4. Juli 2010

Giovanni Simone Mayrs "Medea in Corinto" in München

Giovanni Simone Mayr komponierte 1813 für Neapel auf ein Libretto Giuseppe Felice Romanis seine "Medea in Corinto", eine Oper mit "kräftigen Tönen für unruhige Zeiten" (Anselm Gerhard im Programmheft). Für Mayr handelte es sich  um den ersten Auftrag für das damals führende Opernhaus in Italien. Unruhig waren die Zeiten in der Tat - noch beherrschte Napoleon Italien und seit 1808 war sein Schwager Joachim Murat König von Neapel, aber Napoleons erste Niederlagen zeichneten sich ab. Am 19. Oktober 1813 fand die Völkerschlacht bei Leipzig statt und Napoleon wurde geschlagen. Das war knapp sieben Wochen vor der Premiere der Oper. Bereits 1 1/2 Jahre später, im Mai 1815, endete die Herrschaft Murats in Neapel und die Bourbonen kehrten ein zweites Mal auf den Thron zurück. Bereits seit Herbst 1813 lag eine Restauration mit all ihren Schrecken im Bereich des Denkbaren. "Niemand in Neapel hatte vergessen, mit welcher Brutalität die zurückkehrenden Bourbonen-Könige 1799 nach Niederschlagung der Republik vorgegangen waren" (Anselm Gerhard).



Dies ist der historische Hintergrund einer Oper im "Style Empire" mit heroischen Affekten, nach französischer Art instrumentierten Rezitativen, frenetischer Romantik und gleichzeitig klassischer, an Mozart erinnernder Schönheit. Mit "Medea" schuf der heute fast vollständig vergessene, seinerzeit aber berühmte und erfolgreiche Komponist, 1763 in Mendorf geboren und 1845 in Bergamo verstorben, sein Hauptwerk. Eine weitere seinerzeit berühmte großartige Oper Mayrs ist seine "Fedra", die 2008 in Braunschweig aufgeführt und bereits in diesem Blog besprochen wurde.

Es ist ein großes Verdienst des Nationaltheaters München im Rahmen der Münchner Opernfestspiele 2010, nach einer Münchner konzertanten Erstaufführung der Oper im Jahre 1963, das Werk nunmehr szenisch auf die Bühne zu bringen. Damit wandelt die Bayerische Staatsoper auf den Spuren des Theaters St. Gallen, welches 2009 die "Medea" ebenfalls in Szene setzte (Inszenierung David Alden).  Für Rossinianer interessant und aufschlussreich ist, dass die Rolle der Titelheldin 1813 in Neapel mit Isabella Colbran, der späteren Ehefrau Rossinis, besetzt wurde. Sicherlich eine Paraderolle für diese Sängerin, denn: "Sit Medea ferox" - "Medea muss wild sein"  - so lautete das Motto, das der Librettist seiner Medea voranstellte. Dennoch wird Medea nicht nur als Zauberin und Rasende charakterisiert, welche Furien beschwört und ihren Kindern den Tod bringt, sondern sie zeigt in ihrer ersten Arie, begleitet von einer Geigerin auf der Bühne, weiche, sinnliche und zarte Töne. Vorherrschend ist jedoch das Wilde, die Raserei. Nadja Michael steht hier ganz im Mittelpunkt und lebt in der Rolle, ihre Stimme klingt in allen Registern ausgewogen.

Neben Nadja Michael ist ganz besonders das Orchester unter der Leitung von Ivor Bolton zu loben. Es holt die feinsten Nuancen aus der Partitur hervor und macht die jähen Tonart- und Stimmungswechsel transparent. Mit Recht erhielt das Orchester den größten Beifall.

Auch die anderen Sänger überzeugten, mir gefiel besonders die junge aus St. Petersburg stammende Elena Tsallagova als Creusa mit herber, klarer Stimme. Im zweiten Akt geht Mayr soweit, ihre Arie weitgehend nur von einer Harfe begleiten zu lassen - die Interpretin sitzt hier auch auf der Bühne. Alek Shrader als Creusas jugendlicher einstiger Verlobter Egeo steigerte sich im Verlauf der Oper zu kraftvollem tenoralen Glanz. Weitere Sänger: Alistair Miles als Creonte, der zuverlässige, kultiviert singende großartige Ramon Vargas, diesmal mit "gebremstem Schaum", als untreuer Giasone, Kenneth Roberson als Evandro und Laura Nicoresco im hinreißenden Biedermeier-Reifrock als Ismene.

Die Inszenierung hinterließ beim Publikum einen zwiespältigen Eindruck. Es gab viel Applaus für die Sänger und für das Orchester, aber auch kräftige Buhs, die wohl der Inszenierung Hans Neuenfels galten. Dieser hat sich wiederholt mit dem Medea-Stoff beschäftigt. 1976 inszenierte er die Medea von Euripides und 1994 am Wiener Burgtheater Grillparzers: "Das goldene Vlies". In der Opern-Inszenierung wird der "zeitlose" gesellschaftliche Hintergrund: Krieg, Heimatlosigkeit, Fremdheit, Feudal- und Schreckensherrschaft, Gräuel, überdeutlich hervorgehoben. Der Wildheit, Raserei und Rachsucht Medeas wird dadurch die Schärfe genommen. Bewusst setzt der Regisseur Medeas Grausamkeit in Beziehung zu einer noch grausameren Umwelt. Der parallel zu den verhandelten individuellen Konflikten laufenden Bilderflut von Massen-Erschießungen, Vergewaltigungen und Folterszenen kann sich der Münchner Opernbesucher im Festtagsgewand kaum erwehren.

Im Libretto von 1813 soll die Erregung des Publikums noch durch heute vergleichsweise harmlos erscheinende Regie-Anweisungen wie "Flammen hüllen die Bühne ein" ..."Sie (Medea) überquert die Bühne in ihrem Wagen, der von zwei Drachen gezogen wird" hervorgerufen werden. Auf äußerliche Effekte, "Zauberkunststücke" wird abgestellt. Aber eine Gruppe Bewaffneter mit Maschinengewehren im Obergeschoss, die wahllos auf die unten Stehenden schießt -  das ist letztlich auch nur Bühnentheater.

Dennoch gibt es für mich große Pluspunkte: Für das grandiose Bühnenbild: ein Tempel, auf dessen Dach ein niedliches Einfamilienhaus steht, das in der Schluss-Szene sich löst und himmelwärts fährt - "die Welt bricht aus den Fugen." Dann die Aufteilung in "öffentliches Untergeschoss" mit Säulen und möblierte private Räume darüber. Auch die Chorführung und der Einsatz des Balletts mit Hymen und Amor gefielen ebenso wie opulente Kostüme oder die unkonventionelle, oft fein ausgearbeitete Personenführung. Nadja Michael bewies nicht nur stimmlich Format, sondern zeigte bis hin zur gelenkigen Verbeugung am Schluss sportliche Qualität. (Weitere Informationen mit Szenenausschnitten und Interviews in einem Videofilm (Opern.TV) auf der Internetseite der Bayerischen Staatsoper).

Astrid Fricke (Besuchte Vorstellung am 29. Juni 2010)

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