30. Mai 2009

Spohrs Oper "Der Alchymist" in Braunschweig

Alchymist
Moran Abouloff (links) als Inez und Susanna Pütters als Sklavin Paola. Foto: Jochen Quast; Quelle: BZ vom 26.5.2009
Romantische Themen lieferten immer wieder den Stoff für große Opern, man denke nur an „Hoffmanns Erzählungen“ mit dem Sandmann-Motiv, an Hindemiths „Cardillac“ über einen genialen und besessenen Goldschmied und nun - in einer Inszenierung des Staatstheaters Braunschweig - „Der Alchymist“. Dabei handelt es sich um ein 1830 in Kassel uraufgeführtes Werk von Louis (Ludwig) Spohr (1784 – 1859), dem großen Sohn der Stadt Braunschweig, einer Stadt, in der unter Herzog Karl II in der Zeit bis 1830 eher Rossini-Opern zu hören waren (siehe Achim Lange „Joachim Rossini – Hausgott in Braunschweig"). Eine weitere einaktige „Comische Oper“ zu diesem Motiv, ebenfalls mit dem Titel „Der Alchymist“ von Joseph Schuster wurde 1778 im Kleinen Kurfürstlichen Theater in Dresden uraufgeführt, sie geht auf eine andere Vorlage zurück. Möglicherweise war sie Spohr bekannt.
Das Libretto der Spohr-Oper basiert auf einer Erzählung des amerikanischen Schriftstellers Washington Irving (1783 – 1859), eines Zeitgenossen. Aus Irvings Feder stammt auch die bekannte Figur des „Rip van Winkle“, welche noch 1999 als Vorlage zu einem Horrorfilm mit Jonny Depp diente. Irvings eindrucksvolle literarische Behandlung des Alchemistenthemas in der 1822 erschienenen Erzählung „Der Student von Salamanca“ aus der Sammlung „Bracebridge Hall oder die Charaktere “ kann hier im Internet nachgelesen werden.
Beide Bearbeitungen weisen sowohl Übereinstimmungen (Bühnenbild im ersten Aufzug) als auch Unterschiede auf. Bei Irving nimmt, anders als in der Oper, die Beschreibung des Charakters des Alchemisten den meisten Raum ein. Dem Bühnenwerk sind verständlicherweise weitere Handlungsstränge hinzugefügt. Zigeuner spielen in der Oper wie in der Erzählung eine Rolle, das maurische Element ist jeweils breit ausgeschmückt . Die Liebesgeschichte zwischen Inez, der Tochter des Alchemisten, und Don Alonzo, der in der Erzählung den Namen Antonio de Castros trägt, wird bei Irving nur angedeutet und nicht ausgeführt. Irving schildert das Sehnen des jungen Mannes nach der unerreichbar in Abgeschiedenheit lebenden Alchemistentochter, von einer Erfüllung seiner Liebe zu Inez ist auch am Ende der Erzählung nicht die Rede. Paola, die maurische Sklavin, bei Spohr eine Schlüsselfigur, taucht in der Vorlage nicht auf. Es gibt dort allerdings auch einen Nebenbuhler, einen fremden Cavalier, der erfolglos unter dem Turm, in dem Inez weilt, eine Serenade singt und sich dann entfernt, um, anders als in der Oper, nicht mehr aufzutauchen. Auch bei Irving rettet Antonio dem Alchemisten Don Felix de Vasquez nach einer Explosion, bei der die Bücher und Gerätschaften des Alten verbrennen, das Leben. Danach ist der junge Mann bestrebt, ihm nachzueifern, um das Erbe des Alchemisten fortzuführen. Das ist bei Irving bereits alles.
Neben der Figur des Alchemisten ist also das Liebessehnen des jungen Antonio/ Alonzo das tragende Element in beiden Werken. In der Oper findet es Erfüllung, nicht in der fast zeitgleich verfassten romantischen Vorlage.
Der Alchemist, welcher im Mittelalter nach Elixieren zur Lebensverlängerung suchte, die Verwandlung „unedler“ Metalle in Gold anstrebte und angeblich mit übernatürlichen Kräften, auch dem Teufel selbst, im Bunde stand, ist in vielen Kulturen bekannt und wird bis heute in der Kunst behandelt. Es ist nachvollziehbar, dass dieser Typus besonders in der Romantik wieder auflebte. Die Premiere des „Alchymisten“, dieser sehr selten aufgeführten Spohr-Oper, die in Opernführern eher beiläufig erwähnt wird und als eine der ersten romantischen Opern in Deutschland gilt, fand am 24. 5. 09 am Staatstheater Braunschweig statt (Videofilm siehe www.theater-tv.com).

