Jernigan, «Mitteilungsblatt» Nr. 40, Februar 2007). Seine Zelmira lässt sich aus technischer, dramaturgischer und ästhetischer Hinsicht betrachten. Technisch gab es einige durchaus interessante und überzeugende Effekte, z.B. durch die Spiegelung einer sich unter der Bühne abspielenden Handlung auf den Theaterhintergrund oder durch die Projizierung der Personen in verschiedenen Größenverhältnissen. So wurde z.B. die übergroße Zelmira auf den Hintergrund gebeamt, wenn Antenore sie in seiner großen Arie anklagt. Beeindruckend war die Wirkung im Quintett des 2. Aktes, wenn die erbärmlich kleinen Gefangenen Zelmira und Polidoro von einem übermächtigen Tyrannen Antenore auf dem Hintergrundbild „zerquetscht“ werden. Dramaturgisch überzeugten die Auf- und Abgänge (wie überhaupt die Führung des Chores und der Solisten, denen freilich ein adäquates „Rampensingen“ nicht genommen wurde), die nicht leicht zu inszenierende „Action-Handlung“ der Dolchszene im 1. Finale oder der plötzliche Umschwung im Finale II, wenn die „Guten“ unvermittelt – durch Ausleuchtung der Bühne hinter dem Spiegel – das Gefängnis stürmen. Es gab einige schöne oder auch nur mehr oder weniger verständliche symbolische Szenen. Während des Terzetts in der Gruft rieselt plötzlich der Sand weg, der die drei umgestürzten griechischen Statuen bedeckte, worauf diese sich in der Höhe erheben und schwebend im Raum tanzen – vielleicht kann man dies als „Restauration“ der alten Herrscher deuten. Im 1. Finale wird Zelmiras Baby – der legitime Thronfolger – auf den Thronsessel gelegt, der kurz zuvor von Antenore usurpiert wurde, worauf die im Hintergrund sichtbaren Buchstaben ψευδος [pseudos] krachend zu Boden fallen. Auch die Befreiungsszene ist von einer fideliohaften Suggestionskraft. Barberio Corsetti beweist auch, dass er sich intensiv mit der neueren Forschung auseinandergesetzt hat und jenen altgriechischen Mythos aufleben lässt, den Tottola in seinem Libretto nur euphemistisch beibehalten hat, nämlich „das unnatürliche Bild eines Alten, der an der Brust seiner jungen Tochter hängt“ (Renato Raffaelli, Tracce di allattamento filiale, «Bollettino del Centro Rossiniano di Studi», XXXVI, 1996, S. 45-66: 64) – im Mythos rettet die Tochter ihren Vater dadurch, dass sie ihn mit der Milch nährt, die sie zum Stillen ihres Kleinkindes in der Brust trägt. Dadurch betont der Regisseur Zelmiras Rolle als „consorte, figlia e genitrice“ (I/6 – „Gattin, Tochter und Mutter“). Keine überzeugende Lösung fand der Regisseur hingegen für den bereits im Libretto wenig einleuchtenden Umstand, dass Zelmira ihren Mann nicht über die Vorfälle während seiner Abwesenheit und ihre Unschuld informieren kann: im Hintergrund bewegen sich zwei Wachen, die sie von Ilo ohne weiteres wegschicken lassen könnte, um mit ihm unter vier Augen zu sprechen. Die „Sprachlosigkeit“ der Frau ist etwa so bemüht wie jene Amenaides bei ihrem Wiedersehen mit Tancredi: Ein Wort würde genügen, um die ganze Problematik aufzulösen – verständlich, dass dies nicht passieren darf, weil die Oper ja abendfüllend sein soll, aber weder der Librettist noch die Regisseure finden dafür ein plausibles Motiv.
Bei soviel technischer Innovation, dramaturgischem Geschick und ehrenhafter Textdeutung war es ein schwer zu verdauender Makel, dass sich der Regisseur in ästhetischer Hinsicht völlig vergriff. Während die Kostüme im Allgemeinen einer nicht genau definierbaren Epoche angehören, fiel ihm für die Soldaten nichts Besseres ein als die abgeschmackten und zum Überdruss gesehenen Kampftruppen mit ihren MGs – absurd war dabei auch, dass sich in dieser Hightech-Bewaffnung die persönlichen Attentate und Verteidigungen mit einem Dolch vollziehen. Völlig anti-rossinianisch war sodann die vom Anfang bis zum Schluss herrschende Dunkelheit aller Szenen, als ob sich die ganze Oper nachts oder im Untergrund abspielen würde, wo doch gerade Rossinis Musik von Kontrasten lebt. Da genügte auch eine golden leuchtende Wand im Thronsaal nicht als Lichtblick. Den Gipfel an Geschmacklosigkeit erreichte Barberio Corsetti aber mit einer anti-klassischen Einblendung von blutverschmierten Kadavern, expliziten Andeutungen an stattgefundene Vergewaltigungen, Folterszenen à la Abu Ghraib – und dies vor allem während der schönsten musikalischen Szenen von Ilo: Der Startenor Juan Diego Flórez wurde sozusagen dazu prostituiert, seine freudig-erotische Arie vor diesem grässlichen Hintergrund abzusingen, was dem Publikum mit Rücksicht auf seine Kunst den Protest gegen die Szene verbot. Der Regisseur zeigte damit Bilder, die das klassische Theater ad absurdum führen, und hob den (musik)dramaturgischen Kontrast zwischen der Arie des hoffnungstrunken heimkehrenden Kriegers und dem folgenden, bedrückenden Duett des Wiedersehens auf. Die Quittung bekam der unbedarfte Regisseur am Ende der Premiere, als er gnadenlos ausgebuht wurde. Leider konnten die Zuschauer der folgenden Aufführungen ihrem diesbezüglichen Unmut keine Luft machen, da sich Regisseure – im Gegensatz zum restlichen Ensemble – nach der Premiere bekanntlich verdrücken.
