11. September 2009

Rossini in Wildbad 2009

Elke Heidenreich hat in der FAZ einen höchstpersönlichen, amüsanten Bericht über „ihren“ Festspielsommer geschrieben: „Mein Gott, was machen wir… es festspielt landauf, landab mit ungeahnter Wucht“. In Bad Wildbad war sie nicht, dort müsste es ihr aber eigentlich gut gefallen. Denn dort gibt es keine Massen und nichts, was vom Entspannen ablenkt, nichts außer eben diesem kleinen liebenswerten Festival „Rossini in Wildbad“. Ich war dieses Jahr dort zum neunten Mal in Folge und habe mir vom 2. bis 12. Juli zehn Tage Entspannung mit Festspielen gegönnt.

Schlechte Nachrichten gab es leider vorab: Das Konzert von Marianna Pizzolato wurde wegen Erkrankung abgesagt. Es war auch einiges anders als sonst: Eine Masterclass, wie sie in den Vorjahren Raúl Giménez durchgeführt hatte, gab es aus finanziellen Gründen dieses Jahr leider nicht mehr.

Und noch etwas hat sich geändert: Ungewohnt und für mich ziemlich gewöhnungsbedürftig ist der neue Standort des Rossini-Denkmals. Nun steht es nicht mehr im Schutz der grünenden und blühenden Vegetation des Kurparks, sondern an dem von Anfang an vorgesehenen Platz, nämlich auf dem Rand eines kleinen Thermalbeckens gegenüber dem Palais Thermal, und Rossini könnte also nun seinen Fuß in echtes Thermalwasser setzen, - aber etwas verloren wirkt er dort, so fast nackert und nur mit einem Handtuch um die Hüften. Aber als Mittelpunkt von Gruppenfotos ist er begehrt, und vielleicht werden nächstes Jahr – jedenfalls zur Festspielzeit – auch noch ein paar Blumenkübel das spartanisch-kahle Ambiente etwas freundlicher gestalten.

Das Festival begann mit einer von Alberto Zedda geleiteten und als CD-Einspielung vorgesehenen konzertanten Festaufführung. Dem SWR und der Firma Naxos ist erneut herzlichst dafür zu danken, dass endlich Zeddas maßstäbliche Interpretationen von Rossinis Meisterwerken auf CD dokumentiert werden, und für den Maestro kommen auch Spitzensänger nach Bad Wildbad, die man andernorts nicht so „hautnah“ erleben kann. Für die auf CD bereits erschienenen Projekte der vergangenen Jahre sei auf die Übersicht in meinem Blog-Beitrag zum letztjährigen 20. Festival "Rossini in Wildbad" 2008 - Das Jubiläum verwiesen.

Dieses Jahr stand „La gazza ladra“ („Die diebische Elster“) auf dem Programm, eine Oper, die Alberto Zedda bereits 1979 nach der von ihm erstellten kritischen Ausgabe der „Fondazione Rossini di Pesaro“ eingespielt hat, und gerade was die sängerischen Leistungen anbelangt, zeigt der Vergleich mit dieser Aufnahme aus einer Zeit ganz zu Beginn der Rossini-Renaissance – das erste Rossini Opera Festival in Pesaro fand 1980 statt - doch deutlich die immense Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Für den 2. Juli war an sich für den Abend eine (eingeschränkt) öffentliche Generalprobe vorgesehen, und dafür hatte ich mir eine Eintrittskarte gekauft, hatte aber schon vor meiner Abreise erfahren müssen, dass stattdessen über den ganzen Tag verteilt Aufnahmen für die CD-Veröffentlichung stattfänden. Somit führte mein erster Weg nach meiner Ankunft am Nachmittag zum Touristik-Büro, wo ich meine Eintrittskarte zurück gab und mich zum Trost für das (kostenlose) Zuhören bei den Aufnahmen anmelden durfte, so dass ich abends dann immerhin noch die Arbeit an Ouvertüre und erstem Akt verfolgen konnte. Diese Reihenfolge – zunächst der zweite, und danach der erste Akt – kannte ich schon von der ebenfalls beschränkt öffentlichen Generalprobe der „Italiana in Algeri“ im Vorjahr; dies wird so gehandhabt, damit man auch für die Aufnahme des zweiten Aktes frische Stimmen hat. Anders als im Vorjahr wurde dieses Mal aber häufiger unterbrochen und mit dem Orchester (Virtuosi Brunensis) diskutiert und dann anschließend noch eine Stunde mit Nachaufnahmen verbracht, - zufrieden schien der Maestro noch nicht zu sein, wovon dann aber bei der Aufführung am Sonnabend, 4. Juli, nichts mehr zu merken war. Diese wurde wieder ein großer persönlicher Erfolg für Alberto Zedda, - es ist immer wieder faszinierend zu erleben, wie der so gebrechlich wirkende und nun schon 81-Jährige mit dem Erheben desTaktstocks Energie aufzuladen scheint und mit welcher Leidenschaft und Liebe er dirigiert und Orchester, Chor und Sänger mitreißt. Auf die Sendung des Mitschnitts beim SWR und auf die anschließend hoffentlich auch bald erscheinende CD-Aufnahme darf man sich freuen, denn alle gaben für Zedda ihr Bestes: Maria José Moreno – zurück aus der Babypause – als schönstimmige und anrührende Ninetta, Kenneth Tarver als höhensicherer Giannetto, Lorenzo Regazzo – auch konzertant mimisch und gestisch ständig in Aktion – als koloraturschleudernder komisch-böser Gottardo, Giulio Mastrototaro und Luisa Islam-Ali-Zade als Eltern von Giannetto, Mariana Rewerski - Einspringerin für die erkrankte Marianna Pizzolato - als Pippo und – das war die Überraschung dieser Produktion – Bruno Praticò einmal nicht in einer Buffopartie, sondern als Fernando, schön auf Linie singend, mutig in den Koloraturen und sehr konzentriert ob des doch wohl eher ungewohnten Terrains. Auch die kleineren Partien waren gut besetzt, und zwar durchweg mit Sängern, die dann in der späteren szenischen „Gazza ladra“ Hauptpartien sangen: Stefan Cifolelli (Tenor, Isacco), Pablo Cameselle (Tenor, Antonio) und Maurizio Lo Piccolo (Bass, Giorgio), ferner Damian Whiteley (Pretore).

