2. Februar 2010
"La Cenerentola" mal ganz anders - Sternstunde im Théâtre des Champs Elysées in Paris
Claus und Friederike L. berichten aus Paris:
Kann man sich so etwas vorstellen: Die Oper ist zu Ende, die Sänger verbeugen sich unter großem Applaus, da erscheint die Regisseurin auf der Bühne und ein einziger Schrei der Begeisterung kommt aus 2000 Zuschauerkehlen, dass man Angst hat, das Haus bricht zusammen.
Doch – wirklich! Wir haben es erlebt am 30. Januar im Pariser Théâtre des Champs Elysées. „Cenerentola“ wurde gegeben, aber keineswegs auf die etablierte und liebgewonnene Weise, sondern ganz, ganz anders und doch sooo toll! Verbeugen wir uns als erstes vor der Regisseurin: Es ist Irina Brook, Tochter des großen englischen Schauspielregisseurs Peter Brook, der in den 60er Jahren mit seinen revolutionären Inszenierungen Theatergeschichte schrieb. Wir sollten diesen Namen nicht vergessen!
Dabei waren wir zunächst recht skeptisch: Der Vorhang war offen und wir hatten Zeit, ausgiebig das erste Bühnenbild zu studieren, bevor es losging. Eine billige Kneipe oder Bar mit allen dazugehörigen Accessoires, “Bar Magnifico“ in Leuchtschrift über der Theke, Bilder von den Größen der 60er Jahre an der Wand: Elvis und Sofia Loren (aha: italienische Bar, vielleicht in New York?). Wird wohl wieder so ein abgedroschener Regieeinfall sein, einfach alles in andere Zeit und Ort zu versetzen.
Aber da schau her – was ist denn das für ein Bild, das sich da verschämt halb hinter einem Filmstar versteckt? Nein, wirklich: Rossini’s Konterfei hängt da an der Wand! Wie tröstlich,
dass er auch mit von der Partie ist – das lässt uns hoffen.
Die Ouvertüre beginnt und mit dem Allegro wird ein szenisches Feuerwerk gezündet, dass uns Hören und Sehen vergeht. In der Tat: Magnifico (Pietro Spagnoli) ist der Kneipenwirt mit den drei Töchtern, zwei von ihnen herrliche Zicken (Carla di Censo und Nidia Palacios) und die dritte erstmal wunderbar als graue Maus gespielt, zwar keineswegs märchen-konform in der Asche sitzend, aber doch schon recht interessiert ein Magazin studierend, auf dessen Titelseite das Bild von „Ramiro, the sexiest man in the world“ prangt.
Vivica Genaux, hinreichend Rossini-erfahren, singt diese Angelina mit samtweicher mezzo-grundierter Stimme, die aber auch keine Mühe hat, ins Sopranregister überzugehen und uns mit zum Teil noch nie gehörten Koloraturen einzuwickeln. Genau die Art von Stimme, die für Rossini selbst das Ideal war, wie man weiß.
Absolut unmöglich, den Einfallsreichtum dieser Inszenierung auch nur annähernd zu schildern. Trotz der Umsetzung in ein anderes Milieu und eine andere Zeit hat man keinen Augenblick das Gefühl, dass dem Stück Gewalt angetan wird. Alles ist absolut stimmig
und nichts wird gegen die Musik inszeniert. Im Gegenteil: Die Choreographie des Männerchors etwa ist in umwerfender Weise aus dem darunterliegenden Rhythmus entwickelt und kommt mit jener Leichtigkeit daher, die nur durch harte Probenarbeit erreicht werden kann.
Natürlich ist Ramiro hier kein Märchenprinz, sondern so etwas wie ein großer Filmstar mit der entsprechenden Entourage, aber das passt vorzüglich ins Konzept. Antonino Siragusa singt ihn mal zart, mal mit strahlendem Tenor und holt sich am Ende seiner Arie im zweiten Akt frenetischen Applaus mit einem lang gehaltenen hohen C, das Rossini allerdings vergessen hatte hinzuschreiben.
Überhaupt wurde nicht nur hinreißend komödiantisch agiert, sondern auch von allen auf höchstem Niveau gesungen. Stéphane Degout als Dandini hatte keine Mühe mit den intriganten Koloraturen und Parlandostellen, die man von anderen schon so oft verwaschen gehört hat. Und Ildebrando D’Arcangelo als Alidoro machte während des Umbaues zum zweiten Bild vor dem Vorhang ein Kabinettstück aus der langen Fassung seiner Szene mit Angelina, wobei ihm im Allegro der erwähnte Männerchor zur Seite stand, der am Ende das Mädchen buchstäblich auf Händen von der Bühne ins Glück trug.
Vor der Bühne agierte als Orchester das „Concerto Köln“ mit anerkennenswerter Präzision unter der bemühten Leitung des jungen Michael Güttler aus Dresden. Die Anhänger der „Historischen Spielweise“ hatten da Gelegenheit, sich an vibratolosen Streicherpassagen zu erfreuen und den Kampf der Bläser mit den Tücken ihrer auf dem technischen Stand von vor 200 Jahren nachgebauten Instrumente zu erleben. Konsequenterweise sollte man dann auch den Tenor seine hohen Töne mit Kopfstimme singen lassen, denn das „Do di petto“, das hohe C mit Bruststimme, das wir heute so bewundern, war ja bekanntlich für Rossini ein Graus. Hoffen wir, dass die armen Musikanten nicht auch noch im Sinne der historischen Treue mit der Kutsche von Köln anreisen mussten.
Doch davon abgesehen: Wir haben uns köstlich amüsiert – und das wollte Rossini ja wohl auch. Und dankbar haben wir vermerkt, dass bei aller Heiterkeit noch genügend Ernsthaftigkeit im Spiel war, um dem Schluss gerecht zu werden, wo sich die Komödie unversehens zum Hohen Lied der Humanität wandelt. Natürlich immer mit einem verstohlenen Augenzwinkern – dafür sorgten schon die Männer vom Chor im Hintergrund, die einfach nicht still stehen konnten. Köstlich!
Leider gibt es, wie an diesem Theater üblich, nur ganz wenige, in diesem Fall insgesamt vier Vorstellungen, die letzte am 5.Februar. Aber dieser schöne Abend wird uns doch dazu animieren, in Zukunft das Programm des Théâtre des Champs Elysées etwas genauer zu verfolgen, zumal es hier leichter ist, über das Internet an Karten zu kommen, als an den anderen Pariser Häusern. (Hier direkt zum Opernhaus, zur Buchungsmöglichkeit und zu einem Video)
Claus und Friederike L.
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Diese erfrischende Schilderung einer "Cenerentola, mal ganz anders" vermittelt die Botschaft: "Runter vom Sofa und auf nach Paris!" Bis zur leider letzten Vorstellung morgen wird es wohl etwas knapp, aber wir werden es so machen wie die Schreiber und das Théâtre des Champs Elysées als Aufführungsstätte von Belcanto-Ereignissen genauer im Auge behalten. Kalbo
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