Musikalisch wurde vom Feinsten geboten. Nach der bereits erfolgreichen Ermione im letzten Jahr zeigte Roberto Abbado mit dieser Zelmira eine noch gereifte und rundum überzeugende Stabführung, die nicht nur den dramatischen, sondern auch den lyrischen Momenten gerecht wurde, während er wiederum die reiche Orchestrierung meisterhaft herausarbeitete. Das Orchestra del Teatro Comunale di Bologna bestätigte den Erfolg seiner Verjüngung und spielte unter Abbados Leitung ausgesprochen klangschön und mit solistisch überzeugenden Partien. Die Bühnenmusik aus dem Hintergrund der Adriatic Arena sorgte für ausgezeichneten Klangeffekt. Als homogene Ergänzung fungierte dieses Mal der einheimische Chor des Teatro Comunale (der traditionelle Prager Kammerchor war mit dem Ory und der Petite Messe betraut). Mit Juan Diego Flórez stand der unbestrittene Champion für die „David“-Rolle des Ilo an der Rampe, freilich getrübt durch den Wermutstropfen der Inszenierung, die keinen umfassenden Theatergenuss aufkommen ließ. Gregory Kunde zeigte bei der Premiere in der Introduktion die schon bekannten Zerfallserscheinungen seiner Stimme, aber es gelang ihm wiederum auf wundersame Weise, sowohl innerhalb der Premiere wie auch der ganzen Aufführungsserie darüber zu triumphieren. Bei der dritten Aufführung ließ sich das Publikum auch den Applaus nach der Introduktion nicht nehmen, und am Schluss erhielt der alte Kämpe sogar mehr Zustimmung als der Publikumsliebling – was angesichts der höllisch schweren Partie des Antenore auch gerechtfertigt war. Diesem Tyrannen stand als Bösewicht Leucippo in Mirko Palazzi ein ausgezeichneter Bass zur Seite. Der junge Bass Alex Esposito meisterte als Polidoro den Hochseilakt einer gebrechlichen Rollengestaltung mit einer kraftvollen stimmlichen Präsenz in hervorragender Weise. Marianna Pizzolata war eine exzellente Emma. Die eigentliche Entdeckung war aber Kate Aldrich in der Sopranrolle der Zelmira (geschrieben für Isabella Colbran), eigentlich ein Mezzosopran mit eher heller Färbung und ausgesprochen sauberen Höhen und einer natürlichen Rollengestaltung, die sie vom Manierismus einer Ganassi abhebt.
Alle Sänger bedienten sich in den musikalischen Wiederholungen Verzierungen, die freilich manchmal etwas hölzern wirkten.
Als Zelmira am 14. März 1826 am Théâtre Italien in Paris zur Aufführung kam, brachte Rossini selbst einige Änderungen an. Er strich die Arie des Antenore (die Bordogni wahrscheinlich adäquat gar nicht hätte meistern können), während er die in Wien für Fanny Eckerlin hinzugefügte Arie der Emma von Amalia Schütz singen ließ. Komplexere Anpassungen nahm er nach dem großen Quintett für die Kerker- und Befreiungsszene am Schluss der Oper vor. Es darf vermutet werden, dass Giuditta Pasta, seine neue Zelmira, gerne eine Auftrittsarie gehabt hätte, aber Rossini konnte sie wohl für eine andere Lösung gewinnen. Er schrieb ihr eine umfangreiche Arie kurz vor dem zweiten Finale. Das einleitende Gebet „Da te spero, o ciel clemente“ (einst von Marilyn Horne unter Alberto Zedda eingespielt) schrieb er ex novo, die anschließende Brückenpassage und die Cabaletta sind eine Bearbeitung der Gran Scena der Ermione. Das ursprüngliche Rondò Finale der Zelmira mutierte er zu einem Vaudeville für das legitime Herrscher-Trio Zelmira, Polidoro und Ilo. Die Spuren dieser Überarbeitung sind sowohl im Autograph von Zelmira wie auch von Ermione sichtbar, und die kritische Ausgabe ermöglicht durch die vollständige Rekonstruktion nun auch eine Aufführung der Pariser Fassung. Während das ROF sowohl an den Arien des Antenore und der Emma festhielt, folgte man im Finale erstmals dieser Pariser Fassung, und genau diese Erprobung alternativer Lösungen macht auch weiterhin den Reiz dieses Festivals aus, wenn die Entdeckung ganzer Opern vollzogen sein wird. Hier zeigte sich, dass Rossinis Lösung die sängerischen und gestalterischen Möglichkeiten der Pasta mit einer romantisch-hybriden Gefühls- und Powerarie zur Geltung brachte und nach einem abrupten Wechsel zum Vaudeville auch der Tenor (Rubini/Flórez) in einer Finale-Strophe nochmals zur Geltung kommt. Unvergessen und unerreicht bleibt aber die klassizistische Schönheit des Rondò, indem die Titelheldin der Oper ihr Siegel aufdrückt.
Die Reaktionen auf die Inszenierung von La scala di seta waren sehr geteilt, während Zapata als Dorvil und Scimone als Dirigent einhellig abgeurteilt wurden. Ich besuchte die letzte Aufführung, bei der sich in musikalischer Hinsicht offenbar einiges eingerenkt hatte. Nicht dass die sehr schwierige und eher undankbare Tenorrolle die ideale Partie für Manuel José Zapata wäre, aber zumindest bei dieser Abschlussvorstellung meisterte der Spanier seine Arie ehrenhaft. Das Dirigat von Scimone war zügig, und größere Koordinationsprobleme zwischen Orchester und Stimmen blieben aus. Scimone war allerdings als Rossini-Dirigent schon immer umstritten, unbestritten sind aber auch seine große Hingabe für Rossini und seine – vor allem diskographischen – Pioniertaten während der Rossini-Renaissance der 1980er-Jahre (Armida, Mosè in Egitto, Ermione, Maometto II, Zelmira). Das ROF zollte zu seinem 30jährigen Jubiläum also einem Mitstreiter seiner Geschichte Tribut, auch wenn dieser seinen Zenit inzwischen überschritten hat. Als Giulia wirkte die bildhübsche Olga Peretyatko (eine Art Netrebko des Rossinis-Gesangs), deren Stimme freilich bei genauerem Hinhören an Reinheit verloren hat, ohne dass die Sängerin ausdrucksmäßig gewonnen hätte. Paolo Bordogna lieferte als „asiatischer“ Diener Germano eine hervorragende Rollengestaltung ab, die auch stimmlich stimmig war, wenngleich der Sänger nicht über ein großes Raffinement verfügt; ihm gebührt eigentlich die Buffo-Hauptrolle, die ihm aber auf dramaturgischer Ebene streitig gemacht wurde, indem für Blansac die Konzertarie „Alle voci della gloria“ (hier als „Alle voci dell’amore“) eingeschoben wurde, wodurch nicht nur die Rollenprofile verändert wurden, sondern auch die einaktige Farsa zu einem Pseudo-Zweiakter mit Pause aufgebläht wurde. Dabei hat Carlo Lepore, den ich als „Comprimario“ sehr schätze, eigentlich genau die richtige Statur für den Original-Blansac, während die große Bassarie fast eine Nummer zu groß ist für ihn. Dem Regisseur blieb auch nicht viel anderes übrig, als den Einschub als „Theater im Theater“ zu inszenieren. Kurzum: Ich finde es schade, unnötig und inkohärent, diesen Einakter so aufzumotzen. Anna Malavasi als Lucilla konnte sich in ihrer Arie ihres korsettierten Sekretärinnelooks entledigen und sich richtig frei singen.
