7. März 2010

Vivaldis "Orlando furioso" in Frankfurt





Vivaldis meisterhafte Bearbeitung eines bekannten Stoffes 
Der "Orlando Furioso" von Antonio Vivaldi ist ein hinreißendes Bühnenwerk eines Opernkomponisten, der nach eigenen Angaben 94 Opern geschrieben hat, von denen 50 belegt und noch erheblich weniger erhalten sind, darunter als Autograph des Komponisten auch der "Orlando Furioso". Vivaldis erste Oper zu dem bei Opernkomponisten beliebten Stoff des Ariost (1474 - 1533) mit dem bezeichnenden Titel "Rolands vorgetäuschter Wahnsinn - Orlando finto pazzo" war zuvor beim Publikum durchgefallen. In dieser neuen Oper nun lässt der Komponist dem Ritter Orlando, ursprünglich ein sagenhafter Gefolgsmann Karls des Großen, seine "Verrücktheit", die durch die Abweisung und den vermeintlichen Treuebruch der von dem Ritter geliebten Angelica ausgelöst wird. 
Als Marilyn Horne zu Beginn der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts in einer ersten Wiederaufführung die Titelpartie des Orlando sang, hatte man praktisch die Hälfte der Arien gestrichen und eine Oper rund um Marilyn Horne arrangiert (Andrea Marcon im Programmheft). In Frankfurt kann man nun 6/7 (oder 5/6) der Originalfassung erleben, die für die Aufführung benötigten Sängerinnen und Sänger des Fachs stehen zur Verfügung.

Arien und Rezitative
Die Arien der Oper zeichnen sich durch rasante Koloraturen aus. "Orlandos Aufschrei aus den Abgründen der Seele (und Kehle) "Nel profondo cieco mondo" (In den Tiefen dieser Welt) ist ein machtvoller Einstieg, der die Aufmerksamkeit sofort fesselt." (Die OpernSammlung 34, S. 537). Sonia Prina ist den Anforderungen der Rolle stimmlich und darstellerisch gewachsen, nach Auffassung des Dirigenten und Vivaldi-Kenners Marcon ist sie derzeit die einzige italienische Altistin, welche diese Partie singen kann. Es gelingt dem Dirigenten, Sänger und Musiker zu Höchstleistungen "ohne Netz und doppelten Boden" anzuspornen. Wiederholungen werden niemals im gleichen Tempo gesungen, aus langsamer wird schneller (presto !) und umgekehrt. Die Variationen werden sorgsam durch die Regie betont, eine bewundernswerte Leistung. In Frankfurt stand dem Gast-Dirigenten Andrea Marcon neben den beiden männlichen Sängern und der Altistin der Titelrolle ein Sängerensemble von vier vorzüglichen koloratursicheren Mezzosopranistinnen zur Verfügung, ein Glücksfall, ein "Mezzo-Festival" (Marcon). Bemerkenswert sind die auskomponierten Rezitative, durch welche die Dramatik des Geschehens gesteigert und die Spannung gehalten wird. In einer Reihe von Arien werden Naturphänomene geschildert, wenn z.B. Orlando singt: "Sorge l`irato nembo" - Ein wütender Sturm zieht auf.

Mehrere Liebespaare in einer Oper - und eine noch im Wahnsinn triumphierende Sonia Prina als Orlando 
Die Besonderheit der Vivaldi-Bearbeitung des Orlando besteht darin, dass hier mehrere Liebespaare in einer Oper eingesetzt werden: Bradamante-Rugggiero, Angelica-Medoro, hinzu kommen Astolfo der Alcina ebenso unerwidert liebt wie diese den Ruggiero. Und schließlich Orlando, den seine Liebe zu Angelica nicht nur zeitweise um den Verstand bringt, sondern auch in Lebensgefahr. Da hat sich der Komponist mehr zugetraut und verwirklicht, als andere, die sich mit weniger Liebesreigen begnügten. Es ist ein Verdienst der modernen Frankfurter Inszenierung, die zahlreichen Facetten des um seine Liebe betrogenen wütenden Ritters Orlando auch szenisch ergreifend auszuloten. Im letzten Akt, noch vor seiner "Heilung" erscheint der nun völlig seines Verstands beraubte Orlando (Sonia Prina) im ausgeschnittenen roten Abendkleid, das um eine männliche Brustmaske mit Behaarung drapiert ist und zeigt schwungvoll mal die Vorder- mal die Hinterseite dieser Bühnenkleidung, ohne dass es jemals lächerlich wirkt. 

