24. Mai 2011

Rossinis "Petite Messe solennelle" in Köln

Fotos: privat
Durch einen Hinweis in diesem Blog erfuhren wir von einer Aufführung von Rossinis "Petite Messe solennelle" in der Basilika St. Aposteln in Köln. Die Messe wurde in der Urfassung für Klavier und Harmonium dargeboten. Alle verfügbaren Kirchenbänke waren mit erwartungsvollen Besuchern besetzt, "ausverkauft" würde man im Konzertsaal sagen. Hier wurde jedoch kein Eintritt verlangt. Dass das zu dieser Fassung eigentlich gehörende zweite Klavier fehlte, war zu verschmerzen, weil das Klangvolumen in dem gewaltigen Kirchenraum einer besonderen Verstärkung nicht unbedingt
bedurfte. 

Wie wir hörten, ging die sehr beeindruckende Aufführung wohl auf eine Initiative des Gürzenich-Chores zurück, der damit die Reihe bekannter Konzertveranstaltungen in der bedeutendsten romanischen Basilika Kölns fortsetzte. Unter ihrem Leiter Christian Jeub fanden Solisten und Chor zu einer fein abgestimmten Ensemble-Leistung zusammen. Der Dirigent legte besonderen Wert auf die Hervorhebung der rhythmischen Feinheiten des Werkes.


Anna Agathonos, Mezzosopran, bot die beeindruckendste Solistenleistung des Abends. Das "Agnus Dei" gestaltete sie eindringlich und anrührend. Die Sopranistin Nadine Trefzer, der Tenor Seong-Jun Cheon und der Bass Charles Moulton standen ihr aber kaum nach.

In solchen Kirchenräumen ist aufgrund des extrem langen Nachhalls eine differenzierte Beurteilung instrumentaler Details oft schwierig. Annette Reifig am Harmonium und Wolfgang Hoyer am Klavier boten aber die solide Grundlage dieser Aufführung.


Dieter Kalinka (Einmalige Aufführung am 22.05.2011)

18. Mai 2011

Wir nehmen Abschied

Eine traurige Nachricht für alle Freunde von Astrid Fricke

Astrid, meine geliebte Ehefrau und Mitautorin in diesem Belcantoblog ist am 1. Mai 2011 nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben.


Sie war bis zuletzt auch im Internet sehr präsent, nicht nur hier im Belcantoblog, sondern auch in einem Posterousblog (jetzt bei Wordpress) unter dem Pseudonym Sita und bei Twitter unter dem Namen Picro.

Sie war eine erfolgreiche Juristin, Rechtsanwältin und Professorin für Familien- und Jugendrecht, doch für uns hatte sie eine Künstlerseele.

Sie hat es in hervorragender Weise verstanden, ihre Gedanken und Gefühle mit anderen zu teilen. Ihr wunderschönes Geigenspiel, ihre Begeisterungsfähigkeit und ihr Humor, ihre Kreativität und ihr einzigartiges Schreibtalent, ihre Beobachtungsgabe und ihr großes Herz werden uns allen unendlich fehlen.

Wer diese Seiten von ihr entdecken möchte, ist eingeladen, ihre Texte noch einmal zu lesen: Hier im Belcantoblog ihre Opernrezensionen und im  Wordpressblog weitere Texte, wie Krimirezensionen oder vielfältige Alltagsbeobachtungen.

Nach Gründung dieses Opernblog im Herbst 2007 hat meine Frau 30 Berichte zu Opern und zahlreiche Kommentare verfasst, angefangen vom Bericht über die "La scala di seta" in Potsdam bis hin zur "La Lodoiska" in Ingolstadt". Sie hat zusammen mit vielen anderen Autoren dazu beigetragen, dass neue Formen der Internetkommunikation auch für die Oper ausprobiert werden konnten. Wegen des leichten Einsatzes von Bild, Ton und Film und der Möglichkeit der schnellen, unmittelbaren und barrierefreien Rückmeldung sind Blogs aus dem Kanon der Kommunikationsmöglichkeiten nicht mehr wegzudenken.

Astrid Fricke war keine Opernexpertin, aber sie konnte das, was sie gesehen und gehört hatte, sehr anschaulich und überzeugend zu Papier bringen, manchmal auch gegen Expertenmeinungen. Denn sie vertrat das Motto "I believe that it is better to have own imperfect ideas than to copy others" (aus ihrer Profilbeschreibung zum Posterousblog).

