26. Januar 2010

Glanzvolle "Norma" in Mannheim













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Dieter berichtet aus Mannheim:


Bellinis NORMA konzertant am Nationaltheater Mannheim -
Glanzvolle Aufführung am 16.01.2010

In der Reihe „Festliche Opernabende“ bot die Mannheimer Oper ihrem Publikum ein musikalisches Erlebnis der Sonderklasse. Dabei blieben die stürmischen Begeisterungs-Kundgebungen nicht nur auf die gastierende Edita Gruberova beschränkt.

Michail Agafonov sang einen Pollione von Weltklasse mit einer an Mario del Monaco erinnernden Dramatik. Sein gehaltenes hohes C am Schluss von „Meco all´altar di Venere..“ war von wahrhaft aufregender Schönheit, selten kann man es so auf der Bühne erleben.

Marie-Belle Sandis ist mit kultivierter Stimmführung und klangvoll-warmem Mezzosopran eine nahezu ideale Adalgisa.

Über eine noch immer schöne, noble Bass-Stimme verfügt Mihail Mihaylov als Oroveso, er ist langjähriges Ensemble-Mitglied des Mannheimer Nationaltheaters.

Der Gast-Star des Abends, Edita Gruberova, interpretierte eine überwältigende, in vielen Aspekten fast makellose Norma. In dieser Rolle habe ich mir eigentlich immer eine dramatischere, gewichtigere Stimme (Callas, Sutherland) vorgestellt. Und nach ihrer recht unschön gesungenen Lucrezia Borgia hatte ich an Gruberova keine allzu großen Erwartungen. Umso überwältigender dann ihre anscheinend mühelose, technisch beeindruckende Bewältigung dieser schwierigsten aller Sopran-Partien. Und sie ersparte sich nichts. Die Cabaletta nach „Casta diva“ brachte sie zweistrophig, mit individuellen Verzierungen in der Wiederholung. Im finalen Terzett des 1. Aktes strahlten ihre hohen C´s wie Fanfarenklänge, das krönende hohe D wurde erreicht und gehalten. Gewisse Grenzen werden allerdings bei extrem dramatischen Passagen wie dem Duett „In mia man…“ deutlich. Aber wer ist schon eine in allen Anforderungen perfekte Norma?

Ein weiterer Pluspunkt des Abends war der ukrainische Gastdirigent Andriy Yurkevych (Generalmusikdirektor in Odessa). Sein zugleich dramatisch-schwungvoll und romantisch klingendes Dirigat traf genau den richtigen Ton. Tadellos der Chor.

Häufiger Szenenbeifall und fast 20minütige Schluss-Ovationen beweisen: Hohes musikalisches Niveau kann auch ohne szenische Umsetzung begeistern. In besonderem Maße trifft diese Aussage auf die Primadonna zu. In der Münchener Norma war Gruberova aufgrund unvorteilhafter Kostümierung und entstellender Maske keine Augenweide, da stimmen selbst ihre hartnäckigsten Verehrer zu. In eleganter Robe und dezentem Make-up ist sie jedoch eine keineswegs unattraktive Bühnenerscheinung mit der selbstsicheren Ausstrahlung einer großen Primadonna.

Einen Opernabend dieser Qualität habe ich in den letzten Jahren ganz selten erleben können.

Dieter (Frankfurt a. M.)

19. Januar 2010

Ein wahres Feuerwerk: Rossinis "Il turco in Italia" an der Oper Leipzig




Claus und Friederike L. berichten über "Il turco in Italia" in Leipzig:

Höhepunkt einer Stippvisite mit kulturellem Hintergrund in Leipzig war für uns am 17. Januar 2010 eine Aufführung der Rossini-Oper "Il turco in Italia". Um es gleich mit einem Wort zu sagen: Wir waren restlos begeistert und können nur jedem Opernfreund den Besuch einer der beiden noch anstehenden Vorstellungen (28. Januar und 07. Mai 2010) ans Herz legen, sofern er über die nötige Toleranz verfügt, über Kleinigkeiten großzügig hinwegzusehen.

Dass es solche Kleinigkeiten gibt, liegt an der Natur des Theaters und zumal des heutigen. Aus Insiderkreisen hörten wir, dass dies die bislang technisch aufwendigste Inszenierung in Leipzig war. Es grenzt an ein Wunder, dass in unserer Aufführung technisch alles geklappt hat, obwohl der Cheftechniker (im Kostüm sichtbar auf der Bühne agierend) zwischendurch sogar noch Zeit fand, sich genüsslich eine Banane zu schälen. Was mit Technik hier gemeint ist, das muss man gesehen haben. Aber auch wirklich alles, was ein Theater hergibt, kommt hier zum Einsatz, angefangen bei über 300 verschiedenen Lichteinstellungen der 700 Scheinwerfer über Drehbühne, Versenkungen, Unterbühnen-Podeste, die sekundengenau hoch- und runtergefahren werden, bis hin zu dem begehbaren Räderwerk aus Holz, mit dem die Übertitelung von Hand ins Werk gesetzt wird und das fantasievoll ins Spielgeschehen mit einbezogen wird.

Die Kostümierung der Techniker, Choristen und Musikanten, die als Kobolde wuselnd die Bühne bevölkern, kann man als Zugeständnis an den heutigen Trend zur Verhässlichung betrachten, dem anscheinend kaum eine Inszenierung entgeht. Die Überbetonung primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale ist sicher nicht nach jedermanns Geschmack, aber die offensichtliche Spielfreude dieser fröhlichen Bande ließ uns mit fortschreitendem Abend lächelnd darüber hinwegsehen.