Die Sänger
Neben Sonia Prinas warmem Alt in dieser Hosenrolle gefielen auch Daniela Pini als Zauberin Alclna, der Vivaldi zahlreiche, nämlich sechs Arien unterschiedlichster Gefühle  auf den Weg gegeben hat. Die erste Sängerin der Alcina soll eine Gefährtin des "roten Priesters" Vivaldi gewesen sein, ein Grund, neben dem "Außenseiter" Orlando auch sie mit besonders ausdrucksvollen Solostücken auszustatten.  Wie Orlando ist auch die mächtige Alcina unglücklich verliebt. 

Angelica, die auch bei Vivaldi stolz die Männer aufzählen darf, die ihr verfallen sind, glänzt mit einem makellosen glatten und geläufigen Mezzo, den sie mit halsbrecherischem Tempo einsetzen darf. Hier bewährt sich die junge Amerikanerin Brenda Rea. Angelica wird als temperamentvolle jugendliche Liebhaberin des Medoro voller Unschuld und Kühnheit dargestellt. Das ist toll und überzeugend. Andererseits fand ich den Regieeinfall unglaubwürdig und einfältig, sie zu Beginn als gelehrige Schülerin der männerverschlingenden "Hexe" Alcina vorzuführen: Die wilde Angelica muss erst lernen, auf Stöckelschuhen zu gehen und Männer zu umgarnen? Da ist ihr klassisches Vorbild bei Ludovico Ariosto, die kühle und zunächst spröde chinesische Prinzessin und Abenteurerin, der erst Amors Pfeil weibliche Liebesgefühle einimpft, zu weit entfernt. Auch Paula Murrhy als Medoro singt halsbrecherisch, bleibt aber darstellerisch blass - vom "heidnischen" barbarischen Krieger ist in der Inszenierung nichts mehr zu spüren - hier ist ein junges verliebtes Paar, das gemeinsam Spaß hat, das war`s.

Bleibt noch das Duo Bradamante (Katharina Magiera) und Ruggiero (der wunderbare Countertenor William Towers): Hier gelingt die "Übersetzung" ins Heute sehr überzeugend: Bradamante ist zwar keine strahlende Ritterin und Ruggiero wirkt auch nicht heldenhaft, eher der ihn verfolgenden Geliebten gegenüber tumb und der Alcina gegenüber verführbar. Aber die Idee, Bradamante als grimmig entschlossene Hausfrau und sogar Mutter zu entwerfen, die sich furchtlos und zielstrebig in das Getümmel wirft, um den geliebten Ruggiero aus den Fängen der Zauberin zu befreien, ist witzig und wird durch Frisur und adrette Kleidung der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts noch unterstrichen. William Towers als Ruggiero glänzt insbesondere in der Arie "Sol da te mio dolce amore" (Nur du, meine süße Liebe) und wird hier meisterhaft von der Traversflöte begleitet. "Der Part in dieser idyllischen Arie ist eines der schwierigsten Stücke, die je für das Instrument geschrieben wurden" (Die OpernSammlung). Ariost verfolgte übrigens die Absicht, mit seinem Versepos von 40 Gesängen, das Casanova in seinen Memoiren zu den bedeutendsten Werken italienischer Dichtung zählt, seinem Brotherren, dem Kardinal Ippolito d`Este zu gefallen. Er wollte die Geschichte des Ferrareser Fürstengeschlechts verherrlichen, welches angeblich auf den Paladin Karls des Großen Ruggiero und seine Gattin Bradamante zurückgeht.

