4. April 2009
Rossinis "Maometto Secondo" im Internet
Nach Mozarts Zauberflöte überträgt ClassicLive mit Rossinis selten gespielter Oper Maometto Secondo zum zweiten Mal eine Aufführung aus dem Theater Bremen. Die Premiere am 15. März stand unter der Regie von Michael Hampe (Übernahme aus Pesaro). Unter der musikalischen Leitung von Daniel Montané sangen István Kovács die Titelrolle, Anna Pegova als Anna Erisso, Nadja Steganoff als Calbo und Luis Olivares als Paolo Erisso. Diese Aufführung wird für ca. vier Wochen im Internet zu sehen sein (http://www.classiclive.com/ ).
30. März 2009
Otello in Biel - oder Jago als Regisseur


Regisseure brauchen ja angeblich immer einen „Schlüssel“ (Paul Esterhazy im Programmheft: „Ich suche bei jeder Inszenierung nach einem Schlüssel“) – es geht also nicht darum, das Stück einfach umzusetzen, wie es sich präsentiert, sondern eine Lesart zu finden, mit der diese Schöpfungsberufenen dem Stück ihren eigenen Stempel aufdrücken können. Was tun, wenn das Stück vermeintlich schwach ist? Man greift zu der abgenutzten Idee des „Theaters im Theater“, immer öfter nicht nur in der komischen sondern auch in der ernsten Oper, wo der Effekt dann umso drastischer ist. Unser Regisseur hat das Stück überhaupt nicht verstanden, weil er Shakespeare, Boito/Verdi und die englischen bzw. anglophilen Kritiker Byron und Stendhal zum Maßstab nimmt und mit den Konventionen von Rossinis Musiktheater scheinbar überhaupt nicht vertraut ist. So stellt er fälschlicherweise „das zentrale Thema Eifersucht“ und eine „seltsame Unbeholfenheit des Librettos“ fest. Esterhazy hat nicht realisiert, dass Rossini und Berio di Salsa das Grundmuster einer herkömmlichen Viererkonstellation mit einem festlichen Beginn (Ouvertüre) bis hin zum bitteren Ende als dramaturgisches Crescendo inszenieren, dessen Weg von den beiden ersten konventionellen Akten zum modernen dritten Akt Programm ist und wo die dramaturgische und musikalische Verbindung zwischen den Akten durch die eigentliche Hauptrolle, Desdemona, geschaffen wird, deren tragische Vorahnung ihres Schicksals im Zentrum steht. Statt diese spannende und eigentlich gar nicht so schwer zu erkennende Thematik als roten Faden aufzugreifen, zementiert Esterhazy alte Vorurteile einer „Unentschiedenheit zwischen Tragischem und Komödiantischem in Rossinis Musik“ und veräppelt das Stück mit metatheatralischen Gemeinplätzen.

Die Oper beginnt in Biel mit dem Finale: Kaum hat sich Otello umgebracht, ertönen Lautsprecheranweisungen, „Alles nochmals von vorne, wir tauschen jetzt die Tenorrollen zwischen Otello und Rodrigo aus“, und so beginnt die ganze Oper (selbstredend bei inszenierter Ouvertüre) von vorne als Probensituation des 1. und 2. Aktes, und nur der dritte Akt darf dann (als einziger „dramaturgisch schlüssig ausgearbeitet, sogar mit einer gewissen Nähe zu Shakespeare“) als richtige Inszenierung daher kommen. Während sich also der eine Tenor abschminkt und sich der andere schwarze Farbe ins Gesicht schmiert, räkelt sich die gelangweilte Sopranistin auf dem Bett und klopft sich der Sänger des Dogen bei jedem seiner fehlerhaften Auftritte auf die Stirn – wir fühlen uns dauernd an Donizettis Theaterulk Convenienze ed inconvenienze teatrali („Viva la mamma“) erinnert (der, nebenbei bemerkt, auch zwei Otello-Stücke parodiert) und nicht mehr an das exemplarische Meisterwerk, das Rossini selber in seiner tragischen Oper sah. Der vom Komponisten „musikalisch recht stiefmütterlich behandelte“ Jago bekommt endlich eine ihm würdige Aufgabe – er wird Regisseur! Ob der Intrigant, der alles um sich herum verleugnet, verrät und in den Abgrund reißt, auch als durchaus plausible Metapher des modernen Regisseurs gemeint war, bleibe hier dahingestellt.
Im Übrigen kennt Paul Esterhazy sein Handwerk (und nichts anderes verlangen wir von ihm!), wenn er gekonnte Auf- und Abtritte, eindrückliche Bilder (vor allem dort, wo er sich strikt – von ihm freilich ironisch gemeint – an konventionelle Gesten hält) und lebendige Chorbewegungen (Chapeau, auf der kleinen Bühne) schafft. Dazu kommt, dass ihm Pia Janssen „sozusagen eine ideale historische Operninszenierung“ (sie sagt es selbst!) mit klassischen Kostümen und herrlichen Bühnenbild-Versatzstücken schafft. Der ganze dritte Akt kommt in seiner, dem kleinen Theater angepassten schlichten und doch alle Illusionen weckenden Renaissance-Pracht so daher, wie man sich auch die ersten zwei gewünscht hätte! Ganz zum Schluss muss freilich der Regisseur nochmals seine Fratze zeigen, wenn – nachdem die ganze Oper ohne Darstellung roher Gewalt ausgekommen ist – nach Otellos Selbstmord ein Gondoliere hereinstürzt und mit einem Messer im blutüberströmten Rücken zusammenbricht.
Ach, und noch ein Genieblitz des Regisseurs darf nicht unerwähnt bleiben: Er bringt uns das ach so wichtige, unentbehrliche Taschentuch zurück, das dieser Ignorant von einem Berio di Salsa durch ein dümmliches Billett mit einer Haarlocke ersetzt hat, povero Shakespeare! Der Schatten von Otello (ein richtiger Schwarzer, ein älterer Herr mit charakteristischem Glatzkopf) schlurft immer wieder durch die Inszenierung und hebt das fatale Tuch mal vom Bühnenboden auf, mal legt er es wieder hin. Das stört nicht, ist aber auch nichts Weiteres als eine weitere überflüssige Duftnote des Regisseurs.
Meine Kritik zielt auf das Konzept, auf den „Schlüssel“ und auf die durchaus konventionell-bornierte Rossini-Rezeption, nicht so sehr auf die Umsetzung, die gegenüber etwa der im DRG-«Mitteilungsblatt» Nr. 46 besprochenen Baseball-Inszenierung in St. Moritz oder der Wiegandschen Türenknallerei in Weimar richtig genießbar ist. Dass die Inszenierung der Inszenierung im Heute spielte, war allenfalls an den Turnschuhen, dem Handy und der Blenderei durch Scheinwerfer zu bemerken, aber insgesamt wurde man kaum mit der ödesten aller Inszenierungsphantasien, der Gegenwart, konfrontiert. Freilich gab es auch Leute, denen das „Theater im Theater“ zu dumm war und die in der Pause gingen, oder solche, von denen man an der Garderobe hörte „schon lange nicht mehr so einen Blödsinn gesehen zu haben“, aber insgesamt kommt alles recht harmlos und durch die erwähnte großartige bühnen- und kostümbildnerische Leistung gemildert daher, so dass der musikalische Genuss nicht wirklich gestört wird.