Musikalisch war noch weniger zu bemängeln. Dass das Gewandhausorchester unter Opernchef Schüller über jede Kritik erhaben spielte, bedarf kaum der Erwähnung. Mit den Sängern konnte man auch durchweg zufrieden sein - einzig dem ansonsten angenehm singenden Narciso hätten wir etwas mehr Volumen gewünscht. Die tiefen Männerstimmen waren exzellent, und auch die beiden Damen waren an diesem Abend gut aufgelegt und haben uns schrille Töne erspart. Dass es winzige Wackeleien zwischen Chor, Solisten und Orchester gab, ist bei solch bewegungsreichem Spiel gar nicht zu vermeiden - immer noch besser, als den Chor bewegungslos auf den Kapellmeister starren zu lassen, wie das an manch renommierterer Bühne geschieht.

Hier aber passierte so viel, dass wir die Inszenierung am liebsten gleich noch mal sehen würden, um alle Gags mitzubekommen. Ein wahres Feuerwerk, ganz wörtlich: sogar die obligate Wasserpfeife des Türken wurde gelegentlich als Flammenwerfer eingesetzt.

Fazit: Wir haben an diesem Abend das Theater glücklich wie selten verlassen, bevor wir uns in Auerbachs Keller einig wurden: Diese Aufführung müssen wir unseren Freunden wärmstens empfehlen. Also: nix wie hin!

Noch ein Tipp: In der Leipziger Oper kann man nicht nur online seine Karten bestellen, sondern es ist auch möglich, sie auf dem heimischen Computer selbst auszudrucken!

Claus und Friederike L.

Besetzung: Prosdocimo Giulio Mastrototaro Fiorilla Viktorija Kaminskaite Geronio Paolo Rumetz Narciso Timothy Fallon Selim Giovanni Furlanetto Zaida Claudia Huckle / Lena Belkina Albazar Dan Karlström Chor der Oper Leipzig Gewandhausorchester
Musikalische Leitung
Andreas Schüller
Inszenierung, Bühne
Michiel Dijkema Kostüme Claudia Damm

Video "Il turco in Italia" an der Oper Leipzig

14. Januar 2010

Rossini-Interpretin par excellence: Joyce DiDonato "Colbran, the Muse"


Joyce DiDonato hat sich in den vergangenen Jahren zu einer der führenden amerikanischen Mezzosopranistinnen entwickelt und reüssiert gerade mit ihren Rossini-Partien immer wieder mit großem Erfolg auf dem internationalen Opernparkett. Für 2010 ist etwa ihr Rollendebut als Elena in La donna del lago in Genf und Paris geplant.

Ihre neueste CD ist Isabella Colbran gewidmet. Joyce DiDonato interpretiert Auszüge aus den Partien, die Rossini für seine geschätzte Sängerin und spätere Gattin komponierte, die Colbran war Uraufführungsinterpretin aller Partien. „Colbran, the Muse“ lautet der Untertitel, die Auswahl der Stücke stellt dabei keineswegs die virtuosen Partien für die Colbran ausschließlich in den Mittelpunkt, es gibt eine ganze Reihe von Ensembles, in denen Joyce DiDonato von Solistenkollegen und Chor unterstützt wird.

Den Rahmen bilden zwei Ausschnitte aus Armida, zu Beginn das Tema con Variazioni del Finale Secondo „D’Amor al dolce impero“, am Schluss das Finale Terzo „Se al mio crudel tormento – Dove son io! – È ver… gode quest’anima.“ In der Titelpartie der 1817 in Neapel uraufgeführten Armida lässt Joyce DiDonato im Finale des zweiten Aktes zwar bereits ihre beeindruckende stilistische Sicherheit erkennen, wirkt indes gerade in den ausgesprochenen Piano-Fiorituren phrasenweise noch nicht ganz auf ihrem Atem und daher etwas wacklig und unpräzise. Davon fehlt jede Spur dann am Ende der Aufnahme, wenn DiDonato mit fulminanten dynamischen Steigerungen in den Koloraturen im furiosen Finale der Oper in jeder Hinsicht brillieren kann: mit dramatischer Wucht besingt Joyce DiDonato die vendetta, kann sich im nächsten Moment wieder ganz auf ein sicher geführtes Pianissimo zurücknehmen.

Nach dem einleitenden Ausschnitt aus Armida folgen zwei Beispiele aus Joyce DiDonatos neuer Partie, La donna del lago also: die zweite Szene aus dem ersten Akt „Oh mattutini albori!“ sowie die Schlussszene des zweiten Akts „Tanti affetti in tal momento – Fra il padre, e fra l’amante.“ Die Sängerin hat sich in ihre neueste Rossini-Partie auf der Bühne offenbar schon bestens eingelebt. Wie sie im ersten Ausschnitt aus dem ersten Akt die Klangfarben ihrer Stimme mit denen des Orchesters in Einklang bringt, ist schlichtweg beglückend. In der Finalszene kann sie das noch einmal steigern, demonstriert hier ihre perfekt abgestimmten Pianoqualitäten nun ganz und gar.

Es folgt Maometto II: Del Terzettone: „Giusto ciel, in tal periglio“ Keine belcantistische Virtuosität der Koloraturen prägt diese Solonummer mit Damenchorbegleitung, sondern Intimität und Reduktion der Mittel, eine andere Klangfarbe, die indes nicht minder bezeichnend für Rossini ist. Joyce DiDonato kann hier ihre stilistische Bandbreite ebenso gekonnt einsetzen.

Die Cavatina der Elisabetta aus Elisabetta, regina d’Inghilterra „Quant’è grato all’alma mia“ ist demgegenüber wiederum ein beinahe konventionelles Bravourstück, ebenfalls mit Begleitung des Chores. Mit effektvoller Dramatik zeichnet Rossini hier den Charakter der englischen Regentin, und sicher wäre es nicht nur für Frau DiDonato eine reizvolle Aufgabe, diese sehr selten aufgeführte Oper einmal vollständig auf die Bühne zu bringen.

Aus Semiramide gibt es dann den Coro di Donne „Serena i vaghi rai“ und die Cavatina der Semiramide „Bel raggio lusinghier“, in deren halsbrecherischen Koloraturen sich Frau DiDonato bewundernswert souverän erweist.

