15. Juli 2008

Bad Wildbad aktuell


Quelle: http://www.der-neue-merker.eu/mod,content/id_content,1/id_menuitem,1


ROSSINI IN BAD WILDBAD: Otello ist weiss

Die dritte Jubiläums-Premiere des Festivals, Rossinis „Otello“, unter der musikalischen Leitung von Antonino Fogliani und in der Regie von Annette Hornbacher verspricht viele Überraschungen.Neben den Rollendebuts der beiden Hauptdarsteller Michael Spyres als Otello und Jessica Pratt als Desdemona ist es vor allem das Regiekonzept von Annette Hornbacher, das Spannung verspricht. In ihrer nunmehr sechsten Inszenierung einer Rossini-Oper beschäftigt sie sich mit dem Thema der Ausgrenzung. Sie versteht diese in vielfältiger Hinsicht und keineswegs an Rassismus und einen farbigen Otello gebunden.In ihrer Inszenierung lässt Hornbacher bewusst offen, in welcher Welt sich Otello bewegt. Sind die Venezianer eine reiche und kultivierte Patriziergesellschaft? Oder handelt es sich eher um eine mafiöse Halbwelt? Letzteres liegt nahe, da alle Figuren in der Oper in Machtintrigen verstrickt sind. Ist Otello also Befehlshaber eines idealen Staatengebildes – oder eher ein Söldner zwielichtiger Bosse?Eine Besonderheit der Rossini Oper besteht darin, dass Otello musikdramaturgisch schwächer gewichtet ist als Desdemona, deren differenzierte Gefühle und Leiden im Mittelpunkt von Rossinis Interesse stehen. Um Desdemonas Liebe ebenso wie den plötzlichen Hass Otellos plausibel zu machen, betont die Inszenierung daher, dass Otello wie Desdemona unter der systematischen Ausgrenzung aus der venezianischen Machtwelt leidet. Wie Desdemona, die von ihrem Vater für eine politisch einträgliche Heirat mit dem Sohn des Dogen vorgesehen ist, wird Otello zum Spielball der Mächtigen. Beide, Otello und Desdemona, sind Opfer einer von Intrigen und Machtspielen beherrschten Welt, in der Otello nur einen Trumpf hat: seine Überlegenheit als Kämpfer.Die Ausstattung liegt wie bei der „Italienerin in Dubai“ in den Händen der langjährigen Festival-Mitarbeiterin Claudia Möbius. Die Berliner Kostüm- und Modedesignerin hat seit 2002 mehr als 20 Produktionen in Wildbad verantwortlich betreut und gestaltet in ihrer vierten gemeinsamen Arbeit mit Annette Hornbacher die prägnanten Kostüme. Der junge Berliner Bühnenbildner Anton Lukas zeichnet für den in seiner Kargheit überzeugenden Unterweltsraum verantwortlich, der Hannoveraner Lichtdesigner Markus Knoblich sorgt für die bewusst spärliche, stimmungsvolle Beleuchtung.Zitate zu „Otello“ aus Rossinis BriefenAzione interessantissima // Spannende Handlung (21. Mai 1816)Sto travagliando nell’Otello, cosa difficile ma sicuro d’effetto (08. Okt 1816)Ich schlage mich mit ‘Otello’ herum, ein schwieriger aber effektvoller Stoffca capo d’opera – una cosa tanto classica (09. Dez 1816, über die Uraufführung)Ein Meisterwerk – eine klassische Sache.