Ihr Beitrag "Rossini in Wildbad 2010 ein Rückblick" hat immer noch die höchsten Zugriffszahlen und wurde sogar in eine Rossini-Ausstellung in Bad Wildbad übernommen. Dieser Beitrag ist eigentlich keine Opernrezension, sondern ein Stimmungsbericht zum Festival im Schwarzwald und zeigt, dass das Opernpublikum auch dafür empfänglich ist.

Die Rezension zu "Moise et Pharaon - Rossini in Nürnberg" hat wegen des Regiekonzeptes erfreulich viele Kommentare und Gegenbeiträge ausgelöst. Auch diese neue Diskussionsform im Internet musste von allen Betroffenen ausprobiert werden; Ärger kam schon mal auf. Astrid Fricke hielt sich zurück und schrieb dann in ihrem Posterousblog humorvolle Glossen über Vereinsmeierei (Der deutsche Verein - ein Minenfeld) oder über den Kulturredakteur Fürchtegott Jonathan (Kulturredakteur, zweitklassig?).

Thematisch hat sie nicht nur die wichtigen Rossini-Opern der Festivals Bad Wildbad 2008 und Pesaro 2008 rezensiert, sondern auch selten gespielte Opern, wie "Il templario" und die Braunschweiger Aufführungen der Opern von Spohr, Gomes und Mayr. Auch das Orlando-Thema hat sie nicht nur literarisch sehr interessiert, was dazu führte, dass wir die entsprechenden Opern von Haydn, Vivaldi und Händel in Braunschweig, Frankfurt und Halle besuchten. Auch folgten wir den Opern des wieder entdeckten Simon Mayr, nachdem wir seine Fedra in Braunschweig hören konnten. Die "La Lodoiska" von Simon Mayr in Ingolstadt, die uns sehr beeindruckt hat, war unser letztes gemeinsames Opernerlebnis.

Reiner Fricke


25. Schlossfestspiele Schwerin: Verdi „Die Macht des Schicksals“ (17.07.2010)
24. Giovanni Simone Mayrs „Medea in Corinto“ in München (04.07.2010)
23. Damen, Ritter, Waffen und Liebe. Ariosts Orlando furioso auf der Opernbühne (15.06.2010)
22. G. F.  Händels Oper „Orlando“ in Halle (08.06.2010)
21. Auber: „La Muette de Portici – die Stumme von Portici“ (19.05.2010)
20. Rossinis Armida aus der Met im Kino (15.05.2010)
19. Christoph Willibald Gluck: „Alkestis“ (Alceste) in Leipzig (19.04.2010)
18. „Salvator Rosa“ – Deutsche Erstaufführung in Braunschweig (18.03.2010)
17. Rossini und Metternich (Bericht zu einem Beitrag, 17.02.20109
16. „Moïse et Pharaon“ -  Rossini in Nürnberg (15.03.2010)
15. Vivaldis „Orlando furioso“ in Frankfurt  (07.03.2010)
14. Orlando paladino - Ernst-komische Oper von Joseph Haydn (01.06.2009)
13. Spohrs Oper „Der Alchymist“ in Braunschweig (30.05.2009)
12. Pesaro – Opernfreude in bella Italia  (27.08.2008)
11. Rossinis "Ermione" in Pesaro 2008 (27.08.2008)
10. Rossinis "Maometto II" in Pesaro 2008 (27.08.2008)
09. Rossinis “L'equivoco stravagante” in Pesaro 2008 (26.08.2008)
08. GIOACHINO ROSSINIS "OTELLO" in Wildbad (24.07.2008)
07. Rossinis "L´Italiana in Algeri" in Bad Wildbad, 2008 (24.07.2008)l
06. Rossinis "Edipo a Colono" in Bad Wildbad, 2008 (24.07.2008)
05. PACINI bei "ROSSINI IN WILDBAD 2008" (23.07.2008)
04. Vincenzo Bellini: "I Capuleti e I Montecchi" in Rheinsberg (5.07.2008)
03. Il Templario" Otto Nicolai in Chemnitz (26.06.2008)
02. Fedra bei den Staatstheater-Freunden (13.03.2008)
01. Potsdam "La scala di seta" (18.11.2007)

17. Mai 2011

Ein Kölner in Hamburg...erlebt eine herzerfrischende Cenerentola

Bildschirmfoto vom Videofilm auf Theater-tv.net
Zum Anschauen des Videos bitte hier klicken oder dort 

Nach der Lektüre der Kritik über Rossinis  "La Cenerentola" des Hamburger Abendblattes hatte ich zunächst gar keine Lust mehr, nach Hamburg zu fahren. Aber dann habe ich mich doch dazu entschlossen und es nicht bereut!