Vielleicht macht es keinen Sinn, die Geschichte einer heute ziemlich unwahrscheinlichen heimlichen Ehe in die Jetzt-Zeit zu verlegen, aber abgesehen davon konnte ich der „Ikea“-Inszenierung von Michieletto einiges abgewinnen. Das Ganze spielte in einem Möbeldesigner-Interieur (eine Art Hommage an den offiziellen ROF-Sponsor, den Pesareser Küchenbauer Scavolini?), wobei die Idee offenbar von dem Wort „Scala“ ausging – nicht im Sinne von „Leiter“ sondern von „Maßstab“. In der Tat spielte die Handlung auf einer Wohnungsskizze im natürlichen Maßstab („Scala 1:1“), die möbliert war, während die im Plan eingetragenen Türen und Wände von den Akteuren nur mimisch beachtet wurden. Der Regisseur sprudelte über vor Ideen, die den musikalischen Fluss unterstrichen, ohne dass die Gags ins Triviale abglitten. So wurde ich vor Geschmacklosigkeiten wie einer Sitzung auf dem „Thron“ gewarnt, aber es stellte sich dann heraus, dass auf der Toilette kein Geschäft verrichtet wurde, sondern der von Giulia versteckte Dorvil im Badezimmer eben nur diese Sitzgelegenheit (bei geschlossenem Deckel) vorfindet. Einzig auf die reale Abduschung im großen Ensemble hätte Michieletto verzichten können (er scheint an einer krankhaften Vorliebe für das flüssige Element zu leiden, wie schon seine Gazza-Inszenierung zeigte). Einige Ideen waren durchaus situationsgerecht, etwa wenn Blansac im Quartett als Beweis für seine Eignung als Ehemann zu kochen beginnt.
Genauso gleichgültig wie 2003 ließ mich die Inszenierung des Comte Ory von Lluís Pasqual, der es offenbar nicht schicklich fand, die Handlung einfach in dem vom Libretto vorgesehenen Mittelalter anzusiedeln, und in Ermangelung besserer Ideen zu dem abgenutzten Trick Zuflucht nahm, der der billigste ist, den das Musiktheater inzwischen zum Überdruss kennt: Oper in der Oper zu inszenieren. Da vor sechs Jahren diese Absicht aber niemand so richtig verstanden hatte, ergänzte er nun seine Inszenierung durch eine Vorhangsbeschriftung, die darauf hinweist, dass sich „heute Abend im Hotel Rossini ein Gesellschaftsspiel abwickelt, bei dem die Gäste die mittelalterliche Komödie des Grafen Ory inszenieren“. Raimbaud wird in die Rolle des Hoteldirektors gesteckt, der das Ganze leitet. Diese „originelle“ Doppelbödigkeit nützte aber dem Stück nicht, sondern schadet ihm, da das Groteske der Handlung nunmehr nicht mehr „echt“, sondern nur noch „gespielt“ ist und die handelnden Personen mithin von den Verkleidungen ihrer Gegenspieler wissen. Dabei gelingt es auch nicht, die Beziehungen unter den „realen“ Personen, also den Hotelgästen zueinander, mit Leben zu erfüllen. Wenn Isolier sich in der meisterhaften Liebesszene zu dritt als „reale“ Frau erweist, die den Jüngling nur spielt, ist die ganze erotische Vielschichtigkeit dieser Hosenrolle zerstört.
Als große Entdeckung wurde von einem Teil des Publikums der Tenor Yijie Shi als Ory gefeiert, nachdem er schon letztes Jahr in der Accademia-Viaggio den Belfiore erfolgreich gesungen hat. Ich fand die Stimme quäkig und unausgereift und ohne jegliche Autorität für diese anspruchsvolle Rolle. Wenn man dem Sänger eine große Zukunft voraussagt, so hätte man lieber noch ein paar Jahre gewartet, bis man ihm eine solche tragende Rolle anvertraut. Für mich wirkte die ganze Aufführung nicht zuletzt wegen dieser Titelrollenbesetzung wie eine unreife Schülervorstellung. Leider musste bei der letzten Aufführung Lorenzo Regazzo als Gouverneur forfait geben, und sein Ersatz Raffaello Costantini war eine stimmliche und aussprachlich unangenehme Notlösung. Keinen besonderen Eindruck hinterließ Laura Polverelli als Isolier, während Roberto De Candia einen ganz ordentlichen Raimbaud bot. Wirklich überzeugt hat mich an diesem Abend nur María José Moreno als Comtesse, mit ihrem sauberen, farbigen Sopran, der auch in der unteren Lage Konsistenz aufweist. Ansprechend das Dirigat von Paolo Carignani, der diese Musik mit dem richtigen Esprit anging und sie sauber einstudierte, ganz im Gegensatz zur hingepfuschten Petite Messe solennelle, die er als Abschlussvorstellung wie einen Walkürenritt durchpeitschte.
Reto Müller
Besuchte Aufführungen: 12., 15., 18. Aug. (Zelmira), 18. Aug. (La scala di seta), 19. Aug. (Le Comte Ory)
Fotos: ROF
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11. September 2009
Rossini in Wildbad 2009
Elke Heidenreich hat in der FAZ einen höchstpersönlichen, amüsanten Bericht über „ihren“ Festspielsommer geschrieben: „Mein Gott, was machen wir… es festspielt landauf, landab mit ungeahnter Wucht“. In Bad Wildbad war sie nicht, dort müsste es ihr aber eigentlich gut gefallen. Denn dort gibt es keine Massen und nichts, was vom Entspannen ablenkt, nichts außer eben diesem kleinen liebenswerten Festival „Rossini in Wildbad“. Ich war dieses Jahr dort zum neunten Mal in Folge und habe mir vom 2. bis 12. Juli zehn Tage Entspannung mit Festspielen gegönnt.
Schlechte Nachrichten gab es leider vorab: Das Konzert von Marianna Pizzolato wurde wegen Erkrankung abgesagt. Es war auch einiges anders als sonst: Eine Masterclass, wie sie in den Vorjahren Raúl Giménez durchgeführt hatte, gab es aus finanziellen Gründen dieses Jahr leider nicht mehr.
Und noch etwas hat sich geändert: Ungewohnt und für mich ziemlich gewöhnungsbedürftig ist der neue Standort des Rossini-Denkmals. Nun steht es nicht mehr im Schutz der grünenden und blühenden Vegetation des Kurparks, sondern an dem von Anfang an vorgesehenen Platz, nämlich auf dem Rand eines kleinen Thermalbeckens gegenüber dem Palais Thermal, und Rossini könnte also nun seinen Fuß in echtes Thermalwasser setzen, - aber etwas verloren wirkt er dort, so fast nackert und nur mit einem Handtuch um die Hüften. Aber als Mittelpunkt von Gruppenfotos ist er begehrt, und vielleicht werden nächstes Jahr – jedenfalls zur Festspielzeit – auch noch ein paar Blumenkübel das spartanisch-kahle Ambiente etwas freundlicher gestalten.