Rossinis Otello-Vertonung ist mit fünf Ausschnitten – aus dem dritten Akt – der größte Raum der Einspielung gewidmet. Neben DiDonato tritt hier ihr famoser Tenorkollege Lawrence Brownlee mit der Canzone del Gondoliero „Nessun maggior dolore“, sowie die Sopranistin Roberta De Nicola als Emilia. Besondere Aufmerksamkeit verlangen die Interpretationen der Canzone del Salice „Assisa appiè d’un salice“ und die abschließende Preghiera „Deh calma, o ciel, nel sonno“. Sind dies ohnehin Kompositionen, in denen Rossini durch außergewöhnlich subtile Instrumentation Momente größter atmosphärischer Dichte und Intimität erzeugt, so erweist sich Joyce DiDonato hier einmal mehr als kongeniale Interpretin, versteht sie nämlich genau diesen Aspekten perfekt nachzuspüren und so durch ihre vokale Gestaltung noch zu steigern.

Neben ihren Sängerkollegen – vervollständigt durch die Tenöre Corrado Amici und Carlo Putelli in einigen der Ensembleszenen – sind es vor allem auch Dirigent Edoardo Müller sowie Orchestra e Coro dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia in Rom, die für die Qualität der Einspielung sorgen. Müller begleitet im besten Sinne des Wortes, lässt der Singstimme stets den Raum, den sie benötigt, zeigt dabei aber nicht weniger ausgeprägtes Gespür für die so spezifische Stilistik Rossinis.

Der nachhaltige Eindruck, den diese Einspielung hinterlässt, ist der, dass Joyce DiDonato im aktuellen internationalen Vergleich eine Rossini-Interpretin par excellence ist. Es bleibt vor allem ihr zu wünschen, dass Sängerinnen wie sie Intendanten einmal mehr dazu veranlassen, die Vielzahl allzu selten aufgeführter, aber sängerisch ungemein dankbarer Werke Rossinis auf die Spielpläne zu nehmen.

Christian Schütte

Wir danken dem Autor für die Überlassung dieser Besprechung, die im nächsten Mitteilungsblatt der Deutschen Rossini Gesellschaft erscheinen wird.

14. Dezember 2009

Montserrat Caballé in Bremen


Dieter berichtet über den Liederabend von Montserrat Caballé am 12. Dezember 2009 in Bremen

„Ich bin keine Primadonna…………….“ Mit diesem viel zitierten Ausspruch leitete die Diva vor etlichen Jahren - angesichts unüberhörbarer, altersgemäßer Vokalprobleme - die Restvermarktung ihrer Persönlichkeit ein. Es folgten unsägliche ,,cross over"- Ausflüge (z. B. mit Freddie Mercury), die ihr gewisse Popularität bei der breiten Masse der Nicht-Opernfans bescherte; der letzte ,,Coup" war die peinliche Einlage in einer Inszenierung von Donizettis „Regimentstochter" in Wien.

Nun also dieses Recital im „Theater am Goetheplatz" mit nostalgischen Anklängen an ihr erstes (deutsches) Engagement vor 50 Jahren. Auf dem Programm standen Lieder von Puccini, Leoncavallo, Niedermeyer, Catalani und Gounod sowie anschließend Ausschnitte aus Zarzuelas. Als einzige Opernarie stand im Programmheft Puccinis als klassische Zugabe-Arie berüchtigtes Stück „O mio babbino caro'. Diesen Programmteil ließ sie jedoch ausfallen. Im Gegensatz zu dem weitgehend unbekannten Liedgut ist die eingängige, schlichte (und vokal relativ anspruchslose) Melodik so populär, dass selbst dem anspruchslosesten Publikum der disaströse Zustand ihrer Stimme aufgefallen wäre. Da blieb keine Note auf der anderen. Farblose, falsche Töne, die einfach nur wehtaten. Nein, eine Primadonna war das nicht (mehr)!

Natürlich erwartet niemand von einer 76jährigen Sopranistin stimmliche Wunder. Aber mit gelegentlichen Anklängen an frühere Stimmschönheit, Gesangs- und Interpretationstechnik hatte ich zumindest gerechnet. Ich habe da die grandiose Magda Olivero im Ohr, die sich mit 83 Jahren noch auf eine (live) Einspielung von ,Adriana Lecouvreur' einließ, bei der immer noch Spuren ihrer einstigen Größe und Gestaltungskunst aufflackerten. Nicht so hier. Das ging einfach nicht mehr, jede Kritik ist überflüssig. Am ehesten fällt mir der Vergleich zu Florence Foster Jenkins ein. Aber die war wenigstens zum Lachen. Über Frau Caballé kann man nur betroffen sein - was veranlasst eine ehemals große Künstlerin zu solchen Auftritten? Materielle Probleme?

Ein wohltuend höfliches Publikum erbrachte Auftritts- und Abgangs-Ovationen und applaudierte jede Nummer herzlich. „Brava"-Rufe oder Bitten um Zugaben blieben wohlweislich aus.

Ein Tipp für hartgesottene Fans: laut Terminplan setzt Frau Caballé diese Konzertreihe 2O10 in verschiedenen deutschen Städten fort.

Dieter (Frankfurt a. M.)

9. Dezember 2009

Ein wichtiges und lesenswertes Buch: "Belcanto" von Peter Berne



Peter Berne: Belcanto - Historische Aufführungspraxis
in der italienischen Oper von Rossini bis Verdi
(mit CD)

2008 Wernersche Verlagsgesellschaft mbH
ISBN 978-3-88462-261-2 (3-88462-261-7)


„Belcanto? Was ist das?“ - „Prima!“ - „Schöne Musik!“ - So oder ähnlich könnten die Antworten von Passanten lauten, die in irgendeiner Fußgängerzone danach befragt werden. Der „Belcanto“ scheint gegenwärtig wieder mehr ins Blickfeld der Opernliebhaber gerückt zu sein. Rührige Gesangssolisten, wie Cecilia Bartoli oder eine Reihe von Sopranisten, haben Arbeitsquellen und persönliche Partituren historischer Gesangsidole aufgespürt und versuchen nun, diese Kunst vergangener Tage nachzugestalten. Auch der Rundfunk liefert hier seinen Beitrag. Mehrfach gab es in der zurückliegenden Zeit Sendungen zu diesem Thema. Die ausgestrahlten Darstellungen fußten dabei auch auf den Erkenntnissen des Buches „Belcanto – Historische Aufführungspraxis in der italienischen Oper von Rossini bis Verdi“ von Peter Berne.

