Bericht über die „La scala di seta“ im Rahmen der „Potsdamer Winteroper“ am 17.11.2007 im Schlosstheater Sanssouci
Zum dritten Mal in Folge lädt Potsdam zu einem Besuch einer ganz besonderen Opernaufführung im Winter ein: Der Besucher betritt ein an der Westseite des Parks Sanssouci gelegenes Schloss, das nach siegreichem Ende des siebenjährigen Krieges mit Schlesien im Jahre 1763 begonnen und bereits 1769 fertiggestellt worden war. Während das Äußere des Schlosses im bereits längst überholten Barockstil errichtet wurde, ist das im oberen Stock des Südflügels gelegene Theater dem Rokoko verpflichtet. Barock und Rokoko sind die einzigen Baustile, die Friedrich II noch zu einer Zeit gelten ließ, die bereits dem aufkommenden Klassizismus huldigte. Für die Ausstattung in den alten Theaterfarben Gold, Weiß und Rot wurden italienische und französische Künstler verpflichtet. Die Sitzreihen sind nach antikem Vorbild halbrund wie in einem Amphitheater angeordnet. Friedrich verzichtete auf eine Königsloge und wohnte den Aufführungen lieber in der dritten Parkettreihe auf Augenhöhe mit den Darstellern bei.
Die kleine Bühne verfügt über moderne Technik; dadurch werden anspruchsvolle Inszenierungen möglich. Das gilt auch für die in diesem Jahr neben der wieder aufgenommenen „Cosi fan tutte“ gespielten Rossini-Oper. Musikalisch befriedigte die besuchte Aufführung höchste Ansprüche und steht der Aufführungsqualität in Pesaro und Bad Wildbad nicht nach. Aber nicht nur die musikalische Abteilung „stimmte“, sondern auch alles andere. Wir erlebten eine heitere, leichtfüßíge und flotte Inszenierung, die sich stilistisch am Pariser Vaudeville-Theater des Labiche oder Feydeau des 19. Jahrhunderts zu orientieren scheint, aber auch komische Elemente des 20. Jahrhunderts enthält. So tritt der etwas einfältige Germano, der höchst komplizierte Koloraturen im Schnellgesang meisterhaft bewältigt, in Gestalt des Pantomimen Marcel Marceau auf – ein weiteres französisches Augenzwinkern in einer italienischen Oper, die auf ein französisches Bühnenstück zurückgeht und in Paris spielt! Ferner gab es eine interessante Aufteilung der Bühne mit „Zweitbühne“ vor dem Orchester, die für kleinere stumme pantomimische „Einsprengsel“ oder für herausragende einzelne Arien genutzt wurde, sowie als Handlungsort einen Innenraum, der durch auf und nieder gehende oder vielmehr schwebende in Sepiafarben bemalte Stoffbahnen gegliedert werden konnte. Das gesamte Ensemble befand sich fast ununterbrochen auf der Bühne, bewegte sich, versteckte sich unter Tischen, hinter Betten oder den erwähnten Stoffbahnen. Dadurch wurde ein rossinianischer Schwebezustand erreicht, der auch nervöse und leicht ablenkbare Zeitgenossen unter den Opernbesuchern auf Dauer zu fesseln vermochte und für Spannung sorgte. - Übrigens: Die fabelhaften Kostüme für Giulia und Lucilla wurden laut Programmheft im Atelier Deborah Baudoni, Milano, hergestellt – und das sah man auch!
Dem begeisterten Schlussapplaus stellten sich die Sänger diesmal musikalisch begleitet. Sie sprangen in dieser letzten Aufführung dem Publikum am Ende förmlich entgegen unter den Klängen der noch einmal, wie bei einer unerwarteten „Zugabe“ fröhlich und beschwingt aufspielenden Kammerakademie Potsdam, des „Hausorchesters“ der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci. Dieses in kleiner Besetzung aufspielende Orchester wurde erst 2001 gegründet und soll inzwischen ein „Geheimtipp“ in der Musikwelt geworden sein – wer die Aufführung besucht hat, wird diese Einschätzung bestätigen können. Das lag nicht zuletzt an dem jungen Dirigenten Felice Venanzoni, der einerseits ein forsches Tempo anschlug und andererseits Sängern und Orchester genügend Zeit für Phrasierungen und Atempausen einräumte, was bei der mitreißenden Rossinimusik, die gelegentlich wie Maschinenmusik daherkommt, besonders angezeigt ist. Das gilt gerade auch für die lyrischen, tiefen und ernsthaften Passagen, wie sie auch in dieser von dem erst 20-jährigen Rossini komponierten Farsa vorkommen.
Wie zu Zeiten Friedrichs des Großen beherrschten in der „scala di seta“ „Ausländer“ die Potsdamer Bühne, hier ein junges, fast vollständig italienisches Ensemble, dessen Mitglieder sämtlich im Belcanto-Fach ausgewiesen sind und zum Teil bereits in den Rossini-Hochburgen Pesaro und auch in Bad Wildbad geglänzt oder mit einschlägig bekannten Dirigenten zusammengearbeitet haben. Um nur wenige Beispiele zu nennen: Raffaela Milanesi (Giulia) gastierte bereits in Brüssel unter Allessandro De Marchi. 2008 wird sie die Clorinda in Rossinis „Cenerentola“ sowohl in Genf als auch in Brüssel singen. Giorgia Milanesi (Lucilla) singt derzeit die Tisbe ebenfalls in der Cenerentola in Genf und in Brüssel. Sie arbeitete mit Spezialisten der Barockmusik wie René Jacobs zusammen. Daniele Zanfardino (Dorvil) war bereits zu Gast beim Rossini Festival in Bad Wildbad in „La cambiale di matrimonio“.
Auch Maurizio Leoni (Blansac) weist herausragende Rossini-Erfahrungen auf, speziell in den „Farse“ wie in der „scala di seta“, welche er unter anderem unter Alberto Zedda beim Strasbourg Festival gesungen hat. Schon 1998 sang er in Bad Wildbad den Isodoro in der "Matilde di Shabran", die auf einer Bongiovanni-CD dokumentiert ist. Schließlich ist auch der fabelhafte Enrico Maria Marabelli (Germano) zu nennen, welcher bereits beim Rossini Opera Festival in Pesaro glänzte und unter Leitung von Zedda als Germano an der Deutschen Oper Berlin debütierte.
Wie erwähnt bot das gesamte Ensemble eine beeindruckende Leistung. Mir gefiel besonders die herrliche Stimme der Raffaella Milanesi, von der es bereits Opernaufnahmen auf CD gibt.
Ein Mitschnitt der Oper wurde am 12 Jan. 2008 im Deutschlandradio Kultur gesendet und von rf aufgezeichnet.
(Text: Astrid Fricke)
Rossini ganz mediterran in der Winteroper (Kritik in der Berliner Morgenpost, 17.11.07)