19. Januar 2010

Ein wahres Feuerwerk: Rossinis "Il turco in Italia" an der Oper Leipzig




Claus und Friederike L. berichten über "Il turco in Italia" in Leipzig:

Höhepunkt einer Stippvisite mit kulturellem Hintergrund in Leipzig war für uns am 17. Januar 2010 eine Aufführung der Rossini-Oper "Il turco in Italia". Um es gleich mit einem Wort zu sagen: Wir waren restlos begeistert und können nur jedem Opernfreund den Besuch einer der beiden noch anstehenden Vorstellungen (28. Januar und 07. Mai 2010) ans Herz legen, sofern er über die nötige Toleranz verfügt, über Kleinigkeiten großzügig hinwegzusehen.

Dass es solche Kleinigkeiten gibt, liegt an der Natur des Theaters und zumal des heutigen. Aus Insiderkreisen hörten wir, dass dies die bislang technisch aufwendigste Inszenierung in Leipzig war. Es grenzt an ein Wunder, dass in unserer Aufführung technisch alles geklappt hat, obwohl der Cheftechniker (im Kostüm sichtbar auf der Bühne agierend) zwischendurch sogar noch Zeit fand, sich genüsslich eine Banane zu schälen. Was mit Technik hier gemeint ist, das muss man gesehen haben. Aber auch wirklich alles, was ein Theater hergibt, kommt hier zum Einsatz, angefangen bei über 300 verschiedenen Lichteinstellungen der 700 Scheinwerfer über Drehbühne, Versenkungen, Unterbühnen-Podeste, die sekundengenau hoch- und runtergefahren werden, bis hin zu dem begehbaren Räderwerk aus Holz, mit dem die Übertitelung von Hand ins Werk gesetzt wird und das fantasievoll ins Spielgeschehen mit einbezogen wird.

Die Kostümierung der Techniker, Choristen und Musikanten, die als Kobolde wuselnd die Bühne bevölkern, kann man als Zugeständnis an den heutigen Trend zur Verhässlichung betrachten, dem anscheinend kaum eine Inszenierung entgeht. Die Überbetonung primärer und sekundärer Geschlechtsmerkmale ist sicher nicht nach jedermanns Geschmack, aber die offensichtliche Spielfreude dieser fröhlichen Bande ließ uns mit fortschreitendem Abend lächelnd darüber hinwegsehen.

Musikalisch war noch weniger zu bemängeln. Dass das Gewandhausorchester unter Opernchef Schüller über jede Kritik erhaben spielte, bedarf kaum der Erwähnung. Mit den Sängern konnte man auch durchweg zufrieden sein - einzig dem ansonsten angenehm singenden Narciso hätten wir etwas mehr Volumen gewünscht. Die tiefen Männerstimmen waren exzellent, und auch die beiden Damen waren an diesem Abend gut aufgelegt und haben uns schrille Töne erspart. Dass es winzige Wackeleien zwischen Chor, Solisten und Orchester gab, ist bei solch bewegungsreichem Spiel gar nicht zu vermeiden - immer noch besser, als den Chor bewegungslos auf den Kapellmeister starren zu lassen, wie das an manch renommierterer Bühne geschieht.

Hier aber passierte so viel, dass wir die Inszenierung am liebsten gleich noch mal sehen würden, um alle Gags mitzubekommen. Ein wahres Feuerwerk, ganz wörtlich: sogar die obligate Wasserpfeife des Türken wurde gelegentlich als Flammenwerfer eingesetzt.

Fazit: Wir haben an diesem Abend das Theater glücklich wie selten verlassen, bevor wir uns in Auerbachs Keller einig wurden: Diese Aufführung müssen wir unseren Freunden wärmstens empfehlen. Also: nix wie hin!

Noch ein Tipp: In der Leipziger Oper kann man nicht nur online seine Karten bestellen, sondern es ist auch möglich, sie auf dem heimischen Computer selbst auszudrucken!

Claus und Friederike L.

Besetzung: Prosdocimo Giulio Mastrototaro Fiorilla Viktorija Kaminskaite Geronio Paolo Rumetz Narciso Timothy Fallon Selim Giovanni Furlanetto Zaida Claudia Huckle / Lena Belkina Albazar Dan Karlström Chor der Oper Leipzig Gewandhausorchester
Musikalische Leitung
Andreas Schüller
Inszenierung, Bühne
Michiel Dijkema Kostüme Claudia Damm

Video "Il turco in Italia" an der Oper Leipzig

1 Kommentar:

  1. Wir haben die Vorstellung im nicht ganz ausverkauften Haus am 28. Januar gesehen (letzter Termin 2010 am 7. Mai) und waren ebenfalls restlos begeistert. Sänger, Chor, Orchester musizierten konzentriert, mit Schwung und Hingabe. Schon in der Ouvertüre ließ der Regisseur seiner Fantasie freien Lauf und ließ den Dichter Prosdocimo über neue Werke à la "Don Giovanni", "Hochzeit des Figaro" sowie "Orpheus und Euridice" nachsinnen. Die "Librettomaschine", deren Mechanismus einschließlich der sie mit Muskelkraft bewegenden Technikkomparsen aus allen Richtungen zu bewundern war, bildete das Zentrum des Bühnengeschehens. Gekonnt wurde die Drehbühne eingesetzt, der Chor agierte tänzerisch, die Elemente der "Commedia dell`arte" waren nicht zu übersehen. Dem Programmheft ist zu entnehmen, dass die Kostüme "unter anderem an historischen Stichen orientiert sind, auf denen man die grotesken Figuren mit ihren skurril ausgeprägten Körperformen erkennen kann." Auf die wenigen aktuellen Einwürfe zur heutigen Fremdenfeindlichkeit durch Zwischenrufer bzw. Bühnenarbeiter im Leipziger Theater hätte ich allerdings verzichten können, sie rissen mich kurzzeitig aus dem Operngeschehen. Dennoch komme ich zum selben Fazit: Unbedingt hinfahren! - Übrigens bietet die Oper Leipzig auch in den kommenden Spielzeiten Bemerkenswertes, u.a. einen Gluckzyklus.
    Übernachtungstipp: "Motel One" in Opernnähe, ein empfehlenswertes 2-Sterne-Design-Hotel. Rechtzeitig buchen!

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