Der Österreicher Peter Berne arbeitete viele Jahre als Dirigent an Theatern seines Heimatlandes und in Deutschland und Skandinavien. Heute leitet er das Internationale Opernstudio Kloster Kirchbach im österreichischen Waldviertel. Als langjährigem Schüler des legendären Repetitors und Gesangslehrers Luigi Ricci ist ihm die Vermittlung von Stil, Interpretation und historischer Aufführungspraxis der italienischen Oper ein zentrales Anliegen.
Mit seiner Untersuchung über die historische Aufführungspraxis in der italienischen Oper richtet sich der Autor zwar vornehmlich an Sänger, Dirigenten und Korrepetitoren. doch schreibt Peter Berne so anschaulich, fesselnd und verständlich, dass auch musikalisch wenig Vorgebildete seine Ausführungen mit Gewinn lesen dürften. Bei musikwissenschaftlichen Themen ist häufig eine mit lateinischen oder griechischen Begriffen gespickte Fachsprache anzutreffen. Dies wird in Bernes Buch weitgehend vermieden.

Naturgemäß ist das Zitat gesangsspezifischer Begriffe in den detaillierten Ausführungen zur Technik unvermeidlich, doch diese werden eingehend erläutert und sind für das Verständnis keine Hemmschwelle. Dazu ist dem Kompendium eine liebevoll aufbereitete CD beigefügt, auf der an 48 Einzelbeispielen die gesangstechnischen Begriffe und Ausführungsmodi auch akustisch dargestellt sind. Somit ist auch hörbar nachvollziehbar, „wie“ und „was“ in der italienischen Oper zu singen ist, denn in der italienischen Gesangstradition der Barockoper gab es viele Interpretationsvorgaben zu beachten und zu berücksichtigen.

Der Inhalt des Buches gliedert sich in zwei Hauptabschnitte. Im ersten Teil werden zunächst Entwicklung und Idee des Belcanto anhand von Quellen, der Überlieferungen bedeutender Gesangslehrer und des Geltungsbereiches dieses Stils aufgezeigt. Der zweite Teil behandelt dann umfänglich die Aufführungspraxis von den Ausdrucksmitteln des Belcanto-Singens über die unterschiedlichen Arten, den Verzierungen bis hin zur Rezitativgestaltung.

Für den Laien besonders faszinierend sind im ersten Teil die Kapitel, in denen Peter Berne von seiner Studienzeit bei Luigi Ricci berichtet. Dieser wurde 1893 in Rom als Sohn eines Kirchensängers geboren. Enthusiasten denken meist an Beschreibungen aus Büchern, wenn Gestaltungsfragen des Belcanto-Gesanges erörtert werden, denn niemand weiß ohne akustische Aufzeichnungen nach fast zwei Jahrhunderten genau, wie Vortrag, Ausgestaltung und Verzierungen einmal geklungen haben. Ist es doch bekannt, dass gerade im ausgehenden 19. Jahrhundert der „schöne Gesang“ durch die neuen Kompositionsweisen nahezu in Vergessenheit geriet.

Luigi Ricci ist das Bindeglied eines Zeitalters mit Möglichkeiten zur Tonaufzeichnung zu den mehr beschreibenden Überlieferungen der Gesangstraditionen des Belcanto. Er begann seine Laufbahn als Mitarbeiter von Antonio Cotogni, der in Rom nach seiner aktiven Zeit als Bariton eine bedeutende Gesangsschule leitete. Cotogni wurde 1831 geboren und verstarb 1918 hochbetagt. Er hat persönlich mit Rossini den Figaro des „Barbiere“ und später mit Verdi die Baritonrollen aus dessen mittlerer Schaffensperiode einstudiert. Er stand mit allen berühmten Komponisten und Gesangsheroen seiner Zeit in engem Kontakt. Die gesangstechnischen Erfahrungen, Traditionen und Gestaltungsmöglichkeiten eines langen Sängerlebens gab er akribisch an seine Schüler weiter. Die frühe „Schellackzeit“ hat den Klang seiner Stimme noch in einigen Aufnahmen festgehalten.

Nach Cotognis Tod arbeitete Ricci als Repetitor, Assistent von Tullio Serafin und als Gesangslehrer. Zu seinen Schülern gehörten die größten Sänger der italienischen Oper im 20. Jahrhundert. Gigli, Lauri-Volpi, Elvira de Hidalgo, Maria Caniglia beispielsweise oder Tito Gobbi und Leontyne Price wurden von ihm unterrichtet. So konnte Ricci all das weitergeben, was er in den 13 Jahren bei Cotogni gelernt hatte.

Ricci hat Beispiele und Vorgaben der gesanglichen Gestaltung Cotognis als Notenbild niedergeschrieben und in Partituren eingearbeitet. Aber nicht nur Technik und Tradition wurden so bewahrt, auch die Unterrichtsmethoden übernahm Ricci von ihm. Die Zusammenarbeit mit berühmten Komponisten wie Mascagni ergänzte und erweiterte dazu sein Wissen um die Gesangskunst. Von der Presse wurde er als „Italy`s greatest coach“ bezeichnet. Viele namhafte Dirigenten haben ihn darum auch als Kenner der Tradition und Repetitor bei ihren Arbeiten hinzugezogen. Vor seinem Tode im Jahre 1981 verkaufte er die Notenbibliothek an seine Schülerin Jane Klaviter. Nach deren Ableben wird diese in den Besitz einer amerikanischen Universitätsbibliothek übergehen. Riccis mündliche Überlieferungen und sein schriftlicher Nachlass bilden zusammen mit den Abhandlungen Manuel Garcias zur Gesangskunst die wichtigsten Quellen für die Aufführungspraxis der Belcantozeit.