Und der war ziemlich groß und für ein kleines Provinztheater alles andere als selbstverständlich. Violetta Radomirska (sie hatte ihr Rollendebüt als Desdemona bereits in St. Moritz) besitzt einen schön timbrierten und höhensicheren Mezzosopran, der sich in idealer Weise für die Sopranpartien eignet, die Rossini für Isabella Colbran geschrieben hat. Sie verfügt über die beseelte Mittellage, die dramatische Attacke und die Koloraturgewandtheit dieses ebenso dramatischen wie lyrischen Stimmtypus. Wenn sie als Figur insgesamt etwas blass blieb, lag das an der Inszenierung, die das Geschehen rossinifremd (siehe oben) auf die Tenöre fokussierte.

Weniger überzeugen konnte mich Ingrid Alexandre, die lauthals eine Emilia ohne große Differenzierung vortrug, was in ungefähr auch für Yongfan Chen-Hauser galt, der dem Elmiro freilich eine mächtige Bassstimme verlieh. Adäquat für ihre kurzen Auftritte waren die weiteren Tenöre Konstantin Nazlamov (Doge und Gondoliere, hier mit etwas viel Vibrato) und Valentin Vassilev (Lucio). Letzterer hat auch den vorzüglichen Chor einstudiert, der eine schöne, kompakte Klangfülle produzierte. Erstaunlich gut kam auch der auf den Bieler Orchestergraben reduzierte Klangkörper zur Geltung, u.a. mit noch perfektionierbaren „Hornkoloraturen“ in der Einleitung des Duettinos Desdemona-Emilia und mit berückend schönen Harfenklängen in der Weidenarie. Während der Ouvertüre schien mir das Dirigat von Franco Trinca ziemlich zäh und schwer, vielleicht hatte er die Absicht, der federnden, festlichen Musik einen dramatischen Anstrich zu verleihen. Im übrigen ließ er keine Langeweile aufkommen, die dramatischen Ensemblenummern waren von großer Wirkung, und zu den musikalischen Glanzpunkten gehörten das Duett Jago-Rodrigo, die beiden Largo-Stücke im Finale I und das große Duett-Terzett im zweiten Akt. Es gab Kürzungen, die einigermaßen subtil vorgenommen wurden und die Gesamtdauer der Oper (inkl. Pause) auf ca. 2 Stunden 50 Minuten brachten. Die Übertitel auf Deutsch und Französisch waren weitgehend exakt und sauber gemacht. Eine halbe Stunde vor Beginn gibt es jeweils eine Einführung der Dramaturgin Merle Fahrholz, die offenbar einem Bedürfnis des Publikums entspricht und dieses auch mit den wichtigsten, wenn auch nicht immer korrekten (und mehr oder weniger auf der Linie der Regie liegenden) Informationen bediente.
Weitere Aufführungen in Biel/Bienne: 31. März, 3, 7, 17. April, 3, 6. Mai, 5, 14, 18, 20, 21. Juni; in Solothurn: 15, 24. April, 20, 28, 30. Mai, 7, 12. Juni; in Winterthur: 29. April; in Burgdorf: 14. Mai; in Baden: 16. Mai; in Visp: 23. Mai; in Vevey: 9. Juni 2009.
Reto Müller (Besuchte Aufführung: Premiere vom 27. März 2009)
Vorabdruck aus «Mitteilungsblatt» der Deutschen Rossini Gesellschaft, Nr. 47 (April 2009)
Fotos: Theater Biel Solothurn
Bei Youtube gibt es bereits eine ganze Reihe Videos mit Oscar Roa, - hier ein Beispiel:
20. Februar 2009
Neu auf CD und DVD (Teil 2)
CD/DVD zu finden.
Aktualisiert am 20. Februar 2009
Nuria Rial (soprano), Philippe Jaroussky (countertenor), Cyril Auvity (tenor), Jan van Elsacker (tenor) & Joaõ Fernandes (bass) L’Arpeggiata, Christina Pluhar
Details und Trackliste
SpiegelOnline: Domina der Alten Musik
Berliner Zeitung: Christina Pluhar swingt mit Monteverdi
Donizetti "Don Gregorio"
Eine Aufnahme aus dem Teatro Donizetti Bergamo mit Giorgio Valerio, Giorgio Trucco, Elizaveta Martirosyan, Livio Scarpellini, Gaetano Donizetti Orchestra, Stefano Montanari.
Mark Tucker, Ruth Rosique, Roberta Invernizzi, Romina Basso, Filippo Adami, Furio Zanasi, Franziska Gottwald, Venice Baroque Orchestra, Andrea Marcon
Videos mit Ausschnitten
Donizetti "Lucrezia Borgia"
Eine Aufnahme aus dem Teatro Donizetti November 2007
Donizetti "Maria Stuarda"
Anna Caterina Antonacci, Mariella Devia, Paola Gardina, Francesco Meli, La Scala Orchestra, Antonino Fogliani - Eine Live-Aufzeichnung aus dem Teatro Alla Scala Di Milano; Regie: Pier Luigi Pizzi
Georg Friedrich Händel:
Opern-Duette "Amor e gelosia"
(Neuauflage der Erstveröffentlichung von ca. 2004)
Bei dem von Stefan Zucker geleiteten Label
sind inzwischen diverse historische Opernfilme (Opernverfilmungen, Spielfilme, Komponistenporträts, Sängerporträts) in ordentlicher Qualität – insbes. in der richtigen Tonhöhe - auch auf DVD erschienen, die großenteils zur Zeit wieder problemlos über jpc zu beziehen sind (als Suchkriterium einfach unter „Label“ in der „Erweiterten Suche“ eingeben: Belcanto).
Hinweis:
Von den nachfolgenden Titeln kenne ich persönlich nur die ersten drei. Der Rossini-Film ist – und da kann ich mich nur der Rezension im Opernglas 2/2009 anschließen – nur „hartgesottenen Fans“ zu empfehlen, hinreißend ist dagegen der – auf Spielfilmlänge gekürzte - „Elisir d’amore“ (italienischer Opernfilm von 1947), und „Der Zauber der Bohème“ (deutscher Spielfilm von 1936, mit englischen Untertiteln) ist ein Rührstück - aber mit vielen Opernszenen - , der ahnen lässt, warum Jan Kiepura und Martha Eggerth damals insbesondere in Deutschland so ungemein populär waren.
esg
Elīna Garanča singt Bellini, Donizetti & Rossini
Im Gespräch mit Nick Kimberley erläutert die lettische Mezzosopranistin, wie sie Figuren und Musik aus Belcanto-Opern Leben und Farbe verleiht… mehr
"Wie auf meiner neuen CD) widme ich mich in Zukunft stärker dem Belcanto. Ein Rossini, Bellini oder Donizetti kommt meiner Stimme entgegen. Außerdem liebe ich diese Musik, auch wenn diese Opern für jeden Regisseur schwer umzusetzen sind."… mehr
Bellini "La sonnambula"
Die authentische Fassung
Die beiden führenden Belcanto-Stars unserer Zeit, Cecilia Bartoli und Juan Diego Flórez, haben nichts weniger als die authentische Fassung von Vincenzo Bellinis La Sonnambula gemeinsam im Studio eingesungen!
Neueste, von Cecilia Bartoli angestoßene Forschungen haben belegt, dass die Hauptrolle der Amina nicht, wie heute praktiziert, für Sopran, sondern für Mezzosopran geschrieben wurde. Die vorliegende Rekonstruktion von Bellinis originaler Schöpfung erklingt auf historischen Instrumenten – was ebenfalls ein Novum für dieses Werk darstellt. So vollständig, so richtig haben wir Bellinis Meisterwerk noch nie gehört. (Quelle: jpc)
Ausführliches Video auf der Seite von jpc
Sämtliche CD/DVD-Tipps sind unter der Rubrik CD/DVD zu finden
Ein umfassendes Angebot an Opern auf CD und DVD - auch mit Hörproben - gibt es bei http://www.jpc.de/
3. Februar 2009
Opern-Klamauk