Festival „Rossini in Wildbad“ mit Pacini-Rarität: “DON GIOVANNI" von Giovanni Pacini (Vorstellung am 12. 7. 2008)

Das 20. Belcanto Opera Festival „Rossini in Wildbad“ brachte auch heuer wieder eine bemerkenswerte Rarität: „Don Giovanni ossia Il convitato di pietra“ von Giovanni Pacini (1796 – 1867), dessen Uraufführung im Jahr 1832 in privatem Rahmen in der Casa Belluomini in Viareggio erfolgte. Wohl auch deshalb, weil Pacinis Schwester Claudia seit 1823 mit Antonio Belluomini verheiratet war, der später der Arzt der legendären Sängerin Maria Malibran wurde. Da nicht bekannt ist, ob es seither jemals eine Aufführung dieser Oper gab, könnte die Premieren-Vorstellung im Kurtheater von Bad Wildbad am 4. Juli die erste öffentliche Aufführung gewesen sein. Allein unter diesem Aspekt muss die Idee der Festspielleitung – die künstlerische Leitung liegt in den Händen von Jochen Schönleber –, dieses außerhalb Italiens völlig unbekannte Werk szenisch aufzuführen, gewürdigt werden. Wenn dann noch die musikalische Qualität stimmt, wie in Bad Wildbad, darf von einer kleinen Opernsensation gesprochen werden.

Pacini, der von seinen Zeitgenossen sehr geschätzt wurde – seine reiche Erfindungsgabe und melodische Kraft brachten ihm den Beinamen „maestro della cabaletta“ ein –, schrieb anfangs im Stil der Opera buffa Rossinis, später im Stil Bellinis. Und beide Komponisten sind aus der Partitur des „Don Giovanni“, die virtuosen Belcanto-Gesang höchster Güte erfordert, herauszuhören. Der Librettist dieses Werks ist unbekannt, der Inhalt der Oper mit jener von Mozart fast identisch. Nur dass Don Giovannis Diener nicht Leporello, sondern Ficcanaso heißt, keine Donna Elvira vorkommt und die Stimmlagen mancher Personen anders sind. So ist beispielsweise Don Giovanni ein Tenor und Donna Anna ein Mezzosopran.

Die Inszenierung von Anke Rauthmann lässt die Oper in der Sommerresidenz einer italienischen Familie spielen, wobei fast alle Darsteller Mitglieder dieser Familie sind: der Vater als Oberhaupt spielt den Diener Ficcanaso, der Sohn den Don Giovanni, seine Ehefrau Donna Anna. Ein Freund der Familie wird als Duca Ottavio ins Spiel geholt, dessen Schwester ist die junge Braut Zerlina, ihr Freund Masetto. Im Verlauf der Vorstellung vermischen sich Spiel und Realität, die Grenze zwischen Theaterrollen und dem Familienleben verschwimmen, alle Beteiligten erfahren etwas über sich selbst …

Für die Bühne des ehemals Königlichen Kurtheaters Bad Wildbad (ein bauliches Kleinod) zeichnete Britta Blanke verantwortlich. Es gelang ihr mit einfachen Mitteln, die Atmosphäre einer Sommerresidenz einer italienischen Familie einzufangen, die modernen Kostüme entwarf Claudia Möbius.

Leonardo Cortellazzi in der Titelrolle überzeugte durch südländische Verführungskünste, wobei ihm sein einschmeichelnder, angenehm klingender Tenor sehr zustatten kam. Als sein Diener forcierte Giulio Mastrototaro seinen kräftigen Bassbariton zu stark, was sich in dem kleinen Haus eher ungünstig auswirkte. Bravourös die junge schmächtige Zinovia-Maria Zafeiriadou als Zerlina, die nicht nur bezaubernd aussah, sondern ihre Rolle schauspielerisch und gesanglich hervorragend meisterte. Ihr heller Sopran perlte höhensicher, ohne je schrill zu werden und übertraf in den Ensembleszenen alle anderen Protagonisten. Mit Recht erhielt sie einige „Brava-Rufe“. Hier reift eine Sängerin heran, der man eine Karriere auch an größeren Häusern voraussagen kann. Geraldine Chauvet als Donna Anna hatte es da nicht leicht, bewältigte aber ihre Rolle und ihre Arien gut. Überzeugend Ugo Guagliardo, der den eifersüchtigen Masetto blendend spielte und mit tiefem, wohlklingendem Bass sang. Dazu gab er noch die in dieser Inszenierung veränderte Rolle des Commendatore, der von Don Giovanni nicht getötet, sondern „bloß“ verletzt wird, ihn aber dennoch zur Hölle wünscht. Giorgio Trucco als Duca Ottavio blieb trotz guter Stimme ein wenig farblos. Köstlich hingegen Kornelia Gocalek als Hausmädchen und Krankenschwester, die bei einem Wettbewerb für Theaterschulen in Moskau den Preis für die „beste körperliche Performance“ erhielt. Eine mit Sicherheit verdiente Auszeichnung. In einer Opernvorstellung zwei stumme Rollen so überzeugend und witzig zu spielen, hat Seltenheitswert! Der Philharmonische Chor Transilvania Cluj (Leiter: Cornel Groza) rundete die guten Leistungen des gesamten Ensembles ab.

