30. November 2010

‘L’italiana in Algeri’ in Lausanne

Nachdem sich Anna Bonitatibus mit einer CD als rossinische Liedsängerin empfohlen hat, war es reizend, sie auch in einer Opernproduktion zu erleben. Gelegenheit dazu bot eine Italiana in Algeri in Lausanne, und es zeigte sich, dass ihr die Rolle der Isabella perfekt in der Kehle liegt – nicht nur von der Tessitur her, sondern auch hinsichtlich der Koloraturen, die die Sängerin hier mit viel Aplomb und Verve zur Geltung bringen konnte. Ihr Lindoro, Lawrence Brownlee, forcierte zunächst in beiden Arien (im 2. Akt übrigens die anspruchsvollere Alternativarie „Concedi amor pietoso“) ein bisschen, löste sich dann aber jeweils in der Cabaletta, wo er seinem Koloraturgesang freien Lauf lassen konnte. Der Mustafà von Luciano Di Pasquale verfügt über eine eher farblose Stimme, die er gut führte und die ebenfalls koloraturgewandt ist. Dem stand Riccardo Novaro als Taddeo in nichts nach. Bei den drei Nebenrollen fiel das schöne Stimmmaterial von Alexandre Diakoff als Haly auf, während sich Elizabeth Bailey als Elvira und Antoinette Dennefeld als Zulma ideal in dieses hochstehende Ensemble einfügten.


Bild: Opéra de Lausanne / Marc Vanappelghem

Die Inszenierung von Emilio Sagi (eine Koproduktion mit Santiago de Chile und Bilbao) bot die glamouröse Eleganz einer Modeschau, vermischt mit orientalischen Motiven, und verzichtete weitgehend auf eine zeitliche Festlegung des Handlungszeitraums. Im ersten Akt herrschten grelle rote Farben vor, im zweiten weichere blaue. Die Szenen am Strand wurden in ein augenschmerzendes Hintergrundlicht getaucht, das von den Sängern nicht viel mehr als ihre Schatten übrig ließ. Ein Spiel mit roten Luftballons mit vertikalen Auf- und Abbewegungen bebilderte das organisierte Chaos im ersten Finale, während blaue Ballons mit horizontalen Hin- und Herbewegungen das Meer im Schlussbild symbolisierten. Mustafà war als verspielter Tollpatsch gezeichnet, der sich einmal ganz situationsgerecht mit Modellen von italienischen Symbolen wie dem schiefen Turm von Pisa oder dem Kolosseum beschäftigte, einmal aber auch mit einer Dampflok auftrat und seine erwartungsvolle Arie sang, während um ihn herum die Modelleisenbahn, Spur H0, ihre Runden drehte – ein richtiger Petit train de plaisir, der aber als weit hergeholte Idee eher ein Déraillement des Regisseurs bedeutete. Vor allem die Ensembles wurden von Sagi als Tableaus angelegt, vor deren statischem Verharren sich die Magie der Musik entfesselte und den Zuhörer mit sich fortriss. Diesen Effekt erzielte die brillante Leitung von Ottavio Dantone, die sich nicht nur in diesen Crescendowalzen voll entfaltete, sondern auch sonst durch tolle agogische und dynamische Akzentsetzungen auffiel. Das Orchestre de Chambre de Lausanne folgte ihm tadellos und trumpfte mit sauberen Bläsersoli auf. Erwähnenswert auch die Herren des Chœur de l’Opéra de Lausanne, die meist als Eunuchen mit BH auftraten.
         Bemerkenswert waren die französischen Übertitel (deren Übersetzer sich aus unerfindlichen Gründen hinter einem anonymisierenden „R.V.“ versteckte), die nicht nur präzise der Wortfolge des gesungenen Textes folgten, sondern in dialogisierenden Passagen auch die Standorte der Sänger abbildeten und mithin die Dynamik des Bühnengeschehens mittrugen.
         Wer es noch schafft, dem können die zwei letzten Aufführungen vom 1. und 3. Dezember durchaus empfohlen werden.

Reto Müller (Besuchte Aufführung: 28. November 2010)

Vorabdruck aus «Mitteilungsblatt der Deutschen Rossini Gesellschaft»

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.