Er vollendet die Unvollendete. Jedes Mal. Und alle Sinfonien von Haydn kann er am letzten Takt unterscheiden. Er muss gut zuhören, zumindest im letzten Satz, und gerade junge, unbekannte Dirigenten erwischt er immer wieder bei Variationen der finalen tempi. Wenn sich die Falten im Rücken des Dirigentenfracks nach dem Schlussakkord lösen, dann legt er los, und sein erstes Klatschen spaltet die Stille. Alle folgen seinem Beispiel, alles klatscht und rührt sich auf sein Signal, ja, und auch das eine oder andere Parkkärtchen für die Tiefgarage raschelt schon. Seine Frau aber schämt sich und kommt nicht mehr mit ins Konzert. Er selbst hat Bluthochdruck entwickelt. Aber einer muss es ja tun, behauptet er und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Ganz selten sitzen zwei Frühklatscher im Publikum. Wie vom Schlag getroffen halten sie beim ersten Klatscher inne und starren sich an. Der Verlierer muss sich einen anderen Konzertsaal suchen. Der Gewinner darf bleiben. Justus Drescher zum Beispiel ist seit nunmehr sieben Jahren unumstrittener Frühklatscher in der Musikhalle Hamburg. Er ist auf zahlreichen Livemitschnitten zu hören.
Quelle: Alexander Rösler im Hamburger Abendblatt – Journal vom 5. April 2008
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