Der zweite Teil des Buches wendet sich nun den technischen Einzelheiten der Ausdrucksmittel, den unterschiedlichen Arten des Gesanges, den Verzierungen und Variationen zu. Hierbei bleibt es nicht bei allgemeinverbindlichen Anmerkungen und Ratschlägen. Es wird auch eingehend auf die unterschiedlichen Vorstellungen hingewiesen, die Rossini, Donizetti oder Verdi mit der Reproduktion der Ausdrucks- und Stilmittel ihrer Gesangskompositionen verbanden. Ein Kapitel beschäftigt sich ausführlich mit Ausführungsfragen des Secco- und Accompagnatorezitativs. Dabei wird deutlich, wie wichtig die genaue textinterpretierende Gestaltung dieses Teils einer Oper für die Aussage der damit verbundenen Musiknummern ist. Rezitative sind somit keineswegs lästige Szenenabschnitte, die der Zuschauer überhören sollte, um schnell zum nächsten Gesangserlebnis zu gelangen.

Alle Details der technischen Möglichkeiten und Voraussetzungen finden eine optische und akustische Verdeutlichung in zahlreichen Notenbeispielen und den gesanglichen Darstellungen der beigefügten CD. Die „rot“ eingetragenen Notenergänzungen geben auch dem Laien eine Anschauung von dem Umfang an Erfordernissen und Voraussetzungen, die ein Sänger mit einzubringen hat, wenn er eine Szene in Aussage und Stil nach den Vorstellungen des Komponisten der Belcantozeit korrekt wiedergeben will. Vor zweihundert Jahren unterließen es die Musiker nämlich, alles das in die Partituren zu schreiben, was auf Grund der Ausbildung eines Sängers und der Traditionen als allgemeingültig und bekannt vorausgesetzt werden konnte. Diese Gepflogenheit wandelte sich dann im Verlaufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Erinnert sei in diesem Zusammenhang, dass Rossini als einer der ersten begann, Verzierungen mit ihren Variationen auszuschreiben und den Interpreten vorzugeben.

Den Abschluss des Buches bilden zahlreiche Beispiele für die Praxis zur Einrichtung eines Belcanto-Stückes.

Die Entwicklung der italienischen Oper ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat mit ihrem mehr realistisch geprägten Gesangsverständnis eine Rezeptionsverlagerung der musikalischen Ausdrucksmittel und Darstellungen hervorgerufen. Die interpretatorischen Mittel des Belcantostils waren dadurch den Zuhörern weitgehend unglaubwürdig geworden oder verschwanden gar gänzlich aus dem Bewusstsein der Opernbesucher. Der geänderte Zeitgeschmack reduzierte dazu vielfach diesen Gesangsstil auf ein reines Wohlklangerlebnis. Die Stilmittel der Belcantoepoche weichen zwar von den heute gemeinhin gepflegten ab, sie sind aber deshalb in Wahrheit und Trefflichkeit der Darstellung nicht weniger glaubwürdig oder richtig. Jede Zeit hat nun einmal ihre eigenen Ausdrucksmittel.

Allen, die der Vielfalt, den Eigenarten und den Qualitäten des Belcantostils nachspüren möchten, sei dieses Buch als spannende und anregende Lektüre empfohlen.

Dieter Kalinka (Bochum)

Rossini in Wildbad - Das Programm 2010

Das XXII. Festival ROSSINI IN WILDBAD findet vom 15. bis 25. Juli 2010 statt. Dabei stehen zahlreiche Opern auf dem Programm. Zahlreiche Opern? Na ja, ein bisschen übertrieben ist das ja, aber es sind doch etliche Titel aufgelistet. Zweifellos spielen wir nur drei Opern ganz, davon zwei von Rossini, aber daneben sind – zur Feier seines 200-jährigen Bühnenjubiläums! - auch noch Ausschnitte aus vier frühen Farsen Gioachino Rossinis zu hören, ja selbst Verdi und Donizetti stehen mit Weltklasse-Komikern wie Bruno Praticò und Lorenzo Regazzo auf dem Programm.

Mit La Cenerentola - Aschenputtel spielen wir eine der großen und populären Opern aus Rossinis Römisch-Napolitanischen Meisterjahren erstmals szenisch. Und wir haben dafür eine tolle Besetzung und schöne Ideen. Le Siège de Corinthe - Die Belagerung von Korinth hingegen ist das erste Meisterwerk Rossinis in französischer Sprache. Adelina von Pietro Generali gehört zur Vorgeschichte des kometenhaften Aufstiegs unseres jungen Komponisten. Diese Farsa wurde direkt vor Rossinis Bühnendebüt 1810 am selben Teatro San Moisè in Venedig uraufgeführt.

Und noch eine Premiere: Wir spielen erstmals die Opern in der endlich renovierten Trinkhalle. Dort ist alles ganz anders, als sich das selbst Besucher vorstellen können, die den Saal bei früheren Gelegenheiten schon gesehen haben. Jedenfalls gibt es mehr Platz, bessere Bühnen- und Sichtverhältnisse und dazu noch eine komfortablere Foyer-Situation. Dasselbe gilt ungefähr auch für das Kurtheater, das endlich wieder zur Verfügung steht.

Der nächste Newsletter mit Details folgt demnächst. Aber hier ist schon einmal das Programm, das dieser Tage allen ROSSINI-Interessenten zugestellt wird.

