21. März 2010

"La Favorita" in Gießen




73 Opern hat Gaetano Donizetti in seinen gut 50 Lebensjahren komponiert. Knapp 10 davon  kann man auf den Opernbühnen dieser Welt  hören und sehen. Nun hat der Maestro aus Bergamo zweifellos nicht nur Meisterwerke geschrieben, aber warum seine 1840 für Paris geschriebene La Favorite ein solches Schattendasein führt, bleibt rätselhaft. Wieder einmal hat nun das Stadttheater Gießen eine Lanze für die vielerorts gemiedene, weil unterschätzte und (zu ?) schwer zu inszenierende Belcanto-Oper gebrochen. Mit der italienischen Version La Favorita, die 1842 zum ersten Mal in Padua auf die Bühne kam, setzte dieses relativ kleine Haus seine vor Jahren begonnene verdienstvolle  Pflege des Belcanto-Repertoires fort: mit Lucrezia Borgia, Maria Stuarda, La Cenerentola, Norma u.a. einerseits, aber auch mit solchen Raritäten wie Herolds Zampa oder die Marmorbraut oder Mercadantes Il Giuramento setzte Intendantin Cathérine Miville deutliche Akzente, die auch überregional starke Beachtung fanden. Mit Regisseur Helmut Polixa, den Dirigenten Gabriele Bellini und Eraldo Salmieri  und der (Mezzo-) Sopranistin Giuseppina Piunti in den entsprechenden Hauptpartien stand bei allen Produktionen ein fester Kern an Protagonisten zur Verfügung – so auch bei dieser Favorita.

Das Bühnenbild, das je nach Schauplatz von einer großen Taube mit Heiligenschein im Hintergrund oder einer riesigen Königskrone, in der König Alfonso sich anfangs lustvoll rekelte, beherrscht wurde, symbolisierte mit sparsam aber passend eingesetzten Lichteffekten die beiden Pole, zwischen denen Fernando hin- und hergerissen wurde. Nach der Pause wurde die Drehbühne in den Handlungsverlauf aktiv einbezogen und sorgte so für eine visuelle Unterstützung der Handlungsdynamik.


Problematisch wie immer bei der Aufführung einer Grand Opera ist die Ballettmusik, wenn man – wie meist üblich – auf das Ballett verzichten muss. In Gießen wurden kurze Ausschnitte in den Umbaupausen zwischen den Akten bei geschlossenem Vorhang präsentiert, vor dem Leonora bzw. Fernando ihren jeweiligen Seelenzustand pantomimisch sichtbar machten – sicherlich keine wirklich befriedigende Lösung.

Ausgezeichnete, zu den dargestellten Figuren auch in ihrer “physique du role“ passende Sänger in stimmigen Kostümen prägten nachhaltig den Eindruck, den diese Aufführung hinterließ. In glänzender Verfassung zeigte sich der junge Spanier Xavier Moreno als Fernando, der schauspielerisch überaus intensiv mit leuchtender Tenorstimme und sicheren Höhen den Abend beherrschte. Aber auch die beiden tieferen Männerstimmen des Baritons Victor Benedetti als König Alfonso und des brasilianischen Basses José Gallisa als Prior Baldassare überzeugten vollauf. Die in Gießen verständlicherweise geliebte Giuseppina Piunti bot – erneut in der Rolle einer leidenschaftlichen und starken Frau - nicht nur figürlich, sondern auch stimmlich eine faszinierende Leistung, gerade auch weil nicht alle Töne mühelos erreicht wurden. Selbst in den beiden “Nebenrollen“ hörten und sahen wir mehr als rollendeckende Porträts: die junge belgische Sopranistin Odilia Vandercruysse, die bezaubernd-locker Ines verkörperte, sowie den Tenor Alexander Herzog als schleimigen Strippenzieher Don Gasparo. Eraldo Salmieri am Pult des Philharmonischen Orchesters Gießen neigte zwar in den langsamen Passagen gelegentlich zu sehr gedehnten Tempi, sorgte aber – auch im Zusammenklang mit dem verstärkten Chor - durchgehend für das nötige Feuer und belcantesken Wohlklang, der das Publikum im bis auf einzelne Randplätze ausverkauften Stadttheater Gießen begeistert zurückließ.

Wieder einmal – wie eigentlich immer bei unseren Belcanto-Reisen nach Gießen – war diese Aufführung die längere Anreise wert. Wer es ähnlich sieht, möge sich die Termine der zwei letzten Aufführungen vormerken: 1. und 11. April.

Besuchte Aufführung am 6. März 2010

Walter Wiertz

2 Kommentare:

  1. Dem Bericht des Rezensenten über diese bemerkenswerte Performance kann ich nur zustimmen. Zwar war in der von mir besuchten Aufführung am 24.01. der Tenor Xavier Moreno sicht- und hörbar indisponiert, doch er überspielte sein Handicap mit einer sehr engagierten Rollengestaltung, so dass er nicht als sängerischer Schwachpunkt empfunden wurde. Am Ende gab es, wie in der vom Rezensenten besuchten Vorstellung, jubelnden Beifall des höchst zufriedenen Publikums. Ich habe dieses schöne kleine Jugendstiltheater in guter Erinnerung behalten und werde bei passendem Anlass gerne wieder hinfahren.

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  2. Friederike und Claus Louis23. März 2010 um 17:54

    Auch wir waren am 24.1. in dieser Vorstellung und dieser kluge und freundliche Bericht darüber spricht uns aus dem Herzen. Eine erfreulich unprätenziöse Inszenierung, die mit bescheidenen aber intelligent eingesetzten Mitteln das denkbar Beste erreicht. Ein Juwel von einer Oper wird hier dankenswerterweise vor dem Vergessenwerden bewahrt. Den ersten Klavierauszug davon hat kein Geringerer als Richard Wagner selbst hergestellt und Toscanini sagte bewundernd über den 4. Akt :"Jede Note ein Meisterwerk." Also schnell noch hin in eine der restlichen Vorstellungen!

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