Hingefahren nach Bad Schwalbach sind wir voller Vorfreude: Schließlich sollten wir dort im Kurhaus im Rahmen des Rheingau Musik Festivals Gelegenheit haben, wieder einmal eine der selten gespielten Opern unseres Rossini zu hören. Aber den Heimweg nach der Premiere einer Aufführung der Kammeroper München haben wir dann doch mit etwas gemischten Gefühlen angetreten. Doch alles der Reihe nach.
La gazza ladra – Die diebische Elster – jeder kennt die fröhliche Ouvertüre mit ihrem charakteristischen Trommelwirbel zu Beginn, aber die Oper selbst ist wenig bekannt. Wider Erwarten ist dies keineswegs ein heiteres Stück. „Melodramma“ nennt es der Librettist und melodramatisch, ja hart am Rand des Tragischen, geht es da in der Tat zu. Die Handlung basiert angeblich auf einer wahren Geschichte: Eine Dienstmagd in der französischen Provinz wird verdächtigt, silberne Löffel gestohlen zu haben, für dieses abscheuliche Verbrechen zum Tod verurteilt und hingerichtet, bevor man dahinter kommt, dass es in Wirklichkeit die böse Elster war, die sich an den Löffeln vergriffen hatte. In unserer Oper allerdings wird das junge Mädchen im letzten Augenblick gerettet und kann muntere Finalweisen anstimmen.
Rossini, der das Libretto „bellissimo“ fand, hat seine Oper für ein groß besetztes Orchester geschrieben: 4 Hörner, 3 Posaunen und 3 Schlagzeuger neben dem sonst üblichen Apparat – also mit weniger als 45 Musikern ist diese Partitur nicht adäquat zu realisieren. Das Markenzeichen der Münchner Kammeroper aber ist die Reduzierung auf zehn Musiker, und das mag ja bei den „Lustigen Nibelungen“ von Oscar Strauss angehen, ist aber in unserem Fall äußerst fragwürdig.
Nichts gegen die exzellenten Instrumentalisten, die sich an diesem Abend in Hochform zeigten: Trotz immenser Schwierigkeiten für jeden Einzelnen war kein falscher oder auch nur unschöner Ton zu hören. Aber das nicht unbedingt geschickte Arrangement ließ nicht einmal das klangliche Niveau eines guten Salonorchesters aufkommen, und die unglückliche Verwendung eines Bandoneons (im Programm als Akkordeon deklariert) mit seinen näselnden Tönchen drückte den Klang weiter in Richtung Petersburger Straßenmusikanten.
Nichts gegen die exzellenten Instrumentalisten, die sich an diesem Abend in Hochform zeigten: Trotz immenser Schwierigkeiten für jeden Einzelnen war kein falscher oder auch nur unschöner Ton zu hören. Aber das nicht unbedingt geschickte Arrangement ließ nicht einmal das klangliche Niveau eines guten Salonorchesters aufkommen, und die unglückliche Verwendung eines Bandoneons (im Programm als Akkordeon deklariert) mit seinen näselnden Tönchen drückte den Klang weiter in Richtung Petersburger Straßenmusikanten.
Wir hatten uns so auf den erwähnten Trommelwirbel zu Beginn gefreut. Schließlich hat er eine im Stück verankerte Bedeutung als Begleitmusik auf dem Marsch zur Hinrichtung. Aber hier? Leider war keiner der 10 Musiker in der Lage, eine Trommel zu rühren, und so fing alles mit ein paar vom Horn allein vorgetragenen belanglosen Dreiklangsübungen an – erste herbe Enttäuschung.
Gesungen wurde auf Deutsch in einer Neuübersetzung des Regisseurs Dominik Wilgenbus. Verstanden haben wir wenig vom Text, aber hier eine Kostprobe: statt „Mille furie nel petto mi sento“ hieß es in schwer nachvollziehbarer Nachahmung eines gewissen Meisters aus Bayreuth: „Ist mein Busen der Boden des Bösen?“. Man konnte diesen Text an der Abendkasse kaufen. Es war nicht unbedingt übertriebene Sparsamkeit, die uns darauf verzichten ließ.