wusste er noch nichts von Carmen,
die damals noch mit dem Barbier von Sevilla verlobt war.
Auf Figaros Hochzeit trafen sich die beiden zum ersten Male,
und er entpuppte sich als ein Don Juan.
Er ging mit ihr auf eine Sizilianische Vesper,
schenkte ihr den Ring des Nibelungen
und besprach mit ihr die Entführung aus dem Serail.
Um diesen Plan auszuführen, engagierte er sich den Fliegenden Holländer
und die Lustigen Weiber von Windsor.
Er schickte ihr einen Brief durch den Postillon von Lonjumeau,
den aber Othello abfing.
Dieser informierte Don Carlos,
und er spielte die Macht des Schicksals.
Er rief den Freischütz
und die Meistersinger von Nürnberg,
die sich bereit erklärten, gegen Rheingold die Sache zu verhindern.
Als dem Rosenkavalier dies hinterbracht wurde,
kam ihm eine Götterdämmerung.
Er ging auf einen Maskenball,
sprach mit dem Troubadour
und versuchte so der Widerspenstigen Zähmung.
Mittlerweile hatte Don Carlos
auch noch die Hugenotten alarmiert
und als deren Anführer Wilhelm Tell bestimmt,
der auch sofort mit seiner Zauberflöte kam.
Sie stellten den Rosenkavalier im Tiefland,
drohten ihm mit dem Waffenschmied
und verbannten ihn in das Nachtlager von Granada.
Dort lebte er als Bajazzo,
bis er Aida kennen lernte,
die ihm ein gewisser Rigoletto
als Verkaufte Braut anbot.
Sie heirateten, und Zar und Zimmermann bauten ihnen ein Haus.
Den Anstrich besorgte Mathis der Maler,
und die elektrischen Leitungen verlegte Elektra.
Und wenn sie nicht gestorben sind,
dann leben sie noch heute.
Text: Von einem ungenannten Verfasser - gefunden von
Dieter (Bochum) im Nachrichtenblatt einer Seniorenresidenz
Foto: Telemann - Der geduldige Sokrates (Innsbrucker Festwochen 2007)
(Sokrates mit seinen beiden zänkischen Ehefrauen Xantippe und Amitta)
31. Januar 2009
19. Januar 2009
Dank an Marilyn Horne - Zu ihrem 75. Geburtstag!