Jochen Schönleber
Intendant

Programm "Rossini in Wildbad" 2010

3. Dezember 2009

"Rossini Opera Festival" Programmvorschau 2010

Das Rossini Opera Festival (ROF) in Pesaro präsentiert das vorläufige Programm für 2010
Hier das Hauptprogramm:

(Zur Vergrößerung bitte ins Bild klicken)

Claqueure und andere Opernbesessene


Als ich neulich bei Dussmann in Berlin stöberte, machte ich eine Entdeckung: „Opernfieber“ gibt es auf DVD! Diese Dokumentation von Katharina Rupp aus dem Jahr 2004 ist schon mehrmals im Fernsehen gezeigt und kürzlich bei 3sat wiederholt worden. Und wer das nicht gesehen bzw. davon keine Aufzeichnung hat, dem sei diese DVD wärmstens empfohlen.

Eine Staunen machende Dokumentation, erhält man doch aus erster Hand Einblicke in das Geschäft der Claqueure. Immer wieder wird unter Opernfreunden gemunkelt und gerätselt, ob es so etwas heute überhaupt noch gibt, organisierter Beifall gegen Bezahlung – oder gar auch bezahlte Pfiffe - wie zu Zeiten von Maria Callas*. Jawohl, das gibt es noch! Jedenfalls in Italien, wenn auch im Aussterben begriffen, denn – wie die Regisseurin zu berichten weiß – hätten Claqueure es schwer, bei jungen Sängern z. B. aus Texas Geld zu machen, die hätten ohnehin nur eine Kreditkarte dabei und würden an ihren Agenten verweisen.

Aber noch gibt es ihn, den gegen Bezahlung organisierten Applaus, der je nach dem gebuchten Tarif von unterschiedlicher Intensität sein kann, und insbesondere zwei Herren aus der Branche erzählen und zeigen uns in dieser Dokumentation ausführlich, wie das so läuft: der durch die Arena von Verona wirbelnde und Anweisungen gebende Capo di Claque Giancarlo, ein durchaus liebenswertes Unikum, und der seine eminente Bedeutung und Notwendigkeit für einen erfolgreichen Opernabend betonende Möchtegern-Dirigent Alfredo in Neapel. Opernbesessen sind sie alle, und wenn jemand so schlecht singt, dass Beifall auch für Claqueure eine Zumutung und gegen ihre Berufsehre wäre, gibt es das Geld zurück. Zum Thema äußern sich aber auch einige von denen, die zahlen sollen und es auch tun, - oder aber auch nicht - : z. B. Giuseppe di Stefano und Gustav Kuhn.

Selbstlose Opernbesessene sind dagegen die Herren vom „Club der 27“ in Parma, ein Verein gestandener Männer mit 27 Mitgliedern auf Lebenszeit, die jeweils den Namen einer Verdi-Oper tragen und gerade intensiv damit beschäftigt sind zu entscheiden, ob Mariella Devia würdig ist, den Preis des Clubs für die bedeutendsten Verdi-Interpreten zu bekommen.

Es gibt noch weitere Begegnungen mit Opernfans aller italienischen Couleurs zu bestaunen, - siebzig informative und vergnügliche Minuten – natürlich auch mit Opernszenen – sind garantiert.

*Maria Callas zum Thema Claque: „Man hat mich seelisch gelyncht“ im Spiegel-Interview (Heft 4/1958), - der gescannte Originalartikel mit Fotos auch als PDF-Dokument


Weitere Informationen zu der Dokumentation "Opernfieber" bei 3sat.online und artfilm.ch.

Zur Geschichte der Claque: siehe Wikipedia - Claqueur und Wikipedia - Claque

Von „Carmen Jones“ bis „General Horne“ - Dokumentation über Marilyn Horne


Endlich auf DVD erschienen ist die 1994 entstandene TV-Dokumentation „Marilyn Horne – A Profile“, ein liebevolles Porträt dieser großen Künstlerin, deren 75. Geburtstag eigentlich ein guter Anlass gewesen wäre, diese Dokumentation im deutschen Fernsehen zu zeigen. Leider ist dieser Geburtstag in der deutschen Fachpresse und bei den Rundfunk- und Fernsehanstalten aber so gut wie unbeachtet geblieben – als rühmliche Ausnahme ist mir persönlich jedenfalls nur die Sendung auf OE1 in Erinnerung -, und das, obwohl am Anfang ihrer Bühnenlaufbahn ein Engagement am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier stand, damals noch als Sopran. Auch hierüber erzählt Marilyn Horne in dieser Dokumentation, die chronologisch und mit vielen privaten Bild- und Tondokumenten den familiären Hintergrund und den Karriereverlauf nachzeichnet, auch ihre Partner – wie Joan Sutherland und Henry Lewis - kommen zu Wort.

Für die ungekürzte Wiedergabe von Arien und Szenen ist allerdings leider kein Raum, - mit Ausnahme einer Szene aus dem Spielfilm „Carmen Jones“, bei dem Marilyn Horne ihre Stimme der Carmen Jones von Dorothy Dandridge lieh, muss man sich mit sehr kurzen Ausschnitten begnügen. Wer aber einen Eindruck von der Persönlichkeit von „General Horne“ (so genannt wegen der vielen militärischen Anführer, die sie in den Opern von Rossini und Händel verkörperte) gewinnen möchte, dem sei diese DVD wärmstens empfohlen, und bei denjenigen, die das große Glück hatten, Marilyn Horne live zu erleben, werden sicherlich wieder Erinnerungen wach, und zwar eben nicht nur an großartige gesangliche Darbietungen, sondern auch an ihren gar nicht primadonnenhaften Umgang mit ihrem Publikum, worüber auch einige Leser dieses Blogs in Kommentaren zu meinem Beitrag Dank an Marilyn Horne - Zu ihrem 75. Geburtstag! berichtet haben.

Hier nun auch mit Bild und Ton:
Von "Carmen Jones"...

... bis "General Horne"!

22. November 2009

Auf DVD erschienen: „I due Figaro“ von Michele Carafa vom Festival „Rossini in Wildbad“ 2006


Die Aufführungen beim Festival „Rossini in Wildbad“ 2006 sind mir in bester Erinnerung, sowohl in musikalischer Hinsicht als auch wegen der spritzigen Inszenierung von Stefano Vizioli.

