6. Juli 2010

Im Belcanto-Himmel - Rossinis "La donna del lago" in Paris

Paris. Metro-Station Opéra. Wir kommen die Treppe aus dem Untergrund hoch, drehen uns um und auf diesen Augenblick freuen wir uns schon seit Wochen: vor uns das Gebäude, das wir – mit Verlaub - für das schönste in ganz Paris halten: „Académie Nationale de Musique“ steht in goldenen Lettern daran, bekannt als „Palais Garnier“, nach seinem Erbauer 1875 benannt und für uns einfach „die alte Oper“. Pracht und Prunk einer untergegangenen Epoche, ganz wie die Musik, die zu hören wir heute hierher gereist sind. An der Fassade Büsten von Komponisten, die man hier für die größten hält. Wir suchen nach ihm und da ist er - links außen: Rossini.

Académie Nationale de Musique, Opera National de Paris

Paris und Rossini – ein Kapitel für sich. Als er hier lebte, gerade mal zwei Straßen weiter, da war er der Abgott der Pariser Gesellschaft, und selbst ein so strenger Kritiker wie Berlioz zog vor ihm den Hut. Und heute? Gewiss, es gibt eine Rue Rossini, ziemlich versteckt und wenig attraktiv, aber das Appartement, in dem er wohnte und in dem die kulturelle Elite seiner Zeit bei ihm zu Besuch war, wird zur Zeit zu Büros und Eigentumswohnungen umgewidmet, nachdem es jahrelang einen „Asia-Club“ beherbergt hat und nur eine von der Straße aus kaum lesbare Tafel an den einstigen Bewohner erinnert. Sic transit gloria mundi.

Immerhin – die Pariser Oper hat sich mal wieder auf ihn besonnen und uns mit der Inszenierung eines seiner Werke hierher gelockt: „La donna del lago“, in Paris zuletzt 1824 aufgeführt, eine der sogenannten ernsten Opern, die Rossini für Neapel und in die Kehle seiner großen Liebe Isabella Colbran komponiert hat. Das Sujet hat der Meister dem Vernehmen nach ausnahmsweise selbst ausgesucht: Ein Gedicht des schottischen Schriftstellers Walter Scott, dem einst viel gelesenen Erfinder von sentimentalen Märchen für Erwachsene, der heute eher der Trivialliteratur zugezählt wird. Mit diesem ersten Anstoß zur „Scottomanie“ hat Rossini dann eine wahre Lawine von schottischen Opern losgetreten, der wir Werke wie Bellinis „ Puritaner“ und Donizettis „Lucia di Lammermoor“ verdanken.

La grande salle du Palais Garnier 
(Foto: The Opera Palais Garnier, Bildschirmfoto von "Virtual visit")

Die Story dreht sich um Jakob V., den schottischen König und Vater der berühmten Maria Stuart, die für einige Turbulenzen in der englischen Geschichte gesorgt hat. Jakob (Giacomo, verkleidet als Uberto – Tenor) ist historisch bekannt als notorischer Schürzenjäger. Eine dieser Schürzen trägt in unserer Oper Elena (Sopran), Tochter von Jakobs Erzfeind Duglas (Bass), das ist der, der es bei Fontane „getragen hat sieben Jahr“ – erinnern Sie sich? (PS: unsere Schreibung der Namen entspricht der in der Partitur der Fondazione Rossini di Pesaro). Der König ist also  hinter Elena her, die zwar einen gewissen Malcom  (Hosenrolle für die Contraaltistin) innig liebt, aber von ihrem Vater an den Clanchef Rodrigo (weiterer Tenor) versprochen ist als Belohnung für dessen gegen den König gerichtete subversive Tätigkeit. Nachdem er diesen aufmüpfigen Rodrigo im Duell eliminiert hat, verzichtet der König zum Schluss großmütig auf die Eroberung Elenas und verzeiht sowohl Duglas als auch Malcom, die gegen ihn vergeblich Krieg geführt haben.

Leute, die das beurteilen können, versichern einstimmig, dass das Libretto, zu dem das Epos des Walter Scott für Rossini verarbeitet wurde, in seiner Ansammlung von Klischees einer Travestie des Originals gleichkommt – aber wie üblich lässt uns Rossini mit seiner Musik darüber großzügig hinweghören. Optisch haben sich Librettist und Komponist das Ganze durch und durch schottisch gedacht: so singen etwa schottische Landleute und Jäger den Eingangschor in einer wilden Gebirgsszenerie am berühmten Loch Katrine, dem See, auf dem Elena rudernd ihre erste Canzone singen soll – ein Bild, das bei der Premiere in Neapel 1819 Furore machte.