Für mich war der 8. März 1980 einer dieser beglückenden Tage: die Premiere von Rossinis L’italiana in Algeri an der Hamburgischen Staatsoper mit Marilyn Horne in der Titelpartie. Darauf hatte ich mich schon monatelang gefreut, hatte aber zu meinem Erstaunen auch feststellen müssen, dass kaum jemand meine Vorfreude teilte, - kaum jemand im Stammpublikum des 4. Rangs wusste überhaupt, wer Marilyn Horne war! Die Premiere der Italiana war auch nicht ausverkauft, danach war dann allerdings der Ansturm umso heftiger, und Marilyn Horne wurde auch in Hamburg zum großen Publikumsliebling.
Gespielt wurde die Ponnelle-Inszenierung der Mailänder Scala. Von der New Yorker Aufführungsserie dieser Produktion ist kürzlich eine DVD erschienen, bei YouTube sind diverse Ausschnitte (und auch sonst eine ganze Menge Videos mit Marilyn Horne) im Netz.
Hier der wohl etwas missglückte Versuch des Rezensenten der „Welt“, das Ereignis Marilyn Horne irgendwie in Worte zu fassen:
“Der Auftritt der Horne läßt zunächst vermuten, es sei der Intendanz gelungen, die Zarah Leander der mittleren Jahre für ‚Hallo Dolly’ zu gewinnen. Den Inhalt vor Augen, aber der ist ohnehin sinnlos, muß man befürchten, Lindoro, der Geliebte der ‚Italienerin’ habe sich beim Umzug von Mailand nach Hamburg einen echt italienischen Mama-Komplex zugezogen. Doch sehr bald wird man eines Besseren belehrt – und geht in die Knie vor Entzücken. Die Horne singt die Glanzpartie der Koloratur-Altistinnen mit einem geradezu luxuriösem Belcanto. Ihre Perlenketten des Ziergesangs funkeln wie Juwelen – the must of Marilyn Horne! -, und ihre darstellerische Pfiffigkeit, ihr echter ‚Mutterwitz’, übertrumpften die angestrengtesten Bemühungen ihrer Umgebung mit einem Fingerschnalzen. Ein ganz unglaubliches Ereignis: eine Primadonna, über die man nach Herzenslust lachen kann.“
Ich fasse mich kürzer: Es war sensationell! Technische Perfektion und Brillanz, die glücklicherweise auch heute noch anhand der zahlreichen Tondokumente bewundert werden können, verbunden mit einer entwaffnenden szenischen Präsenz!
Seinerzeit steckte die Rossini-Renaissance noch in den Kinderschuhen – insbesondere was die opera seria anbelangte. Und so war im Staatsopern-Magazin zum Hamburger Debüt von Marilyn Horne zu lesen, dass – neben der Isabella und der Rosina – „die Arsace aus Semiramis“ zu ihren besonders glänzenden Partien zählte. Terra incognita also auch für die Mitarbeiter der Dramaturgie der Hamburgischen Staatsoper! Mit Semiramide stand dann aber im Frühjahr 1983 endlich auch eine opera seria von Rossini auf dem Spielplan der Hamburgischen Staatsoper, natürlich mit Marilyn Horne in der Rolle des Arsace und einer auch ansonsten fulminanten Besetzung: Montserrat Caballé, Samuel Ramey und Francisco Araiza. Die konzertanten Aufführungen im Frühjahr 1983 waren ein derart sensationeller Erfolg, dass es im Frühjahr 1985 nochmals eine Serie gab, bei der in einer Vorstellung Chris Merritt den Idreno sang, – nach seiner Arie (er hatte in der gekürzten Fassung leider nur eine zu singen) trampelte sogar der Chor vor Begeisterung!

Marilyn Horne verstand es, ihr Publikum – mit Charme und mit direkter Ansprache – quasi um den kleinen Finger zu wickeln, und für die Ovationen bedankte sie sich mit einem Füllhorn voller Zugaben. Bei dem Solo-Abend in der Hamburgischen Staatsoper schien das Publikum überhaupt nicht gehen zu wollen, sogar die „Garderoben-Flitzer“ hielt es auf ihren Sitzen, und nach der fünften (oder gar schon sechsten?) Zugabe sagte Marilyn Horne: „Nun müssen Sie aber wirklich nach Hause gehen“ und sang noch das Wiegenlied „Guten Abend, gute Nacht…“. Und danach waren auch noch die zahlreichen Autogrammwünsche zu erfüllen!
Marilyn Horne und ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen haben erfolgreich bewiesen, wie schön und aufregend Belcantogesang sein kann, wenn er nach den Regeln der (Belcanto-)Kunst ausgeführt wird, und dass ihre Pionierarbeit auf fruchtbaren Boden gefallen ist, zeigt die Entwicklung der letzten Jahre, in denen zunehmend vergessene Belcanto-Opern wieder auf die Spielpläne gesetzt werden und junge Sängerinnen und Sänger das technische Rüstzeug erworben haben, um auch im Belcantofach erfolgreich Karriere machen zu können.
Auch nach Beendigung ihrer aktiven Bühnenlaufbahn ist Marilyn Horne über die von ihr vor 15 Jahren gegründete Marilyn Horne Foundation weiterhin in Sachen Belcanto aktiv. Am 18. Januar 2009 wurde der „doppelte“ Geburtstag mit einem Festkonzert in der Carnegie Hall begangen, von dem hoffentlich ein Mitschnitt veröffentlicht werden wird.
Danke, liebe Marilyn Horne, für die vielen schönen Stunden und für den großartigen Einsatz zur Wiederbelebung der Kunst des Belcanto!
Nachtrag: Bericht über die Gala "Celebrating Marilyn Horne" am 18. Januar 2009

11. Januar 2009
"Lucia di Lammermoor" in Berlin

Dieter berichtet aus Berlin:
Donizettis "Lucia di Lammermoor"
Dauerbrenner-Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin
Die Deutsche Oper begann Ende des letzten Jahres mit einer Serie von Wiederaufnahmen der Produktion von Filippo Sanjust, die im Dezember 1980 Premiere hatte. Über einen Zeitraum von mehreren Monaten werden sich Star-Sopranistinnen in der Gestaltung der Titelrolle abwechseln. Die von mir besuchte Vorstellung am 22.12.08 war die 102. Aufführung seit der Premiere. Eine beeindruckende Anzahl, und im Laufe von fast drei Jahrzehnten sind in dieser Produktion wohl so ziemlich alle Künstler aufgetreten, die in diesem Fach Rang und Namen haben.
Mich interessierte vor allem Ruth Ann Swenson,