Das Festival begann mit einer von Alberto Zedda geleiteten und als CD-Einspielung vorgesehenen konzertanten Festaufführung. Dem SWR und der Firma Naxos ist erneut herzlichst dafür zu danken, dass endlich Zeddas maßstäbliche Interpretationen von Rossinis Meisterwerken auf CD dokumentiert werden, und für den Maestro kommen auch Spitzensänger nach Bad Wildbad, die man andernorts nicht so „hautnah“ erleben kann. Für die auf CD bereits erschienenen Projekte der vergangenen Jahre sei auf die Übersicht in meinem Blog-Beitrag zum letztjährigen 20. Festival "Rossini in Wildbad" 2008 - Das Jubiläum verwiesen.
Dieses Jahr stand „La gazza ladra“ („Die diebische Elster“) auf dem Programm, eine Oper, die Alberto Zedda bereits 1979 nach der von ihm erstellten kritischen Ausgabe der „Fondazione Rossini di Pesaro“ eingespielt hat, und gerade was die sängerischen Leistungen anbelangt, zeigt der Vergleich mit dieser Aufnahme aus einer Zeit ganz zu Beginn der Rossini-Renaissance – das erste Rossini Opera Festival in Pesaro fand 1980 statt - doch deutlich die immense Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Für den 2. Juli war an sich für den Abend eine (eingeschränkt) öffentliche Generalprobe vorgesehen, und dafür hatte ich mir eine Eintrittskarte gekauft, hatte aber schon vor meiner Abreise erfahren müssen, dass stattdessen über den ganzen Tag verteilt Aufnahmen für die CD-Veröffentlichung stattfänden. Somit führte mein erster Weg nach meiner Ankunft am Nachmittag zum Touristik-Büro, wo ich meine Eintrittskarte zurück gab und mich zum Trost für das (kostenlose) Zuhören bei den Aufnahmen anmelden durfte, so dass ich abends dann immerhin noch die Arbeit an Ouvertüre und erstem Akt verfolgen konnte. Diese Reihenfolge – zunächst der zweite, und danach der erste Akt – kannte ich schon von der ebenfalls beschränkt öffentlichen Generalprobe der „Italiana in Algeri“ im Vorjahr; dies wird so gehandhabt, damit man auch für die Aufnahme des zweiten Aktes frische Stimmen hat. Anders als im Vorjahr wurde dieses Mal aber häufiger unterbrochen und mit dem Orchester (Virtuosi Brunensis) diskutiert und dann anschließend noch eine Stunde mit Nachaufnahmen verbracht, - zufrieden schien der Maestro noch nicht zu sein, wovon dann aber bei der Aufführung am Sonnabend, 4. Juli, nichts mehr zu merken war. Diese wurde wieder ein großer persönlicher Erfolg für Alberto Zedda, - es ist immer wieder faszinierend zu erleben, wie der so gebrechlich wirkende und nun schon 81-Jährige mit dem Erheben desTaktstocks Energie aufzuladen scheint und mit welcher Leidenschaft und Liebe er dirigiert und Orchester, Chor und Sänger mitreißt. Auf die Sendung des Mitschnitts beim SWR und auf die anschließend hoffentlich auch bald erscheinende CD-Aufnahme darf man sich freuen, denn alle gaben für Zedda ihr Bestes: Maria José Moreno – zurück aus der Babypause – als schönstimmige und anrührende Ninetta, Kenneth Tarver als höhensicherer Giannetto, Lorenzo Regazzo – auch konzertant mimisch und gestisch ständig in Aktion – als koloraturschleudernder komisch-böser Gottardo, Giulio Mastrototaro und Luisa Islam-Ali-Zade als Eltern von Giannetto, Mariana Rewerski - Einspringerin für die erkrankte Marianna Pizzolato - als Pippo und – das war die Überraschung dieser Produktion – Bruno Praticò einmal nicht in einer Buffopartie, sondern als Fernando, schön auf Linie singend, mutig in den Koloraturen und sehr konzentriert ob des doch wohl eher ungewohnten Terrains. Auch die kleineren Partien waren gut besetzt, und zwar durchweg mit Sängern, die dann in der späteren szenischen „Gazza ladra“ Hauptpartien sangen: Stefan Cifolelli (Tenor, Isacco), Pablo Cameselle (Tenor, Antonio) und Maurizio Lo Piccolo (Bass, Giorgio), ferner Damian Whiteley (Pretore).
Am Sonntag, 5. Juli, stand dann am Vormittag die Premiere der szenischen Schiller-Belcanto-Matinee „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann“ auf dem Programm (Regie: Christof Küster). Eine der deutschen Sprache unkundige Sängerin (Luisa Islam-Ali-Zade) und ein überschwänglicher Schauspieler (Boris Rosenberger) erscheinen zum Vorsingen bzw. zum Vorsprechen für „Wilhelm Tell“ und geraten nichtsahnend an die Putzfrau – hinreißend gespielt von der Schauspielerin Gundi-Anna Schick; diese findet Gefallen an der Sache und „inszeniert“ die Tell-Handlung, die sie nur in groben Zügen vom Hörensagen kennt, mit den ihr eigenen Mitteln und Ideen. Eingebaut in den Ablauf waren sieben Arien (von einer Canzonetta von Haydn und Mozarts Cherubino über Rossinis Italiana und Tancredi bis zu Tschaikowskis Jungfrau von Orléans), mit denen Luisa Islam-Ali-Zade – wie immer souverän am Flügel begleitet von Marco Bellei - brillieren konnte. Für diese vergnügliche Stunde Unterhaltung gab es viel Beifall.
Danach wurde es bis zum Donnerstag ohne Festivalgäste sehr ruhig in Bad Wildbad, aber für mich keineswegs langweilig. Zum einen gibt es im Umkreis von Bad Wildbad nicht nur Wanderwege und lohnende kulturelle Ausflugsziele mit Museen, Ruinen, Fachwerkhäusern etc., sondern auch drei Städte mit Opernhäusern – Karlsruhe, Stuttgart und Pforzheim - , von denen man auch nach einer Abendvorstellung noch mit der Stadtbahn bequem nach Bad Wildbad zurückkehren kann, zum anderen wird vor Ort ja für die bevorstehenden Premieren geprobt. So erlebte ich in Pforzheim, (wohin ich mich schon am Freitag vor aufziehenden Gewitterstürmen ins Schmuckmuseum geflüchtet hatte) am Sonntagabend eine sehr fantasievoll inszenierte und erfreulich gut gesungene Aufführung der Barockoper „La Calisto“ von Cavalli, und auch Stuttgart bot am Mittwoch mit Händels „Teseo“ Barockes. Dazwischen erlebte ich die Proben zur szenischen „Gazza ladra“ und zu Rossinis „Il signor Bruschino“, den ich – da nun einmal leider überhaupt kein Kurparkwetter war - dreimal komplett sah und hörte und so auch die szenische und musikalische Detailarbeit gut verfolgen konnte.
