Dieter berichtet aus London:
Gelungene Saison-Eröffnung
am 07.09.2009 am ROH Covent Garden
Besetzung:
Linda…………………………….......Eglise Gutierrez *
Carlo……………………………….....Stephen Costello*
Il Marchese di Boisfleury……..Alessandro Corbelli
Antonio……………………………...Ludovic Tézier
Pierotto……………………………..Marianna Pizzolato*
L´Intendente……………………. Luciano Botelho
Il Prefetto………………………….Balint Szabò*
Maddalena…………………………Elizabeth Sikora
*Covent Garden Debut
Dirigent MARK ELDER
Royal Opera Chorus
Chorus Director Renato Balsadonna
Orchester des Royal Opera House
Das Covent Garden Debüt der jungen kubanischen Koloratursopranistin Eglise Gutierrez ist eine weitere Etappe ihrer Blitzkarriere auf dem Weg zum internationalen Starruhm. Sie enttäuschte das Publikum nicht, verfügt sie doch über eine üppige, dramatische Mittellage; in der Höhe haben ihre Koloraturen eine Brillanz, die einem Laser-Strahl vergleichbar ist. Das Resultat ist aufregend, wenn auch leicht gewöhnungsbedürftig. Jedenfalls empfanden das einige Zuschauer so, und unter den frenetischen Jubel mischten sich auch einige (sehr wenige) Missfallenskundgebungen. Für mich nicht nachvollziehbar. Sie ist kein Kanarienvogel, mit ihrer furchtlosen Attacke macht sie aus der passiven Heldin eine vokal mitreißende Prima Donna. Dass sie den Belcanto-Stil beherrscht, beweist sie mit individuellen Verzierungen und Ornamenten. Das hohe Es wird mühelos nicht nur erreicht, sondern auch gehalten. Eine große Künstlerin.
Ebenfalls mit Spannung erwartet: der Auftritt des jungen amerikanischen Tenors Stephen Costello, Gewinner des 2009 “Richard Tucker Award”. Ich glaube, er ist erst 24 Jahre alt. An der MET debütierte er in der Saison 2007/08 als Arturo in “Lucia di Lammermoor" und erhielt auch eine Chance, den Edgardo in dieser Produktion zu singen. Er nahm die Zuhörer mit einer attraktiven, italienisch gefärbten lyrischen Tenorstimme für sich ein. Mir gefiel besonders das Fehlen jeglicher Larmoyanz in seinem schönstimmigen Vortrag.
Balsamisch schön sang auch Ludovic Tézier, ich habe ihn noch nie so gut erlebt. Der große Beifall war verdient.
Die Travestie-Rolle des Pierrot war groß und brillant mit Marianna Pizzolato besetzt. Ihr schokoladenfarbiger Mezzo ist für die Partie ideal geeignet.
Der ebenfalls debütierende Balint Szabò brachte eine schöne Bass-Stimme ein, er war adäquat besetzt und konnte einen verdienten Publikumserfolg verbuchen.
Elizabeth Sikora in der kleinen Rolle von Lindas Mutter fand ich persönlich “ätzend”. Eine abgesungene Charakter-(Neben-)Rollen-Sängerin.
Bleibt eine weitere Hauptrolle zu erwähnen, Alessandro Corbelli als der schurkische Marchese di Boisfleury. Wohl eine der so genannten Buffo-Partien, die heute vordringlich mit Klamauk assoziiert werden. Buffo-Klamauk - sowohl in der Gestik als auch vokal - bot er denn auch im Überfluss. Die breite Masse vergalt es ihm mit brüllendem Gelächter und lautstarken Ovationen. Ich hätte lieber eine brillante, schöne Stimme gehört – aber die hat er wohl auch in früheren Zeiten nie besessen. Nun ja…wem´s gefällt.
Mark Elder kennt das – heute relativ vergessene – Werk nicht nur sehr gut, sondern schätzt es auch offensichtlich. Sein Dirigat war aufregend und dramatisch, dabei durchaus einfühlsam in der Sänger-Begleitung und bei den zahlreichen Instrumental-Soli.