José Bros war ein tadelloser Edgardo; intensiv, ausdrucksvoll und mit schönem Legato. Der Enrico des mir bis dato unbekannten Domenico Balzano (anstelle des ursprünglich vorgesehenen Markus Brück) war akzeptabel, aber nicht außergewöhnlich. Eine absolute Luxusbesetzung: Michael Spyres in der kleinen Partie des Arturo. Recht anständig, wenn auch im Timbre nicht ausgesprochen italienisch der Raimondo von Arutjun Kotchinian, seine Partie war stark gekürzt. Diese „abgespeckte“ Fassung empfand ich als Ärgernis, ein Rückfall in die 40er, 50er Jahre. Amputiert waren: die zweite Strophe der Cabaletta nach Enricos Cavatina, das Duett Lucia/Raimondo, die Turmszene. Nach Abzug der Pausen betrug die „Netto“-Spieldauer des Abends knapp zwei Stunden.
Aus dem Orchestergraben kam wenig Erfreuliches: zu laut, unsensibel. Das Berliner Publikum quittierte es dem Dirigenten, Gianluca Martinenghi, mit anhaltenden Buh-Stürmen.
Die Inszenierung: eine Huldigung an das gemalte Kulissen-Theater des 19. Jahrhunderts. Da kann der Melomane nicht meckern! Allerdings konnte ich von Personenregie nichts mehr entdecken. Zum Glück ist die Lucia eine Gesangsoper, und die romantischen Kulissen eignen sich gut als Starvehikel für wechselnde Besetzung mit international berühmten Sängerinnen/Sängern. In dieser Spielzeit sind noch Vorstellungen am 1. und 6. März mit Elena Mosuc vorgesehen.
Dieter (Frankfurt a. M.)
29. Dezember 2008
Rossini und die Eisenbahn

