Aktualisiert am 1. Februar 2009 (s. Nachtrag am Ende des Beitrags)
Im „Opernleben“ eines jeden Fans gibt es zwar viele Höhepunkte, aber nur selten das große Glück, bei einem ganz besonderen Ereignis dabei gewesen sein zu dürfen.
Für mich war der 8. März 1980 einer dieser beglückenden Tage: die Premiere von Rossinis L’italiana in Algeri an der Hamburgischen Staatsoper mit Marilyn Horne in der Titelpartie. Darauf hatte ich mich schon monatelang gefreut, hatte aber zu meinem Erstaunen auch feststellen müssen, dass kaum jemand meine Vorfreude teilte, - kaum jemand im Stammpublikum des 4. Rangs wusste überhaupt, wer Marilyn Horne war! Die Premiere der Italiana war auch nicht ausverkauft, danach war dann allerdings der Ansturm umso heftiger, und Marilyn Horne wurde auch in Hamburg zum großen Publikumsliebling.
Gespielt wurde die Ponnelle-Inszenierung der Mailänder Scala. Von der New Yorker Aufführungsserie dieser Produktion ist kürzlich eine DVD erschienen, bei YouTube sind diverse Ausschnitte (und auch sonst eine ganze Menge Videos mit Marilyn Horne) im Netz.
Hier der wohl etwas missglückte Versuch des Rezensenten der „Welt“, das Ereignis Marilyn Horne irgendwie in Worte zu fassen:
“Der Auftritt der Horne läßt zunächst vermuten, es sei der Intendanz gelungen, die Zarah Leander der mittleren Jahre für ‚Hallo Dolly’ zu gewinnen. Den Inhalt vor Augen, aber der ist ohnehin sinnlos, muß man befürchten, Lindoro, der Geliebte der ‚Italienerin’ habe sich beim Umzug von Mailand nach Hamburg einen echt italienischen Mama-Komplex zugezogen. Doch sehr bald wird man eines Besseren belehrt – und geht in die Knie vor Entzücken. Die Horne singt die Glanzpartie der Koloratur-Altistinnen mit einem geradezu luxuriösem Belcanto. Ihre Perlenketten des Ziergesangs funkeln wie Juwelen – the must of Marilyn Horne! -, und ihre darstellerische Pfiffigkeit, ihr echter ‚Mutterwitz’, übertrumpften die angestrengtesten Bemühungen ihrer Umgebung mit einem Fingerschnalzen. Ein ganz unglaubliches Ereignis: eine Primadonna, über die man nach Herzenslust lachen kann.“
Ich fasse mich kürzer: Es war sensationell! Technische Perfektion und Brillanz, die glücklicherweise auch heute noch anhand der zahlreichen Tondokumente bewundert werden können, verbunden mit einer entwaffnenden szenischen Präsenz!
Seinerzeit steckte die Rossini-Renaissance noch in den Kinderschuhen – insbesondere was die opera seria anbelangte. Und so war im Staatsopern-Magazin zum Hamburger Debüt von Marilyn Horne zu lesen, dass – neben der Isabella und der Rosina – „die Arsace aus Semiramis“ zu ihren besonders glänzenden Partien zählte. Terra incognita also auch für die Mitarbeiter der Dramaturgie der Hamburgischen Staatsoper! Mit Semiramide stand dann aber im Frühjahr 1983 endlich auch eine opera seria von Rossini auf dem Spielplan der Hamburgischen Staatsoper, natürlich mit Marilyn Horne in der Rolle des Arsace und einer auch ansonsten fulminanten Besetzung: Montserrat Caballé, Samuel Ramey und Francisco Araiza. Die konzertanten Aufführungen im Frühjahr 1983 waren ein derart sensationeller Erfolg, dass es im Frühjahr 1985 nochmals eine Serie gab, bei der in einer Vorstellung Chris Merritt den Idreno sang, – nach seiner Arie (er hatte in der gekürzten Fassung leider nur eine zu singen) trampelte sogar der Chor vor Begeisterung!
Unvergesslich auch die Hamburger Konzertauftritte von Marilyn Horne! Ich hatte das Glück, bei drei Konzerten dabei zu sein: Solo-Abend in der Hamburgischen Staatsoper am 28. April 1983, Festkonzert des NDR zum Europäischen Jahr der Musik in der Musikhalle am 7. Februar 1985 und Solo-Abend in der Musikhalle am 15. Mai 1986.
Marilyn Horne verstand es, ihr Publikum – mit Charme und mit direkter Ansprache – quasi um den kleinen Finger zu wickeln, und für die Ovationen bedankte sie sich mit einem Füllhorn voller Zugaben. Bei dem Solo-Abend in der Hamburgischen Staatsoper schien das Publikum überhaupt nicht gehen zu wollen, sogar die „Garderoben-Flitzer“ hielt es auf ihren Sitzen, und nach der fünften (oder gar schon sechsten?) Zugabe sagte Marilyn Horne: „Nun müssen Sie aber wirklich nach Hause gehen“ und sang noch das Wiegenlied „Guten Abend, gute Nacht…“. Und danach waren auch noch die zahlreichen Autogrammwünsche zu erfüllen!