Die Handlung dieser 1820 an der Mailänder Scala uraufgeführten Oper zeigt, wie es nach Mozarts „Le nozze di Figaro“ weitergeht, - aber ganz anders als in Giselher Klebes Oper von 1937 „Figaro lässt sich scheiden“. Zerrüttet ist die Ehe von Figaro und Susanna allerdings auch bei Carafa.

Graf und Gräfin Almaviva haben eine Tochter im heiratsfähigen Alter, Ines. Auch Cherubino ist inzwischen erwachsen geworden, singt jetzt Bass und ist in Ines verliebt (und sie natürlich in ihn). Ines soll nach dem Willen ihres Vaters aber einen angeblich wohlsituierten Don Alvaro heiraten. Das hat Figaro eingefädelt, der ein unsympathischer Intrigant geworden ist und sich mit dem Bräutigam die Mitgift teilen will. Da erscheint Cherubino, den Graf und Figaro nach so vielen Jahren nicht wiedererkennen, behauptet, er heiße ebenfalls Figaro, und tritt als Diener in die Dienste des Grafen… und schließlich werden - nach einigen Turbulenzen - mit Unterstützung von Gräfin und Susanna Figaros Machenschaften aufgedeckt, und für die jungen Liebenden gibt es natürlich ein Happy End.

Eine Neubewertung des "Barbiere di Siviglia"

Zur Vergößerung bitte in das Bild klicken
Saverio Lamacchia: Der wahre Figaro oder das falsche Faktotum

Aus dem Italienischen übersetzt von Marcus Köhler

Band 7 der Schriftenreihe der Deutschen Rossini Gesellschaft, erschienen im November 2009 im Leipziger Universitätsverlag € 15,00


Jeder Operngänger kennt die Geschichte des Barbiers von Sevilla, der ja wohl nicht von ungefähr die Titelfigur einer der meistgespielten Opern überhaupt ist. Er freut sich über den verschmitzten Barbier, der dem etwas dümmlichen Tenor zur Erfüllung seiner Liebe verhilft und gut daran verdient. Wer es nicht im Geldbeutel hat, muss es im Hirn haben. Jeder Opernführer und jedes Programmheft bestätigen diese Sicht der Dinge. Aber dem aufmerksamen Opernfreund wird doch auch kaum entgangen sein, dass Figaros famose Vorschläge im ersten Finale völlig scheitern. Dass überhaupt noch etwas Positives für die Verliebten herauskommt, ist der Geistesgegenwart Almavivas zuzuschreiben. Und die Intrige des zweiten Aktes – stammt sie überhaupt vom Barbier, oder vom Grafen selbst? Zuletzt ist es die Macht des gräflichen Titels und Geldes, die zum ersehnten Glück führt. Mit einiger Berechtigung könnte die Oper im Untertitel nicht nur „Die unnütze Vorsicht“ heißen, sondern auch noch „Die mangelnde Pfiffigkeit“. Im Haupttitel heißt sie übrigens auch nicht so, wie wir es gewöhnt sind, sondern „Almaviva“. Falls dem Hörer dieses alles einmal beim ungetrübten Vergnügen an dieser Oper in den Sinn gekommen ist, hat er diesen Gedanken schnell verdrängt und sich auf sein gesichertes Wissen zurückgezogen, dass der abfaulende Adel ohne das aufstrebende Bürgertum doch gar nichts bewegen könne. Lamacchia überzeugt uns vom Gegenteil, in einer Monographie, die dem Opernfreund eine amüsante Lektüre bietet und zugleich wissenschaftliche Interessen befriedigt.
(Bernd-Rüdiger Kern, 1. Vorsitzender, Deutsche Rossini Gesellschaft)

Protest!!! - Ist "Rossini in Wildbad" in Gefahr?

Dem Kunstbeirat des Landes Baden-Württemberg ist das Festival „Rossini in Wildbad“ keine Erwähnung wert!

Die jetzt veröffentlichten „Empfehlungen des Kunstbeirats der Landesregierung Baden-Württemberg“ befassen sich u. a. mit der Festivallandschaft des Landes. Zu den Aufgaben des Kunstbeirats gehören insbesondere
- Bewertung der bestehenden Kunst- und Kulturförderung
- Beratung der Landesregierung bei der Gestaltung der Kunst-
und Kulturförderung bei einer Fortschreibung des Etats auf gleicher Höhe
- Unterstützung beim Finden von Spielräumen für neue Förderungen

Für die Festivalförderung wird eine Konzentration auf vier „Leuchttürme“ empfohlen. Da das Festival „Rossini in Wildbad“ (RiW) mit keinem Wort erwähnt wird, muss man sich fragen, ob dem Kunstbeirat entgangen ist,

- dass RiW seit nunmehr 20 Jahren Pionierarbeit bei der Wiederentdeckung zu Unrecht vergessener Opern von Rossini und anderer Komponisten der Belcanto-Zeit leistet,
- dass für diese Arbeit namhafte Sängerinnen und Sänger und Dirigenten - neben Alberto Zedda auch Alessandro De Marchi, Richard Bonynge und Antonino Fogliani - nach Bad Wildbad kamen und kommen und dass hier auch einige inzwischen internationale Karrieren ihren Anfang genommen haben (siehe hierzu den Beitrag Junge Karrieren - Karrierestart in Bad Wildbad und Pesaro)
- dass diese Arbeit international anerkannt und von der Peter Moores Foundation (London) unterstützt wird,
- dass von zahlreichen Produktionen des Festivals insbes. bei Bongiovanni und Naxos Mitschnitte auf CD erschienen sind (siehe hierzu die Aufstellung im Beitrag "Rossini in Wildbad" 2008 - Das Jubiläum) ,
- dass Deutschlandradio Kultur Jahr für Jahr eine Produktion live aus Bad Wildbad überträgt und der SWR Aufzeichnungen sendet.