Der Chor des ROH, mit wichtigen Aufgaben im 1. und 3. Akt, ließ Italianità vernehmen und klang weitaus idiomatischer als der in den meisten OperaRara-Aufnahmen eingesetzte Geoffrey Mitchell Chor.
OperaRara wird einen Mitschnitt auf CD herausgeben. Halte ich für unbedingt empfehlenswert. Was ich bisher von dieser Oper auf Tonträgern auftreiben konnte, hatte mich nicht sehr überzeugt. Wie konnte der Maestro bei der Uraufführung in Wien mit dem Werk einen derart rauschenden und für lange Jahre nachhaltigen Erfolg verbuchen? Bei dieser mit Verve dirigierten und weitgehend vokal charismatisch besetzten Vorstellung habe ich meine Meinung revidieren müssen.
Auf Tonträgern kenne ich nur wenige Beispiele:
Den Vorzug gab ich bisher einer Live-Aufnahme der “Nationale Reisopera” (Holland) aus dem Jahr 1992 mit der Belcanto-Königin Mariella Devia in der Titelrolle, obwohl ich Devia in anderen Rollen vorziehe. Die weitere Besetzung mit Sonia Ganassi und Luca Canonici ist gut. Persönlich gefällt mir der etwas robustere lyrische Tenor von Stephen Costello besser, er kann auch Alfredo (La Traviata) oder den Duca (Rigoletto) singen.
Edita Gruberova singt die Titelpartie in einer CD-Aufnahme von 1993. Als Kollegen duldet sie nur vokalen Durchschnitt, und das Dirigat ihres Gatten reißt auch nicht mit. Noch uninteressanter ist ihre auf DVD/Video erhaltene Interpretation aus Zürich, allenfalls interessant für Fans des leider zu früh und tragisch verstorbenen Deon van der Walt.
Recht gut gefällt mir noch ein RAI-Mitschnitt von 1953 unter Alfredo Simonetto mit Margherita Carosio. Ihr Name ist heute weitgehend nur noch ein Begriff aufgrund der Tatsache, dass Maria Callas für sie als Puritani-Elvira einsprang und sozusagen über Nacht die Interpretation des Belcanto-Repertoires umkrempelte und den dramatischen Koloratursopran wieder einführte. Die Folgegeschichte und die Verdienste von Callas, Sutherland und Sills auf diesem Gebiet kennen wir. Carosio ist heute aus dem Gedächtnis der Opernliebhaber fast vollständig getilgt. Immerhin ist ihr lyrischer Koloratursopran angenehm, und ihre Partner sind Größen wie Gianni Raimondi und Giuseppe Taddei.
Es gibt noch eine Einspielung mit Antonietta Stella. Die kenne ich nicht. Viele ihrer in der letzten Zeit wieder aufgetauchten Aufnahmen belegen, wie sehr ein Spinto-Sopran ihrer Qualität heute fehlt und dass sie zu Unrecht relativ vergessen ist. In diesem Fach kann ich mir sie aber nicht so recht vorstellen.
Nach den in den letzten Jahren recht durchschnittlichen Einspielungen von OperaRara dürfte dies wieder ein Hit der von diesem Label seit Jahrzehnten betriebenen, lobenswerten Donizetti-Renaissance werden. Unbedingt empfehlenswert, hier kommen die Freaks auf ihre Kosten !!!
Bei dieser Aufführung – obwohl nicht szenisch – sprang der Funke auf das Publikum über. Da kann nur Bedauern aufkommen über das allmähliche Abklingen des Belcanto-Opern-Revivals zugunsten endloser Ausgrabungen von Barock-Opern.
Zum Glück ist auf YouTube bereits ein Premieren-Mitschnitt von Lindas Auftritts-Arie verfügbar, der das Gesagte besser illustriert als Worte:
Autor dieses Beitrags: Dieter (Frankfurt a. M.)
Sehr interessant!
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