Wenn aber in Paris der Vorhang hoch geht, reiben wir uns erstmal erstaunt die Augen. Statt ins schottische Hochland schauen wir auf eine riesige Kolonnade mit korinthischen Säulen und mehreren Etagen, die in der Mitte teilbar ist. Im Laufe des Abends rückt dieses Ungetüm immer wieder auseinander, um den Blick dahinter freizugeben, beispielsweise auf eine Hochgebirgslandschaft in der Tradition verstaubter Prospektmalerei. Für dieses Bühnenbild zeichnet Ezio Frigerio verantwortlich, der ausgiebig für Giorgio Strehler gearbeitet hat und in seinem Metier als einer der ganz Großen gilt. Nun erstaunt es uns schon nicht mehr, wenn vor der Kolonnade nicht etwa schottische Landleute und Jäger fröhlich trällern, sondern ernste Herren im Frack und Damen in Abendtoilette mit Sektgläsern in der Hand ziemlich unbeweglich herumstehen.

Le grand foyer
(Foto: The Opera Palais Garnier, Bildschirmfoto von "Virtual visit")

Bewegung kommt dann in die Szenerie, wenn einige Mitglieder des Balletts sich ohne sichtbare Motivierung mit lebhaften Sprüngen unter die steife Partygesellschaft mischen. Wir fangen an, uns zu fragen, was wohl der Regisseur, der Spanier Lluis Pasqual, der immerhin schon in Pesaro aktiv gewesen ist, damit ausdrücken will. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen äußert er sich nicht im Programmheft, aber sobald die eigentliche Handlung einsetzt, merken wir auch so, was seine Absicht ist. Elena, die Dame vom See, kommt nicht in einem Kahn, sondern taucht in einem durch leicht bewegte Lichtprojektion angedeuteten Wasser aus der Versenkung auf wie einst Nessie, nur viel schöner anzusehen in ihrem juwelenbesetzten Prachtgewand.

Exakt die gleiche prächtige Kleidung tragen auch die anderen Protagonisten. Aktion wird nur minimalistisch angedeutet, dafür steht man vorzugsweise vorn am Bühnenrand und singt frontal ins Publikum mit einer Gestik, von der wir glaubten, dass sie in der Oper schon vor Jahrzehnten abgelegt wurde. Aha – verstanden ! Es soll also angedeutet werden, dass diese Art Oper am besten als konzertante Aufführung in Kostümen darzubieten ist, wobei die Szenerie, schön anzusehen, aber neutral, nur als Folie für die Repräsentation der Musik dient. Komposition und Gesang als Hauptsache, Handlung nicht so wichtig. Hat das vielleicht Rossini selbst auch so gesehen? Hätte der Regisseur also recht mit dieser Idee ?

Dem Publikum gefiel es jedenfalls und der einzelne Herr, der sich bei einem erneuten Auftritt des befrackten Chores ein „Buh“ abrang, muss sich ziemlich einsam vorgekommen sein. Überhaupt – unseren Genuss hat diese Sicht auf das Werk keinesfalls geschmälert, auch wenn wir schon das Wehgeschrei der Leute zu hören meinen, die da glauben, das Wichtigste bei Rossini seien seine Libretti. Das Wichtigste ist für uns letztendlich seine Musik und die Art, wie sie ausgeführt wird. Deswegen sind wir doch hergekommen und davon zu berichten wird es jetzt höchste Zeit.

Und da finden wir kaum Worte, die der Perfektion, die uns geboten wurde, gerecht werden könnten. Joyce DiDonato als Elena und Juan Diego Flórez als Giacomo-Uberto - ein Traumpaar, von dem man am Ende der Oper nur heftig bedauern kann, dass es nicht zum Happy End zusammenfinden darf. Bereits nach dem ersten Duett dieser Superstars der Belcanto-Szene gab es nicht endenwollenden Beifall, obwohl beide bereits die Bühne verlassen hatten. Schade eigentlich, dass die Inszenierung ihnen nicht erlaubte, ihre offensichtlich reichlich vorhandenen schauspielerischen Fähigkeiten auszuspielen.

Juan Diego Flórez und Joyce DiDonato (Foto: Operapoint)

Über die stimmlichen Qualitäten braucht man Belcanto-Fans nicht viel zu erzählen. Nur soviel: beide waren in unserer nachmittäglichen Aufführung (27. Juni) in Bestform und unsere hochgespannten Erwartungen wurden mehr als erfüllt. DiDonato: eine Stimme wie Stahl in Samt verpackt, gleichermaßen perfekt in der beseelten Gestaltung der lyrischen Teile wie im Feuerwerk halsbrecherischer Cabaletta-Koloraturen. Und wenn man die tenorale Kraftmeierei mancher anderen Sänger in seiner Rolle noch im Ohr hat, kann man Flórez nicht genug bewundern dafür, wie er neben der selbstverständlichen Bewältigung strahlender Spitzentöne und stilsicherer Fiorituren auch dem Anspruch cantabler Stimmführung im höchsten Maße gerecht wird. Erfreulich, dass beide Sänger dank sparsamer Anwendung der „messa di voce“ und durch intelligenten Gebrauch von Appoggiaturen weit entfernt blieben vom Manierismus, den man von anderen „Stars“ gewöhnt ist.