Mein Fazit: Die Cenerentola war sehr, sehr schön!  Kritiken werden ja oft über die Premiere verfasst. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, die zweite oder dritte Vorstellung zu besuchen. Dann sind die Künstler viel entspannter als bei der Erstaufführung.

Das unter der Leitung von Antonello Allemandi spielende Orchester der Hamburgischen Staatsoper war hervorragend. Ein Einspringer hat es immer schwer. Allemandi war für den erkrankten  Andrés Orozco-Estrada eingesprungen und bewältigte diese Aufgabe mit Bravour.  Am 17.6.2001 habe ich Allemandi schon einmal in der Oper Marseille als Dirigenten von "Tancredi" erlebt und war von ihm begeistert. Allemandi ist inzwischen einer der führenden Dirigenten des italienischen Faches.

Die spanische Mezzosopranistin Maite Beaumont als Angelina war ein Traum. Der als Rossini-Tenor renommierte Russe Maxim Mironov als Don Ramiro stand ihr in keiner Weise nach. Seine Stimme ist enorm gewachsen, vor allem in der Mittellage und Tiefe. Die Höhe war ja schon immer sehr gut. Ich habe schon vor sechs Jahren, als ich ihn zum ersten Mal hörte, gedacht, wenn Flórez nicht wäre, wäre Mironov die Nummer 1.

Auch die anderen Künstler, Viktor Rud als Dandini und Enzo Capuano als Don Magnifico, waren gut. Die beiden "fiesen" Schwestern, Gabriele Rossmanith und Renate Spingler, beide aus dem Haus der Hamburger Staatsoper, waren einfach köstlich und hinreißend giftig. Eine von ihnen erzählte mir, dass die Ensemblemitglieder sechs Wochen lang geprobt hatten. Da die Kostüme teilweise aus Plastikmaterial gefertigt waren, wurde dabei heftig geschwitzt und die Proben gestalteten sich sehr anstrengend. 

Die Kostüm- und Bühnenbildgestaltung (André Barbe) war mal ganz was Neues, bunt, lebhaft, lustig, ein überwältigender Einfallsreichtum, eine Meisterleistung. Ich habe noch nie so viel gelacht. Dieses Gewimmel, diese Spielfreude, Vergnügen pur! Regisseur des Ganzen war Renaud Doucet, früher Choreograf und Tänzer. Köstlich, wie Don Magnifico in einem riesigen, überdimensionalen Sparschweintresor wohnt, der auf der ersten Etage steht und von dem er mit einem offenen Aufzug nach oben oder unten fahren kann. Und: Es gibt nicht den üblichen Kamin, dessen Feuer Cenerentola zu hüten hat. Vielmehr ist sie eine graue, unterdrückte Büromaus am Schreibtisch, die dann am Ende durch Reinheit und Güte ihren Ramiro erobert. 

Hubert Sieben, Köln

Besuchte Aufführung 15.05.2011

Weitere Vorstellungen in dieser Saison: 20.05.2011, 22.05.2011, 29.05.2011, 02.06.2011, 09.06.2011 und 11.06.2011.
Nach der laufenden Saison sind weitere Aufführungen für den 20.09.2011, 23.09.2011 und 28.09.2011 vorgesehen, 
aber dann singt Kate Aldrich die Angelina.
In den dann folgenden Aufführungen am 09.12.2011, 16.12.2011, 25.12.2011 und 31.12.2011 singt anstelle von Mironov 
Alek Shrader den Don Ramiro und die Angelina wird von Maria Markina gesungen.

11. Mai 2011

Rossinis 'Petite Messe solennelle' in Köln am 22. Mai 2011

Quelle: Gürzenich-Chor Köln
Ein aktueller Hinweis, den ich gern weitergebe:

Am 22. Mai 2011 um 19.30 Uhr wird in Köln, in der Basilika St. Aposteln die "Petite Messe solennelle" von Gioachino Rossini in ihrer ursprünglichen Fassung für Klavier und Harmonium aufgeführt.

Es singt der Gürzenich-Chor unter der Leitung seines neuen Chorleiters, Christian Jeub, am Klavier sitzt Wolfgang Hoyer, am Harmonium Annette Reifig. Die Solisten sind Nadine Trefzer, Sopran, Anna Agathonos, Alt, Seong-Jun Cheon, Tenor und Charles Moulton, Bass. Der Eintritt ist frei.

