7. Februar 2011

Das besondere Jubiläum: 333 Jahre Oper in Hamburg – Vorschau und ein kleiner Blick zurück auf das Repertoire der Gänsemarktoper



In Hamburg begeht man zur Zeit gern schräge Jubiläen. So feiern die Hamburger Bücherhallen seit einigen Monaten ihr 111-jähriges Bestehen, und am 18. Januar 2011 gab es im Parkett-Foyer der Hamburgischen Staatsoper die Auftaktveranstaltung „333 Jahre Oper in Hamburg – Das Hamburger Bürgertum und seine Oper in historischer und aktueller Perspektive“ mit Kurzreferaten von Prof. Dr. Dorothea Schröder (Die Gründung der Hamburger Oper – eine „mutige Tat glücklicher Kaufleute“?) und von Prof. Dr. Dr. h. c. Udo Bermbach (Die Situation der Oper im Hamburg der Gegenwart). Nach der Ankündigung im Journal sollte die Auftaktveranstaltung auch den Programmschwerpunkt „333 Jahre Oper in Hamburg“ für die Spielzeit 2011/12 vorstellen, Operndirektor Francis Hüsers verriet in seiner Begrüßung und Einführung aber leider keine Details außer der für Oktober 2011 vorgesehenen Aufführung der Oper „Flavius Bertaridus“ von Georg Philipp Telemann, uraufgeführt in Hamburg am 23. November 1729, aus der Ann-Beth Solvang eine Arie vortrug. Aber jedenfalls was diese Telemann-Oper angeht, weiß das Internet mehr: Es handelt sich um eine Co-Produktion der Innsbrucker Festwochen und der Hamburgischen Staatsoper.


(Zum Vergrößern ins Bild klicken)


Das "Hamburger Abendblatt" (Magazin vom 5./6.2.2011) berichtet, dass im Juli 2012 die Spielzeit mit einer Oper von Johann Mattheson als Produktion des Internationalen Opernstudios enden soll.

Und wenn es denn auch noch die Wiederaufnahme einer Oper von Händel gäbe, der an der Gänsemarktoper von 1703 bis 1705 als Violinist und Cembalist engagiert war und für sie seine ersten Opern geschrieben hat, wäre dieses ungewöhnliche Jubiläum zugleich eine höchst willkommene Wiedergutmachung für die Enttäuschung über ein an der Hamburgischen Staatsoper spurlos vorübergegangenes Händeljahr. Hamburg darf sich auch heute noch als Händel-Stadt rühmen, besitzt die Musiksammlung der Staats- und Universitätsbibliothek doch einen einmaligen Schatz, nämlich Händels Direktionspartituren zu rund 60 Opern und Oratorien Händels, aus denen der Komponist einst selbst dirigierte und zahlreiche aufführungsspezifische Bearbeitungsspuren darin hinterließ, ein Quellenbestand von außerordentlicher Bedeutung für Händel-Forschung und Musikpraxis.

"Händel wurde auch nach seiner Abreise in Hamburg nicht vergessen. Zwei seiner hier noch entstandenen Opern, "Florindo" und "Dafne", wurden 1708 in der Hansestadt uraufgeführt. Ab 1721 hat sich Georg Philipp Telemann in hohem Maße urn die Etablierung von Händels Opern in Hamburg verdient gemacht. Viele von Händels dann in England entstandenen Opern - darunter "Giulio Cesare", "Admeto" und "Pora"- wurden unverzüglich in Hamburg gegeben. 1732 setzte Telemann dann auch erneut „Almira" auf den Spielplan. Carl Philipp Emanuel Bach, Nachfolger Telemanns als Hamburger Musikdirektor, setzt die Händel-­Tradition mit verschiedenen Oratorien-Aufführungen fort. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erarbeitet dann Friedrich Chrysander, der wohl bis heute wichtigste Händel-Forscher überhaupt, in Hamburg die erste Händel-Werkausgabe und eine bis heute Maßstäbe setzende Händel-Biographie. Chrysanders Bibliothek mit den Dirigierpartituren Händels zählt heute zu den größten Schätzen in der Musiksammlung der Staats- und Universitätsbibliothek. Hamburg darf sich mithin als "Händel- Stadt" begreifen. Diese Tradition zu pflegen und sie weiter zu ent­wickeln sollte heute eine selbstverständliche Aufgabe und Pflicht sein. Die Aufführungen der "Almira" im Bucerius Kunst Forum - 300 Jahre nach ihrer Entstehung - machen hierfür den Anfang."
Philipp Adlung  (Aus dem Programmheft zur Aufführung von Händels "Almira")  