Rossini-Konzert im Straßenbahnmuseum
Thielenbruch (1.6.2007)
Rossini-Projekt des WDR
Nicht erst Arthur Honegger beschrieb mit "Pacific 231" (1923) musikalisch eine Eisenbahnfahrt, sondern auch schon Gioachino Rossini in seinem Klavierstück Un petit train de plaisir comico-imitatif, enthalten im Band 7 der Péchés de vieillesse (Sünden des Alters). Die ab 1857 entstandenen Péchés de vieillesse sind eine Sammlung von mehr als 160 Kompositionen (Klavierstücke, Lieder, Chorwerke und Kammermusik), - darunter zahlreiche Parodien, die alles Mögliche und Unmögliche in Musik setzen: von kulinarischen Köstlichkeiten(z. B. vertonte Vorspeisen) über Hygieneverrichtungen und gymnastische Übungen, über den hinkenden Walzer und den Walzer des Rhizinusöls zum herrlich lautmalerischen Chanson du Bébé. Un petit train de plaisir schildert mit viel Lautmalerei und schwarzem Humor ein Eisenbahnunglück, - der Vergnügungszug entgleist, und es gibt sogar Tote, von denen einer in die Hölle (absteigendes Arpeggio), ein anderer ins Paradies (aufsteigendes Arpeggio) kommt. Nach einem ernsten Trauergesang steht am Ende ein fröhlicher Walzer zum angeblich heftigen Schmerz der Erben. Rossini selbst hat die Zwischentexte, die im folgenden Beitrag als Kapitelüberschriften dienen, in die Noten eingefügt. Der im Text erwähnte Ferdinand Hiller war ein deutscher Komponist, Dirigent und Musikschriftsteller. Seine „Plaudereien mit Rossini“ sind als Band 1 der Schriftenreihe der Deutschen Rossini Gesellschaft erschienen.
esg
Rossini und die Eisenbahn
En avant la machine (Vorwärts marsch)
Für Rossini war die Eisenbahn der Inbegriff der modernen Zeit, deren Ideale ausschließlich auf Dampf, auf Raub und auf Barrikaden ausgerichtet waren. Doch dem war nicht von Anfang an so. Seine erste (und einzige nachgewiesene) Bahnfahrt unternahm er 1836 auf der neuen Linie zwischen Antwerpen und Brüssel in Begleitung der Bankiersfamilie Rothschild, die zu den frühesten Financiers der Eisenbahnen in Frankreich gehörte. Im Gegensatz zur Legende, wonach er durch die Schrecknisse der Fahrt mehrere Tage an nervöser Erschöpfung gelitten haben soll, zeigte er sich seiner Freundin und späteren zweiten Frau Olympe Pélissier gegenüber in einem Brief beeindruckt über die kurze benötigte Reisezeit und fügte an, keinen Augenblick lang Angst verspürt zu haben!
Terrible Deraillement (Schreckliche Entgleisung)
Die späteren Dokumente belegen aber eindeutig seine Abneigung gegen die Eisenbahn. Wir wissen nicht, ob ein besonderes Ereignis oder sein desolater psychischer Zustand der 1840er- und 1850er-Jahren dazu führten. Möglicherweise hatte das schwere Eisenbahnunglück von 1842 bei Meudon (Versailles), dessen Bilder durch die Presse gingen und sogar in Öl gemalt wurden, seine Wirkung auf ihn nicht verfehlt: Allein der fiktive Gedanke, selbst in diesem Zug mitgefahren zu sein, hätte den hypersensiblen und ängstlichen Kranken schockiert.
Als Rossini 1855 nach Frankreich aufbrach, nahm er sich vier Wochen Zeit und einen eigenen Wagen und Postpferde, um von Florenz nach Paris zu reisen. Spöttisch vermerkte die von Robert Schumann geleitete «Neue Zeitschrift für Musik»: „Eigensinnig, wie Rossini immer gewesen, habe er erklärt, weder zu Schiff, noch mit der Eisenbahn zu reisen, sondern sich nur einem ‘Hauderer’ [Lohnfahrer] anzuvertrauen!“ Rossinis Abneigung gegen den Zug wurde dermaßen sprichwörtlich, dass er selbst sich seinem Freund Hiller gegenüber empörte: „Diese Journalisten! Da hat einer drucken lassen, als ich kürzlich von Paris abreiste, mir sei die Eisenbahn fast ebenso zuwider als die deutsche Musik! Was meinen Sie dazu?“ „Dass Sie viel auf der Eisenbahn reisen würden, wenn es wahr wäre, lieber Maestro“, erwiderte Hiller. Demselben Hiller schrieb Olympe bezüglich der Durchreise über Frankfurt folgenden Satz, der Rossinis (und ihre eigene?) Angst vor der Bahn verdeutlicht: „Man sagt, dass es von Köln nach Frankfurt nur wenige Stunden sind; Sie, der Sie die Eisenbahn nicht fürchten, könnten Sie nicht herkommen, um Ihren Rossini zu umarmen?“.
Dem Fotografen Nadar in Paris erteilte der Komponist die schriftliche Erlaubnis, sein Konterfei für Karikaturen zu Pferd, im Wagen, sitzend, stehend usw. zu verwenden, „aber ich schließe die Eisenbahn und den Luftballon ausdrücklich aus, da man mich darin nicht erkennen würde.“
Seinem Lieferanten von Gorgonzola-Käse, dem Marchese Antonio Busca in Mailand, schrieb Rossini aus Paris: „Wenn der Fortschritt der Beleuchtung (aus Öl) nicht die Pferde und die Kutscher überflüssig gemacht hätte, ich würde per Post zu Ihnen fahren und Ihnen persönlich danken.“ „Ach verfluchte Eisenbahnen! Ihr verhindert es, mich nach meinem Herzenswunsch nach Mailand zu begeben, um die Hände und Füße meines geliebten Marchese Busca zu küssen!“
Douce mélodie (Sanfte Melodie)
Wenn verbal und praktisch die Ablehnung der Eisenbahn offensichtlich ist, so war sein Verhältnis in finanzieller Hinsicht ein ganz anderes. Der Geschäftsmann Rossini scheute sich nicht, die von ihm verhasste technische Erfindung zu fördern, wenn sie Gewinn abwarf. Sein beträchtliches Vermögen legte er teilweise in Obligationen der Chemins de fer d’Orléans sowie der Chemins de fer Paris-Lyon-Méditerranée an. Das mochte freilich auch damit zusammenhängen, dass zahlreiche seiner einflussreichen Freunde aus Adels- und Finanzkreisen, in Italien wie in Frankreich, zu den Promotoren, Förderern und Geldgebern der gesellschaftlich und ökonomisch so folgeträchtigen Erfindung gehörten. Dem Advokaten Leopoldo Pini in Florenz vermittelte er als Dank für seine Treuhandtätigkeit den Sekretärenposten bei der Toskanischen Eisenbahn. Im Gegensatz zu seiner eigenen Person vertraute er die wertvollen Umzugsgüter, die er nach Paris kommen ließ, dem Dampfschiff und der Eisenbahn an - freilich nicht ohne vorher eine Versicherung abgeschlossen zu haben.
Sifflet satanique (Teuflisches Pfeifen)
Als sich Rossini ein Grundstück für den Bau einer Villa in Passy aussuchte, fiel die Wahl auf ein Terrain in der Form eines Flügels; er nahm dabei sogar die angrenzende Eisenbahnlinie Paris-Auteuil in Kauf, deren gebogene Linienführung überhaupt erst zur Form des Tasteninstruments führte. Als ihn 1867 Max Maria von Weber, der Sohn des berühmten Komponisten des Freischütz, dort besuchte, kam das Thema fast zwangsläufig auf die Eisenbahn. Weber berichtete: „Mehrmals unterbrach der grelle Pfiff der Lokomotive, der von der nahen Station Passy herüberschallte, schneidend unser Gespräch, so daß ich zuletzt ausrief: ‘Wie peinlich muß dieser modernste aller Mißtöne Ihr musikalisches Ohr berühren.’ ‘Oh, glauben Sie das nicht’, erwiderte er mit leisem Kopfschütteln, indem ein bis dahin noch nie von mir gesehenes, wehmütiges Lächeln über seine Züge glitt; ‘dieses Pfeifen erinnert mich stets an meine goldenste Jugendzeit. Mein Gott, was habe ich in meinen ersten Opern, in der Cenerentola und Torwaldo und Dorliska pfeifen hören.’“ Vielleicht hätte Rossini bei dieser Gelegenheit gerne auf die Eisenbahn losgewettert, aber er hatte es bei seinem Gast mit einem weltweit anerkannten Spezialisten für Eisenbahnwesen zu tun!
On ne m’y attrapera pas (Darauf fall' ich nicht herein)
So blieb denn Rossinis Verhältnis zur Eisenbahn zwiespältig und ebenso janusköpfig wie sein komisch-imitierender Vergnügungszug in der musikalischen Fassung: Tout cela est plus que naïf, mais c’est vrai! (Das ist alles mehr als naiv, aber es ist wahr!).
Reto Müller
Geschäftsführender Vorsitzender
Deutsche Rossini Gesellschaft
Überarbeitete Fassung des im Programmheft Auf den Schienen der Poesie, Literarisch-musikalische Soirée. Melodien und Texte zur Eisenbahn (Bad Wildbad, Rossini in Wildbad, 1993) erschienenen Artikels. Ich danke für die freundliche Genehmigung des Verfassers zur Veröffentlichung in unserem Belcantoblog.
Ergänzung!
Hartmut hat auf folgende Verhaltensregeln für Bahnbenutzer hingewiesen, die der im Artikel genannte Max Maria von Weber, Eisenbahningenieur und sächsischer Eisenbahndirektor, 1854 verfasst hat:
„Ein sehr guter allgemeiner Grundsatz ist, seinen Sitzplatz inne zu behalten, um ihn nicht eher zu verlassen, bis man am Orte seiner Bestimmung angelangt ist. Wenigstens steige man so selten wie möglich aus.
Man wähle sich seinen Platz wo möglich in einem Wagen in oder doch wenigstens so nahe als möglich an der Mitte des Zuges.
Im Wagen sitzend hüte man sich, die Beine unter den gegenüberliegenden Sitz zu stecken oder sonst ein Glied des Körpers an seiner Beweglichkeit zu hindern. Erläuterung: Bei jedem raschen Geschwindigkeitswechsel kann es geschehen, dass der Körper nach vorn oder rückwärts im Wagen geworfen wird. Dies wird meist harmlos vorübergehen, wenn er sich frei vom Platze bewegen kann, während im Gegenteile Knochenbrüche oder Quetschungen die Folge sind.
Während der Fahrt halte man keine Stöcke oder Schirme vor sich im Wagen, noch weniger bringe man sie an den Mund oder stütze den Kopf darauf. Erläuterung: In Folge rascher Verminderung der Geschwindigkeit ist ebenfalls schon oft Einstoßen von Zähnen, Gaumen etc. herbeigeführt worden. Ebenso ist es nicht rätlich, auf der Reise aus Pfeifen zu rauchen, die ähnliche Vorfälle herbeiführen können.
Man meide das Fahren in Coupés mit bloß einer Reihe von Sitzen, die den Reisenden gegenüber Glasfenster haben, damit der Reisende nicht an die Scheiben geworfen werde.“
Quelle: Texte und Bilder zur Eisenbahn
Dieses Buch von Max Maria von Weber ist bei Google
komplett digitalisiert: Die Schule des Eisenbahnwesens (1862)