Marilyn Horne und ihre Mitstreiter und Mitstreiterinnen haben erfolgreich bewiesen, wie schön und aufregend Belcantogesang sein kann, wenn er nach den Regeln der (Belcanto-)Kunst ausgeführt wird, und dass ihre Pionierarbeit auf fruchtbaren Boden gefallen ist, zeigt die Entwicklung der letzten Jahre, in denen zunehmend vergessene Belcanto-Opern wieder auf die Spielpläne gesetzt werden und junge Sängerinnen und Sänger das technische Rüstzeug erworben haben, um auch im Belcantofach erfolgreich Karriere machen zu können.
Auch nach Beendigung ihrer aktiven Bühnenlaufbahn ist Marilyn Horne über die von ihr vor 15 Jahren gegründete Marilyn Horne Foundation weiterhin in Sachen Belcanto aktiv. Am 18. Januar 2009 wurde der „doppelte“ Geburtstag mit einem Festkonzert in der Carnegie Hall begangen, von dem hoffentlich ein Mitschnitt veröffentlicht werden wird.
Danke, liebe Marilyn Horne, für die vielen schönen Stunden und für den großartigen Einsatz zur Wiederbelebung der Kunst des Belcanto!
Nachtrag: Bericht über die Gala "Celebrating Marilyn Horne" am 18. Januar 2009
Vielen Dank, liebe esg, für diese bewegende und sachkundige Hommage an Marlyn Horne! Wer kann, möge sich die große Kunst der Wegbereiterin des Belcanto anhand zahlreicher existierender Ton- und Filmdokumente zu Gemüte führen! Meine Lieblings-DVD mit der Horne als "rasender Roland" ist die Aufnahme der Oper Orlando furioso von Antonio Vivaldi, 1989 live aufgenommen in der San Francisco Opera (Die OpernSammlung Nr. 34).
AntwortenLöschenLiebe esg,
AntwortenLöschender 75. Geburtstag von Marilyn Horne hat ja nicht gerade riesige Beachtung in der deutschen Presse gefunden, mindestens habe ich das nicht gesehen. Um so willkommener ist Deine Reminiszenz aus Hamburger und persönlicher Sicht, vielen Dank. Ohne Marilyn Horne wäre ja die Rossini-Renaissance der 60er bis 90er Jahre kaum vorstellbar, mindestens sehr viel ärmer ausgefallen. Ich selbst habe in Hamburg die Aufführungen der Italienerin und der Semiramide (leider nur jeweils 1x) und das 1986er Konzert in der Musikhalle miterlebt und kann Deine Eindrücke nur bestätigen. Zu weiteren Auftritten an der Staatsoper ist es ja leider nicht gekommen, das Belcanto-Repertoire war damals wie heute in Hamburg leider nicht so ausgeprägt vertreten. Heute ist es - wie wir wissen - eigentlich noch kärglicher in Anbetracht dessen, was jetzt eigentlich internationaler Standard ist.
Für Hamburg wäre noch ein Liederabend vom Mai 1990 nachzutragen, der mir - neben der obligaten Gesangskunst und dem Charme der Horne - aus verschiedenen anderen Gründen im Gedächtnis geblieben ist. Zum einen war die Staatsoper meiner Erinnerung nach total ausverkauft, was damals bei Liederabenden keine Selbstverständlichkeit mehr war (inzwischen ist es - außer vielleicht bei Jessye Norman oder Kiri Te Kanawa - ganz schlimm darum bestellt, weswegen Hamburg auch kaum noch Liederabende bietet).
AntwortenLöschenZum anderen sang sie mit 5 Liedern von Pauline Viardot-Garcia einige echte Raritäten.
Und bei einem "Addio" von Rossini erklärte sie vorher, daß der Komponist gewollt habe, daß der im Text vorkommende Fluß (im Original die Seine) jeweils dem Ort angepasst werden solle, in dem man sich befinde - und so ertönte "il fiume Elba".
Marilyn Horne war natürlich ein tragender Pfeiler der Rossini-Renaissance. Sie hat auch die schwierige Rolle des Falliero in "Bianca e Falliero" in Pesaro 1986 erstmals in neuer Zeit aufgeführt. Ich mag mich an eine köstliche Episode erinnern, die sich während der öffentliche Generalprobe abspielte. Das Auditorium Pedrotti verfügte über keine Klimaanalage und es war unheimlich heiss an diesem Tag - zahlreiche Zuschauer verschafften sich mit Fächern oder Programmheften Kühlung. Und während die Horne ihre Arie sang, passierte das Unglaubliche: mitten in der Phrase setzte sie aus, trat eine Schritt nach vorn und sagte: "Non posso! Non posso cantare, se tutti fanno così con i ventagli" (“So geht es nicht! Ich kann nicht singen, wenn alle so machen mit den Fächern") - dabei ahmte sie die Fächerbewegungen nach, die offenbar überhaupt nicht zum Takt der Musik passten. Das Publikum hatte Verständnis, und bei dieser und der folgenden Aufführung herrschte absolute Bewegungslosigkeit im Saal, wenn die Horne ihre grossen Auftritte hatte.
AntwortenLöschenSehr interessanter Artikel...
AntwortenLöschenUnd sehr liebevoll geschrieben.
Danke sagt:
Anntheres