Il viaggio a Reims hat von allen Werken Rossinis wohl die eigentümlichste Aufführungsgeschichte. Geschrieben für die Krönung Karls X. in Reims, verschwand die Oper ganz schnell wieder von den Spielplänen, und Rossini verwendete einen Teil des musikalischen Materials für seinen Comte Ory. Lange Zeit galt die Oper als vergessen und verschollen. Als entsprechende Funde das Bewusstsein dafür schärften, dass es sie sehr wohl noch gibt, stellte sich die Schwierigkeit in den Weg, das Originalmaterial vollständig wieder zusammenzufügen. Seit der modernen Wiederaufführung 1984 erobert das Werk kontinuierlich die Bühnen der Welt und gehört heute – nach den vier bekannten Buffas – zu den meistgespielten Opern Rossinis. Einer der Pioniere dieser Wiederentdeckung und Herausgeber der Viaggio-Partitur in der Rossini-Gesamtausgabe ist Philip Gossett. An den wandte sich Gregor Bühl, Dirigent der Neuinszenierung an der Staatsoper Hannover, als er mit den Vorbereitungen begann. Dank dieses Kontakts kam es sogar zu einer Stippvisite des Opernforschers in Hannover. Im Rahmen der obligaten Einführungsveranstaltung erzählte Philip Gossett informativ und mit viel Humor über die lange Geschichte des Wiederauffindens der Partitur. Sein ebenso unkompliziertes wie mitreißendes Wesen hat sicherlich bei manchem Besucher der Veranstaltung erst die Lust auf diese Rossini-Spezialität geweckt.
Die ist nun in Hannover von Matthias Davids auf die Bühne gebracht worden, der sich am Haus schon mit zwei Musical-Produktionen – das Weiße Rössl und Guys and Dolls – vorgestellt hatte. Zusammen mit der Bühnenbildnerin Marina Hellmann und dem Kostümbildner Leo Kulaš entwirft Davids ein Flughafen-Szenario, in dem die Reisenden auf dem Weg nach Reims stranden und sich in vielerlei persönlichen Verstrickungen begeben. Die einzelnen Figuren werden dabei vor allem durch die ebenso geschmack- wie phantasievollen Kostüme trefflich gezeichnet, einige Aktionen auf der Bühne gleiten stellenweise etwas arg in Klamauk ab, was dem durchweg spielfreudigen und inspirierten Verlauf des Abends indes keinen Abbruch tut. Matthias Davids versucht gar nicht erst, eine Geschichte zu erzählen, schließlich gibt es auch keine, sondern reiht die einzelnen Episoden des Zusammentreffens der Personen mit viel Witz und Spritzigkeit aneinander. Dass Rossini hier ein Paradebeispiel für absurdes Theater geschaffen hat, lässt das Regieteam immer wieder durchblicken.
Foto: Staatsoper Hannover
Musikalischer Trumpf des Abends ist Gregor Bühl, von 1995 bis 2001 1. Kapellmeister am Haus, der nun ans Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters zurückkehrt und einen so luftigen, lockeren, dabei ungemein präzisen Rossini dirigiert, dass das Zuhören eine wahre Wonne wird. Die Musiker folgen seinen Vorgaben hochkonzentriert und mit sicherem Gespür für den typischen Rossini-Klang. Damit bereiten sie dem Ensemble eine wunderbare Grundlage. Allen voran Dorothea Maria Marx als Corinna und Hinako Yoshikawa als Contessa di Folleville wissen das zu nutzen und lassen ihre perfekt sitzenden Koloraturen auf diesem Orchesterteppich schweben. Julia Faylenbogen als Marchesa Melibea mit sattem Mezzo und Ania Vegry als resolute Madama Cortese stehen da in ihrer vokalen Kompetenz in nichts zurück, im Kreis der Herren punkten vor allem die Tenöre Sung-Keun Park als Conte di Libenskof und Ivan Turšić als Cavaliere Belfiore mit hell timbrierten und sicher geführten Stimmen. Tobias Schabel als Lord Sydney, Shavleg Armasi als Barone di Trombonok und Young Myoung Kwon als Don Prudenzio bringen ihre profunden Bassstimmen gekonnt ins Spiel, die Baritone Frank Schneiders als Don Profondo und Jin-Ho Yoo als Don Alvaro stehen da etwas hinten an.
Stimmlich wie musikalisch kann die Staatsoper Hannover mit diesem Sonderfall unter den Opern Rossinis eine rundum geglückte Produktion zeigen, die dem Haus wie dem Publikum die lohnende Lebendigkeit dieses Repertoires zeigen sollte.
Christian Schütte (Besuchte Aufführung: 15. April 2010)
Video unter: www.theater-tv.com
Weitere Termine: 17., 20., 24., 30. April, 7., 9. Mai, 2., 23. Juni 2010
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