Für Donnerstag, 9. Juli, hatte eigentlich ein Belcanto-Festkonzert mit Marianna Pizzolato auf dem Programm gestanden, das aber leider wegen ihrer Erkrankung hatte abgesetzt werden müssen. Wer wollte, konnte stattdessen in eine sog. Voraufführung der szenischen „Gazza ladra“ gehen, in Wirklichkeit – und so auch in dem außerhalb der Vorstellungen im Kurhaus aushängenden Probenplan ausgewiesen – war es die Generalprobe, und zur Enttäuschung einiger Besucher hörten sie von Ugo Guagliardo in der Rolle des Fernando weitgehend nur Markiertes und konnten erst in der Schlussszene, in der er voll aussang, erahnen, was ihnen entgangen war. Ich meine, man hätte das Publikum darauf vorbereiten sollen, die Leute wären trotzdem gekommen und hätten Verständnis gehabt (und sich vielleicht auch mit den im Vergleich zu den normalen Vorstellungen niedrigeren Kartenpreisen etwas getröstet); denn dass es ohne ernstliche Stimmgefährdung nicht anders ging, war völlig einzusehen, da dieser junge und wirklich vielversprechende Koloraturbass sowohl in der „Gazza ladra“ als auch im „Signor Bruschino“ Hauptpartien sang.
Das 20-jährige Bestehen der Deutschen Rossini Gesellschaft wurde am Freitag, 10. Juli, nachmittags im König-Karls-Bad mit einem vom Vorsitzenden Bernd-Rüdiger Kern gehaltenen Vortrag „Rossini in Wien oder Die Bekenntnisse von Melanie von Metternich“ und mit Kammermusik von Rossini für Harfe, Streicher und Bläser gefeiert. Die Ausführenden dieser sonst leider wenig zu hörenden Kammermusikraritäten waren – mit Ausnahme der Harfenistin – Mitglieder des Festivalorchesters Virtuosi Brunensis und machten mit ihrem virtuosen Spiel dem Namen ihres Orchesters alle Ehre. Anschließend gab es einen Empfang im Hotel Rossini (vormals Hotel Bären).
Am Freitagabend war dann die Premiere der Farsa „Il signor Bruschino ossia Il figlio per azzardo“ und wurde ein voller Erfolg. Die Produktion soll auch als DVD erscheinen. Die Inszenierung von Jochen Schönleber im Bühnenbild von Anton Lukas und in den Kostümen von Claudia Möbius wurde zu Recht einhellig bejubelt, - spritzig, witzig und nie klamottig.
Dem entsprach auch das Dirigat von Antonino Fogliani, der zunächst im Bademantel antrat, denn Ouvertüre und erste Szene spielten in den „Bagni Gioachino“: das Orchester saß auf blauer Folie sozusagen im Schwimmbecken und alle setzten zur Ouvertüre passenderweise Badehäubchen auf. Auch Stefania Bonfadelli zeigte sich hübsch anzusehen in Bikini und Badeanzug. Weniger wohlgeformt, aber umso lustiger präsentierte sich dann am Schluss Bruno Praticò im quergestreiften Badekostüm und positionierte sich an der Leiter ins imaginäre Orchester-Schwimmbassin in der gleichen Pose wie der bronzene Rossini auf seinem Denkmal. Dazwischen gab es jede Menge liebenswerte Gags in temporeich abspulenden Aktionen zu belachen, genau passend zu den Crescendi in Rossinis Musik und von den Akteuren auf der Bühne mit Spaß an der Freud ausgeführt. Jetzt klappte alles, ich hatte ja die gelegentlich durchaus hindernisreiche Entwicklung der einen oder anderen Szene bei den Proben miterlebt.
Bruno Praticò war in dieser Bufforolle des Signor Bruschino natürlich voll in seinem Element, die an Koloraturen reiche Basspartie des Gaudenzio Strappapuppole, fürsorglicher Vormund von Sofia, wurde von Ugo Guagliardo hinreißend gesungen und gespielt. Stefania Bonfadelli kehrte nach längerer Krankheit, kurzem Comeback (s. Interview in der Zeitschrift „Das Opernglas“, Oktober 2006) und anschließender Babypause auf die Bühne zurück, - da bleibt wohl erst einmal abzuwarten, ob sie auch wieder an den großen Häusern reüssieren kann. Filippo Adami gefiel mit seinem höhensicheren, klaren Tenor als Florville. In den kleineren Partien sangen Pablo Cameselle, Stefan Cifolelli, Armando Ariostini und Wakako Ono, am Fortepiano begleitete Michele d’Elia die Rezitative.
Am Sonnabend, 11. Juli, gab es ein dichtgedrängtes Programm. Bei dem Empfang am Vortag war spontan für den Vormittag eine Besichtigung des in dieser Saison geschlossenen Kurtheaters angesetzt worden, zu der sich mehr als zwei Dutzend Interessenten einfanden. Unter der engagierten Führung durch Herrn Dr. Eckhard Peterson, Vorsitzender des Fördervereins Kurtheater Wildbad e.V., konnten wir sehen, wieweit die aktuellen Baumaßnahmen gediehen waren: links ein Anbau für Garderobe, Toiletten etc., rechts der Anbau der Cafeteria, und im Zuschauerraum sind auch bereits die ersten Reihen der aufwendig restaurierten Originalbestuhlung zu bewundern. Herr Dr. Peterson führte uns auch in das Bühnenhaus mit den noch original erhaltenen Kulissenzügen, von denen ein Teil wieder in Benutzung genommen werden soll, und unter die Bühne. Wenn man an den bei der ersten Besichtigung 2001 vorhandenen katastrophalen Zustand des jahrelang als Abstellraum für Gartengeräte genutzten Theaters zurückdenkt, kann man nur staunen, was dank des unermüdlichen Einsatzes des Fördervereins und seines Vorsitzenden erreicht worden ist.
Am Sonnabend-Nachmittag stand dann ein von Solistinnen und Solisten des Festivals bestrittenes Konzert „Hommage an Schiller“ auf dem Programm. Mit der Klavierbegleitung von Michele d’Elia gab es Arien und Szenen aus „Don Carlo“ und „I masnadieri“ von Verdi, aus „I briganti“ von Mercadante, aus Donizettis „Roberto Devereux“ (nicht von Schiller) sowie vier Szenen bzw. Arien aus Rossinis „Guglielmo Tell“ bzw. „Guillaume Tell“. Da der Festivalintendant Jochen Schönleber in seiner Moderation ankündigte, dass es den Tell in Bad Wildbad geben werde, wurde natürlich anschließend eifrig diskutiert, ob man da vielleicht schon einen Teil der geplanten Besetzung zu hören bekommen hatte, - es sangen Ines Merseburg, Pablo Cameselle (anstelle des angekündigten Filippo Adami), Wakako Ono, Elsa Giannoulidou und – das war die Überraschung des Nachmittags – Bruno Praticò. Sein „Sois immobile“ war schönstimmig und stilvoll, eine Wohltat insbesondere im Vergleich zu den sehr lautstark vorgetragenen Verdi- Stücken des ersten Teils des Konzerts, - auf die daran beteiligten Solisten möchte ich nicht näher eingehen.