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern des Belcantoblogs einen guten Start ins neue Jahr!
23. Dezember 2008
21. Dezember 2008
London: "Les Contes d'Hoffmann"

Dieter berichtet aus London:
JACQUES OFFENBACH:
„Les Contes d`Hoffmann“
Herrliche Repertoire-Aufführung des ROH Covent Garden, London
John Schlesingers berühmte, auch auf DVD festgehaltene Produktion von 1980, die sowohl den 100. Todestag des Komponisten als auch das 100. Jahr der Uraufführung des Werkes zelebrierte, ist nach der sechsten Wiederaufnahme (1982, 1986, 1991, 1992, 2000 und 2004) immer noch von unvergleichlicher Faszination. Die verschwenderische, dem wundervollen Werk angemessene Ausstattung wirkt auch nach fast drei Jahrzehnten kein bisschen verstaubt.
Hinzu kommt eine musikalische Fassung, die alle Opernfreunde kennen und lieben. Ohne pseudo-intellektuellen Schnick-Schnack wie Oeser-Fassung, später entdeckte angebliche Original-Partituren oder die Eliminierung der vertonten Guiraud-Rezitative. Dappertuttos Diamanten-Arie und das wunderbare Sextett „Hélas! mon coeur s`égare encore!“ sind an ihrem Platz und der Giulietta-Akt kommt vor dem Antonia-Akt.
Das Orchester des ROH unter Antonio Pappano musizierte in schwelgerischer Schönheit. Vokal blieben keine Wünsche offen. Vassiliki Karayanni ist eine grandios-virtuose Olympia, komplett mit Variationen in der zweiten Strophe ihrer Arie. Das Video bei YouTube vermittelt einen Eindruck von ihrer Interpretation vor vier Jahren. Inzwischen hat sie die Partie präziser und mit gesteigerter Virtuosität im Griff. Christine Rice gibt eine äußerlich und stimmlich verführerische Giulietta. Katie Van Kooten ist als todgeweihte Primadonna eine Wucht im finalen Terzett des Antonia-Aktes. Schönstimmig und sympathisch die Muse/Nicklausse von Kristine Jepson. Die „Bösewicht“-Rollen verkörpert Gidon Saks mit dem passenden Stimm-Timbre. Alle Comprimarii-Partien sind adäquat besetzt.
Und der Titelheld? Rolando Villazón war für mich die größte Überraschung. Sein Pop-Star-Status und seine übertriebenen Grimassen waren mir immer unsympathisch. Jedoch sang und spielte er in dieser Produktion einen fantastischen Hoffmann, der seinesgleichen sucht. Lediglich beim Schluss-Applaus kam das zappelige Rumpelstilzchen wieder durch – aber da war die Oper ja zum Glück schon vorbei.
Besuchte Vorstellung: 07.12.08 – Matinee
Dieter (Frankfurt a. M.)
Hinweise von esg:
Zwischen Deutsche Rossini Gesellschaft und Jacques Offenbach Gesellschaft ( s. auch Offenbach Festival Bad Ems) besteht gegenseitige Vereinsmitgliedschaft.
Literatur:
Hans Rudolf Huber: Rossini zitiert Offenbach in „La Gazzetta“ 1999
Ralf-Olivier Schwarz: Offenbach zitiert Rossini in „La Gazzetta“ 2007
13. Dezember 2008
Donizettis "Parisina" in London

(Andrea Gastaldi, 1867)
Dieter berichtet aus London:
Donizettis Parisina
Glanzlose Wiederbelebung 06.12.08 in London
(Southbank Centre´s Royal Festival Hall)
Besetzung
Azzo, Herzog von Ferrara………………………………..Dario Solari
Parisina, seine Gattin………………………………………Carmen Giannattasio
Ugo,später als ein
Sohn von Azzo identifiziert………………………………José Bros
Ernesto, Azzos Minister…………………………………..Nicola Ulivieri
Imelda, Parisinas Hofdame……………………………..Ann Taylor
Chor……………………………………………………………..Geoffrey Mitchell Choir
LONDON PHILHARMONIC ORCHESTRA
DAVID PARRY
Felice Romanis Libretto basiert (leicht abgewandelt) auf Lord Byrons Poem „Parisina“: Die Gattin Azzos, Parisina, liebt Ugo und verrät sich im Schlaf, was von Azzo belauscht wird. Er schwört Rache und beharrt auf seinem Todesurteil auch, als sich herausstellt, dass Ugo sein Sohn aus erster Ehe ist. Als er Parisina den enthaupteten Kadaver Ugos zeigt, bricht diese tot zusammen – natürlich erst nach einer Cabaletta.
Zum Glück wurde die Oper konzertant dargeboten. Nicht auszudenken, was ein Euro-trash-Regisseur mit Realschulabschluss und Aktualisierungswahn daraus gemacht hätte. Die Oper läuft manchmal auch unter dem Titel „Parisina d´Este“, um sie von der erfolglosen „Parisina“ Mascagnis zu unterscheiden.
Das Programmheft ließ sich bedauernd über die Vernachlässigung des Werkes aus und begründete diese damit, dass es – bis dato – keine Nachfolgerin von Donizetti-Spezialistinnen wie Maria Callas und Joan Sutherland gäbe.
Von der Prima Donna der Aufführung, Carmen Giannattasio, wurde eine staunenswerte Rollenbiographie angeführt: das dramatische Verdi-Fach (Desdemona, Amelia/Boccanegra, Leonore/Trovatore) sowie Rossinis „Ermione“ und unter anderem auch „Carmen“. Man durfte also auf einen großen Stimmumfang plus Belcanto-Technik einer Giannina Arrangi-Lombardi, Maria Vitale, Leyla Gencer… gespannt sein.
Die Wirklichkeit war dann ernüchternd. Zuerst ließ sie sich als unter „fatigue“ leidend ansagen. Diese Methode, sich „carte blanche“ für das Wohlwollen des Publikums zu verschaffen, finde ich unsäglich. Zu hören war dann eine weder schöne noch interessante Stimme und schon gar nichts von Belcantogesang wie Trillern, Ornamenten, Pianissimo, messa di voce oder brillanten Spitzentönen. Von Bühnenpräsenz keine Spur, sie sang die Partie nicht frei, sondern klammerte sich ständig mit Augen und Händen (zum Umblättern) an die Partitur. Ihrer Leistung „ebenbürtig“ war der junge Bariton Dario Solari mit stumpfer uninteressanter Stimme. Schade, die Baritonpartie ist in dieser Oper bedeutend.
Die mit Abstand beste stilistische Leistung erbrachte José Bros. Wie ich der Literatur entnahm, schrieb Donizetti dem Tenor etliche hohe C und D in die Partie – davon ließ er leider kein einziges vernehmen. David Parry dirigierte Orchester und Chor mit zackig-rhythmischem Gestus, und so klangen sie auch über weite Strecken.
Ich möchte die Aufführung nicht als grottenschlecht bezeichnen. Immerhin wirkte ein als „Startenor“ anerkannter Künstler mit, und die London Philharmonic gelten als Spitzenorchester. Eben nur sehr mäßig/durchschnittlich und meiner Meinung nach nicht geeignet, der Oper zu einem neuen „Durchbruch“ zu verhelfen.
Anlass des Konzertes war die vorher erfolgte Studio-Einspielung des Werkes durch OperaRara mit identischer Besetzung. Möglich, dass die CD besser klingt, man kann ja heute mit technischen Mitteln sehr viel „mogeln“. Trotzdem halte ich diese CD nicht für habenswert, auch angesichts der Hochpreispolitik von OperaRara.
Ich habe zwei Live-Mitschnitte, auf denen die Protagonistin mit zwei exquisiten Sopranistinnen - Montserrat Caballé und Mariella Devia - besetzt ist. Schon deswegen vorzuziehen, außerdem ist Zancanaro der Partner von Devia.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es kaum mehr als eine Handvoll von Aufführungen der Parisina. Laut CLOR discography und anderen Quellen sind folgende Live-Mitschnitte dokumentiert:
1964/Siena: Bruno Rigacci – Marcella Pobbe/Renato Cioni/Giulio Fioraventi
1974/N.Y.: Eve Queler - Caballé/Jérome Pruett/Quilico (nur Caballé ist gut)
1990/Florenz: Bartoletti – Devia/Gonzales/Zancanaro (Tenor furchtbar!)
1997/Lugo: Carignani – Sonia Dorigo/Amadeo Moretti/C.C. Caruso
1997/Lugano: E.Plasson - Pendatchanska/Amadeo Moretti/de Andrès
Auf den mir vorliegenden Mitschnitten ist die Ouverture verkürzt; OperaRara bringt sie vollständig.
Dieter (Frankfurt a. M.)
8. Dezember 2008
Gioacchino qua! Gioachino là! - Rossinis Vorname