Kurzer Abriss der ersten 100 Jahre

Am 2. Januar 1678 wurde das von Girolomo Sartorio erbaute Opernhaus am Gänsemarkt als erstes öffentliches Opernhaus Deutschlands mit dem Singspiel "Adam und Eva oder Der Erschaffene, Gefallene und Aufgerichtete Mensch" von Johann Theile eröffnet.

Von etwa 1686 bis 1738 war die Hamburger Oper eines der führenden musikalischen Zentren in Europa mit Aufführungen der Opern von Reinhard Keiser, Johann Mattheson, Georg Philip Telemann (ab 1721 Hamburger Stadtmusikdirektor) sowie Georg Friedrich Händel. Als durch finanzielle Misswirtschaft und mangelndes Publikumsinteresse die Oper in ihrer Existenz bedroht war, fühlten sich die pietistisch orientierten Theologen, denen die Sinnlichkeit der Oper schon lange ein Dorn im Auge war, nur bestätigt, und ihre Attacken nahmen zu. Das Haus wurde schließlich 1738 als selbstständiges Unternehmen geschlossen. Bis zum endgültigen Abriss des Gebäudes im Jahr 1763 diente es vor allem durchziehenden Komödiantentruppen als Spielort. Auf diese Weise wurde allerdings auch die italienische Oper in Hamburg bekannt. So trat 1748 der zweiunddreißigjährige Christoph Willibald Gluck mit der Operntruppe Antonio Mingottis in Hamburg auf. Am 31. Juli 1765 wurde auf Initiative Konrad Ernst Ackermanns das „Ackermann'sche Comödiantenhaus" eröffnet. Einen reinen Opernbetrieb nahm man nicht mehr auf, sondern mischte Musiktheater und Schauspiel. Ab 1767 hieß das Theater auf Lessings Einfluss hin „Deutsches Nationaltheater". Lessing war bis 1779 Dramaturg in Hamburg und veröffentlichte während dieser Tätigkeit seine „Hamburger Dramaturgie"...
mehr

Der Hamburger Opernstil

Die meisten der an der Gänsemarktoper gespielten Werke waren von Reinhard Keiser, - in der Dokumentation „Geschichte der Hamburger Oper 1678 – 1978“ von Joachim E. Wenzel sind über 70 Opern von Keiser aufgelistet, die im Zeitraum von 1694 bis 1734 auf dem Spielplan standen. Von Telemann sind 27 Opern für die Zeit von 1721 bis 1736 angegeben und von Mattheson 7 Opern für die Jahre 1699 bis 1723. Von den meisten Werken sind jedoch nur die Texte erhalten, nicht aber auch die Musik. Die Musiksammlung der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg enthält eine Libretto-Sammlung zur Hamburger Gänsemarkt-Oper mit rund 450 gedruckten Libretti zu etwa 310 Opern, die zwischen 1678 und 1738 im Hamburger Opernhaus am Gänsemarkt aufgeführt wurden.

Kennzeichnend für den damaligen Hamburger Opernstil ist eine Mischung von deutsch oder aber auch mit italienischem Originaltext gesungenen Arien mit deutsch gesungenen Rezitativen im italienischen Stil, Ouvertüre und Tänze waren dagegen meist im französischen Stil. Gern wurden aus eigenen Werken, aber auch aus Opern anderer Komponisten Arien übernommen, die beim Publikum besonders beliebt waren. Eingeflochten wurden zudem Anspielungen auf tagesaktuelle Ereignisse des politischen und gesellschaftlichen Lebens.