Weitere Hinweise auf der Internetseite des 

8. Mai 2011

'La Cenerentola', fränkisch

Hallo Amici,
am 30. April 2011 besuchten wir eine Aufführung von La Cenerentola im Mainfranken Theater Würzburg, die dort im März Premiere hatte. Es handelt sich dabei um die Kritische Ausgabe von Alberto Zedda. Ein Besuch, der sich mehr als lohnte. Es handelte sich ingesamt um eine sehens-, noch mehr hörenswerte Produktion , nicht ganz frei von üblichen Mätzchen der Dramaturgie (Inszenierung Hermann Schneider), dafür aber mit musikalischen Genüssen (einfühlsames Dirigat von Dirigent Enrico Calesso, er brachte das Philharmonische Orchester Würzburg nach einer Aufwärmungsphase bei der Ouvertüre schnell in Schwung) und sauberen Gesangsleistungen, vor allen in den Ensembleszenen. Im Detail magnifico das Duett Dandini/Magnifico "Un segreto d'importanza". Angenehm überraschten uns die beiden erstmals gehörten Arien des Alidoro "Vasto teatro è il mondo" und die der Clorinda "Sventurata! mi credea", die Luca Agolini für die Urauffühung 1817 in Rom komponiert hat. Diese Clorinda-Arie wird heutzutage so gut wie nicht mehr gespielt und bei der Alidoro-Arie greift man gemeinhin auf die Arie "La del ciel nell'arcano profondo" zurück, die Rossini für eine Inszenierung von La Cenerentola am römischen Tetro Apollo 1821 nachkomponiert hat.  Zusammengefasst ein Rossini, der sichtlich das scheinbar nicht gerade belcantogewohnte fränkische Publikum zusehends begeisterte. Auf die Haben-Seite darf auch das gelungene Programmheft gestellt werden. Übrigens gilt unser Kompliment nicht nur dem Dramma giocoso und dem Triumph der Tugend, sondern auch dem herrlichen und sehenswerten Exfürstlichen Würzburg insgesamt. Einfach magnifico!
Saluti
Edith und Alfred Heierling

Weitere Aufführungen: 26.05./ 17.06./ 25.06./ 02.07./ 07.07./ 13.07./ 15.07./ 20.07.2011
Fotostrecke und weitere Infos unter Mainfranken Theater Würzburg


Vorabdruck aus «Mitteilungsblatt» der Deutschen Rossini Gesellschaft, Nr. 53 (Juni 2011)

17. April 2011

Donizettis "Lucrezia Borgia" in Halle und "Lucia di Lammermoor" in Magdeburg

Donizetti scheint momentan Hochkonjunktur zu haben: Denn neben der von viel Medienhype begleiteten Wiener Anna Bolena haben justament die Opernhäuser in Halle und Magdeburg zwei Donizetti–Opern auf die Bühne gebracht, und dies verdientermaßen mit großem Erfolg. Da die Terminplanung beider Theater es möglich machte, verbrachten wir zwei wunderschöne vorsommerliche Tage  in Sachsen-Anhalt und kamen an einem Wochenende in den Genuss zweier opere serie des Meisters aus Bergamo. 
2. April „Lucrezia Borgia“ in Halle:

Foto: Oper Halle
Im praktisch ausverkauften Opernhaus feierte das Publikum kurz vor 22 Uhr fast 15 Minuten lang eine mitreißende Aufführung, die vor allem musikalisch begeisterte. Das lag besonders an Romelia Lichtenstein, der Primadonna des Hauses, die darstellerisch überzeugend diese historische Titelfigur in ihrer schillernden Mischung aus “moralischer Abart, physischer Schönheit und königlicher Ausstrahlung“ (V. Hugo) verkörperte. In Kantilenen wie in dramatischen Koloraturen und Spitzentönen sang sie das Glück und die Verzweiflung ihrer neu entdeckten Rolle als Mutter, “das reinste Gefühl, das eine Frau empfinden kann“ (V.Hugo), aus sich heraus. Der in Wien lebende bisher wenig bekannte junge mexikanische Tenor Xavier Cortes  bot nach verhaltenem Beginn eine großartige Leistung als ihr Sohn Gennaro und krönte auch die Finali mit glanzvollen Spitzentönen. Mit seinem leicht verhangenen Timbre ist er nicht der typische Belcanto-Tenor und ließ bei einem begeisterten Opernfreund aus Bamberg Erinnerungen an Salvatore Fisichella wachwerden. Schade, dass er seine große (für Nicola Ivanoff nachkomponierte) Arie “T’amo qual s’ama un angelo“ zu Beginn des 2. Aktes, der in Halle als 3. Akt firmierte, nicht singen durfte! Mit machtvoller Baritonstimme dominierte in “seinen“ Szenen der Don Alfonso von Ki-Hyun Park, der bereits seit 2002 dort engagiert ist. Absolut überzeugend waren auch die Sänger der Clique um Gennaro, und in der Rolle des Orsini fügte mit schöntimbriertem Mezzo Ulrike Schneider eine weitere Rolle ihrem weitgefächerten Repertoire hinzu. Aus unerfindlichen Gründen verzichtete sie jedoch auf die 2. Strophe ihrer “ballata“.