Am Sonnabend-Abend war dann die offizielle Premiere der szenischen Produktion der „Gazza ladra“. Das etwas pauschale Dirigat von Ryuichiro Sonoda konnte sich mit dem von Zedda nicht messen, immerhin spielten die Virtuosi Brunensis - jedenfalls bis zur Pause – nicht so unangenehm laut wie in der sog. Voraufführung. Die Inszenierung von Anke Rauthmann nutzte mit einer schrägen Rampe (Bühne: Anton Lukas) geschickt die – besonders bei Einsatz eines größeren Chores (Classica Kammerchor Brno) - beengten räumlichen Verhältnisse der Kurhaus-Bühne, das Hauptaugenmerk lag auf einer detailreichen und überzeugenden Personenführung. Giulio Mastrototaro sang wieder ausgezeichnet gut den Fabrizio, seine Frau war diesmal Elsa Giannoulidou, und die Rolle des Sohnes Giannetto sang Stefan Cifolelli mit großem persönlichen Erfolg. Ebenfalls erfreulich war die Ninetta von Sandra Pastrana, bei den Bässen bot Ugo Guagliardo als Fernando ein atemberaubendes Koloraturfeuerwerk, während Maurizio Lo Piccolo als Gottardo zwar eine weniger geläufige Gurgel hatte, aber durch stilvolles Legato punkten konnte. Luisa Islam-Ali-Zade war diesmal Pippo und – sicherlich auch und gerade wegen ihrer natürlichen Gestaltung dieser Hosenrolle – wieder ein Publikumsliebling. In den kleineren Partien gefielen Pablo Camaselle (Isacco und Antonio) und Stefan Hagendorn (Giorgio und Amtsrichter) sowie als Gazza (Elster) die Schauspielerin Kornelia Gocalek.
Nach zehn Tagen in Bad Wildbad freue ich mich nun auf das nächstjährige Festival. Ein Ereignis habe ich dieses Jahr verpasst, aber dank der Liveübertragung von Deutschlandradio Kultur immerhin im Radio hören können: die konzertante Aufführung von „La sposa di Messina“ von Nicola Vaccaj (nach Schillers „Braut von Messina“) am 18. Juli mit einer herausragenden Jessica Pratt.
Fotos: D. Kalinka (Rossini-Denkmal) und "Rossini in Wildbad" (Szenenfotos)
Schlechte Nachrichten gab es leider vorab: Das Konzert von Marianna Pizzolato wurde wegen Erkrankung abgesagt. Es war auch einiges anders als sonst: Eine Masterclass, wie sie in den Vorjahren Raúl Giménez durchgeführt hatte, gab es aus finanziellen Gründen dieses Jahr leider nicht mehr.
Und noch etwas hat sich geändert: Ungewohnt und für mich ziemlich gewöhnungsbedürftig ist der neue Standort des Rossini-Denkmals. Nun steht es nicht mehr im Schutz der grünenden und blühenden Vegetation des Kurparks, sondern an dem von Anfang an vorgesehenen Platz, nämlich auf dem Rand eines kleinen Thermalbeckens gegenüber dem Palais Thermal, und Rossini könnte also nun seinen Fuß in echtes Thermalwasser setzen, - aber etwas verloren wirkt er dort, so fast nackert und nur mit einem Handtuch um die Hüften. Aber als Mittelpunkt von Gruppenfotos ist er begehrt, und vielleicht werden nächstes Jahr – jedenfalls zur Festspielzeit – auch noch ein paar Blumenkübel das spartanisch-kahle Ambiente etwas freundlicher gestalten.
Das Festival begann mit einer von Alberto Zedda geleiteten und als CD-Einspielung vorgesehenen konzertanten Festaufführung. Dem SWR und der Firma Naxos ist erneut herzlichst dafür zu danken, dass endlich Zeddas maßstäbliche Interpretationen von Rossinis Meisterwerken auf CD dokumentiert werden, und für den Maestro kommen auch Spitzensänger nach Bad Wildbad, die man andernorts nicht so „hautnah“ erleben kann. Für die auf CD bereits erschienenen Projekte der vergangenen Jahre sei auf die Übersicht in meinem Blog-Beitrag zum letztjährigen 20. Festival "Rossini in Wildbad" 2008 - Das Jubiläum verwiesen.
Dieses Jahr stand „La gazza ladra“ („Die diebische Elster“) auf dem Programm, eine Oper, die Alberto Zedda bereits 1979 nach der von ihm erstellten kritischen Ausgabe der „Fondazione Rossini di Pesaro“ eingespielt hat, und gerade was die sängerischen Leistungen anbelangt, zeigt der Vergleich mit dieser Aufnahme aus einer Zeit ganz zu Beginn der Rossini-Renaissance – das erste Rossini Opera Festival in Pesaro fand 1980 statt - doch deutlich die immense Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Für den 2. Juli war an sich für den Abend eine (eingeschränkt) öffentliche Generalprobe vorgesehen, und dafür hatte ich mir eine Eintrittskarte gekauft, hatte aber schon vor meiner Abreise erfahren müssen, dass stattdessen über den ganzen Tag verteilt Aufnahmen für die CD-Veröffentlichung stattfänden. Somit führte mein erster Weg nach meiner Ankunft am Nachmittag zum Touristik-Büro, wo ich meine Eintrittskarte zurück gab und mich zum Trost für das (kostenlose) Zuhören bei den Aufnahmen anmelden durfte, so dass ich abends dann immerhin noch die Arbeit an Ouvertüre und erstem Akt verfolgen konnte. Diese Reihenfolge – zunächst der zweite, und danach der erste Akt – kannte ich schon von der ebenfalls beschränkt öffentlichen Generalprobe der „Italiana in Algeri“ im Vorjahr; dies wird so gehandhabt, damit man auch für die Aufnahme des zweiten Aktes frische Stimmen hat. Anders als im Vorjahr wurde dieses Mal aber häufiger unterbrochen und mit dem Orchester (Virtuosi Brunensis) diskutiert und dann anschließend noch eine Stunde mit Nachaufnahmen verbracht, - zufrieden schien der Maestro noch nicht zu sein, wovon dann aber bei der Aufführung am Sonnabend, 4. Juli, nichts mehr zu merken war. Diese wurde wieder ein großer persönlicher Erfolg für Alberto Zedda, - es ist immer wieder faszinierend zu erleben, wie der so gebrechlich wirkende und nun schon 81-Jährige mit dem Erheben desTaktstocks Energie aufzuladen scheint und mit welcher Leidenschaft und Liebe er dirigiert und Orchester, Chor und Sänger mitreißt. Auf die Sendung des Mitschnitts beim SWR und auf die anschließend hoffentlich auch bald erscheinende CD-Aufnahme darf man sich freuen, denn alle gaben für Zedda ihr Bestes: Maria José Moreno – zurück aus der Babypause – als schönstimmige und anrührende Ninetta, Kenneth Tarver als höhensicherer Giannetto, Lorenzo Regazzo – auch konzertant mimisch und gestisch ständig in Aktion – als koloraturschleudernder komisch-böser Gottardo, Giulio Mastrototaro und Luisa Islam-Ali-Zade als Eltern von Giannetto, Mariana Rewerski - Einspringerin für die erkrankte Marianna Pizzolato - als Pippo und – das war die Überraschung dieser Produktion – Bruno Praticò einmal nicht in einer Buffopartie, sondern als Fernando, schön auf Linie singend, mutig in den Koloraturen und sehr konzentriert ob des doch wohl eher ungewohnten Terrains. Auch die kleineren Partien waren gut besetzt, und zwar durchweg mit Sängern, die dann in der späteren szenischen „Gazza ladra“ Hauptpartien sangen: Stefan Cifolelli (Tenor, Isacco), Pablo Cameselle (Tenor, Antonio) und Maurizio Lo Piccolo (Bass, Giorgio), ferner Damian Whiteley (Pretore).