Astolfo (Florian Plock) war als Vetter Orlandos wie ein britischer Internatsschüler ausstaffiert. Stimmig - auch bei Ariost ist Astolfo ein etwas schrulliger Engländer. Plocks Bass-Koloraturen "saßen" genauso sicher wie die der übrigen Protagonisten. Darstellerisch musste er, unglücklich in Alcina verliebt, den Trottel abgeben.

David Böschs Inszenierung
Die Regie lehnt sich an die Rezeption  des klassischen Stoffes zu Vivaldis Zeiten an und betont die komischen Seiten, die schon früh vom Straßentheater und von der Commedia del`arte aufgegriffen wurden. Haydn machte es ebenso.  Ariosts Orlando war und ist jedoch nicht bloße Unterhaltungsliteratur, sondern gehört bis in die Gegenwart zum Kanon klassisch gebildeter Italiener. Schon zu Lebzeiten wurde der Dichter von Tizian gemalt. Auch in dieser poppig angehauchten modernen Inszenierung  einer Barockoper durch David Bösch gelangen magische Momente, die auch den grandiosen Lichteffekten (Olaf Winter) geschuldet waren. Da geht die Sonne über der Insel, über Alcinas Zauberreich, auf und unter, rosa Wölkchen erscheinen und verschwinden, und gelegentlich wird eine kalte Stimmung gezaubert, die schonungslos den Blick auf die kitschigen und hässlichen Seiten dieser Inselwelt freilegen, in der die Naturgesetze außer Kraft geraten sind. Der Blick fällt auf eine zerklüftete karge Gegend mit Höhle und Bar. In der Höhle das Liebeslager von Angelica und Medoro. Der Schirm einer aus Felsen aufragenden Stehlampe wirkt wie ein künstlicher Mond. Mich erinnerte die Zauberinsel der Alcina auf der Bühne an die Felsen der äolischen Insel Lisca Bianca in Michelangelo Antonionis berühmtem Film "L`Avventura" - "Die mit der Liebe spielen" mit Monica Vitti (1960). Lediglich Alcina prunkt in prächtigen langen Gewändern, die übrigen sind teils lächerlich, teils gewollt knallig kostümiert. Angelica erscheint zum Beispiel in ihrer Auftrittsszene in einem roten Blouson zum hellblauen Pettycoat. Sonia Prina gibt breitbeinig und derb mit nackten Armen, die aus einem schwarzen Anzug herausragen, den tölpelhaften Ritter. Im Verlaufe der Oper ändern sich jedoch Auftreten und Kostüme; rasche Wechsel unterstreichen das Wetterleuchten der Gefühle. Alcina ist mal schwankende Alkoholikerin, dann wieder jugendlich anziehende Verführerin und sogar hässliche hexenhafte Alte.

Hingebungsvolles Musizieren 
Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester spielte unter dem Dirigat Marcons auf historischen Instrumenten, darunter einer auffälligen 13-chörigen Theorbe (einer Laute ähnlich) und der bereits erwähnten seitlich geblasenen Traversflöte, einer Vorform der modernen Querflöte, die zur Entstehungszeit der Oper (1727) gerade in Mode kam und ab 1750 die Blockflöte ersetzte.

Einstimmung und Schlussakkord
In der Aufführung am 18.2.2010 konnte sich das Publikum vorab in einer gut besuchten Einführung in der Oper auf die Aufführung einstimmen. Als Abschluss gab es dann noch eine Podiumsdiskussion, kenntnisreich moderiert von Steffen Seibert (ZDF). Teilnehmer waren neben dem Dirigenten Andrea Marcon die Sängerinnen des Orlando Sonia Prina und der Angelica Brenda Rae, ein krönender Abschluss, den man bei einem Glas Wein genießen konnte. Und gleichzeitig lief in Frankfurt die Ausnahme-Ausstellung mit Werken des Renaissance-Malers Sandro Botticelli - Frankfurt war wirklich eine Winterreise wert.

Weitere Vorstellungen: 12./14./20. und 31. März 2010

Astrid Fricke

1 Kommentar:

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