Die musikalische Leitung dieser Aufführung hat eine eigene Geschichte: Der vorgesehene und auch auf Werbekarten und Flyern genannte Dirigent musste ein paar Wochen vor der Premiere aus gesundheitlichen Gründen aussteigen. Was der daraufhin eingesprungene Andreas Henning, der diese Oper sich neu erarbeiten musste, in der zur Verfügung stehenden Zeit mit Chor und Orchester  geleistet hat, war aller Ehren wert!! Chapeau!

Die Bühne, auch aus akustischen Gründen als Schräge angelegt, war minimal bestückt: Wippende kleine Gondeln zu Beginn (Venedig!), eine einschwebende Schaukel für Lucrezias Duett mit Gennaro im 1. Akt, ein deplaziert wirkender Barwagen (2. Bild im 1. Akt) sowie Lichtinstallationen, die wohl den fatalen Einfluss der Gestirne symbolisieren sollten, 3 Stühle und ein Stierkopf als Aggressionsobjekt für Alfonso im herzoglichen Palast. Verantwortlich für Ausstattung, die geschmackvollen Kostüme und die Inszenierung war Saskia Zschoch, die ihre beiden Protagonisten bei zentralen musikalischen Szenen immer wieder in einen eigens angelegten Kreis vorne an der Rampe platzierte. Vielleicht aus der Erkenntnis heraus, dass Donizettis Musik bei allen Regiekünsten im Zentrum stehen sollte?? So ergab sich auch ein durchaus anrührender Moment, als der vergiftete Gennaro in diesem Kreis in derselben leicht gekrümmten Lage starb, in der er sich in der 1. Szene zum Schlafen dort hingelegt hatte.

Die auch von weither angereisten Donizetti-Freunde zeigten sich bei der anschließenden stimmungsvollen Premierenfeier im Operncafé begeistert – und Operndirektor Axel Köhler war stolz auf diese großartige Leistung seines Ensembles und fügte bescheiden hinzu, dass das Engagement des einzigen Gastsängers (Xavier Cortes) “eine Ehre für dieses Haus sei“.

Ein Video der Bühnen Halle zur Lucrezia Borgia ist auf YouTube zu sehen


3. April „Lucia di Lammermoor“ in Magdeburg:

In dem trotz der ungewöhnlichen Anfangszeit (16 Uhr) sehr gut gefüllten Opernhaus wurden wir zusammen mit einem zunehmend mitgehenden Publikum Zeugen einer überdurchschnittlichen Lucia, die von einer ganz erstaunlichen Sopranistin in der Titelrolle und der schlüssigen und packenden Inszenierung durch Karen Stone, die Generalintendantin des Hauses, geprägt wurde. In wechselnden Bühnenbildern wurde die Ausweglosigkeit der in die viktorianische Zeit verlegten Familienfehde durch strenge Tristesse in Kostümen und ein heruntergekommenes Ambiente unterstrichen. Neben sparsam aber sinnvoll eingesetzten Videoprojektionen (z. B. beim Treueschwur des Liebespaars in der 2. Szene) blieben weitere Details dieser gelungenen Regiearbeit haften: Die “tombe degli avi mei“, die Edgardo in seiner großen Finalszene beschwört, waren hier die von Chormitgliedern vor ihre Gesichter gehaltenen verblichenen Fotos aus einer Ahnengalerie. Während Lucia in ihrem Wahn irrlichternd über die Bühne hastete, bot sich Chor und Publikum durch ein riesiges Schlüsselloch in voyeuristischer Manier der Blick auf den nackten, blutbefleckten Körper des gerade getöteten Arturo. Lucia selbst war mehr ein Teenager als eine junge Frau (In Walter Scotts literarischer Vorlage ist sie 17 Jahre alt !), deren Bett mit zahlreichen weißen Häschen übersät war. Wie die junge türkische Sängerin Hale Soner in Mimik und Gestik dieses junge Mädchen in seiner Eingeschlossenheit spielte und dabei sensationell sang (mit individuellen Verzierungen in der Wahnsinnsszene und mit allen denkbaren “acuti“), war allein die Reise nach Magdeburg wert. 