Am Sonntag, 5. Juli, stand dann am Vormittag die Premiere der szenischen Schiller-Belcanto-Matinee „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann“ auf dem Programm (Regie: Christof Küster). Eine der deutschen Sprache unkundige Sängerin (Luisa Islam-Ali-Zade) und ein überschwänglicher Schauspieler (Boris Rosenberger) erscheinen zum Vorsingen bzw. zum Vorsprechen für „Wilhelm Tell“ und geraten nichtsahnend an die Putzfrau – hinreißend gespielt von der Schauspielerin Gundi-Anna Schick; diese findet Gefallen an der Sache und „inszeniert“ die Tell-Handlung, die sie nur in groben Zügen vom Hörensagen kennt, mit den ihr eigenen Mitteln und Ideen. Eingebaut in den Ablauf waren sieben Arien (von einer Canzonetta von Haydn und Mozarts Cherubino über Rossinis Italiana und Tancredi bis zu Tschaikowskis Jungfrau von Orléans), mit denen Luisa Islam-Ali-Zade – wie immer souverän am Flügel begleitet von Marco Bellei - brillieren konnte. Für diese vergnügliche Stunde Unterhaltung gab es viel Beifall.
Danach wurde es bis zum Donnerstag ohne Festivalgäste sehr ruhig in Bad Wildbad, aber für mich keineswegs langweilig. Zum einen gibt es im Umkreis von Bad Wildbad nicht nur Wanderwege und lohnende kulturelle Ausflugsziele mit Museen, Ruinen, Fachwerkhäusern etc., sondern auch drei Städte mit Opernhäusern – Karlsruhe, Stuttgart und Pforzheim - , von denen man auch nach einer Abendvorstellung noch mit der Stadtbahn bequem nach Bad Wildbad zurückkehren kann, zum anderen wird vor Ort ja für die bevorstehenden Premieren geprobt. So erlebte ich in Pforzheim, (wohin ich mich schon am Freitag vor aufziehenden Gewitterstürmen ins Schmuckmuseum geflüchtet hatte) am Sonntagabend eine sehr fantasievoll inszenierte und erfreulich gut gesungene Aufführung der Barockoper „La Calisto“ von Cavalli, und auch Stuttgart bot am Mittwoch mit Händels „Teseo“ Barockes. Dazwischen erlebte ich die Proben zur szenischen „Gazza ladra“ und zu Rossinis „Il signor Bruschino“, den ich – da nun einmal leider überhaupt kein Kurparkwetter war - dreimal komplett sah und hörte und so auch die szenische und musikalische Detailarbeit gut verfolgen konnte.
Für Donnerstag, 9. Juli, hatte eigentlich ein Belcanto-Festkonzert mit Marianna Pizzolato auf dem Programm gestanden, das aber leider wegen ihrer Erkrankung hatte abgesetzt werden müssen. Wer wollte, konnte stattdessen in eine sog. Voraufführung der szenischen „Gazza ladra“ gehen, in Wirklichkeit – und so auch in dem außerhalb der Vorstellungen im Kurhaus aushängenden Probenplan ausgewiesen – war es die Generalprobe, und zur Enttäuschung einiger Besucher hörten sie von Ugo Guagliardo in der Rolle des Fernando weitgehend nur Markiertes und konnten erst in der Schlussszene, in der er voll aussang, erahnen, was ihnen entgangen war. Ich meine, man hätte das Publikum darauf vorbereiten sollen, die Leute wären trotzdem gekommen und hätten Verständnis gehabt (und sich vielleicht auch mit den im Vergleich zu den normalen Vorstellungen niedrigeren Kartenpreisen etwas getröstet); denn dass es ohne ernstliche Stimmgefährdung nicht anders ging, war völlig einzusehen, da dieser junge und wirklich vielversprechende Koloraturbass sowohl in der „Gazza ladra“ als auch im „Signor Bruschino“ Hauptpartien sang.
Das 20-jährige Bestehen der Deutschen Rossini Gesellschaft wurde am Freitag, 10. Juli, nachmittags im König-Karls-Bad mit einem vom Vorsitzenden Bernd-Rüdiger Kern gehaltenen Vortrag „Rossini in Wien oder Die Bekenntnisse von Melanie von Metternich“ und mit Kammermusik von Rossini für Harfe, Streicher und Bläser gefeiert. Die Ausführenden dieser sonst leider wenig zu hörenden Kammermusikraritäten waren – mit Ausnahme der Harfenistin – Mitglieder des Festivalorchesters Virtuosi Brunensis und machten mit ihrem virtuosen Spiel dem Namen ihres Orchesters alle Ehre. Anschließend gab es einen Empfang im Hotel Rossini (vormals Hotel Bären).
Am Freitagabend war dann die Premiere der Farsa „Il signor Bruschino ossia Il figlio per azzardo“ und wurde ein voller Erfolg. Die Produktion soll auch als DVD erscheinen. Die Inszenierung von Jochen Schönleber im Bühnenbild von Anton Lukas und in den Kostümen von Claudia Möbius wurde zu Recht einhellig bejubelt, - spritzig, witzig und nie klamottig.