Die Leitung des Südwestdeutschen Kammerorchesters Pforzheim hatte Daniele Ferrari inne, der dieses musikalische Kammerwerk wie große Oper spielen ließ. Oftmaliger Szenenapplaus und viele Bravi-Rufe für die Sängerinnen und Sänger sowie den Dirigenten zeigten, wie sehr das Publikum von der Vorstellung begeistert war. Vom Rezensenten ein „Bravo!“ für die Festspielleitung, diese musikalische Kostbarkeit ausgegraben zu haben.

Udo Pacolt, Wien – München


Rossini in Wildbad : „L’ITALIANA IN ALGERI“ in konzertanter Vollendung 5.7.2008

Im 20. Jahr seines Bestehens startete das Festival im Nordschwarzwald mit einem wahren Paukenschlag. Maestro Alberto Zedda (in der Februar-Ausgabe anlässlich seines 80. Geburtstags ausführlich gewürdigt) trat neben einigen halbszenischen Produktionen nach „La Cenerentola“ und „La donna del lago“ zum dritten Mal ans Pult für eine konzertante Aufführung, die nur durch den Aufhänger für einen CD-Mitschnitt mit einer hochkarätigen und den Etat des Festivals sprengen würdenden Besetzung möglich ist und landete damit wieder einen Triumph des moussierenden Rossini-Witzes. Bei einem solchen Vollblut-Musiker wird kein Bühnenbild und kein Kostümaufwand benötigt, um eine Handlung und ihre Situationen zu verorten. Zumal wenn es sich um eine Buffa dreht, bei der entsprechende Sänger auch hinter ihren Notenpulten dem Drang zum Spielen oder zumindest zum mimischen Kontakt kaum widerstehen können. Was sich an diesem Abend auf der kleinen Bühne an vis comica, an gegenseitigem Bälle-Zuwerfen abspielte, steigerte die ohnehin schon jubelnswerte musikalische Komponente zum vollendeten Musiktheater. Übertitel wären somit selbst für kein Wort Italienisch verstehende Besucher überflüssig gewesen, die Deutlichkeit der körpersprachlichen Details überbrückte jede Verständnis-Barriere.
An der Spitze der Solisten stand Marianna Pizzolato in der Titelrolle mit einer Stimme, die vom Kontraalt über den sinnlich dunklen Mezzo bis zur fast hell sopranigen Höhe gleich mehrere Stimmfächer in sich vereinigt und damit der Partie der Isabella in jeglicher Lage voll gewachsen ist. Weit gespanntes Legato, flexibles Parlando, locker attackierende Koloratur – alles scheint dieser dazuhin mit aparter fraulicher Ausstrahlung, Charme und Witz gesegneten Künstlerin spielerisch ohne störende Gangschaltungen zu entströmen. Daß sie alle diese Vorzüge nicht nur für ihr eigenes Wirken nutzt, sondern sich bei der ersten Begegnung mit Mustafa ihrerseits geschmeichelt fühlt, zeigt ihre gestalterische Fähigkeit, dürfte aber auch an der humorvoll sympathischen Präsenz von Lorenzo Regazzo als Bey von Algier liegen. Der schon mehrfach in Bad Wildbad zu Gast gewesene Koloratur-Baßbariton mit einer ausgeglichen runden und fülligen Tongebung vom Keller bis zum Dach lebt die Rolle in jeder Phase seines pointenreichen Mienenspiels und seiner spontanen Reaktionen auf die Partner. Kaum zu glauben, dass