Reinhard Keiser – "Der lächerliche Prinz Jodelet" (1726)



Bei einer Aufführung in der heutigen Zeit sollten „kabarettistische“ Einlagen zur Wahrung des Hamburger Opernstils m. E. nach Möglichkeit beibehalten bzw. „aktualisiert“ werden. So mit Erfolg geschehen bei der Inszenierung von Keisers „Der lächerliche Prinz Jodelet“ an der Hamburgischen Staatsoper. Die Premiere (22. Februar 2004) fiel – wie der Zufall es so wollte – in die Zeit vorgezogener Neuwahlen in Hamburg, was Anregung für einige Regieeinfälle bot. Aber wer wird bereits heute noch verstehen, wen die Dame darstellen sollte, die plötzlich auf der Bühne herumwuselte und an alle am Bühnengeschehen Beteiligten Exemplare des Buches „Die Entdeckung der Currywurst“ (ein übrigens wirklich lesenswertes Buch von Uwe Timm) verteilte? Seinerzeit war das aufgrund der Aktualität ein großer Heiterkeitserfolg. Das parodierte „Original“ saß bei der Premiere übrigens in der ersten Reihe: die damalige Kultursenatorin, die mit teils skurillen Ideen – beispielsweise ein „Aquadome“ in der Hafencity als eine Kombination aus Konzertsaal und Aquarium (mit Haitunnel als Zugang zum Konzertsaal!) – auch überregional von sich reden machte ("Amok im Aquarium").





Johann Mattheson – „Boris Goudenow oder Der durch Verschlagenheit erlangte Trohn“ (1710)

Diese Oper hatte Mattheson zwar 1710 für die Gänsemarktoper komponiert, zur Aufführung kam sie dort aber nicht. Möglicherweise – so wird spekuliert - befürchteten die Hamburger Kaufleute, dass ihre gut gedeihenden Handelsbeziehungen zu dem gerade erst gegründeten St. Petersburg Schaden nehmen könnten... Und so blieb das Werk vergessen, in den Wirren des Zweiten Weltkriegs gelangte das Notenmaterial nach Armenien, wo es von dem Kirchenmusiker und Musikforscher Johannes Pausch in den sog. „Eriwan-Beständen“ aufgespürt wurde, die dann 1999 an die Hamburger Staatsbibliothek zurück gelangten. Die konzertante Aufführung unter Rudolf Kelber am 29. Januar 2005 im Bucerius Kunst Forum war somit die Uraufführung dieser Hamburger Barockoper! (Details)

Bei dieser Vorgeschichte war man natürlich gespannt auf die komponierte „Verschlagenheit“, - die erschöpft sich allerdings in der List des Boris, Desinteresse am Zarenthron zu heucheln und sich solange in ein Kloster zurückzuziehen, bis alle ihn inständigst bitten, ihr Zar zu werden. 
Ein Mitschnitt der Hamburger Uraufführung ist in der „Edition Musik Landschaften Hamburg“ erschienen (RP 15287 – 3 CDs).



Die erste szenische Aufführung des „Boris Goudenow“ brachte kurze Zeit später das Boston Early Music Festival im Juni 2005. Aber auch in Hamburg gab es schon bald eine szenische Aufführung des „Boris Goudenow“, und zwar am 30. August 2007 im St. Pauli Theater. Anlässlich des 50jährigen Bestehens der Städtepartnerschaft zwischen Hamburg und St. Petersburg wurde eine „experimentelle Barocktheaterproduktion von EARLYMUSIC RUSSIA“ aus dem Mikhailovsky Teatr St. Petersburg gezeigt, eine Inszenierung in der Regie von Klaus Abromeit, bei der auf - mit Ausnahme von Podesten - fast leeren Bühne die in prächtige Barockkostüme gewandeten Solisten meist statuarisch verharrten und die musikalischen Affekte in stark formalisierte, aber ausdrucksstarke Gesten umsetzten.





