Foto: Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin |
...möchte man ausrufen, nachdem man anlässlich der Schlossfestspiele 2010 Verdis "La forza del destino - Die Macht des Schicksals" auf der Freilichtbühne des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin erlebt hat. Auch wenn man Vorbehalte gegenüber Open-Air-Aufführungen hat - hier wird man belehrt, dass "große Oper" draußen nicht nur optisch ein Genuss ist, sondern auch musikalisch eindrucksvoll zelebriert werden kann. Die Akustik ist so fein ausgesteuert, dass die Stimmen natürlich klingen; die Verve, mit der sich das Orchester ins Zeug legt, überträgt sich ohne Abstriche auf den Besucher.
Der Handlungsablauf und die zahlreichen Schauplätze gelten als schwer realisierbar in einem Opernhaus. Auf dem Alten Garten, in der Bühnenlandschaft von Lutz Kreisel vor dem Museum am Rande des Schweriner Sees merkt man nichts von diesen Beschränkungen. Die Bühne ist außerordentlich in die Breite gezogen. Die lange Museumstreppe, das Museum selbst, wird integriert und durch Treppenstufen und Quader geschickt ergänzt, so dass man kaum Original und Bühnenarchitektur unterscheiden kann. Nach vorne hin bildet eine Sandbahn die Begrenzung, hier kann auch eine von Pferden gezogene Kutsche im raschen Trab einen eindrucksvollen Abgang wagen. Lässt man die Blicke schweifen, sieht man rechts den Schweriner See mit ruhig dahingleitenden Segelbooten, links streift das Auge den aus Backstein errichteten wuchtigen Dom.
Hier waren Könner am Werk: Da wäre zunächst das Orchester unter der Leitung von Martin Schelhaas zu nennen. An einem der heißesten Tage des Jahres musizierte es in einem historisch anmutenden, von wuchtigen Säulen begrenzten Nebengebäude. Die Musiker blieben im Dunkel, nur der sich bewegende Arm des Dirigenten, weiß angestrahlt, war für das Publikum sichtbar. Schelhaas war mit raschen Schritten zu seinen Leuten geeilt, hatte sich noch im Laufen seines Sakkos entledigt und unmittelbar danach setzte die Musik ein. Die "Schicksalsmelodie", welche vor allem von Donna Leonora (Adva Tas) in einer großen Arie wieder aufgegriffen wurde, bestimmte die Ouvertüre.
Auch dem Regisseur Peter Lotschak merkte man die Erfahrung mit dem Bühnenraum an. Große Chorszenen wechselten ab mit ruhigen Sequenzen, wenn beispielsweise Leonora allein auf der Szene die Stufen hinauf- und hinabeilt, mit bewegendem Gesang Eingang in der Kirche - symbolisiert durch ein in der Dunkelheit angestrahltes Kreuz - sucht und zunächst vergeblich an dem schmiedeeisernen Tor rüttelt. Auch das Duett zwischen Bariton (Konstantin Rittel-Kobylianski als Don Carlo) und Tenor (der inbrünstig singende junge Eduardo Aladrén als Don Alvaro) war fast kammerspielartig intim inszeniert. Die Akteure bewegten sich in weißen Lichtkegeln vor einer rot angestrahlten leinwandartigen Fläche.
Gewaltig der Chor, grandios die Spezialeffekte, nicht ohne ein Quäntchen Augenzwinkern, als wolle der Regisseur seinem Publikum Zucker geben. In großer Zahl und meist schwarzen oder sandfarbenen Gewändern marschierten oder tanzten sie auf den Schauplatz, um teilweise abrupt wieder abzurücken und nach dramatischen den lyrischen Passagen wieder Raum zu geben: Soldaten, Bauern, Mönche, Pilger, Kinder, Marketenderinnen, Bettler, Händler und Gaukler. Der Tod als schwarzer Kapuzenmann kam herbeigeritten; ein Land wurde während eines lang andauernden Krieges und zwischen Patriotismus und Ernüchterung schwankend dargestellt. "Viva la guerra" singt Preziosilla (Sarah van der Kemp). Das Schlachtengetümmel entlud sich in der Musik und fand auf der Bühne in einem Kanonenfeuerwerk mit durch die Luft fliegender Fahne seine Entsprechung.
Ebenso zwiespältig wie der Krieg wurde die Kirche dargestellt; kein Wunder, dass der Zensor zu Verdis Zeiten an den Bettelszenen Anstoß nahm, werden die Bettler doch sehr unwirsch von Fra Melitone (Martin Winkler in einer Buffo-Paraderolle) zurückgewiesen.
Verdi komponierte 1860 seine Oper in einer Zeit blutiger Auseinandersetzungen: Im Norden Italiens gab es Kämpfe gegen die österreichische Besatzung, in Süditalien und Sizilien erhob man sich gegen die Bourbonen und in Mittelitalien gegen den Vatikanstaat. Verdi wurde Deputierter in Turin, war also selbst aktiv politisch tätig, und unterstützte republikanische Freiheitsbewegungen. Dies spiegelt sich in seinen Opern wider, auch in dieser. Eigensinnig verteidigte er seinen, an Shakespeare ausgerichteten Kunststil, verband tragische mit komischen Szenen und schuf Raum für Gestalten aus dem Volk wie Fra Melitone als einfachem Mönch oder Preziosilla als Marketenderin.
Weitere Sänger in der am 16.7.2010 besuchten Aufführung waren: Shavleg Armasi als Padre Guardiano, Olaf Plassa als Marchese di Calatrava, Kay-Gunter Pusch als Trabuco, Sebastian Münch als Aclcade, Markus Vollberg als Feldarzt, Undine Labahn als Bettlerin.
Die Oper wird noch bis 1. August 2010 donnerstags bis sonntags jeweils 21 Uhr aufgeführt. Die Solopartien sind alternativ besetzt. Besonders erwähnenswert ist Capucine Chiaudani, welche ebenfalls die Donna Leonora singt und unter anderem bereits als Fedra in der Oper von Simon Mayr im Braunschweiger Staatstheater zu bewundern war. Wer sich auch auf Schwerin mit seinem Schloss und den See einstimmen möchte, dem empfehlen wir einen Blick in unser Kurzvideo.
Astrid Fricke (Besuchte Vorstellung am 16. Juli 2010)
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