Hier Auszüge aus den Empfehlungen:

Die Empfehlungen im Überblick
Die Ludwigsburger Schlossfestspiele und das Festspielhaus Baden-Baden, das Freiburger Barockorchester und das Balthasar-Neumann-Ensemble, die international renommierte Württembergische Staatsoper in Stuttgart, die Filmakademie Ludwigsburg, die Popakademie Mannheim, die 2008 eröffnete Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg und die erfolgreiche Arbeit einer einmaligen Institution wie das Zentrum für Kunst- und Medientechnologie in Karlsruhe sind Zeugnisse einer innovativen Kunstpolitik und tragen zur kulturellen Ausstrahlung Baden-Württembergs in der nationalen und internationalen Kulturszene bei. (Seite 10)

…..Eine ähnliche Konzentration empfiehlt der Landeskunstbeirat für die Festivallandschaft.
Nach Auffassung des Landeskunstbeirats soll die Vielzahl der Festivals im Lande nach zehn Jahren – 1998 wurden Empfehlungen zur künftigen Struktur der Theater- und Musikfestspiele veröffentlicht – einer erneuten Überprüfung unterzogen werden. Wenn das Land mitfinanziert, muss überprüft werden, ob die Festivals folgende Bedingungen erfüllen:
- Erarbeitung von Eigenproduktionen
- künstlerische Relevanz
- finanzielle Beteiligung der Kommunen oder vergleichbarer Träger an einer Mindestzahl von Veranstaltungen
- eine für auswärtige Besucher erkennbare Attraktivität
- überregionale und nationale, im besten Fall internationale Ausstrahlung
- angemessener Anteil der Eigenfinanzierung
Zeitlich notwendigerweise befristete Festivalereignisse in kulturell unterversorgten Regionen können nachhaltige Eigeninitiative und regionale Kulturstrukturpolitik nicht ersetzen. Sie dürfen nicht Ersatz, sondern sie können nur Ergänzung einer kontinuierlichen regionalen Kunst- und Kulturpolitik sein. (Seite 15)

8. Musik- und Theater-Festivallandschaft in Baden-Württemberg
Das Land Baden-Württemberg zeichnet sich durch eine vielfältige Festivallandschaft in den Sparten Musik und Theater aus. Die Festivals werden weitgehend durch eine gemeinsame Förderung von Kommunen, Gebietskörperschaften und dem Land finanziert. Im März 1998 hat die Kulturstrukturkommission Baden-Württemberg „Empfehlungen zur künftigen Struktur der Theater- und Musikfestspiele in Baden-Württemberg“ veröffentlicht. Der Kunstbeirat empfiehlt für das Jahr 2008 eine Überprüfung der damaligen Empfehlungen und ihrer Umsetzung. Dabei soll systematisch ermittelt werden, ob die von der Kulturstrukturkommission vorgegebenen Kriterien eingehalten wurden und ob die vom Land mitfinanzierten Festivals den damals formulierten Ansprüchen weiterhin gerecht werden.
Der Kunstbeirat hält die 1998 erarbeiteten Kriterien weiterhin für relevant. Die Förderung des Landes hat sich demnach an der Erarbeitung von Eigenproduktionen durch die jeweiligen Festivals, an der finanziellen Beteiligung der Kommunen, an einer Mindestzahl von Veranstaltungen, an einer auch für auswärtige Besucher erkennbaren Attraktivität, an ihrer überregionalen und nationalen, im besten Fall internationalen Ausstrahlung und an der inhaltlichen Schwerpunktsetzung zu orientieren. Angesichts der Entwicklung ist zu überprüfen, ob die Bedeutung von Festivals für eine kulturell unterversorgte Region eine Landesfinanzierung rechtfertigt. Zeitlich notwendigerweise befristete Festival-Ereignisse können eine nachhaltige Eigeninitiative herausfordernde Kulturstrukturpolitik nicht ersetzen. Für die Bestandsaufnahme und Evaluation empfiehlt der Kunstbeirat die zeitlich befristete Einsetzung einer Expertengruppe, die die aktuelle künstlerische Wertigkeit der jeweiligen Festivals und deren kulturelle Alleinstellungsmerkmale einerseits im Land andererseits national überprüft. Für die Förderung durch das Land sind darüber hinaus die öffentliche Resonanz der Veranstaltungen und der Anteil der Eigenfinanzierung beachtenswert. Hier können aus einem Benchmarking der Festivals Richtwerte erarbeitet werden. Ausschlaggebend ist in jedem Fall die künstlerische Relevanz der Festivals.
Als Leuchttürme der baden-württembergischen Festivallandschaft betrachtet der Kunstbeirat – ohne einer Beurteilung durch die Expertengruppe vorgreifen zu wollen – die Musik der Jahrhunderte (Stuttgart), die Donaueschinger Musiktage, die Schwetzinger Festspiele und die Ludwigsburger Schlossfestspiele. Diese Festivals stellen mit ihrer überregionalen künstlerischen Ausstrahlung zugleich einen hohen Identifikationswert für die jeweiligen Regionen dar. Neben Stiftungen, Kommunen, Gebietskörperschaften und der Landesregierung hat die Landesrundfunkanstalt SWR - ergänzt durch das nationale Deutschlandradio und das ZDF - als öffentlich-rechtlicher Rundfunkanbieter den Auftrag zu einer nachhaltigen Kulturförderung, die sich im Bereich der Musikfestivals direkt mit dem programmlichen Bedarf an hochwertigen Musikproduktionen verbindet. Die Klangkörper des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind
in die Programmgestaltung der Festivals einzubeziehen. Ihre Existenz darf aus übergeordneten regional- und kulturpolitischen Erwägungen im Rahmen der Gebührenfinanzierung nicht in Frage gestellt werden. Der Kunstbeirat empfiehlt, Vertreter der Rundfunkanstalten in die Expertenkommission zu berufen und die Rundfunk- und Fernsehanstalten in die langfristige Festivalstrategie des Landes einzubeziehen. ( Seiten 42 und 43)

Empfehlungen des Kunstbeirats der Landesregierung Baden-Württemberg