Zwei Videos von einer St. Petersburger Aufführung
der in Hamburg gezeigten Produktion: 





Hamburger Aufführungen von weiteren Werken der Gänsemarktoper:

Unter der Leitung von Rudolf Kelber gab es noch weitere Werke der Gänsemarktoper in konzertanten Aufführungen im Bucerius Kunst Forum:


Händel - „Der in Krohnen erlangte Glücks-Wechsel oder
Almira, Königin von Kastilien“ (November 2005)



Mattheson - „
Die betrogene Staats-Liebe oder Die
unglückselige Cleopatra, Königin von Egypten“
(Oktober 2006)





Händel - „
Zenobia“ (Hamburger Fassung 1722 von „Radamisto“
mit deutschen Rezitativen von Mattheson) (April 2009)


Zum Abschluss ein Video von einer Aufführung der Innsbrucker Festwochen 2007. In Hamburg war „Der geduldige Sokrates“ (1721) von Telemann am 29. August 2007 in der Laeiszhalle in der Innsbrucker Besetzung unter René Jacobs halbszenisch – d.h. ohne Kostüme, aber mit viel Aktion auf einem zwischen Orchester und Publikum aufgebauten breiten Steg - aufgeführt worden, in diesem Fall wohl die erfreulichere Variante...




2 Kommentare:

  1. Zu dem sehr informativen Beitrag von esg über die Hamburger Oper und deren Rückbesinnung auf ihre Anfänge kann ich noch etwas ergänzen. Auch anläßlich ihres 300-jährigen Jubiläums im Jahre 1978 hat die Hamburgische Staatsoper – das war in der in meiner Erinnerung sehr erfolgreichen Intendanz von Christoph von Dohnanyi - nicht ganz vergessen, an ihre Anfangszeit als Opernhaus am Gänsemarkt zu erinnern. Damals wurde wenigstens konzertant erstmals nach fast 250 Jahren wieder eine Oper von Reinhard Keiser gespielt, von dem nach der Statistik in der Hamburger Opernchronologie zwischen 1694 und 1734 insgesamt 73 Werke (!) den Spielplan füllten – Telemann brachte es demgegenüber „nur“ auf 27 - und der damit als Hauptvertreter der Hamburger Barockoper angesehen werden kann. „Die großmütige Tomyris“ wurde unter Einsatz einer Orchesterbesetzung im originalen Klangbild, der Camerata Accademica mit dem Monteverdi-Chor Hamburg und den Solisten Faye Robinson (Titelpartie) – sie wurde besonders gefeiert -, Gabriele Fuchs, Frieder Stricker, Peter Haage, Anthony Rolfe Johnson, Heinz Kruse (4 Tenöre!), u.a. zur Aufführung gebracht. Das Hamburger Abendblatt konstatierte damals: „Gerade angesichts einer am Schluß so enthusiastischen Zustimmung stellte sich noch einmal die Frage, ob sich im Jubiläumsjahr der Staatsoper nicht doch eine szenische Realisation des 261 Jahre alten Werkes gelohnt hätte“. Es sollte jedoch weitere 26 Jahre dauern bis mit dem lächerlichen Prinzen Jodelet ein weiteres Werk von Reinhard Keiser, diesmal szenisch und diesmal eine komische Oper auf die Hamburger Bühne kam. Dem folgen in der nächsten Saison die von esg genannten Werke von Telemann und Matheson. Es ist sehr zu begrüßen, wenn sich die Hamburger Staatsoper endlich mal in dieser Form auf ihre Historie besinnt.

    AntwortenLöschen
  2. Nicht zu vergessen die Telemann-Ausstellung ab Montag, den 14.02.2011 bis 06.03.2011 in der Hamburger Rathausdiele !

    http://www.telemann-hamburg.de/georg_philipp_telemann.html

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.