„Die Inszenierungen setzen neben dem poetischen Einsatz einfacher Mittel vor allem auf die komödiantischen Qualitäten der jungen Sängerinnen und Sänger“ (Originaltext Kammeroper München). So weit, so gut. Die komödiantischen Qualitäten waren ziemlich ungleich verteilt, und um einfache Mittel handelte es sich in der Tat – auf der ansonsten leeren Bühne waren vier Stehleitern poetisch eingesetzt, an denen traurig eine sparsam mit bunten Glühlampen bestückte Girlande hing.
Foto: Rheingau Musik-Festival in Premieren-Kritik der Wormser Zeitung
(diese Seite enthält auch ein Video zur Aufführung)
Im ersten Akt hielt man sich noch weitgehend gradlinig erzählend an die Vorlage Rossinis, aber nach der Pause kamen dann Schere und Rotstift ausgiebig zum Einsatz und stutzten das in reiner Spielzeit 3 ¼ stündige Werk auf das bekömmliche Maß von 2 ½ Stunden plus 30 Minuten Pause zurecht, wobei es dann am Ende zwangsläufig etwas Hals über Kopf zuging.
Für die schlimme Elster, die den ganzen Schlamassel anrichtet und auch gelegentlich etwas krächzen darf, hatte man sich wirklich etwas Sinnvolles ausgedacht: als flügelschlagende Stockpuppe drehte sie schon während der Ouvertüre eine Runde durchs Publikum und war dann auch über weite Strecken im ersten Akt auf der Bühne präsent. Das machte Sinn. Im zweiten Akt gab es dann Ausflüge in die Tiefenpsychologie. Im Gefängnis wird die arme Ninetta das Opfer von bösen Träumen und Visionen, in denen die Elster dämonisiert in Gestalt von schwarzen und weißen Vogelfedern auftaucht. Auch das war noch nachvollziehbar, bis schließlich diese phantasievollen Zutaten in der Gerichtsszene und im Finale leider zu reinem Klamauk entarteten.
Natürlich hatten wir nicht erwartet, Rossinis Musik hier von Assen des Gesanges vorgetragen zu hören. Aber da gab es dann doch wenigstens zwei sehr, sehr positive Überraschungen. Simona Eisinger hieß die junge Sängerin, die die Rolle der Ninetta jugendlich frisch und in jeder Hinsicht überzeugend zu gestalten wusste und auch den Anforderungen der in dieser Oper allerdings sparsam eingesetzten Koloraturen durchaus gewachsen war. Die Rolle ihres hilfreichen Freundes Pippo, bei Rossini ein Contralto als Hosenrolle, sang Thomas Lichtenecker, ein Altus, also ein Mann mit der hohen Stimme, wie sie heutzutage vorzugsweise in der Barockmusik zum Einsatz kommt, und die in etwa die von Rossini geforderte Tessitura hat. Und das war bei aller anfänglichen Skepsis dann wirklich ein Erlebnis. Das einwandfrei gesungene und schön anzuhörende Duett Ninetta – Pippo im zweiten Akt war der absolute Höhepunkt dieser Aufführung.
Musikalisch ebenso hörenswert waren die stimmlich gut ausbalancierten Ensembles, ohnehin die besten Teile dieser Partitur, in denen auch die anderen Sänger gediegene Gesangskultur demonstrieren konnten. Nennen wir stellvertretend für die vielen anderen Peter Maruhn, der dem bösen Bürgermeister seinen wohlklingenden Bass lieh, allerdings für die Verführungsversuche bei der jungen Ninetta noch etwas Übungsbedarf in diesem Metier erkennen ließ. Eigentlich der Einzige, der uns weniger gefallen hat, war Giannetto, den Ninetta am Ende abkriegt und der sich zwar lautstark bis zum hohen Cis aufzuschwingen wusste, dabei aber jeden tenoralen Schmelz vermissen ließ. Wieder einmal wurde in dieser Aufführung deutlich, dass diese Art von Musik nur dann ihre volle Schönheit entfalten kann, wenn sich erstklassige Sänger ihrer annehmen.