Quelle: Fotoshow des Theaters Magdeburg
Ihr Landsmann Kartal Karagedik sang einen ausdrucks- und willensstarken Enrico, der auch in seinen gefühlvolleren Momenten überzeugte. Der für diese Rolle vielleicht etwas zu junge Niederländer Martin-Jan Nijhof sang mit wunderbar strömendem Bass den Raimondo, nicht zuletzt auch in seiner ansonsten oft gestrichenen Szene nach dem Duett Lucia – Enrico. (Warum wurde aber das musikalisch so brillante Duett Edgardo – Enrico im Turm zu Wolferag weggelassen, zumal es das Verständnis der Schlussszene erleichtert??). Etwas schwächer fand ich in diesem komplett hauseigenen Ensemble den brasilianischen Tenor Iago Ramos als Edgardo. Er sang durchgehend mezzoforte ohne größere Abstufungen, hatte aber für seine hochliegende lange Finalszene immerhin genügend Kraftreserven. Der Chor des Theaters Magdeburg war ausdrucksstark und spielfreudig, und die Magdeburgische Philharmonie spielte unter ihrem neuen GMD Kimbo Ishii-Eto dynamisch und makellos, in emotionalen Passagen vielleicht etwas zu forsch.

Nach Dessau (La muette de Portici), Chemnitz (Il templario, Heimkehr des Verbannten, Wildschütz) und Weimar (Guillaume Tell, Don Pasquale, Wildschütz) haben sich jetzt auch Halle und Magdeburg auf unserer Opern- Landkarte im Osten unserer Republik fest etabliert!

Weitere Vorstellungen in Magdeburg am 7.5/29.5.2011 und in Halle am 22.4.2011

Walter Wiertz

'L‘italiana' in Biel zwischen Traum und Wirklichkeit

Nach der live-Übertragung des Comte Ory aus New York und der Italiana-Premiere in Biel ging mir folgendes durch den Kopf: Es scheint, dass die Regisseure langsam wieder ein Bedürfnis erkennen (oder sogar selber haben), Oper in einem unverfälschten Ambiente spielen zu lassen. Aber sie haben noch nicht den Mut zu einem intellektuell unbelasteten „Retour à la nature“, und weil nicht sein darf, was nicht sein kann, schaffen sie einen künstlichen Rahmen: Bartlett Sher lässt seine mittelalterliche Traumausstattung als Theater im Theater daherkommen, Beat Wyrsch die Geschichte im Serail als Küchentischträumerei. Damit gleich von Anfang an klar ist, dass wir uns in der Gegenwart befinden (à la 50er-Jahre – letzter Modeschrei aktueller Inszenierungen –, was sich u.a. in einem ziemlich geschmacklosen Bodenmuster manifestiert, das an die synthetischen Tischdecken mit ihren kitschigen Farbmustern erinnert), geht es nach der Ouvertüre gleich mit einem Staubsauger los, und das Gerät bleibt während des ganzen ersten Bildes auf der Bühne, ebenso wie die Vorhänge, hinter denen sich die (fiktive) Serailszene abzuspielen beginnt. Ein kleiner Küchentisch und ein mannshoher Kühlschrank erinnern ständig daran, dass das Ganze nur eine Fiktion, eine Denkblase wie in einem Comic ist. Völlig absehbar, dass am Schluss die Hausfrau wieder vor ihrem Spaghettiteller in der Küche sitzt. Dass sich Isabella „in dieser exotischen Umgebung auch einen wunderschönen Italiener“ angelt (und nicht etwa Lindoro aus der Gefangenschaft befreit) „liegt auf der Hand“, wie Beat Wyrsch – Regisseur und Intendant in Personalunion – ausführt und so den Begriff „Interpretation“ doch etwas strapaziert.
Von diesem Konzept bleibt glücklicherweise nicht viel hängen. Blendet man die Rahmenhandlung aus, bleibt eine weitgehend goutierbare Inszenierung mit mehr oder weniger guten Einfällen und Umsetzungen. Im ersten Finale passiert die Begegnung zwischen Lindoro und Isabella vor einer sonst leeren Bühne, was nicht sehr plausibel ist, aber mit dem anschliessenden Hinzukommen der anderen Personen zu einem visuellen Crescendo führt, das die organisierte musikalische Verrücktheit noch potenziert: das ist handwerklich bestes Theater, genau das, was man von einem Regisseur erwarten darf (nicht mehr und nicht weniger). Andere Szenen wirken erstaunlich blass und verschenkt, so das Papataciterzett, das trotz der „originellen“ Idee, Mustafà im Kühlschrank von der Bühne abtreten zu lassen, nicht so richtig zündet. Hübsche Bilder ergeben sich oft mit der Anordnung des Chors, so etwa wenn sich die als venezianische Gondolieri ausstaffierten Italiener schiffförmig um Isabella positionieren.
Zur Inszenierung ist im Programmheft auf roten Hintergrund zu lesen: „Die konzeptionellen Gespräche zu unserer Version von L‘italiana in Algeri fanden vor den sich überstürzenden Ereignissen u.a. in Tunesien, Ägypten und Libyen statt. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, von jeglichen Anspielungen auf aktuelle politische Begebenheiten abzusehen. Es handelt sich bei L‘italiana in Algeri um ein Kunstwerk des 19. Jahrhunderts, das bereits damals mehr den Phantasien eines bunten Orients als der Realität verpflichtet war“. Was für eine erstaunliche Erkenntnis! Soweit hat es das Regietheater schon gebracht, dass eine einigermassen adäquate Inszenierung einer solchen Rechtfertigung bedarf! Ganz ohne dem heiklen Spiel mit der „Political Correctness“ ging es auch hier nicht: wenn Mustafà die umwerfenden Schönheiten seiner Frau rühmt, die er seinem Sklaven schmackhaft machen will, sieht sich Lindoro einer komplett verschleierten Elvira gegenüber – eine witzige Pointe, aber natürlich eine deftige Anspielung auf die hysterische Burka-Diskussion unserer Gegenwart. 