Dem entsprach auch das Dirigat von Antonino Fogliani, der zunächst im Bademantel antrat, denn Ouvertüre und erste Szene spielten in den „Bagni Gioachino“: das Orchester saß auf blauer Folie sozusagen im Schwimmbecken und alle setzten zur Ouvertüre passenderweise Badehäubchen auf. Auch Stefania Bonfadelli zeigte sich hübsch anzusehen in Bikini und Badeanzug. Weniger wohlgeformt, aber umso lustiger präsentierte sich dann am Schluss Bruno Praticò im quergestreiften Badekostüm und positionierte sich an der Leiter ins imaginäre Orchester-Schwimmbassin in der gleichen Pose wie der bronzene Rossini auf seinem Denkmal. Dazwischen gab es jede Menge liebenswerte Gags in temporeich abspulenden Aktionen zu belachen, genau passend zu den Crescendi in Rossinis Musik und von den Akteuren auf der Bühne mit Spaß an der Freud ausgeführt. Jetzt klappte alles, ich hatte ja die gelegentlich durchaus hindernisreiche Entwicklung der einen oder anderen Szene bei den Proben miterlebt.
Bruno Praticò war in dieser Bufforolle des Signor Bruschino natürlich voll in seinem Element, die an Koloraturen reiche Basspartie des Gaudenzio Strappapuppole, fürsorglicher Vormund von Sofia, wurde von Ugo Guagliardo hinreißend gesungen und gespielt. Stefania Bonfadelli kehrte nach längerer Krankheit, kurzem Comeback (s. Interview in der Zeitschrift „Das Opernglas“, Oktober 2006) und anschließender Babypause auf die Bühne zurück, - da bleibt wohl erst einmal abzuwarten, ob sie auch wieder an den großen Häusern reüssieren kann. Filippo Adami gefiel mit seinem höhensicheren, klaren Tenor als Florville. In den kleineren Partien sangen Pablo Cameselle, Stefan Cifolelli, Armando Ariostini und Wakako Ono, am Fortepiano begleitete Michele d’Elia die Rezitative.
Am Sonnabend, 11. Juli, gab es ein dichtgedrängtes Programm. Bei dem Empfang am Vortag war spontan für den Vormittag eine Besichtigung des in dieser Saison geschlossenen Kurtheaters angesetzt worden, zu der sich mehr als zwei Dutzend Interessenten einfanden. Unter der engagierten Führung durch Herrn Dr. Eckhard Peterson, Vorsitzender des Fördervereins Kurtheater Wildbad e.V., konnten wir sehen, wieweit die aktuellen Baumaßnahmen gediehen waren: links ein Anbau für Garderobe, Toiletten etc., rechts der Anbau der Cafeteria, und im Zuschauerraum sind auch bereits die ersten Reihen der aufwendig restaurierten Originalbestuhlung zu bewundern. Herr Dr. Peterson führte uns auch in das Bühnenhaus mit den noch original erhaltenen Kulissenzügen, von denen ein Teil wieder in Benutzung genommen werden soll, und unter die Bühne. Wenn man an den bei der ersten Besichtigung 2001 vorhandenen katastrophalen Zustand des jahrelang als Abstellraum für Gartengeräte genutzten Theaters zurückdenkt, kann man nur staunen, was dank des unermüdlichen Einsatzes des Fördervereins und seines Vorsitzenden erreicht worden ist.
Am Sonnabend-Nachmittag stand dann ein von Solistinnen und Solisten des Festivals bestrittenes Konzert „Hommage an Schiller“ auf dem Programm. Mit der Klavierbegleitung von Michele d’Elia gab es Arien und Szenen aus „Don Carlo“ und „I masnadieri“ von Verdi, aus „I briganti“ von Mercadante, aus Donizettis „Roberto Devereux“ (nicht von Schiller) sowie vier Szenen bzw. Arien aus Rossinis „Guglielmo Tell“ bzw. „Guillaume Tell“. Da der Festivalintendant Jochen Schönleber in seiner Moderation ankündigte, dass es den Tell in Bad Wildbad geben werde, wurde natürlich anschließend eifrig diskutiert, ob man da vielleicht schon einen Teil der geplanten Besetzung zu hören bekommen hatte, - es sangen Ines Merseburg, Pablo Cameselle (anstelle des angekündigten Filippo Adami), Wakako Ono, Elsa Giannoulidou und – das war die Überraschung des Nachmittags – Bruno Praticò. Sein „Sois immobile“ war schönstimmig und stilvoll, eine Wohltat insbesondere im Vergleich zu den sehr lautstark vorgetragenen Verdi- Stücken des ersten Teils des Konzerts, - auf die daran beteiligten Solisten möchte ich nicht näher eingehen.
Am Sonnabend-Abend war dann die offizielle Premiere der szenischen Produktion der „Gazza ladra“. Das etwas pauschale Dirigat von Ryuichiro Sonoda konnte sich mit dem von Zedda nicht messen, immerhin spielten die Virtuosi Brunensis - jedenfalls bis zur Pause – nicht so unangenehm laut wie in der sog. Voraufführung. Die Inszenierung von Anke Rauthmann nutzte mit einer schrägen Rampe (Bühne: Anton Lukas) geschickt die – besonders bei Einsatz eines größeren Chores (Classica Kammerchor Brno) - beengten räumlichen Verhältnisse der Kurhaus-Bühne, das Hauptaugenmerk lag auf einer detailreichen und überzeugenden Personenführung. Giulio Mastrototaro sang wieder ausgezeichnet gut den Fabrizio, seine Frau war diesmal Elsa Giannoulidou, und die Rolle des Sohnes Giannetto sang Stefan Cifolelli mit großem persönlichen Erfolg. Ebenfalls erfreulich war die Ninetta von Sandra Pastrana, bei den Bässen bot Ugo Guagliardo als Fernando ein atemberaubendes Koloraturfeuerwerk, während Maurizio Lo Piccolo als Gottardo zwar eine weniger geläufige Gurgel hatte, aber durch stilvolles Legato punkten konnte. Luisa Islam-Ali-Zade war diesmal Pippo und – sicherlich auch und gerade wegen ihrer natürlichen Gestaltung dieser Hosenrolle – wieder ein Publikumsliebling. In den kleineren Partien gefielen Pablo Camaselle (Isacco und Antonio) und Stefan Hagendorn (Giorgio und Amtsrichter) sowie als Gazza (Elster) die Schauspielerin Kornelia Gocalek.
Nach zehn Tagen in Bad Wildbad freue ich mich nun auf das nächstjährige Festival. Ein Ereignis habe ich dieses Jahr verpasst, aber dank der Liveübertragung von Deutschlandradio Kultur immerhin im Radio hören können: die konzertante Aufführung von „La sposa di Messina“ von Nicola Vaccaj (nach Schillers „Braut von Messina“) am 18. Juli mit einer herausragenden Jessica Pratt.
Fotos: D. Kalinka (Rossini-Denkmal) und "Rossini in Wildbad" (Szenenfotos)
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