Joyce DiDonato - Tanti Affetti - Donna del lago, Paris 2010

Doch nicht genug mit diesen sängerischen Gipfelerlebnissen – auch die übrigen Protagonisten brauchten sich nicht zu verstecken. Daniela Barcellona in der ungemein dankbaren Contralto-Rolle des Malcom sang ihre beiden stilistisch noch dem Barock verpflichteten Arien mit sattem Stimmtimbre und agiler Beweglichkeit in den virtuosen Partien. Schwer hatte es Colin Lee als Rodrigo: den tenoralen Widerpart gegen Flórez zu singen ist keine beneidenswerte Aufgabe. Er hat sie brillant gemeistert. Die hohen Cs,mit denen die beide Tenöre vor ihrem Duell aufeinander losgehen, klangen bei ihm nicht weniger kraftvoll als bei Flórez, und wenn auch die von einem Baritontenor geforderte Tiefe etwas zu wünschen übrig ließ, so hat er uns doch an anderer Stelle mit einem wagemutig pianissimo angesetzten hohen C überrascht, wie es wenige Tenöre riskieren. Kompliment!

Gut zu hören auch der Bass Simon Orfila, der sich der Arie des Duglas mit voluminöser Stentorstimme annahm. Einer Arie übrigens, deren Komposition Rossini einem unbekannten Mitarbeiter anvertraute und die ihm so gefiel, dass er sie auch später nicht gegen etwas Eigenes austauschte, sondern sogar ein Motiv daraus an anderer Stelle in dieser Oper verwertete. Auch die ziemlich umfangreichen Rezitative hat Rossini größtenteils nicht selbst geschrieben. Von solch exzellenten Sängern gestaltet, klangen sie in dieser Aufführung sogar wie Musik. Positiv zu erwähnen bleibt weiter die Leistung des Chors, der viel zu singen hat in diesem Werk, sich aber regiebedingt fast ausschließlich so gut wie bewegungslos im Hintergrund aufhielt, zur Abwechslung aber auch mal ebenso steif vorn an der Rampe singen durfte.

Der Taktstock vor dem tadellos aufspielenden Orchester war Roberto Abbado anvertraut, dem der Ruf eines Rossini-erfahrenen Dirigenten vorausgeht. Amüsiert konnten wir zu Beginn des zweiten Aktes bei der wundervollen Arie des Königs den Kampf zwischen Dirigent und Flórez um das richtige Tempo verfolgen. Flórez  gewann und durfte sein Tempo singen. So etwas sollte natürlich in der fünften Vorstellung nicht mehr passieren. Schwamm drüber!

Fazit : Wir durften glückliche Zeugen einer Sternstunde sein und haben uns gefühlt wie im Belcanto-Himmel. Vier Tage vorher hatte es wegen eines Streiks der Bühnenarbeiter nur eine konzertante Aufführung gegeben. Auch wenn die szenische Realisation unserer Aufführung immer schön anzusehen war und keine Zumutungen bereit hielt, fragen wir uns doch, ob wir da wohl viel verpasst hätten.

Zuletzt noch ein Hinweis für alle, die traurig sind, dass sie für die wenigen Vorstellungen mit den beiden Stars in Paris keine Karten bekommen konnten: Da dies eine Koproduktion mit der Scala di Milano und Covent Garden in London ist, kann man vielleicht noch Karten ergattern, wenn die Inszenierung dort gezeigt wird. Wir wünschen viel Glück!

Claus und Friederike Louis (besuchte Vorstellung: 27.Juni 2010)

2 Kommentare:

  1. IraDie aus Bochum7. Juli 2010 um 23:07

    Herzlich gerne hätten wir mit Ihnen zusammen einige Stunden im Belcantohimmel verbracht und die Engel singen hören in der Donna del lago - Aufführung im Palais Garnier. Aber die Ticketverkäufer der Pariser Oper hier auf Erden hatten etwas dagegen. Alles ausverkauft, Monate vorher, restlos, nichts zu machen, rien ne va plus. Um so gespannter haben wir deshalb Ihren begeisterten und begeisternden Bericht über die Vorstellung der Donna del lago gelesen. Er hat uns veranlasst, den Versuch ins Auge zu fassen, in London oder Mailand Karten für diese Aufführung zu bekommen. Danke für den Hinweis.

    IraDie aus Bochum

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  2. Herzlichen Dank für diesen schönen Bericht! Ebenso herzlichen Dank auch an die Autoren der vorangegangenen Rezensionen! La donna del lago in Paris, Norma in Dortmund, Medea in Corinto in München, zwei Donizetti-Einakter in Lüttich, Orlando in Halle, La Muette de Portici in Dessau, Armida in New York etc. ... die Opernwelt ist auch für Belcantofreunde ungemein reichhaltig und abwechslungsreich geworden. Alle diese Beiträge unterscheiden sich so wohltuend von den üblichen Kritiken, es sind eben persönliche Erlebnisse von Opernfreunden, an denen man teilhaben kann und die man gerne liest, weil sie so anschaulich geschrieben sind und von dem Glück zeugen, einen besonderen Opernabend erlebt zu haben. Davon möchte ich noch viele mehr lesen, und auch alle anderen Leser und Leserinnen dieses Blogs können beitragen und uns über ihre besonderen Opernbesuche berichten!

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