Weitere Aufführungen wird es am 16., 18., 24. und 28. Juni geben. Radioübertragung auf NDR Kultur am 18. Juni, 20 Uhr.
In der Premiere wurde die Ouvertüre unter der Leitung von Christian Fröhlich zu einem Höhepunkt des Abends. Das Orchester kostete die Klangfarben triumphierend aus. Auf dem Vorhang wechselten Bilder von Landschaften, um die jeweiligen „Stimmungen“ der Partitur zu verdeutlichen.
Das erste Bild zeigt sehr eindringlich, wo die heutigen „Zigeuner“, die gegen Geld zur Unterhaltung der Herrschaften auftreten, zu suchen sind; sie „quollen“ geradezu aus einem Container heraus und zeigten sich als arme Migranten, denen gleich bei ihrer Ankunft die Pässe abgenommen werden.
Die Musik erinnerte stark an die bekannteren romantischen deutschen Opern, wie „Der Freischütz“ von Weber. Sie enthält schöne Soli ebenso wie einige Duette und Ensemblestücke. Der Chor wird stark gefordert und tritt mal im altgriechischen Statuen-Look auf, dann wieder, „Fandango“ tanzend, im spanischen Gewand. Wie bereits erwähnt, gibt es bei Spohr eine maurische Sklavin Paola, welche Ramiro, den Inez-Verehrer und Nebenbuhler des Alonzo, liebt. Sie wird von Susanna Pütters verkörpert, die schon in vielen Rollen in Braunschweig glänzte. Sowohl stimmlich als auch darstellerisch meisterte sie mit strahlendem Sopran die Anforderungen der Rolle. Sie darf eine Intrige spinnen, ihre mit Koloraturen verzierte Eifersuchtsarie war einer der Höhepunkte der Aufführung. Statt zur „Guitarre“ ihre „schwermüthige maurische Ballade“ zu singen wie in der Irving-Erzählung, wird Inez in der Spohr-Oper im ersten Aufzug effektvoll von einer auf der Bühne spielenden Harfenistin (Ursula Fatton) begleitet. Moran Abouloff setzte als Inez Akzente mit weichem, kultiviertem Sopran. Sehnsuchtsvoll, doch weitgehend vergeblich schmachtet sie nach Liebe. Es ist Heiterkeit erregend, wie beide, Alonzo und Inez, einander zunächst „verfehlen“, wie Alonzo, der ihr aus dem „Turm“ herabhängendes Haar ergreifen möchte, daneben fasst. Bei aller Quirligkeit, allen komischen Akzenten, welche die Regie ihr abverlangten, vermochte Frau Abouloff jedoch auch als um den Vater bangende Tochter zu überzeugen, eine Gratwanderung.
Glaubwürdig und eindrucksvoll wurde die Partie des „Alchymisten“ von Bernd Weikl gesungen und dargestellt. Seine Angst und Erregung angesichts der drohenden Inquisition vermochten zu berühren, obwohl diese Rolle mit sehr viel Sprechgesang verbunden ist. Überhaupt enthält die Oper sehr viele gereimte Rezitative, die Spohr wohl in anderen Opern noch verschwenderischer einsetzte.
Jörg Dürmüller als Don Alonzo gestaltete seine Tenor-Rolle als Liebhaber und Retter mit der gebotenen „Schüchternheit“ und schmelzenden Arien. Jan Zinkler trat auf als Don Ramiro de Loxa. Er besitzt einen ausdrucksvollen, unverwechselbaren dramatischen Bariton. In dieser lyrischen Partie eines skurpellosen und gerissenen Liebhabers blieb er vergleichsweise blass.
Schnell wurde deutlich, dass der Regisseur Uwe Schwarz sich nicht scheute, alles aufzufahren, was seiner Meinung nach verstaubt-romantisch ist: Liebe, symbolisiert durch Sonnen und Monde, die von den Chormitgliedern an Stöcken geschwenkt wurden, sowie durch ein großes rotes schwebendes Luftballonherz. Hinzu kommt das Doppelgängermotiv: Die Puppe, die Ramiro im 2. Aufzug auf dem Schoß hält , später entkleidet und malträtiert, ist eine Anspielung hierauf. Dieser Puppe werden nicht nur die Hammelbeine lang gezogen, ein Akt der gespielten Selbstverstümmelung? Wenn man das Programmheft liest, kommt man auf diese Idee. Nur hätte die hier inszenierte angebliche Lustfeindlichkeit der Romantik , besonders, wenn man an die „keusche“ Vorlage Irvings denkt, eher zu Alonzo gepasst.
Der Stoff wurde bereits von Spohr und seinem Librettisten Pfeiffer trivialisiert und daher ist es nur folgerichtig, dass die Inszenierung an der Ernsthaftigkeit der Vorlage zweifelt und die „Ironie“ der Romantik herausstreicht. Anders als in der Erzählung Irvings sind im Libretto die komischen Elemente tatsächlich nicht zu übersehen. So geht es beispielsweise von einem Bewerber um die Gunst der Inez aus, dem es nicht so sehr nach „Alchemie“ gelüstet, sondern der wiederholt seinem sehr bodenständigen Wunsch Ausdruck verleiht, „ er wäre doch so gerne Schwiegersohn.“ Auch die plötzliche „Auferstehung“ des vermeintlich tödlich verwundeten Nebenbuhlers Don Ramiro de Loxa am Ende wirkt alles andere als natürlich. Das alles mag dazu beigetragen haben, dass der Oper kein dauerhafter Erfolg beschieden war. Spohr, der noch mehrere andere Opern schrieb, hielt sie jedoch vermutlich für seine beste und musikalisch ist sie weitgehend ein Erlebnis.
Misst man den Erfolg einer Produktion am Schlussapplaus, können die Akteure sehr zufrieden sein. Es gab viel Beifall, das Publikum klebte förmlich auf den Sitzen und wollte sich gar nicht fortbewegen. Mag das zum Teil auch einem Braunschweiger Lokalpatriotismus geschuldet sein, gebührt dem Staatstheater doch Dank dafür, dieses Werk ausgegraben und in einer musikalisch überzeugenden Fassung auf die Bühne gebracht zu haben.
(Autorin: Astrid Fricke)

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