Matevosyan-Govi-Raschle-Radomirska-Herrenchor
Bild: Theater Biel Solothurn

Wurde der Traum einer wahrhaft traumvollen Inszenierung noch durch einige Alltagsbezüge gestört, wurde in musikalischer Hinsicht eine wunderbare Traumaufführung realisiert. Nach ihren Rossini-Exploits mit Cenerentola, Tancredi und sogar Desdemona durfte man auf die Isabella von Violetta Radomirska besonders gespannt sein: und in der Tat scheint ihr diese „Marcolini“-Rolle ganz speziell zu liegen, kann sie doch hier wie sonst nirgendwo ihre herrliche, pastose Tiefe auskosten, die lockeren (nur ganz oben leicht ins Grelle gehenden) Höhen und ihre Koloraturgewandtheit unter Beweis stellen. Die Auftrittsarie wirkte noch etwas verhalten und liess (regiebedingt?) die verführerische Koketterie ihrer Cabaletta ein wenig vermissen. In der Arie zu Beginn des zweiten Akts, in der sie endlich ihr biederes Hausfrauenkostüm gegen ein wirklich verführerisches und ihre Figur betonendes Dessous austauschen konnte, nahm man ihr die Rolle am besten ab. Im Schlussrondo war sie dann einfach vokal umwerfend, mit einer Stimme, die zur Vollform aufgeblüht war und mit Variationen in der Wiederholung, die von so guten Geschmack waren, dass sie nicht nur höchsten Genuss boten sondern auch zu einem belcantistischen Lehrstück wurden. Wir können uns nur wünschen, diese begnadete Sängerin noch in weiteren Marcolini-Rollen zu hören, wie Clarice (La pietra del paragone), Ernestina (L‘equivoco stravagante) und sogar in den ernsten Hosenrollen eines Ciro oder eines Sigismondo. Da sie die beschaulichere Provinzkarriere am Jurasüdfuss einer grösseren internationalen Laufbahn offenbar vorzieht, setzen wir erst recht alle Hoffnung in eine weiterhin spannende Belcanto-Auswahl des Theaters Biel Solothurn, zumal sich hier auch weitere geeignete Kräfte finden. William Lombardi hat u.a. mit dem Rodrigo und dem Argirio bewiesen, dass ihm auch die kühnsten rossinischen Tenorrollen nicht zu schwer sind, und sein Lindoro bewies es erneut. Ich kenne praktisch keinen Tenor, bei dem man sich bei dem mörderischen „Languir per una bella“ nicht beklemmt fragt, ob er es wohl schafft. Doch in der Cabaletta, dem Duett mit Mustafa und der Arie im zweiten Akt (die herkömmliche: „Oh come il cor di giubilo“) zeigt sich, wie gut ihm die Partie liegt. Eine richtige Entdeckung war Michele Govi als Mustafà, der mit einem flexiblen und wohlklingenden Bariton diese Partie eines basso cantante bestens bewältigt. Auch Michael Raschle war ein solider Taddeo mit einem angenehmen runden Timbre. Rosa Elvira Sierra, die in Biel-Solothurn u.a. schon mit den grossen Partien der Amenaide, der Lucia und der Amina aufgefallen ist, begnügte sich hier – und das gehört zum Wesen eines richtigen Ensembletheaters – mit der Nebenrolle der Elivra, deren zwei Spitzentöne für den Effekt des ersten Finales freilich entscheidend sind. Zwei kleine Rollen waren traditionell mit Absolventen des Schweizer Opernstudios besetzt. Khachik Matevosyan sang einen vielversprechenden Haly. Amanda Schweri hatte dagegen als Zulma zu wenig zu singen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen; dafür durfte sie am Schluss ihren schönen Bauch zeigen, was ja im Opernbetrieb durchaus auch karrierefördernd sein kann. 