sich dieser so großsprecherisch aufplusternde Renegat letztlich als Pappataci außer Gefecht setzen läßt. Eine ebenso prall lebendige Charakterstudie gibt der hauptsächlich auf die Opera buffa spezialisierte Neapolitaner Bruno De Simone als Taddeo. Kein Jammerlappen, kein Trottel, sondern ein feinsinniger, gewitzter Mann, wenn auch verzweifelnd doch Herr der Lage, steht da auf der Bühne und erschließt dieser gerne lächerlich gezeichneten Figur eine ganz neue Dimension. Die Durchsetzungskraft seines kernigen und akkurat aussingenden Organs unterstützt dies noch in vokaler Hinsicht.
Der ziemlich schnell bekannt gewordene amerikanische Tenor Lawrence Brownlee rechtfertigte den ihm vorausgeeilten Ruf durch seine außergewöhnlich dunkel grundierte, präzise geführte Stimme, für die schnelle Fiorituren und die berüchtigt exaltierten Höhen kein Problem darstellen und die fähig ist, alles Extreme natürlich in die Melodielinie miteinzubinden. Sein Lindoro klebte zwar gelegentlich etwas mehr an den Noten, ließ sich aber durch die Ausgelassenheit seiner Mitstreiter schließlich auf ein freieres und den Spaß mittragendes Agieren ein.
Giulio Mastrototaro umreißt den algerischen Korsarenkapitän Haly in der Kürze seiner Rezitative und seiner über die Frauen Italiens Ressumée ziehenden Kavatine auf ebenso prägnante wie trocken komische Weise.
Ruth Gonzalez kleiner, aber durchsetzungsfähiger und das Stretta-Finale des 1.Aktes gar so volltönend übersingender Sopran, dass sich der neben ihr stehende Regazzo (Mustafa) bei der als Zugabe erfolgten Wiederholung erschrocken die Ohren zuhält, ist als Elvira ein kleines Temperamentsbündel, das es dem Bey bestimmt nicht leicht gemacht haben dürfte, andererseits diesen letztlich doch glücklich stimmen sollte, zu einer solch lebenslustigen Frau wieder zurückzukehren. Elsa Giannoulidou stand ihr mit angenehm klingendem Mezzo als Zulma hilfreich zur Seite.
Mit dem Philharmonischen Chor Transilvania Cluj hatten die Veranstalter diesmal eine besonders klangvolle Sängervereinigung engagiert, deren dynamische Flexibilität an lauter erfahrene Solisten denken ließ.
Noch einmal zurück zu Alberto Zedda: diesmal profitierten die sich ganz schnell frei spielenden Virtuosi Brunensis von seinem pfiffigen Zugriff, dem Auskosten kleiner solistischer Akzente, dem mit einem überraschend plötzlichen Kick angetriebenen Rädchen des An- und Abschwellens, des bei aller Ausgelassenheit kontrollierten Ineinandergreifens von Rhythmus und Melodie.
Allen trübsinnigen, depressiven oder schwarzsehenden Zeitgenossen kann diese Medizin nur empfohlen werden. Denjenigen, die nach der Aufführung noch Gaumenfreuden von Sternekoch Harald Wohlfahrt bei einem Rossini-Diner genossen haben, dürften die Köstlichkeiten wie Champagner durch den Magen gegangen sein.
Alles in allem: ein Freudenfest dies- und jenseits des Podiums.

Udo Klebes

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