Am Sonntag, 5. Juli, stand dann am Vormittag die Premiere der szenischen Schiller-Belcanto-Matinee „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann“ auf dem Programm (Regie: Christof Küster). Eine der deutschen Sprache unkundige Sängerin (Luisa Islam-Ali-Zade) und ein überschwänglicher Schauspieler (Boris Rosenberger) erscheinen zum Vorsingen bzw. zum Vorsprechen für „Wilhelm Tell“ und geraten nichtsahnend an die Putzfrau – hinreißend gespielt von der Schauspielerin Gundi-Anna Schick; diese findet Gefallen an der Sache und „inszeniert“ die Tell-Handlung, die sie nur in groben Zügen vom Hörensagen kennt, mit den ihr eigenen Mitteln und Ideen. Eingebaut in den Ablauf waren sieben Arien (von einer Canzonetta von Haydn und Mozarts Cherubino über Rossinis Italiana und Tancredi bis zu Tschaikowskis Jungfrau von Orléans), mit denen Luisa Islam-Ali-Zade – wie immer souverän am Flügel begleitet von Marco Bellei - brillieren konnte. Für diese vergnügliche Stunde Unterhaltung gab es viel Beifall.

Danach wurde es bis zum Donnerstag ohne Festivalgäste sehr ruhig in Bad Wildbad, aber für mich keineswegs langweilig. Zum einen gibt es im Umkreis von Bad Wildbad nicht nur Wanderwege und lohnende kulturelle Ausflugsziele mit Museen, Ruinen, Fachwerkhäusern etc., sondern auch drei Städte mit Opernhäusern – Karlsruhe, Stuttgart und Pforzheim - , von denen man auch nach einer Abendvorstellung noch mit der Stadtbahn bequem nach Bad Wildbad zurückkehren kann, zum anderen wird vor Ort ja für die bevorstehenden Premieren geprobt. So erlebte ich in Pforzheim, (wohin ich mich schon am Freitag vor aufziehenden Gewitterstürmen ins Schmuckmuseum geflüchtet hatte) am Sonntagabend eine sehr fantasievoll inszenierte und erfreulich gut gesungene Aufführung der Barockoper „La Calisto“ von Cavalli, und auch Stuttgart bot am Mittwoch mit Händels „Teseo“ Barockes. Dazwischen erlebte ich die Proben zur szenischen „Gazza ladra“ und zu Rossinis „Il signor Bruschino“, den ich – da nun einmal leider überhaupt kein Kurparkwetter war - dreimal komplett sah und hörte und so auch die szenische und musikalische Detailarbeit gut verfolgen konnte.