William Lombardi - Violetta Radomirska
Bild: Theater Biel Solothurn

Grösstes Vergnügen bereitete es, dem Sinfonie Orchester Biel zuzuhören, dessen Klänge in dem kleinen Theater mit seiner hervorragenden Akustik mit seltener Klarheit aus dem Orchestergraben strömten und wo ein nur kleiner Streicherteppich die von Rossini so zauberhaft eingesetzten Bläser umso besser zur Geltung bringen liess, und das nicht nur in der wahrlich konzertanten Ouvertüre: Wie faszinierend schnatterte das Fagott mit Lindoro und Mustafà um die Wette! Wie virtuos begleitete die Oboe Lindoros zweite Arie und was für einen ebenso neckischen wie exzellenten Vorschlag baute der Oboist im letzten Takt seines solistischen Einsatzes ein! Und wie herrlich schnarrten die Streicher im Quintett sul ponticello! So viel Spielfreude, so detaillierte Partiturtreue ist kein Zufall, sondern der überlegten und überlegenen Leitung von Harald Siegel zu verdanken, einem musikalischen Naturtalent, das mit höchster Musikalität für rhythmische Prägnanz, fein abgestufte Dynamiken, agogische Tempogestaltung, sichere Choreinsätze und ein freies Atmen der Sänger sorgt. Und das Ganze funktioniert auch ohne Dirigierstab, der nur im Weg wäre, wenn Siegel zwischen die Musiknummern auch die Rezitative am Cembalo begleitet.
Eine bessere Propaganda in Hinblick auf die Bieler Abstimmung über die Orchesterreorganisation, für die sich die Künstler am Schluss der Aufführung auf Deutsch und Französisch stark machten, ist kaum denkbar!

Reto Müller (Besuchte Aufführung: Premiere vom 15. April 2011)

Weitere Aufführungen in Biel: 17., 19. April, 4., 6., 8., 10. Mai, 3., 17., 19. Juni; in Solothurn: 14., 19. Mai, 5., 8., 10., 15. Juni. Gastspiele in Burgdorf (28. April), Baden (21. Mai) und Visp (28. Mai).

Vorabdruck aus «Mitteilungsblatt» der Deutschen Rossini Gesellschaft, Nr. 53 (Juni 2011)

16. April 2011

"Le Comte Ory" an der Met in einer "Provinz-Theater"-Fassung?

"Le Comte Ory" an der  Metropolitan Opera. Foto: Sara Krulwich/The New York Times

In einem Artikel der „The New York Times“ beschäftigt sich Anthony Tommasini mit der Frage, warum die Met im März 2011 eine ältere Version der Oper „Le Comte Ory“  von 1828 auf die Bühne brachte und nicht imstande war, eine neuere, wissenschaftlich fundierte Version einzustudieren, die im Januar 2011 in Zürich mit Cecilia Bartoli zu erleben war (Vorschau und Rezension von Reto Müller in diesem Blog). Im Finale des ersten Aktes sind hier z. B. 13 Solisten und und zwei gegeneinander singende Chöre statt wie gewohnt 7 Solisten und ein Chor zu hören. (Näheres zu den weiteren Änderungen in dieser neuen Edition im Bärenreiter-Magazin).

Der Streit über diese Frage hat offenbar dazu geführt, dass Philip Gossett, Professor an der Universität Chicago und renommierter Rossini- und Belcanto-Spezialist, einen Beitrag für das Programmheft verweigerte.

Er bedauert, dass die Met eine Standard-Fassung aufgeführt habe, „herausgegeben für Provinz-Theater, die  nicht in der Lage waren, die Musik so aufzuführen, wie sie von Rossini geschrieben wurde.“

(Zum Artikel von Anthony Tommasini „ CRITIC′S NOTEBOOK; Rossini Scholar Disagrees With Met“ in "The New York Times“ vom 9. April 2011)

Astrid Fricke (Dank an Reto Müller für den Hinweis auf den Times-Artikel)