Claus und Friederike L. berichten über Bellinis "La Sonnambula" in der Opéra Bastille, Paris:
Unendlich langsam öffnet sich der Vorhang in der Opéra
Bastille und wir sind leicht überrascht: statt wie erwartet in ein Schweizer Bergdorf, blicken wir in eine riesige Hotel-Sanatoriumshalle mit gewaltigem Panoramafenster, durch das wir etwas Matterhornähnliches vor strahlend blauem Himmel sehen, aus dem es dann mit fortschreitender Handlung heftig zu schneien anfängt.
Die Story geht hier so: Ein junger Komponist (er läuft im Frack herum und wenn er nicht singt, kritzelt er am Flügel Noten auf Papier, mit dem er dann später um sich wirft) hat in diesem Sanatorium seine Mutter verloren und damit seine „anima“. Diese anima hat er wiedergefunden in einem Küchenmädchen, das sich wegen seiner freundlichen Art allgemeiner Beliebtheit unter den Gästen erfreut. - Ach so, Sie können mit „anima“ nichts anfangen? Was suchen Sie dann heutzutage in der Oper, wenn Sie nicht mit der transpersonalen Psychologie von C.G.Jung vertraut sind ?
Ehrlich gesagt, wir waren es auch nicht, aber wir haben uns für 12 Euro ein Programm gekauft und sind damit im Bilde. Wer diese Ausgabe scheut und denkt, hier kann er sich ganz unbedarft Bellinis Sonnambula anschauen, der wird wohl denken, er sei im falschen Film.
Der Mann, der in dieser Weise ungeahnte tiefenpsychologische Dimensionen für ein Werk erschließt (oder erfindet ?), das wir immer aus ganz anderen Gründen so sehr geliebt haben, heißt Marco Arturo Marelli. Zugegebenermaßen ein Könner in seinem Regiehandwerk: wie er etwa das Gewusel von Patienten, Gästen und Angestellten im Hintergrund arrangiert, während vorn gesungen wird, das ist beeindruckend. So hat auch der, der nicht unbedingt an der Musik interessiert ist, immer was zu gucken.
Nun soll man aber nicht glauben, uns hätte diese Vorstellung nicht gefallen. Es war seltsam: Sobald die Protagonisten anfingen zu singen, war all das, was uns vorher befremdet hatte, vergeben und vergessen und wurde kaum noch wahrgenommen.
Natalie Dessay als Amina hat dieses Wunder bewirkt. Woher nimmt dieses zarte Persönchen solche Töne?
Bellinis Textdichter Romani hat es einmal auf den Punkt gebracht: “Die Sängerin der Amina soll offen, einfach, unschuldig sein und zugleich leidenschaftlich, sensibel, verliebt; sie sollte den Ruf der Freude, den Schrei des Schmerzes beherrschen und den Ton der Klage wie für ein Gebet.“ All das haben wir von dieser Amina gehört und gesehen. Von der Stimme und der Person Natalie Dessays geht eine solche magische Faszination aus, dass 2700 Zuhörer nicht mehr zu atmen wagten, als sie ihr berühmtes „Ah, non credea mirarti“ aus dem Nichts aufbaute. Und manch einen sah man verstohlen sich eine Träne aus dem Auge wischen.
Natalie Dessay berichtet über ihre Interpretation der "Amina"
(Zum Video: hier oder Klick in das obige Bild)
Ein Glücksfall, dass ihr Partner Elvino in keiner Weise hinter ihr zurückstand.
Javier Camarena ist stimmlich für alles bestens ausgerüstet: für die zarten Lyrismen, die ihm Bellini in den Mund legt, ebenso wie für die schneidend-schmerzlichen Ausbrüche des Mannes, der seine Liebe verraten glaubt. Versteht sich von selbst, dass das Duett dieser beiden ein Höhepunkt des Abends war.
Bleibt zu erwähnen, dass auch die Sänger der zweiten Reihe ganz große Klasse waren:
Michele Pertusi mit weich strömendem Bariton als Graf Rudolf, halb Schwerenöter, halb rettender Engel.
Marie-Adeline Henry, eine Lisa, deren Sopran man auch größere Aufgaben zutraut.
Cornelia Oncioiu steuerte als Aminas Mutter samtweiche Alttöne bei.
Vor dem Orchester der Opera Nationale stand Evelino Pido, dem man Erfahrung mit Belcanto-Opern nachsagt. Lag es an seiner reichlich überzogenen Gestik, dass wir dieses Orchester schon wesentlich dezenter und genauer in der Begleitung gehört haben?
Dem Chor fällt in diesem Werk eine besonders schwere Rolle zu mit unendlich vielen kurzen Einwürfen, die ein Höchstmaß an Präzision und Aufmerksamkeit erfordern. Das wurde mit Bravour hingelegt. Um so mehr war es zu bedauern, dass die einzige große Chornummer, der Eingang des 2.Aktes, dem Rotstift des Regisseurs zum Opfer fiel, wohl, weil er nicht in sein Regiekonzept passte. Wir finden, dass bei derartig einschneidenden Eingriffen in die wohldurchdachte musikalische Struktur eines Werkes der Spaß aber nun wirklich aufhört. Eine solche respektlose Haltung einem Meisterwerk gegenüber ist es, was den Begriff „Regietheater“ zum Schimpfwort gemacht hat.
Dabei müssen wir durchaus zugeben, dass einige Einfälle des Regisseurs uns sehr sprechend erschienen. Etwa, als mit der zunehmend eisiger werdenden Atmosphäre zwischen dem jungen Paar ein Schneesturm durch das von Elvino in seinem Zorn zerstörte Fenster hereinbrach. Oder dieses Häufchen Elend, als das Amina im Hemdchen auf dem Tisch lag, auf demselben Tisch, auf dem sie dann am Ende in großer Primadonnenrobe ihr wiedergewonnenes Glück in halsbrecherischen Koloraturen in die Welt hinaussang. Das hatte auch szenisches Format.
Trotzdem: Wenn uns diese Aufführung in beglückender Erinnerung bleiben wird, dann nur durch die überragende sängerische Leistung. Wie man hört, wird
Natalie Dessay demnächst im selben Haus die Elvira in den Puritanern singen. Also, wenn nötig, würden wir dafür zu Fuß nach Paris laufen. Kommen Sie mit?
Unsere Vorstellung war am 31.Januar. Die Inszenierung läuft noch bis zum 23. Februar. Viel Glück zu dem Versuch, dafür Karten zu bekommen!
Claus und Friederike L.
(
Informationen der Opéra Bastille zur La Sonnambula -auf Deutsch-)