Für Donnerstag, 9. Juli, hatte eigentlich ein Belcanto-Festkonzert mit Marianna Pizzolato auf dem Programm gestanden, das aber leider wegen ihrer Erkrankung hatte abgesetzt werden müssen. Wer wollte, konnte stattdessen in eine sog. Voraufführung der szenischen „Gazza ladra“ gehen, in Wirklichkeit – und so auch in dem außerhalb der Vorstellungen im Kurhaus aushängenden Probenplan ausgewiesen – war es die Generalprobe, und zur Enttäuschung einiger Besucher hörten sie von Ugo Guagliardo in der Rolle des Fernando weitgehend nur Markiertes und konnten erst in der Schlussszene, in der er voll aussang, erahnen, was ihnen entgangen war. Ich meine, man hätte das Publikum darauf vorbereiten sollen, die Leute wären trotzdem gekommen und hätten Verständnis gehabt (und sich vielleicht auch mit den im Vergleich zu den normalen Vorstellungen niedrigeren Kartenpreisen etwas getröstet); denn dass es ohne ernstliche Stimmgefährdung nicht anders ging, war völlig einzusehen, da dieser junge und wirklich vielversprechende Koloraturbass sowohl in der „Gazza ladra“ als auch im „Signor Bruschino“ Hauptpartien sang.

Das 20-jährige Bestehen der Deutschen Rossini Gesellschaft wurde am Freitag, 10. Juli, nachmittags im König-Karls-Bad mit einem vom Vorsitzenden Bernd-Rüdiger Kern gehaltenen Vortrag „Rossini in Wien oder Die Bekenntnisse von Melanie von Metternich“ und mit Kammermusik von Rossini für Harfe, Streicher und Bläser gefeiert. Die Ausführenden dieser sonst leider wenig zu hörenden Kammermusikraritäten waren – mit Ausnahme der Harfenistin – Mitglieder des Festivalorchesters Virtuosi Brunensis und machten mit ihrem virtuosen Spiel dem Namen ihres Orchesters alle Ehre. Anschließend gab es einen Empfang im Hotel Rossini (vormals Hotel Bären).

Am Freitagabend war dann die Premiere der Farsa „Il signor Bruschino ossia Il figlio per azzardo“ und wurde ein voller Erfolg. Die Produktion soll auch als DVD erscheinen. Die Inszenierung von Jochen Schönleber im Bühnenbild von Anton Lukas und in den Kostümen von Claudia Möbius wurde zu Recht einhellig bejubelt, - spritzig, witzig und nie klamottig.


Dem entsprach auch das Dirigat von Antonino Fogliani, der zunächst im Bademantel antrat, denn Ouvertüre und erste Szene spielten in den „Bagni Gioachino“: das Orchester saß auf blauer Folie sozusagen im Schwimmbecken und alle setzten zur Ouvertüre passenderweise Badehäubchen auf. Auch Stefania Bonfadelli zeigte sich hübsch anzusehen in Bikini und Badeanzug. Weniger wohlgeformt, aber umso lustiger präsentierte sich dann am Schluss Bruno Praticò im quergestreiften Badekostüm und positionierte sich an der Leiter ins imaginäre Orchester-Schwimmbassin in der gleichen Pose wie der bronzene Rossini auf seinem Denkmal. Dazwischen gab es jede Menge liebenswerte Gags in temporeich abspulenden Aktionen zu belachen, genau passend zu den Crescendi in Rossinis Musik und von den Akteuren auf der Bühne mit Spaß an der Freud ausgeführt. Jetzt klappte alles, ich hatte ja die gelegentlich durchaus hindernisreiche Entwicklung der einen oder anderen Szene bei den Proben miterlebt.


Bruno Praticò war in dieser Bufforolle des Signor Bruschino natürlich voll in seinem Element, die an Koloraturen reiche Basspartie des Gaudenzio Strappapuppole, fürsorglicher Vormund von Sofia, wurde von Ugo Guagliardo hinreißend gesungen und gespielt. Stefania Bonfadelli kehrte nach längerer Krankheit, kurzem Comeback (s. Interview in der Zeitschrift „Das Opernglas“, Oktober 2006) und anschließender Babypause auf die Bühne zurück, - da bleibt wohl erst einmal abzuwarten, ob sie auch wieder an den großen Häusern reüssieren kann. Filippo Adami gefiel mit seinem höhensicheren, klaren Tenor als Florville. In den kleineren Partien sangen Pablo Cameselle, Stefan Cifolelli, Armando Ariostini und Wakako Ono, am Fortepiano begleitete Michele d’Elia die Rezitative.