In den freundlichen Schlussapplaus hinein hörte man ein schüchternes „Viva Rossini“. Eigentlich hätte der Mann das ruhig lauter rufen können, aber vielleicht hätte sich der Meister auch nach dieser Aufführung schamhaft weggeduckt. Trotzdem: Eine der weniger gespielten Opern Rossinis zu hören ist immer ein Gewinn, und wer sich den verschaffen will, hat dazu noch ab 19. August im Hubertussaal, Schloss Nymphenburg in München, Gelegenheit.
Friederike und Claus Louis (besuchte Vorstellung 15.07.2010)
Ein sehr informativer und ausgewogener Bericht! Auch die „Hamburger Kammeroper“ im Allee-Theater in Hamburg-Altona bringt Opern in deutscher Bearbeitung und mit eher kammermusikalischer Begleitung, wahlweise mit oder ohne Vier-Gänge-Opernmenü. Wenn es dort aber Raritäten gibt – wie „Die verkehrte Braut“ von Rossini (Besuch anlässlich der DRG-Jahreshauptversammlung 2002), „Der Blitz“ von Halévy oder „Casanova“ von Lortzing -, nimmt man den auf sieben oder acht Instrumente reduzierten Orchesterklang gerne in Kauf. Leider sind aber auch dort „gängige“ Werke gefragter und Raritäten immer seltener (die Kasse dieses Privattheaters muss verständlicherweise ja auch stimmen), und so gibt es kommende Spielzeit „Der Liebestrank“, „Die Fledermaus“ und „Carmen“...das höre ich mir nun wirklich lieber in der Staatsoper an.
AntwortenLöschenVielen Dank für diesen spritzigen und informativen Bericht. Die aufregende, justizkritische und zur Entstehungszeit "tagesaktuelle" "gazza ladra" wurde in Bad Wildbad 2009 inszeniert, esg hat in diesem Blog ausführlich darüber berichtet. In Pesaro erlebte ich die Oper im Jahre 2007. Mir gefiel die Inszenierung mit dem aus lauter Röhren bestehenden Bühnenbild nicht besonders, dem unerwartet düsteren Stoff wurde sie aber gerecht. Die "Elster" war damals eine auf der Bühne herumturnende Artistin. Auch über diese Inszenierung findet sich ein Foto im Belcantoblog. Die erwähnten Inszenierungen gibt es auf CDs.
AntwortenLöschenDie Frage der Repertoirefähigkeit der Gazza ladra, wie sie in der Wormser Zeitung (siehe Link in der Rezension) aufgeworfen wird, hängt wesentlich vom Zugang des Opernpublikums zur Handlung ab. Wenn hier nicht über die damalige Rechtssituation aufgeklärt wird, dann kann die Story in der Tat heute vielleicht lächerlich und unglaubwürdig 'rüberkommen. Zum Zeitpunkt der Handlung konnte schwerer Diebstahl aber tatsächlich die Todesstrafe nach sich ziehen, und der Raub von Silber, insbesondere durch Dienstboten, erfüllte den Tatbestand schweren Raubes. Der äußere Ablauf der Geschichte ist gleichsam nur die erste Folie der Handlung. Im Kern wird gezeigt, was einem Menschen widerfahren kann, der unschuldig einer schweren Straftat bezichtigt wird und der der Situation hilflos ausgeliefert ist. Und dieses Thema soll nicht modern und repertoirefähig sein?
AntwortenLöschenDieter Kalinka