Gioacchino oder Gioachino – welche Schreibweise ist denn nun die richtige? Beide sind richtig! Und es gibt für Rossinis Vornamen noch weitere – heute nicht mehr gebräuchliche - Varianten.
Getauft wurde Rossini auf die Namen „Giovacchino Antonio“, und diese Schreibweise findet man auf alten Theaterplakaten, Porträts von Rossini und Büchern.

Abb.re.: esg
Im Laufe der Zeit ist dann das „v“ abhanden gekommen, und die auch heute allgemein übliche Schreibweise dieses italienischen Vornamens wurde „Gioacchino“. Wie zahlreiche Autographen belegen, hat Rossini selbst seinen Vornamen allerdings überwiegend – insbesondere in seinen späteren Jahren – als „Gioachino“ geschrieben, hier als Beispiel eine Auszahlungsquittung aus dem Jahre 1860:

Für diese von Rossini persönlich bevorzugte Schreibweise haben sich nicht nur beispielsweise sein Verleger Ricordi, der Reclam-Opernführer von 1957 und die Rossini-Biografen Herbert Weinstock (1968) und Richard Osborne (1986) entschieden, sondern auch das Rossini Opera Festival und die Fondazione Rossini in Pesaro, das Festival "Rossini in Wildbad" und die Deutsche Rossini Gesellschaft.
Als Rossini sich im Jahre 1866 an Papst Pius IX. mit dem Ersuchen wandte, den Gebrauch von Frauenstimmen im Kirchengesang zu genehmigen, unterzeichnete er allerdings sein ins Lateinische übersetztes Schreiben mit „Ioachim Rossini“:

Abb.: Archiv des Vatikan
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“Ioachim“ ist die lateinische Form des hebräischen Namens Yohaqim/Jojakim /Jojachin, unverkennbar der Ursprung auch des deutschsprachigen Vornamens Joachim und zahlreicher ähnlicher Vornamen in den verschiedensten Sprachen. Und in deutschen Landen bekam Rossini auch den Vornamen “Joachim”, wie beispielsweise dieses Theaterplakat aus Braunschweig aus dem Jahr 1828 belegt (auffallend ist, dass der Name des Übersetzers fett gedruckt ist und damit seinerzeit wohl wichtiger war als der Name des Komponisten, also nicht: prima la musica, poi le parole?- aber das wäre ein anderes Thema):

Und noch eine Variante – ebenfalls aus dem deutschsprachigen Raum - gibt es: “Gioachimo”, - zu finden beispielsweise bei Sittard, Josef: „Gioachimo Antonio Rossini“ (In der Reihe: Sammlung musikalischer Vorträge - Leipzig, Breitkopf, 1882), in einem Opernführer aus dem Jahre 1913, aber überraschenderweise auch im Jahresbericht Theater Basel 2004/05.pdf (S.5).
Das vielleicht schönste Beispiel findet sich im Faksimile-Nachdruck des Buchs von Stendhal / Amadeus Wendt „Rossini’s Leben und Treiben“ aus dem Jahr 1824 (erschienen 2003 als Band 5 der Schriftenreihe der Deutschen Rossini Gesellschaft e.V.):
„Gioachimo (Joachim) Rossini wurde am 29. Febr. 1792 zu Pesaro, einem niedlichen Städtchen des Kirchenstaates am Meerbusen von Venedig geboren….“.

Es ist also so ziemlich alles möglich, - nur nicht „Giacomo“, ein Lapsus, den man leider immer wieder zu lesen bekommt. Als ich vor Jahren gar eine Rezension über Puccinis "Barbier von Sevilla" las, konnte ich mir eine sarkastische Mail an den Verfasser über diese aufregende Neuigkeit allerdings dann doch nicht verkneifen.
Abb.: esg