Am Sonnabend, 11. Juli, gab es ein dichtgedrängtes Programm. Bei dem Empfang am Vortag war spontan für den Vormittag eine Besichtigung des in dieser Saison geschlossenen Kurtheaters angesetzt worden, zu der sich mehr als zwei Dutzend Interessenten einfanden. Unter der engagierten Führung durch Herrn Dr. Eckhard Peterson, Vorsitzender des Fördervereins Kurtheater Wildbad e.V., konnten wir sehen, wieweit die aktuellen Baumaßnahmen gediehen waren: links ein Anbau für Garderobe, Toiletten etc., rechts der Anbau der Cafeteria, und im Zuschauerraum sind auch bereits die ersten Reihen der aufwendig restaurierten Originalbestuhlung zu bewundern. Herr Dr. Peterson führte uns auch in das Bühnenhaus mit den noch original erhaltenen Kulissenzügen, von denen ein Teil wieder in Benutzung genommen werden soll, und unter die Bühne. Wenn man an den bei der ersten Besichtigung 2001 vorhandenen katastrophalen Zustand des jahrelang als Abstellraum für Gartengeräte genutzten Theaters zurückdenkt, kann man nur staunen, was dank des unermüdlichen Einsatzes des Fördervereins und seines Vorsitzenden erreicht worden ist.

Am Sonnabend-Nachmittag stand dann ein von Solistinnen und Solisten des Festivals bestrittenes Konzert „Hommage an Schiller“ auf dem Programm. Mit der Klavierbegleitung von Michele d’Elia gab es Arien und Szenen aus „Don Carlo“ und „I masnadieri“ von Verdi, aus „I briganti“ von Mercadante, aus Donizettis „Roberto Devereux“ (nicht von Schiller) sowie vier Szenen bzw. Arien aus Rossinis „Guglielmo Tell“ bzw. „Guillaume Tell“. Da der Festivalintendant Jochen Schönleber in seiner Moderation ankündigte, dass es den Tell in Bad Wildbad geben werde, wurde natürlich anschließend eifrig diskutiert, ob man da vielleicht schon einen Teil der geplanten Besetzung zu hören bekommen hatte, - es sangen Ines Merseburg, Pablo Cameselle (anstelle des angekündigten Filippo Adami), Wakako Ono, Elsa Giannoulidou und – das war die Überraschung des Nachmittags – Bruno Praticò. Sein „Sois immobile“ war schönstimmig und stilvoll, eine Wohltat insbesondere im Vergleich zu den sehr lautstark vorgetragenen Verdi- Stücken des ersten Teils des Konzerts, - auf die daran beteiligten Solisten möchte ich nicht näher eingehen.


















Am Sonnabend-Abend war dann die offizielle Premiere der szenischen Produktion der „Gazza ladra“. Das etwas pauschale Dirigat von Ryuichiro Sonoda konnte sich mit dem von Zedda nicht messen, immerhin spielten die Virtuosi Brunensis - jedenfalls bis zur Pause – nicht so unangenehm laut wie in der sog. Voraufführung. Die Inszenierung von Anke Rauthmann nutzte mit einer schrägen Rampe (Bühne: Anton Lukas) geschickt die – besonders bei Einsatz eines größeren Chores (Classica Kammerchor Brno) - beengten räumlichen Verhältnisse der Kurhaus-Bühne, das Hauptaugenmerk lag auf einer detailreichen und überzeugenden Personenführung. Giulio Mastrototaro sang wieder ausgezeichnet gut den Fabrizio, seine Frau war diesmal Elsa Giannoulidou, und die Rolle des Sohnes Giannetto sang Stefan Cifolelli mit großem persönlichen Erfolg. Ebenfalls erfreulich war die Ninetta von Sandra Pastrana, bei den Bässen bot Ugo Guagliardo als Fernando ein atemberaubendes Koloraturfeuerwerk, während Maurizio Lo Piccolo als Gottardo zwar eine weniger geläufige Gurgel hatte, aber durch stilvolles Legato punkten konnte. Luisa Islam-Ali-Zade war diesmal Pippo und – sicherlich auch und gerade wegen ihrer natürlichen Gestaltung dieser Hosenrolle – wieder ein Publikumsliebling. In den kleineren Partien gefielen Pablo Camaselle (Isacco und Antonio) und Stefan Hagendorn (Giorgio und Amtsrichter) sowie als Gazza (Elster) die Schauspielerin Kornelia Gocalek.


Nach zehn Tagen in Bad Wildbad freue ich mich nun auf das nächstjährige Festival. Ein Ereignis habe ich dieses Jahr verpasst, aber dank der Liveübertragung von Deutschlandradio Kultur immerhin im Radio hören können: die konzertante Aufführung von „La sposa di Messina“ von Nicola Vaccaj (nach Schillers „Braut von Messina“) am 18. Juli mit einer herausragenden Jessica Pratt.

Fotos: D. Kalinka (Rossini-Denkmal) und "Rossini in Wildbad" (Szenenfotos)

1 Kommentar:

  1. Ein großes Dankeschön an esg für diese kenntnisreiche und detaillierte Schilderung des diesjährigen ereignisreichen Rossini-Festivals in Bad Wildbad. Die eingefügten Fotos sind eine Augenweide und geben den Daheimgebliebenen einen guten Eindruck der Schönleber-Inszenierung des "Signor Bruschino".

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